Für viele Maschinen- und Anlagenbauer erbringt der After-Sales-Bereich häufig um die 25 Prozent des Umsatzes, trägt aber prozentual meist mehr zum Gewinn bei. Eine Steigerung der Service-Erträge ist also gerade in der jetzigen dynamischen Marktsituation ein Stabilitätsfaktor. Die Expertenrunde beim Maschinenbau-Gipfel Salon diskutierte über Digital-Konzepte, die sich als Service-Booster bewährt haben. Doch es ging auch um Lösungen für die typischen Hürden, denen sich viele Maschinen- und Anlagenbauer heute gegenüber sehen. Allen voran sind das die Frage eines Kulturwandels und die Ausrichtung, nicht mehr nur Technik-, sondern Kundenthemen zu lösen – und an die richtigen Daten aus dem Lebenszyklus der Maschine zu gelangen.
„Man sieht ganz klar bei den Veranstaltungen zum Thema Service, dass da ein Rieseninteresse ist“, konstatierte Ghebrekedus Ashera, Referent Service und Projektmanagement beim VDMA e. V. Gerade auch im Zuge von Fachkräftemangel und Generationenwechsel sei die Bereitschaft gestiegen, sich mit digitalen Services zu beschäftigen.
Bilderstrecke: Eindrücke vom Maschinenbau-Gipfel Salon 'Service'
Organisation und Unternehmenskultur als Kernfaktoren
„Wir haben den Service bei uns schon vor Jahren zum eigenen Geschäftsbereich umformiert mit Profit- und Loss-Verantwortung. Das hat uns im Unternehmen selbst in der Diskussion auf Augenhöhe mit anderen Geschäftsbereichen gebracht und wir können viel einfacher eigene Service- Strategien und Veränderungen entwickeln und durchsetzen“, erklärte Jochen Pfeil, Leitung des Geschäftsbereichs Service bei Vecoplan AG. Der Maschinen- und Anlagenbauer stellt mit 500 Mitarbeitenden Zerkleinerungsmaschinen für die Recycling- und die Holzindustrie her und erwirtschaftet mehr als 30 Prozent seines Umsatzes über den Service. Ein weiterer Faktor sei, konsequent auf proaktives Servicegeschäft zu setzen. Bei Vecoplan gibt es einen eigenständigen Vertrieb für Maschinen, der Aftersales-Bereich ist ausschließlich für Ersatz- und Verschleißteile zuständig.
Um den digitalen Service global einheitlich, aber trotzdem kundennah zu gestalten, komme es vor allem auf Einfachheit und Standards an, erklärte Lukas Neuenhausen, Project Manager Digital Engineering bei der Albrecht Bäumer GmbH & Co. KG. Das Unternehmen mit 400 Beschäftigten kommt aus dem Spezialmaschinenbau für die Schaumstoffindustrie und stellt über 50 verschiedene aktive Maschinentypen für verschiedenste Zwecke her, unter anderem zum Schneiden. „Jede Maschine wird im Standard mit einem Router ausgeliefert, damit wir immer überall draufkommen können: Es gibt nur diesen einen Weg. Der zweite wichtige Aspekt ist Einfachheit: Wenn es nicht supereinfach ist, dann kommen die ganzen Tochterorganisationen nicht mit. Deshalb haben alle genau denselben Weg und werden zentral geschult“, beschrieb Neuenhausen die Herangehensweise. Denn wenn es aufgrund alternativer Wege zu kompliziert werde, ließen sich die Prozesse nicht mehr weltweit unter einen Hut bringen.
