Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert nun schon fast eineinhalb Jahre. Genauso lange diskutieren Unternehmen und die Öffentlichkeit darüber, ob ausländische Firmen immer noch Geschäftsbeziehungen mit Russland führen sollen oder nicht. Während sich Autobauer wie VW komplett aus dem Land zurückgezogen und Werke verkauft haben, sind andere weiter vor Ort aktiv.
Jeffrey Sonnenfeld, Wirtschaftsprofessor an der US-Elite-Universität Yale, hat sich zur Aufgabe gemacht, die westlichen Unternehmen, die weiter in Russland Geschäfte machen, zu identifizieren. Dafür veröffentlicht er online eine Liste. Und die hat durchaus Konsequenzen: Nach Bekanntwerden der Liste haben viele der genannten Firmen Börseneinbrüche zwischen 15 und 30 Prozent erlitten.
Um an die Daten zu kommen, nutzt Sonnenfeld mehrere Quellen: „Wir verfügen über ein Team von Experten mit Kenntnissen in den Bereichen Finanzanalyse, Wirtschaft, Rechnungswesen, Strategie, Unternehmensführung, Geopolitik und eurasische Angelegenheiten, die zusammen zehn Sprachen fließend sprechen, darunter Russisch, Ukrainisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Chinesisch, Hindi, Polnisch und Englisch“, erklärt er auf der Website. Diese Expertinnen und Experten stellen mit Hilfe von öffentlichen Quellen – wie zum Beispiel Steuerdokumenten und Finanzberichten – aber auch nicht-öffentlichen Quellen wie Unternehmensinsidern und Whistleblowern den Datensatz zusammen.
PRODUKTION hat sich die Liste genauer angeschaut und die Firmen herausgefiltert, die Teil der deutschen Industrie sind.
Claas betreibt Werk in Russland weiter
Der Landmaschinenhersteller Claas betreibt sein Werk im russischen Krasnodar weiter und hat laut Firmenwebsite eine Vertriebsgesellschaft mit Büro in Moskau.
Claas macht seit Anfang der 1990er Jahre Geschäfte mit Russland. 2005 wurde die Fabrik in Krasnodar in Betrieb genommen. 2015 wurde sie ausgebaut. Laut Unternehmensseite ist das Werk auf eine Kapazität von 1.000 Maschinen pro Jahr ausgelegt.
Im Zuge der Sanktionen gegen Russland wurde dem Landmaschinenhersteller Ende 2022 vorgeworfen, er habe die Exportsanktionen unterlaufen. Im März sagte ein Unternehmenssprecher der ‚FAZ‘ zufolge, dem Unternehmen sei bescheinigt worden, die Produktion von Mähdreschern im eigenen Werk in Russland immer sanktionskonform fortgesetzt und keine Embargovorschriften verletzt zu haben.
Davor hatte unter anderem ‚Die Zeit‘ berichtet, dass Claas Einzelteile – versteckt in komplexeren Komponenten – nach Russland geliefert und so die Ausfuhrbeschränkungen umgangen haben soll. Die betroffenen Einzelteile wie zum Beispiel Hydraulikzylinder und Schalldämpfer können dem FAZ-Bericht zufolge auch in Militärtechnik wie Transportfahrzeugen verbaut werden.
Die EU hat den Export von Dual-Use- und Advanced Tech-Gütern inzwischen weiter eingeschränkt. Dazu zählen nun auch Güter, die für den Ausbau der industriellen Produktion in Russland verwendet werden können.
Die Sanktionen gegen Russland zielen allerdings bisher nicht auf den Handel und den Transport von Nahrungsmitteln ab, weshalb es Ausnahmen für landwirtschaftliche und landtechnische Komponenten und Produkte gibt.
Lemken hat weiter Montage-Standort in Russland
Ebenfalls auf Landtechnik spezialisiert ist Lemken. Das Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen steht ebenfalls auf der Liste des Yale-Professors.
Ein Blick auf die Website zeigt: Die Liste der Gebietsverkaufsleiter in Russland ist weiter online und das Unternehmen gibt als Montage-Standort unter anderem Detschino in Russland an.
Nach Stopp: Auma nimmt Geschäfte wieder auf
Der Maschinenbauer Auma erklärt in einem Statement auf der Firmenwebsite, man habe im Frühjahr 2022 damit begonnen, alle nationalen und internationalen Geschäftsaktivitäten zu überprüfen, die mit Russland und Belarus in Verbindung stehen. Die Sanktionen werden dem Unternehmen zufolge befolgt. „Die laufenden Geschäfte unserer russischen Tochtergesellschaft haben wir stark eingeschränkt, und zwar deutlich über die jeweiligen Sanktionen hinaus“, heißt es weiter. Auma zufolge werden keine Erzeugnisse mehr in den Markt für die Öl- und Gaserzeugung geliefert und das Geschäft mit Komponenten und Ersatzteilen sei komplett eingestellt worden.
