Noch sind solche CO₂-Entnahme-Fabriken durch KI entwickelte Zukunftsfantasien. Aber die Technologie könnte sich zu einem echten Geschäftsmodell für Deutschland entwickeln.

Noch sind solche CO₂-Entnahme-Fabriken durch KI entwickelte Zukunftsfantasien. Aber die Technologie könnte sich zu einem echten Geschäftsmodell für Deutschland entwickeln. (Bild: KI)

Was könnten CO₂-Entnahme-Fabriken bringen?

Die Technik steckt noch im Pilotstadium, die Politik kann bisher auch nicht mit klaren Vorstellungen aufwarten. Nur eines scheint sicher: Das wirtschaftliche Potenzial, das die CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre hat, dürfte gewaltig sein. Vor allem für die Industrie, die entsprechende Anlagen baut. Alleine in Deutschland, so eine Studie der Boston Consulting Group (BCG), könnte es bis 2050 um 70 Milliarden Euro im Jahr gehen, 190.000 neue Arbeitsplätze wären möglich. Auf europäischer Ebene sollen es 220 Milliarden Euro und 670.000 Stellen sein. Um das in Relation zu setzen: Die Werte würden etwa 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Bundesrepublik ausmachen, die Automobilindustrie bringt es auf 4,5 Prozent. Das weltweite Potenzial der Technologie wird 2050 mit jährlich einer Billion Euro beziffert.

Die in der BCG-Analyse bewertete CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre, die Experten – unabhängig von der Reduzierung des Ausstoßes des Klimagases – als unabdingbar zum Erreichen der Klimaziele von Paris sehen, wird mit CDR abgekürzt. Das steht für „Carbon Dioxide Removal“ und fasst verschiedene Methoden zusammen, die sich in drei Kategorien einsortieren lassen. Zum einen die naturbasierte Entnahme von CO₂, beispielsweise durch neue Wälder, die CO₂ absorbieren, oder das Wiedervernässen von Mooren, die im ausgetrockneten Zustand CO₂ abgeben. Die thermische Abfallverwertung mit CO₂-Abspeicherung wäre eine weitere Möglichkeit. Darüber hinaus die direkte CO₂-Entnahme aus der Umgebungsluft durch technische Anlagen und das Speichern oder Wiederverwerten des Klimagases, was hier in diesem Beitrag in erster Linie das Thema ist.

Ganz vorne dabei, wenn es um die Entwicklung solcher „CO₂-Staubsauger“ geht, ist das Schweizer Unternehmen Climeworks. Im Mai 2024 erst hat es mit der teilweisen Inbetriebnahme der „Mammoth“-Anlage auf Island einen eigenen Weltrekord eingestellt. Bis dahin war dort schon „Orca“ in Betrieb, ebenfalls ein Spross der Eidgenossen und bis dahin größter Kohlendioxid-Eliminierer auf Erden. Der Nachfolger ist zehnmal größer geplant und auf eine Kapazität von 36.000 Tonnen CO₂ im Jahr ausgelegt, das er mit riesigen Ventilatoren ansaugt und herausfiltert. In Wasser gelöst, wird es dann in darunterliegende Gesteinsschichten injiziert, wo es schließlich selbst versteinert.

Am Island-Pilotprojekt lassen sich auch die Probleme der Technologie gut darstellen. Vor allem ist es der gigantische Energiebedarf – der in Island allerdings durch viel Geothermie problemlos gedeckt werden kann. Um rentabel zu werden, müsste man mit den Kosten für jede abgeschiedene Tonne CO₂ auf 100 Dollar kommen, hat Climeworks ausgerechnet. Davon ist das Unternehmen aber wohl noch ganz weit entfernt. Ziel ist es, bis 2030 auf einen Wert um die 300 Dollar zu kommen, wird verlautet.  Bis dahin wollen die Schweizer weltweit eine Million Tonnen CO₂ aus der Luft ziehen, unter anderem mit zusätzlichen Anlagen in Kenia und den USA.

Rasante Entwicklungen bei CO₂-Entnahme

Dass die Technologie derzeit noch sehr kostenintensiv ist, muss auch Dr. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems, einräumen. Doch das ist für ihn dann schon fast der einzige Minuspunkt. Rendschmidt ist sich sicher: „Zum Erreichen der Klimaziele müssen alle verfügbaren Technologien genutzt werden. Technische Lösungen für negative Emissionen sind dabei ein wichtiger Baustein.“ Er sieht eine rasante Entwicklung in dem Bereich. Dazu habe vor allem beigetragen, dass die Politik die Dringlichkeit der Netto-Null-Emissionsziele bestätigt habe. Der Trend werde von zahlreichen Unternehmen und Branchenverbänden mitgetragen und vorangetrieben, vor allem von solchen aus dem Maschinen- und Anlagenbau.  „Unsere Mitglieder sind in der gesamten Supply-Chain aktiv, beim Bau ganzer Abscheideanlagen oder der Lieferung von Komponenten. Wir sehen ein immenses Potenzial für die Branche in Europa, an dem aufstrebenden Markt für Carbon Management and Removal-Technologien zu partizipieren.“