Kein Erfolg ohne grundsätzlichen Mentalitätswechsel
In der Diskussion ging es auch um die Frage, warum sich der Maschinen- und Anlagenbau scheinbar so schwertut, tragfähige Geschäftsmodelle aus der Digitalisierung seiner Produkte zu entwickeln. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die nötige Veränderung im Mindset zu den zentralen Hürden gehört. Lukas Neuenhausen zufolge ist es in einer eher mechanisch ausgerichteten Organisation beispielsweise schwierig, Software abzurechnen – der Mentalitätswechsel funktioniere oft nicht gut. Um das zu erreichen, sei die Transformation vom Produktanbieter, Stichwort Stahl und Eisen, hin zu einem Lösungsanbieter mittels Change Management eine notwendige Voraussetzung, konstatierte Donatus Weber, Geschäftsführer der Jagenberg Digital Solutions GmbH. „Das bedeutet, ich gehe ins Gespräch mit meinen Kunden und schaue, wie ich deren Produktionsprobleme löse. Meiner Meinung nach haben wir da schon oft den Fehler gemacht, dass wir nicht genau zugehört haben“, so Weber. Stattdessen würden immer weitere technische Innovationen ins Produkt einfließen.
„Teilweise fehlen im Service die Qualifikationen, die man braucht, um die Kundenbedürfnisse entsprechend abzufragen. Hauptfokus liegt darauf, die Maschine zu reparieren, während die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, Marketing und Geschäftsmodellentwicklung weniger ausgeprägt sind“, stellte Ghebrekedus Ashera fest. Zwar kenne der Serviceleiter die Kundenbedürfnisse, doch diese wertvollen Informationen müssten dann auch wieder in den Prozess zurückfließen, um zu verstehen, wie man den kompletten Produktlebenszyklus angehen sollte. „Hier sind viele Unternehmen schon dran und stellen dem Service jemand an die Seite, der diese betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge kennt“, so Ashera. Doch das geschehe nicht von heute auf morgen. Um dieses Grundverständnis innerhalb des Unternehmens zu bekommen, müsse man aktiv daran arbeiten und immer dran bleiben, glaubt Jochen Pfeil. „Denn wenn dieser Mindset-Change nicht kommt, gelingt es nicht. Aber sobald man merkt, dass man ein Stück weit Erfolg damit hat und dem Kunden einen Mehrwert bieten kann, dann fallen die Brücken und es geht Stück für Stück weiter nach vorne“, berichtete der Serviceleiter aus seiner Praxiserfahrung.
Statt höher, schneller, weiter lieber den Kundenprozess verstehen
Alle in der Runde waren sich also einig: Das Verständnis für die Prozesse beim Kunden ist entscheidend. Aus Sicht von Lukas Schattenberg gilt es zunächst, Daten aus der tatsächlichen Nutzung der Maschine im Feld zu sammeln und damit das eigene Innovationsverständnis zu überprüfen: „Da wird beispielsweise in einigen Fällen sichtbar, dass keiner der Kunden bis dato die Maschine überhaupt bis an ihre maximale Leistungsgrenze gefahren hat. Wenn ich so etwas einmal weiß, kann ich danach Servicepakete schnüren, die wirklich auf die Bedürfnisse des Kunden einzahlen – und nicht ein falsches Innovationsversprechen abgeben, um eine noch leistungsstärkere Maschine zu produzieren“. An die Daten zu kommen, wie eine Maschine tatsächlich benutzt wird, werde in den nächsten Jahren für den deutschen Maschinenbau essentiell.
„Nicht jeder Kunde nutzt seine Maschine gleich, sondern ein Maschinenbauer beliefert typischerweise ein sehr heterogenes Feld an Kunden. Daher lässt sich auch nicht jeder digitale Service gleichermaßen gut an jeden Kunden verkaufen: Ich muss sehr genau wissen, wie der Kunde produziert“, sagte Schattenberg zudem. Die wichtigsten KPIs sind aus seiner Erfahrung: bessere Qualität in der Produktion, höhere Leistung und höhere Verfügbarkeit der Maschine. Damit digitale Services funktionieren, müssen die Anbieter also die KPIs ihrer Kunden effizienter machen, sind sich die Experten sicher – allen voran die Overall Equipment Effectiveness (OEE). Doch wie gelangt man am besten an die dafür benötigten Daten?