„Lieferungen erfolgen noch in die zivile Infrastruktur im Segmenten Wasser und Energie, aber auch diese Aktivitäten werden aktuell kritisch hinterfragt“, erklärt das Unternehmen im Statement.
Anfang März 2022 beschloss das Unternehmen, das Neugeschäft in Russland und Belarus zu stoppen und nur noch bestehende Lieferverpflichtungen abzuarbeiten.
Im August 2022 dann der Kurswechsel: Die ‚Badische Zeitung‘ berichtet, dass Auma wieder Aufträge russischer Kunden entgegennimmt.
Die Begründung: Der Ukrainekrieg ziehe sich länger hin als gehofft, weshalb man umsteuern müsse. Denn es gehe auch um die soziale Verantwortung gegenüber der Mitarbeitenden in Russland. Auma beschäftigt dort rund 160 Menschen.
Das Maschinenbauunternehmen nimmt demnach Aufträge in Geschäftsfeldern entgegen, die nicht von Sanktionen betroffen sind. Im Geschäft mit Öl und Gas hat sich Auma nach eigener Aussage aus dem Neugeschäft zurückgezogen.
Das Service-Geschäft in den nicht-sanktionierten Bereichen bleibt dagegen bestehen. Das zeigt sich auch auf der Firmenwebsite: Dort sind weiter Kontaktdaten zu Service und Vertrieb in Russland zu finden.
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OBO Bettermann
Ulrich Bettermann, Chef von OBO Bettermann, erklärte gegenüber der ‚Westfalenpost‘, er verurteile den Krieg in der Ukraine, habe aber auch Verantwortung für 450 Angestellte in Russland.
Der Hersteller von Installationssystemen hat ein Werk in Liptesk südlich von Moskau. Schon vor Beginn des Krieges hat das Unternehmen eigene Projekte wie eine Großverzinkerei nicht weiter fortgeführt. „Die Maschinen dafür sind bereits gekauft, aber die Umsetzung der Pläne liegen derzeit auf Eis, weil ich nicht weiß, welche Sanktionen uns treffen“, sagte Bettermann kurz vor Kriegsbeginn in einem Interview mit dem ‚Handelsblatt‘.
Projahn über Tochtergesellschaft weiter in Russland aktiv
Projahn Präzisionswerkzeuge ist laut der Yale-Seite weiter durch eine Tochtergesellschaft mit einem Büro und einem Lager in Russland tätig. Das Unternehmen hat weiter eine russische Website mit Onlineshop. Auf der Kontaktseite dazu heißt es auf Russisch: „Wir laden Sie zur Zusammenarbeit ein“.
Aurubis geht keine neuen Geschäftsbeziehungen in Russland ein
Ebenfalls auf der Liste des Yale-Professors ist der Kupferproduzent Aurubis. „Die Geschäftsbeziehungen und Partnerschaften mit Russland sind sehr begrenzt“, heißt es dort. Die gleiche Rückmeldung hat auch das Unternehmen selbst dem ‚Focus‘ gegeben: Der Umsatzanteil durch Geschäfte mit Russland habe im Geschäftsjahr 2021/22 weit unter 0,1 Prozent gelegen.
„Wir haben unmittelbar nach Ausbruch des Krieges alle Sanktionen in vollem Umfang umgesetzt und sind seitdem auch keine neuen Geschäftsbeziehungen eingegangen“, erklärte Sprecher Meino Hauschildt.
Bosch sucht Käufer in Russland
Bosch ist derzeit weiter in Russland aktiv, sucht aber einen Käufer für seine Vermögenswerte. Das Unternehmen hat aufgrund des Krieges beschlossen, die dortige Produktion einzustellen. Es wird befürchtet, dass einzelne Teile oder Mikrochips auch für militärische Zwecke genutzt werden könnten. Laut mehreren Medienberichten verhandelt der Konzern derzeit über den Verkauf seiner zwei Werke bei St. Petersburg. Es soll eine interne Ausschreibung und erste Kaufinteressenten geben (Stand: Ende Juni 2023).
Andere Bosch-Werke in Russland wurden bereits verkauft.
Wie Trumpf, das ebenfalls in der Liste vorkommt, mit Russland umgeht, lesen Sie hier:
Remondis hat sich fast vollständig zurückgezogen
Remondis hat seine Geschäfte in Russland ebenfalls weitestgehend eingestellt. Das Recycling- und Wasserwirtschaftsunternehmen hat nach eigener Aussage mehr als 98 Prozent der Aktivitäten in Russland beendet. Ende Oktober 2022 war nur noch eine Niederlassung in Saransk, Hauptstadt der teilunabhängigen Republik Mordowien geöffnet. „Im Hinblick auf die durch uns übernommene Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Familien sowie im Sinne der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes führen wir in der Republik Mordowien unsere Leistungen weiterhin durch“, erklärte das Unternehmen.
Man sei außerdem mit Kunden und Auftraggebern an Verträge gebunden, die sich nicht so kurzfristig aufheben lassen.
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