Besonders im weltweiten Handel mit den Produkten für CDR-Anlagen sieht Rendschmidt große Chancen. Aber: „Wichtig ist es nun, die Projekte aus dem Forschungs- und Entwicklungsstadium in die praktische Anwendung zu überführen.“ Auch die BCG-Studie sieht Europa und Deutschland „aufgrund ihrer Technologieführerschaft besonders gut positioniert, um von den wachsenden Märkten zu profitieren“.

Zitat

Wir sehen ein immenses Potenzial für die Branche in Europa, an dem aufstrebenden Markt für Carbon Management and Removal-Technologien zu partizipieren.

Dr. Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems

Spannende Entwicklungen - in der Praxis

Eine Industriebranche, die beispielgebend dafür ist, dass sich der Kohlendioxid-Ausstoß nicht überall im gewünschten Maße reduzieren lässt, ist die Zementindustrie. Bei Rohrdorfer Zement in Oberbayern befasst man sich deshalb mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen an das Problem. Zum einen ist da der Ansatzpunkt, es doch mit dem CO₂-Reduzieren zu versuchen, getreu dem Motto: „Jede vermiedene Tonne ist eine gute Tonne“, wie es eine Sprecherin formulierte. Zum einen gibt es dabei die Möglichkeit, andere und vorbehandelte Rohstoffe einzusetzen, auch ein Wechsel bei den Brennstoffen kann Kohlendioxid reduzieren. 60 Prozent CO₂ können nach Angaben des Unternehmens auf diese Weise vermieden werden, für die restlichen 40 Prozent müssen andere Lösungen her. Und die sind spannend.

Geplant ist, eine CO₂-Leitung ins Bayerische Chemiedreieck zu bauen, wo Firmen das CO₂ für ihre chemischen Prozesse gut gebrauchen können. Auch an eine Weiterführung der Röhre Richtung Österreich nach Linz und die spätere Erweiterung des Systems nach Westen Richtung München, Augsburg und Ulm sowie an eine Verbindung nach Ingolstadt ist gedacht. Zusammen mit dem Fernleitungsnetzbetreiber Bayernets will Rohrdorfer das Projekt „co2peline“ auf den Weg bringen – ein regionales CO₂-Startnetz. „Ziel ist es, in Bayern den Lead zu übernehmen, überregional zu denken und bereits heute die Infrastruktur von morgen aufzubauen“, erklärte dazu Dr. Philipp Stadler, Leiter CCU Unit im Rohrdorfer Net Zero Emission Team.

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Ameisensäure aus CO₂

Ein weiterer Ansatz des Zementherstellers ist es, selbst zum Chemieunternehmer zu werden. Mit dem abgeschiedenen CO₂ lässt sich nämlich Ameisensäure herstellen, die in vielen Anwendungsbereichen eingesetzt und lebhaft nachgefragt wird. Etwa in der Pharmabranche oder der Agrarchemie. Bisher wird Ameisensäure aus fossilem Kohlenstoff, etwa aus Erdgas oder Kohle hergestellt. In Rohrdorf sieht man deshalb auch eine neue Marktchance: Die „grüne“ Ameisensäure, produziert mit erneuerbarer Energie und eigenem CO₂. Stadler: „Wir zeigen hier das Potenzial von CO₂ als Wertstoff: Statt es einfach in die Atmosphäre zu blasen oder es abzuscheiden und aufwendig einzuspeichern, ist die Umwandlung eine Win-Win-Situation.“ Gleichzeitig entstehe neue regionale Wertschöpfung am Standort des Zementwerks.

Auf ihrem Weg zur grünen Ameisensäure haben die Rohdorfer übrigens schon ein ordentliches Stück zurückgelegt. Bei dem selbst entwickelten und inzwischen patentierten Verfahren, der CO₂-Elektrolyse, wird das Klimagas mit Wasser zu Ameisensäure und Sauerstoff umgesetzt. Jetzt wird an einer Skalierung der Produktion gearbeitet. Ab 2027 sollen dann große Mengen verarbeitet werden.

