Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll, müssen energieintensive Unternehmen Milliarden Euro in klimaschonende Anlagen investieren.

Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll, müssen energieintensive Unternehmen Milliarden Euro in klimaschonende Anlagen investieren. (Bild: Parradee - stock.adobe.com)

In Duisburg geht demnächst eine Ära zu Ende. In drei Jahren fährt Thyssenkrupp dort seinen seit über sechzig Jahren betriebenen Hochofen herunter. Um ihn zu ersetzen, baut der Konzern derzeit für zwei Milliarden Euro eine Direktreduktionsanlage. Statt durch den Zusatz von Koks reduziert diese das eingeschmolzene Eisenerz mit Hilfe von Wasserstoff.

In Bremen nimmt 2026 auch der größte Stahlproduzent der Welt, ArcelorMittal, solch eine Anlage in Betrieb. In Salzgitter setzt der gleichnamige Konzern künftig ebenfalls auf Wasserstoff statt Koks. In Völklingen im Saarland investiert die Stahl-Holding Saar aktuell 3,5 Milliarden Euro in eine Direktreduktionsanlage und einen Elektrolichtbogenofen. „Wir stehen damit vor vermutlich der größten Investition in der Geschichte des Saarlandes“, erklärt dessen Ministerpräsidentin, Anke Rehlinger.

Stahl- und Chemiebranche müssen grün werden

An solchen Projekten führt kein Weg vorbei, wenn energieintensive Unternehmen wie Stahlwerke, die chemische Industrie, Glas-, Zement- und Papierhersteller ihre Kohlendioxidemissionen soweit senken sollen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird.

Aktuell verursacht die Stahlindustrie 28 Prozent des deutschen CO2-Ausstosses. Als einzelnes Unternehmen steht allein Thyssen-Krupp hinter 2,5 Prozent aller deutschen Emissionen des Treibhausgases. Weitere 19 Prozent von Deutschlands CO2-Footprint gehen auf das Konto der chemischen Industrie. Ein Viertel der Emissionen entsteht dabei durch die Produktionsprozesse energieintensiver Unternehmen – etwa die Reduktion von Eisen im Hochofen oder die Spaltung von Kohlenwasserstoffen in Steamcrackern und die Produktion von Amoniak als Ausgangspunkt für die Herstellung anderer Stoffe in der chemischen Industrie, so das Forschungsprojekt SCI4climate.NRW des Wuppertal Instituts und des Instituts der Deutschen Wirtschaft.

Weder durch die Elektromobilität noch die Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien lässt sich das Klima daher so maßgeblich entlasten wie durch die Umstellung der Prozesse in der Stahl- und Chemieindustrie. Wenn Stahlunternehmen eine Tonne grünen Wasserstoff einsetzen, senken sie ihre Kohlendioxid-Emissionen um 28 Tonnen.

Elektroofen.
Die Stahlbranche will weniger CO2 produzieren. Im Bild: Ein Elektroofen. (Bild: Wirtschaftsvereinigung Stahl)

Preis für CO2-Zertifikate wird steigen

Energieintensive Unternehmen haben ein erhebliches Interesse, diese Einsparpotenziale zu nutzen. Denn im Zuge der Einführung, des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) durch die Europäische Union - der Grenzausgleichsabgabe für CO2-Emissionen, die bei der Herstellung in die Gemeinschaft importierter Produkte entstanden sind - wird Brüssel ab 2034 keine kostenlosen Emissionsrechte mehr an bislang dazu berechtigte Unternehmen mehr ausgeben und die Zahl aller Zertifikate bis dahin über die Jahre kontinuierlich reduzieren. Dadurch steigt der Preis, den Betriebe für den Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid zahlen müssen.

Zugleich stehen diese durch die vor allem seit 2022 massiv gestiegenen Kosten für Strom und Erdgas unter erheblichem Preisdruck. Eine Megawattstunde Erdgas kostet mit 47,9 US-Dollar in Europa derzeit sechsmal so viel wie in den USA, meldet das Institut der Deutschen Wirtschaft. Für Strom zahlen die Unternehmen hierzulande dreimal so viel wie in den Vereinigten Staaten und Kanada und ein Drittel mehr als in Japan, so die Internationale Energieagentur.

Energiekosten lassen Investitionsbudgets schrumpfen

Diese Kosten können sie zwar ausgleichen, wenn sie Prozesse mit klimafreundlichen Direktreduktionsanlagen, Lichtbogenöfen oder energieeffizienten Hochtemperatur-Wärmepumpen betreiben. Durch die erforderlichen Investitionen bleibt die Produktion in Deutschland damit für sie aber nach wie vor teurer als an anderen Standorten. Dabei geht es um gewaltige Beträge.

Um klimaneutral zu werden, müssen allein Produzenten von Basischemikalien bis 2050 wenigstens 45 Milliarden Euro investieren, erwartet der Verband der Chemischen Industrie. „Die Investitionsbudgets der Unternehmen werden durch steigende Energie- und Rohstoffpreise derzeit aber mehr und mehr aufgezehrt“, warnt die Deutsche Industrie- und Handelskammer.