Der Weg zu den Felddaten
„Wir haben einfach standardmäßig über einige Jahre immer eine Ein-Jahres-Subskription mit der Maschine mitverkauft. Das heißt, der Kunde hatte schon von Anfang an eine Datenverbindung. Das war für uns dann sehr, sehr erhellend“, beschreibt Neuenhausen den erfolgreichen Ansatz seines Unternehmens. Dazu gehöre es, nicht nur auf die eigene Maschine zu schauen, sondern beispielsweise darauf, welches und wie das Material verwendet wird oder wie sich Abfall vermeiden lässt. Aus Nachhaltigkeitssicht gebe es bei Schaumstoff einen sehr großen Hebel für die Kunden – jeder gesparte Zentimeter sei viel Geld wert. Doch OEE sei definitiv der wichtigste Parameter. Donatus Weber riet dazu, Daten nicht wahllos, sondern anhand eines konkreten Use Case zu erheben. Für die Kunden gehe es zudem weniger um grafische Visualisierung zum Beispiel in Ampelform, als um konkrete Handlungsempfehlungen.
Es sei ein wichtiger Vorteil, wenn man dem Kunden beispielsweise bei einer Zerkleinerungsmaschine sagen könne, wenn die Schneidwerkzeuge nicht mehr ganz scharfkantig sind und ein Wechsel ansteht, erzählte Jochen Pfeil. Doch um an diesen Punkt zu kommen, habe man eine Lernkurve absolvieren müssen. So wurden unter anderem über zwei, drei Jahre viele Maschinendaten gesammelt. „Geht das in Richtung Shopfloor-Beratung im Service?“, wollte Moderator und Produktion-Chefredakteur Claus Wilk wissen. Weber bestätigte: Ein zentraler Punkt sei ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem nicht nur der isolierte Prozess auf der eigenen Maschine im Mittelpunkt steht, sondern der komplette Prozess, der in der Produktion des Kunden davor und danach passiert. Er nannte als Beispiel Produkte rund um das Schneiden, Wickeln und Beschichten von Kunststofffolie. „Hier ist es wichtig, mit den Produzenten, die davor und dahinter stehen, ins Gespräch zu kommen, sich gegenseitig als Hersteller Daten zur Verfügung zu stellen, sodass man die ganze Linie optimieren kann“, erklärte Weber. Den Kunden interessiere letztlich nicht das lokal optimierte Maximum in einer Maschine, sondern das Gesamtergebnis.
Konkrete Mehrwerte überzeugen die Kunden
Vor allem überzeugen die Vorteile digitaler Services: „Wenn der Kunde einen Nutzen hat, dann ist er auch zugänglich dafür, dass man auf die Maschine kommt“, sagte Pfeil. So könne sich etwa der eigene Notfallservice bei einem Ausfall direkt auf die Maschine aufschalten und nach dem Problem suchen. „Es gelingt es uns in 80 Prozent der Fälle – und das ist ein Erfahrungswert über die letzten Jahre –, den Kunden zumindest wieder in die Lage zu versetzen, dass die Anlage und Maschine temporär wieder läuft“, so der Serviceleiter. Teilweise sind die Kunden bereits weiter als die Hersteller. Hier raten die Experten, gemeinsam mit diesen Kunden an Lösungen zu arbeiten und von deren Momentum zu lernen.
Mehrwerte lassen sich auch durch KI-Technologie heben. Die Runde sah KI vor allem als Werkzeug zur Unterstützung und Vereinfachung im Service. „Der Servicetechniker, der keine KI benutzt, wird durch einen Servicetechniker ersetzt werden, der KI benutzt“, fasste es Weber zusammen. „Wir haben uns die Frage gestellt, wie man das ganze Wissen, das teilweise handschriftlich in Service-Reports steckt, um Kunden mittels KI auf einer Plattform ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ zu geben“, berichtete Jochen Pfeil. Bei Albrecht Bäumer sieht man KI größtenteils am HMI zur Bedienunterstützung. „Der Bediener muss dann beispielsweise nicht mehr in den 700 Seiten Betriebsanleitung nach einer Antwort suchen muss, sondern gibt seine Frage einfach per Sprachsteuerung ein“, erklärte Lukas Neuenhausen. Auch für die Formulierung eines Maschinenauftrags prüfe man die Technologie.