Am Rohrdorfer-Standort Gmunden in Österreich wird unterdessen eine erste großtechnische Anlage zur Rückgewinnung von Kohlendioxid gebaut. Bereits 2026 soll sie in Betrieb gehen, vorgesehen ist, dass sie 30.000 Tonnen CO₂ jährlich herausfiltert. 50.000 Tonnen klimaneutraler Zement könnten so im Jahr hergestellt werden. 30 Millionen Euro gibt es vom österreichischen Innovationsprogramm „Transformation der Industrie“ als Förderung.

Regierung forscht

In der Bundesregierung arbeitet man derweil an einer „Langfriststrategie Negativemissionen“. Im Februar hatten sich die Ressorts auf Eckpunkte verständigt, die jetzt ausgearbeitet werden.  In diesem Zusammenhang steht auch ein öffentliches Konsultationsverfahren auf dem Programm, wie ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums erklärte. Jedenfalls herrscht auch hier Einigkeit, dass es neben der Treibhausgasreduzierung zusätzlich notwendig ist, der Atmosphäre CO₂ zu entnehmen und dauerhaft zu speichern, damit die Klimaziele erreicht werden können. Und von den positiven Effekten für die deutsche Industrie ist man in Berlin ebenfalls überzeugt. „Insbesondere mit Blick auf technische Entnahmemethoden und bei Wiederverwendung des CO₂ als Rohstoff“, wie es im Eckpunktepapier heißt.

Auch mehr oder weniger praktische Ansätze gibt es seitens der Politik zur CO₂-Abscheidung: Die Forschungsprogramme „CDRmare“ und „CDRterra“ untersuchen gerade, welche Methoden und Technologien eine wesentliche und nachhaltige Rolle spielen können.

FAQ zu CDR

  1. Was ist CDR? CDR steht für Carbon Dioxide Removal und fasst verschiedene Methoden zur Entfernung von CO₂ aus der Luft zusammen.
  2. Was sind CO₂-Sauger? CO₂-Sauger sind Technologien und Geräte, die Kohlendioxid (CO₂) direkt aus der Luft abscheiden. Diese Technologien können helfen, die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre zu reduzieren und spielen eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel.
  3. Warum sind CO₂-Sauger ein Milliardenmarkt für die deutsche Industrie? CO₂-Sauger bieten eine Möglichkeit, die strengen Klimaziele zu erreichen, die von der deutschen Regierung und der EU vorgegeben sind. Der Bedarf an solchen Technologien wächst, was sie zu einer lukrativen Geschäftsgelegenheit für Unternehmen macht, die in deren Entwicklung und Produktion investieren​ (Überblick zur CO₂-neutralen Industrie)​​ (Nachhaltigkeit - das kann die Industrie tun)​.
  4. Welche Industriezweige profitieren am meisten von CO₂-Saugern? Vor allem energieintensive Branchen und der Maschinen- und Anlagenbau können von CO₂-Saugern profitieren. Diese Branchen haben oft Schwierigkeiten, ihren CO₂-Ausstoß zu reduzieren, und können durch den Einsatz solcher Technologien ihren ökologischen Fußabdruck verringern​.
  5. Wie unterstützen CO₂-Sauger die Nachhaltigkeit in der Industrie? CO₂-Sauger tragen dazu bei, Emissionen zu reduzieren und ermöglichen es Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie sind Teil eines umfassenderen Ansatzes, der auch den Einsatz von Grünstrom und Effizienzmaßnahmen umfasst, um den CO₂-Ausstoß zu minimieren​ (Industrie 4.0 sorgt für mehr Nachhaltigkeit in der Produktion)​​.
  6. Welche Herausforderungen gibt es bei der Implementierung von CO₂-Saugern? Die Implementierung von CO₂-Saugern erfordert erhebliche Investitionen und technologische Anpassungen. Kleinere Unternehmen könnten Schwierigkeiten haben, die notwendigen Daten entlang der Lieferkette zu erfassen und die hohen Kosten zu bewältigen. Zudem gibt es Bedenken hinsichtlich der Regulierungsanforderungen und des bürokratischen Aufwands​.
  7. Wie steht die deutsche Industrie zu gesetzlichen Regelungen für Klimaneutralität? Die deutsche Industrie unterstützt grundsätzlich das Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Allerdings gibt es Bedenken, dass übermäßige Regulierung und Berichtspflichten die Unternehmen belasten könnten. Es wird gefordert, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen klar und umsetzbar sind, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht zu gefährden​.
  8. Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Erreichung der Klimaziele? Digitalisierung, einschließlich Industrie 4.0, spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Effizienz und der Reduzierung des CO₂-Ausstoßes. Technologien wie künstliche Intelligenz, digitale Zwillinge und Lifecycle Management helfen Unternehmen, ihre Produktionsprozesse zu optimieren und nachhaltiger zu gestalten​.

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