
Laut dem Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl, wurden 2024 aus dem Sondervermögen rund 19,8 Milliarden Euro bereitgestellt, von denen die Bundeswehr rund 17,2 Milliarden Euro ausgegeben hat. Högl schreibt: „Das Ministerium sollte in Zukunft sicherstellen, dass zur Verfügung stehende Gelder auch ausgegeben werden.“ (Bild: MoraM - stock.adobe.com)
Die Bundeswehr soll aufgerüstet, modernisiert und personell gestärkt werden – so lautet das Versprechen der „Zeitenwende“. Doch der aktuelle Jahresbericht der Wehrbeauftragten für 2024 zeigt, dass es an vielen Stellen hakt. Trotz Milliardeninvestitionen bleibt die Beschaffung neuer Waffensysteme langsam, die Infrastruktur marode und der Personalmangel eklatant. Während Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eine Reform des Wehrdienstes anstrebt, liegt die politische Entscheidung darüber vorerst auf Eis. Die Wehrbeauftragte Eva Högl fordert nun mehr Tempo, sowohl beim Material als auch bei der Personalgewinnung.
Rüstungsausgaben steigen – aber die Truppe wartet weiter
Mit rund 52 Milliarden Euro war der Verteidigungsetat 2024 um 1,8 Milliarden Euro höher als im Vorjahr. Zusätzlich wurden 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen bereitgestellt, von denen jedoch nur 17,2 Milliarden ausgegeben wurden. „Das Ministerium sollte in Zukunft sicherstellen, dass zur Verfügung stehende Gelder auch ausgegeben werden“, mahnt Högl. Denn trotz dieser enormen Summen bleibt die Modernisierung der Bundeswehr hinter den Erwartungen zurück.
Ein zentrales Problem sind die langen Beschaffungszeiten. Während persönliche Schutzausrüstung wie Helme, Schutzwesten und Kälteschutzkleidung weitgehend in der Truppe angekommen ist, sieht es bei Großgerät deutlich schlechter aus. Schützenpanzer, Kampfjets und Artilleriesysteme sind entweder noch in der Entwicklung oder ihre Einführung verzögert sich durch bürokratische Prozesse. Besonders kritisch ist die Lage bei der Munitionsversorgung. Seit Jahren wurden nur minimale Bestände gehalten, nun fehlen für viele Waffensysteme ausreichende Reserven. Die Abgaben an die Ukraine haben die Situation weiter verschärft, ohne dass ein schneller Nachschub in Sicht wäre.
Neue Waffensysteme – Hoffnungsträger mit Hindernissen
Ein Lichtblick ist die stärkere Einbindung der deutschen Rüstungsindustrie. Milliardenaufträge für Leopard-2-Panzer, Fregatten der Klasse F126 und neue Drohnensysteme sollen die Bundeswehr zukunftsfähig machen. Doch die Einführung neuer Systeme bleibt ein Kraftakt. Der Schützenpanzer Puma ist weiterhin anfällig für Ausfälle, die F-35-Kampfjets werden erst ab 2027 erwartet, und auch die geplante Modernisierung der Artillerie kommt nur langsam voran.
Die Wehrbeauftragte warnt davor, dass die Bundeswehr aus den Fehlern der Vergangenheit lernen müsse. Immer wieder seien Waffensysteme eingeführt worden, die in der Praxis nicht zuverlässig funktionierten. Statt auf Prestigeprojekte zu setzen, müsse die Truppe endlich mit praxistauglichem, verfügbarem Gerät ausgestattet werden.
Ein weiteres Hindernis ist die marode Infrastruktur. Viele Kasernen sind nicht auf die Unterbringung neuer Systeme ausgelegt, moderne Wartungs- und Logistikstrukturen fehlen. „Die Dienststellen der Bundeswehr befinden sich in rund 1.500 Liegenschaften, die über ganz Deutschland verteilt und zusammengefasst ungefähr so groß wie das Saarland sind. Die gesamte Nutzfläche der etwa 35.000 Gebäude mit ungefähr 900.000 Räumen entspricht mit 27 km² in etwa der Größe des Frankfurter Flughafens“, beschreibt Högl die Herausforderung. Der Gesamtinvestitionsbedarf beläuft sich auf 67 Milliarden Euro, doch zahlreiche Projekte kommen kaum voran. Als Beispiel nennt sie eine Waffenkammer, deren Bau bereits 2017 beginnen sollte – und die bis heute nicht existiert.
Litauen-Brigade: Testfall für die Modernisierung
Ein Schlüsselprojekt der Bundeswehr ist die Stationierung einer Panzerbrigade in Litauen. Bis 2027 sollen 4.800 Soldatinnen und Soldaten samt Ausrüstung dauerhaft dort stationiert sein. Doch bereits jetzt zeigt sich, dass der Materialnachschub stockt. Die notwendige Ausrüstung – von Panzern über Gefechtsfahrzeuge bis hin zu Kommunikationssystemen – ist noch nicht vollständig geliefert.