Damit sie die volkswirtschaftlich wie ökologisch unverzichtbaren Investitionen dennoch tätigen, greift die Bundesregierung Betrieben nun mit „Klimaschutzverträgen“ unter die Arme. In ihnen verpflichtet sie sich, sich an den Investitions- und Betriebskosten zu beteiligen, wenn Unternehmen in klimaschonende Technologien investieren.

Die Bundesregierung übernimmt dabei die Mehrkosten, die durch die Anschaffung und den Betrieb solcher Technologien gegenüber der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses dominierenden Produktionstechnologie entstehen - in der Stahlindustrie also beispielsweise klassischen Hochöfen.

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Die Mehrkosten ermitteln am Abschluss eines Klimaschutzvertrages interessierte Unternehmen selbst auf Grundlage ihrer Kalkulation der entsprechenden Investition, der für diese gewährten sonstigen Fördermittel, dem erwarteten Preis des für den Betrieb der Anlage erforderlichen grünen Wasserstoffs oder Stroms sowie der Erlöse, die sie durch Preisaufschläge auf die mit der klimaschonenden Technologie nachhaltig produzierten Güter oder den Verkauf von fortan nicht mehr benötigten Emissionsrechten erwirtschaften.

Bundesregierung versteigert Klimaschutzverträge

Diese Rechnung ebenso wie einen Zeitplan für die Umsetzung ihres Vorhabens sowie detaillierte Angaben zu den angestrebten CO2-Einsparungen im Vergleich zu den von einer herkömmlichen Anlage ausgestoßenen Klimagasen müssen Betriebe der Bundesregierung im Rahmen von Gebotsverfahren zur Verfügung stellen. Die erste dieser Auktionen liefen 2023, 2024 und 2025 sollen jeweils zwei weitere folgen.

An den Gebotsverfahren können Betriebe teilnehmen, wenn sie in Anlagen investieren, mit denen sie jedes Jahr wenigstens 10.000 Tonnen CO2 weniger emittieren als beim Betrieb herkömmlicher Technologien. Damit auch mittelständische Betriebe in den Genuss der Förderung kommen, dürfen sie sich mit anderen Unternehmen zu Konsortien zusammenschließen und sich gemeinsam bewerben.

Das sind die Voraussetzungen für das Gebotsverfahren

Weitere Voraussetzungen für den Zuschlag im Rahmen der Gebotsverfahren sind, dass der von den geförderten Investitionen genutzte Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt und durch die Anlagen drei Jahre nach deren Inbetriebnahme nur noch maximal 40 Prozent der Emissionen entstehen, die herkömmliche Prozesse verursachen.

Am Ende der Laufzeit eines Klimaschutzvertrages darf die geförderte Investition sogar nur noch maximal zehn Prozent des Kohlendioxidausstoßes der Vergleichsanlage verursachen.

Bis Jahresende 2023 wollte die Bundesregierung das erste Gebotsverfahren abschließen und mit Unternehmen die ersten Klimaschutzverträge schließen. In die Bewertung der von den potenziellen Vertragspartnern eingereichten Angebote fließen der von diesen angebotene Preis für die Vermeidung von Treibhausgasemissionen zu 80 Prozent und die Menge des mit dem jeweiligen Projekt eingesparten Kohlendioxids zu 20 Prozent ein. Den Zuschlag erhalten also vorrangig Bewerber, die Treibhausgasemissionen möglichst kostengünstig vermeiden.

Industrie.
Industrie. (Bild: Wirtschaftsvereinigung Stahl)

Klimaschutzverträge geben Firmen Planungssicherheit

Im Dezember stand noch nicht fest, wer die ersten Vertragspartner der Bundesregierung sein werden. Allerdings ist klar, nach welchen Prinzipien diese die entsprechenden Klimaschutzverträge gestalten wird. So werden die im Gebot eines Unternehmens angegebenen Mehrkosten für die Investition und den Betrieb einer klimaschonenden Technologie durch die Zahl der Tonnen an Treibhausgasen geteilt, die durch deren Betrieb vermieden werden.

So entsteht ein „Basispreis“, der abbildet, wie hoch bei der entsprechenden Investition die Kosten für die Vermeidung einer Tonne Kohlendioxid theoretisch sind. Die Bundesregierung garantiert Unternehmen, dass sie diese CO2-Einsparung 15 Jahre lang nicht teurer kommt als dieser Basispreis. Betriebe bekommen so Planungs- und Kalkulationssicherheit für ihre Investition.

Allerdings bekommen sie keine über die gesamte Laufzeit des Vertrags gleichbleibend hohe Zuwendung von der Bundesregierung. Um zu errechnen, ob und wieviel Förderung Unternehmen in einem Jahr bekommen, wird der „Basispreis“ mit dem Preis verrechnet, den Betriebe im Rahmen des europäischen Zertifikatehandels jeweils für das Recht zahlen müssen, eine Tonne CO2 zu emittieren.