überarbeitet von: Dietmar Poll
FAQ zum Maschinenbau-Gipfel Salon 'Service'
1. Warum ist der Servicebereich für Maschinen- und Anlagenbauer wirtschaftlich so wichtig?
Der After-Sales-Bereich macht häufig rund 25 Prozent des Gesamtumsatzes aus, trägt aber überproportional zum Gewinn bei. Gerade in volatilen Märkten ist ein steigender Service-Umsatz daher ein zentraler Stabilitätsfaktor.
2. Welche Rolle spielen digitale Services im modernen Maschinenbau?
Digitale Services ermöglichen standardisierte, global einheitliche Prozesse, vereinfachen den Kundenzugang und eröffnen neue Ertragsquellen. Sie helfen zudem, Maschinenzustände besser zu überwachen, Ausfallzeiten zu reduzieren und datenbasierte Geschäftsmodelle umzusetzen.
3. Welche organisatorischen Voraussetzungen sind notwendig, um Services erfolgreich auszubauen?
Ein eigenständiger Servicebereich mit P&L-Verantwortung schafft interne Sichtbarkeit, Entscheidungsspielraum und ermöglicht gezielte Service-Strategien. Unternehmen wie Vecoplan zeigen, dass diese Struktur Service-Innovationen erheblich beschleunigt.
4. Warum fällt es vielen Maschinenbauunternehmen schwer, digitale Geschäftsmodelle zu etablieren?
Hürden sind vor allem kultureller Natur: Mechanisch geprägte Organisationen tun sich schwer, Software oder Daten als Wert zu begreifen und zu monetarisieren. Es braucht einen konsequenten Mindset-Change – vom Produkt- zum Lösungsanbieter.
5. Welche Kompetenzen fehlen im Service häufig?
Serviceabteilungen sind technisch stark, aber betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Marketing-Know-how und Fähigkeiten zur Geschäftsmodellentwicklung sind oft unterrepräsentiert. Viele Unternehmen beginnen daher, Servicefachkräfte durch wirtschaftliche Expertise zu ergänzen.
6. Wieso ist das Verständnis der Kundenprozesse so entscheidend?
Nur wenn Maschinenbauer wissen, wie Kunden tatsächlich produzieren, können sie relevante digitale Services anbieten. Dazu gehören Erkenntnisse über Produktionslast, Materialeinsatz, Ausschuss oder die tatsächliche Nutzung der Maschinen.
7. Wie gelangen Unternehmen an die notwendigen Nutzungs- und Felddaten?
Ein bewährter Weg ist der standardmäßige Verkauf von Maschinen inklusive Datenverbindung, z. B. über ein einjähriges Subskriptionsmodell. Entscheidend ist, Daten gezielt entlang konkreter Use Cases zu erheben – nicht wahllos.
8. Welche KPIs stehen bei digitalen Services im Mittelpunkt?
Zentral sind vor allem: Qualität, Leistung, Verfügbarkeit und als übergreifende Kennzahl die Overall Equipment Effectiveness (OEE). Services müssen nachweislich zur Optimierung dieser KPIs beitragen.
9. Welche konkreten Mehrwerte überzeugen Kunden am stärksten?
Schnelle Remote-Unterstützung ist ein typischer Vorteil: In 80 Prozent der Fälle lässt sich der Maschinenbetrieb bei Problemen kurzfristig wiederherstellen. Weitere Mehrwerte sind vorausschauende Wartung, reduzierte Stillstandszeiten und konkrete Handlungsempfehlungen statt reiner Datenvisualisierung.
10. Welche Bedeutung hat Künstliche Intelligenz im Service?
KI wird als Werkzeug zur Effizienzsteigerung gesehen – etwa durch intelligente Auswertung von Service-Reports, Assistenzsysteme an HMIs oder sprachbasierte Bedienhilfen. Unternehmen, die KI nutzen, schaffen für Techniker und Kunden deutliche Produktivitäts- und Qualitätsgewinne.