Zusätzlich gibt es Probleme bei der Infrastruktur für die Soldatinnen und Soldaten. Wohnheime, Schulen und Betreuungseinrichtungen sind in der Planung, aber oft noch nicht umgesetzt. „Die Brigade Litauen darf kräftemäßig keine leere Hülle sein“, mahnt der Bericht. Die Wehrbeauftragte warnt vor einer weiteren Verzögerung: Sollte Deutschland das Projekt nicht wie geplant umsetzen, könnte das Vertrauen der NATO-Partner schwinden.
Personalnot wird zur Achillesferse der Truppe
Neben den Materialproblemen bleibt die Bundeswehr auch personell in der Krise. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten verharrt bei rund 181.000 – weit entfernt von den angestrebten 203.000 bis 2031. Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter: „Während das Durchschnittsalter Ende 2019 noch 32,4 Jahre betrug, ist es bis Ende 2024 auf 34 Jahre gestiegen“, so Högl.
Besonders besorgniserregend ist die hohe Abbruchquote unter neuen Rekrut_innen. Fast jede vierte Person verlässt die Bundeswehr innerhalb der ersten sechs Monate. Als Gründe nennt der Bericht eine unzureichende Betreuung in der Grundausbildung, schlechte Karriereperspektiven und Probleme bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie.
Auch die Beförderungssituation sorgt für Frust. Viele Soldatinnen und Soldaten erfüllen alle Voraussetzungen, warten aber oft jahrelang auf den nächsten Dienstgrad, weil es an Planstellen fehlt. Gleichzeitig bleiben zahlreiche Dienstposten unbesetzt – insbesondere bei den Mannschaften, wo fast jede vierte Stelle vakant ist.
Wehrpflicht-Debatte: Rückkehr oder Reform?
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Diskussion über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht an Dynamik. Högl kritisiert, dass der Bundestag das von Pistorius vorgelegte Wehrdienstmodell wegen der Neuwahlen nicht mehr verabschieden konnte. „Der nächste Bundestag sollte das Thema – die Einführung eines neuen Wehrdienstes sowie die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres – zügig diskutieren und Entscheidungen treffen“, fordert sie.
Besonders problematisch ist, dass der Staat seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 kein vollständiges Lagebild über potenzielle Wehrdienstleistende mehr hat. „Dadurch liegt kein umfassendes Lagebild hinsichtlich der jeweils der Wehrpflicht unterfallenden Geburtsjahrgänge und deren Bereitschaft sowie ihrer Fähigkeiten für einen Wehrdienst mehr vor, obwohl die auf Artikel 12a Grundgesetz und dem Wehrpflichtgesetz beruhende Wehrpflicht für deutsche Männer als potenzielle Verpflichtung weiterbesteht“, so Högl.
Ohne eine schnelle Entscheidung über den Wehrdienst wird es schwer, die Personalprobleme der Bundeswehr nachhaltig zu lösen. Alternativ setzt die Truppe auf gezielte Werbung, finanzielle Anreize und bessere Ausbildungsangebote. Zudem verstärkt die Bundeswehr ihre Präsenz in Schulen und Universitäten, um frühzeitig Nachwuchs zu gewinnen.
Bürokratie als Bremsklotz der Zeitenwende
Neben Material- und Personalproblemen sieht die Wehrbeauftragte einen weiteren zentralen Hemmfaktor: die überbordende Bürokratie. „Insgesamt neigt die Bundeswehr durch ihr vorgegebene oder selbst geschaffene Regelungen und deren kleinteilige (zuweilen auch fehlinterpretierte) Umsetzung dazu, Dinge zu verkomplizieren“, heißt es im Bericht.
Besonders deutlich wird dies bei der Digitalisierung. Viele Prozesse laufen immer noch auf Papier – mit drastischen Konsequenzen. Ein Offizier berichtete, dass es „16.000 Blatt Papier“ benötige, um eine Kompanie in den Einsatz zu verlegen. Solche bürokratischen Hürden behindern schnelle Entscheidungen und verzögern dringend notwendige Maßnahmen.
Fazit: Die Zeitenwende braucht Tempo
Der Jahresbericht 2024 macht klar, dass die Bundeswehr vor gewaltigen Herausforderungen steht. Während Milliarden in die Modernisierung fließen, bleiben Materialmangel, Personalnot und übermäßige Bürokratie zentrale Probleme.
Ob die Bundeswehr in den kommenden Jahren tatsächlich zur schlagkräftigen Verteidigungsarmee wird, hängt davon ab, wie schnell politische Entscheidungen getroffen und Reformen umgesetzt werden. Die Wehrbeauftragte mahnt, dass Deutschland jetzt handeln müsse – denn die Herausforderungen an die Truppe wachsen schneller, als sie bewältigt werden können.