Dadurch wird dem „Basispreis“ als Abbild der theoretischen Kosten für die Vermeidung einer Tonne Kohlendioxid die zum jeweiligen Zeitpunkt tatsächlich dafür anfallenden Kosten gegenübergestellt. Beim Betrieb einer herkömmlichen Anlage müssten Unternehmen schließlich Emissionsrechte kaufen. Die Pflicht zu deren Erwerb soll sie motivieren, ihren Kohlendioxidausstoß möglichst klein zu halten.

Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie

Sie wollen alles wissen zum Thema CO2-neutrale Industrie? Dann sind Sie hier richtig. Alles über den aktuellen Stand bei der klimaneutralen Industrie, welche technischen Innovationen es gibt, wie der Maschinenbau reagiert und wie die Rechtslage ist erfahren Sie in dem Beitrag "Der große Überblick zur CO2-neutralen Industrie".

Um die klimaneutrale Industrie auch  real werden zu lassen, benötigt es regenerative Energien. Welche Erneuerbaren Energien es gibt und wie deren Nutzen in der Industrie am höchsten ist, lesen Sie hier.

Oder interessieren Sie sich mehr für das Thema Wasserstoff? Viele Infos dazu gibt es hier.

Mehrkosten in Betrieben sinken

Durch diese Verrechnung sinken die Mehrkosten, die einem Betrieb durch die Investition und den Unterhalt eines Lichtbogenofens oder Elektrolyseurs entstehen, in dem Maße, in dem CO2-Zertifikate teurer werden. Entsprechend sinkt auch die Höhe der Zahlungen durch die Bundesregierung. Werden Emissionsrechte so teuer, dass die Abschreibung und der Betrieb der klimaschonenden Technologie ein Unternehmen unterm Strich günstiger kommen als der Kauf der für den Betrieb einer herkömmlichen Anlage erforderlichen Zertifikate, kehrt sich der Zahlungsfluss in einem Klimaschutzvertrag um und Betriebe müssen Fördermittel an den Staat zurückzahlen.

Da der Preis für Emissionsrechte künftig tendenziell steigen, jener für grüne Produktionstechnologien dagegen sinken wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass am Ende der Laufzeit der im Zuge der fünf Gebotsverfahren zustande kommenden Klimaschutzverträge tatsächlich Geld von Unternehmen in die öffentlichen Kassen zurückfließt.

Von der Entwicklung des Zertifikatepreises hängt damit auch ab, wieviel Geld Klimaschutzverträge den Steuerzahler kosten werden. Nach Schätzungen des Think Tanks Agora-Industrie reicht die Spanne von 10 bis zu mehr als 40 Milliarden Euro.

Kerstin Maria Rippel.
Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. (Bild: Wirtschaftsvereinigung Stahl)

Klimaziele: Stahlindustrie kann zur Erreichung beitragen

Wie hoch der Betrag auch sein mag. Er ist gut angelegt. Denn die energieintensiven Unternehmen der Stahlerzeugung, chemischen Industrie Glas- sowie Keramikproduktion stehen am Anfang vieler Wertschöpfungsketten. Sie stellen Werkstoffe und Komponenten für Elektrofahrzeuge, Windräder und Photovoltaikanlagen her. Diese Lieferanten in Deutschland zu haben, ist ein wertvoller Standortvorteil für zahlreiche andere Betriebe. Zugleich müssen Unternehmen aus energieintensiven Branchen derzeit viele Produktionsmittel wie Hoch- und Schmelzöfen, Glaswannen oder Hochtemperaturkessel erneuern, weil diese in die Jahre gekommen sind. Neue Anlagen werden ihr technisches Lebensende allerdings erst weit nach 2045 erreichen.

Wenn Deutschland bis dahin klimaneutral werden will, müssen energieintensive Unternehmen heute in klimaschonende Anlagen investieren. „Dann kann die Stahlindustrie entscheidend zur Erreichung des Klimaziels beitragen – mit CO2-Einsparungen von rund 20 Millionen Tonnen pro Jahr“, erwartet die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Kerstin Maria Rippel. Wenn die Bundesregierung sie dabei unterstützt und das aktuelle „window of opportunities“ nutzt, bricht nicht nur in Duisburg eine neue Ära an.

Fachkonferenz: Die CO2-neutrale Fabrik

Fachkonferenz: Die CO2-neutrale Fabrik
(Bild: mi conect)

Experten aus Wissenschaft, Forschung und Industrie tauschen sich jedes Jahr auf der Fachkonferenz CO2-neutrale Fabrik zu den aktuellen Themen rund um klimaneutrale Industrie aus.

 

Prof. Alexander Sauer hat 2023 einen Vortrag zum Thema "Defossilierung der Produktion" gehalten. Im Podcast Industry Insights hat er die wichtigsten Punkte zusammengefast. Hier klicken, um zur Folge zu kommen!

 

Weitere Beiträge, die sich mit den Themen der Konferenz beschäftigen, finden Sie in unserem Fokusthema CO2-neutrale Industrie. Hier geht's entlang!

 

Die nächste Fachkonferenz findet am 15. und 16. Mai 2024 in Würzburg statt. Hier kommen Sie zur Anmeldung: Fachkonferenz CO2-neutrale Fabrik

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