Die EU hat eine CO2-Grenzausgleichsabgabe eingeführt.

Die EU hat eine CO2-Grenzausgleichsabgabe eingeführt. (Bild: TStudious - stock.adobe.com)

Ein Plot nach dem Muster „ich muss dich bestrafen, um dich zu beschützen“ fällt sonst eigentlich nur Machern schlechter Sado-Maso-Filme ein. Nun macht sich im Klimaschutz auch die Europäische Union (EU) das fragwürdige Narrativ zu eigen.

Denn am 17. Mai 2023 trat die EU-Verordnung 2023/956 in Kraft. Mit ihr führt die Staatengemeinschaft eine Grenzausgleichsabgabe – auf Englisch Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) - für die klimaschädlichen Gase Kohlendioxid (Co2), Distickstoffoxid und perfluorierte Kohlenwasserstoffe ein.

Die Abgabe sollen künftig alle Unternehmen zahlen, die Eisen, Stahl, Aluminium, Wasserstoff, Strom, Zement oder aus diesen Vorprodukten hergestellte Waren aus Drittstaaten einführen, wenn diese auf die bei der Produktion der Güter verursachte Emissionen keine Abgaben erheben.

So will die EU Unternehmen vor Wettbewerbern aus Drittstaaten schützen, die die Klimaschutzauflagen der Gemeinschaft nicht erfüllen müssen und damit Kostenvorteile haben.

Stephan Freismuth.
Stephan Freismuth, Zollexperte und Director Tax bei der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. (Bild: KPMG)

Maschinenbauer werden von CBAM massiv betroffen sein

„Maschinenbauer werden von CBAM massiv betroffen sein“, erklärt Stephan Freismuth, Zollexperte und Director Tax bei der KPMG Wirtschaftspfrüungsgesellschaft. „Denn sie führen Vorprodukte wie Bleche, Schrauben, Beilagscheiben, Bolzen oder Federn aus Alu und Stahl ein“.

Künftig könnten sie die Grenzausgleichsabgabe auch für Vorprodukte aus Kunststoff bezahlen müssen. Denn bis 2026 will die EU-Kommission prüfen, ob sie den Geltungsbereich des CBAM auf organische Chemikalien und Polymere ausdehnen wird.

Anna Feldman.
Anna Feldman, Projektmanagerin im Bereich Klimaneutrale Produktion beim VDMA. (Bild: VDMA)

„Dadurch könnten noch deutlich mehr Vorprodukte auf die Liste der von CBAM betroffenen Waren kommen“, befürchtet Anna Feldman, Projektmanagerin im Bereich Klimaneutrale Produktion beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).

Ab 2030 soll die Abgabe schließlich auf alle Güter erhoben werden, die bis dahin unter den Emissionszertifikatehandel der EU fallen. Selbst auf Dienstleistungen wie die Verschiffung von Containern könnte die Abgabe dann fällig sein. Das EU-Parlament fordert derzeit, den Zertifikatehandel ab 2024 auf Seefracht auszudehnen.

Insgesamt sind schon jetzt Importe im Wert von rund 12,7 Milliarden Euro von CBAM betroffen, hat die Unternehmensberatung Ventum berechnet. Von diesen stammen, dem Carnegie Center for International Studies zufolge, zehn Prozent aus China, 8,5 Prozent aus Großbritannien sowie jeweils rund sieben Prozent aus Norwegen und der Türkei.

Klimaschutz: Das soll die Abgabe verhindern

Selbstverständlich weist die EU den Vorwurf weit von sich, Unternehmen mit dem CBAM zu schaden. Wie die Kommission erklärt, soll die Abgabe vielmehr verhindern, dass die hohen Klimaschutzauflagen, die Hersteller der genannten Produkte in der Gemeinschaft erfüllen müssen, ihre Produktion ins Ausland verlagern. Dort könnten sie die Kosten umgehen, die ihnen durch die Klimaschutzpolitik der EU entstehen. Ohne eine Grenzausgleichsabgabe könnten sie ihre außerhalb der Gemeinschaft günstiger hergestellten Produkte zugleich wieder in die EU einführen und dort günstiger verkaufen.

Bislang gleicht die Gemeinschaft diese Kostennachteile für energieintensive Industrien aus, indem sie einigen Branchen Emissionsrechte kostenlos zuteilt. Das stellt sie im Zuge der Einführung des CBAM jedoch bis 2034 ein. Denn dieser soll Unternehmen in der EU ja vor Wettbewerbern aus Drittstaaten schützen. Ob Betriebe aus anderen Branchen, für die von der Abgabe betroffenen Güter in der EU überhaupt Lieferanten finden und damit eine Wahl haben, ob sie ihren Bedarf inner- oder außerhalb der Gemeinschaft beschaffen und sie CBAM damit bezahlen wollen oder nicht, schert die Macher der Verordnung 2032/956 allerdings nicht.

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"CBAM-Deklarant" wird wichtig

Wer in deren Geltungsbereich fallende Güter einführt, muss sich deshalb beim Zoll als „CBAM-Deklarant“ autorisieren lassen und im Januar 2024 erstmals einen CBAM-Bericht an die EU-Kommission schicken. In diesem dokumentieren Unternehmen, wie viele Güter welcher Art sie aus welchem Herkunftsland im 4. Quartal 2023 eingeführt haben, welche Emissionen bei deren Herstellung entstanden sind und ob für diese im Ursprungsland bereits eine Klimaschutzabgabe erhoben wurde. Künftig ist der Report vierteljährlich zu erstellen.

Auf Grundlage dessen ermittelt die EU, wie viele CO2-Zertifikate importierende Unternehmen kaufen müssen, um mindestens 80 Prozent der in den von ihnen eingeführten Gütern enthaltenen Emissionen abzudecken. Ob diese Quote erfüllt wurde, wird jedes Jahr auf Grundlage eines bis zum 31. Mai einzureichenden Jahresberichtes geprüft.

Verpassen Firmen diese Fristen, zahlen sie für jede Tonne CO2, für die sie Emissionsrechte vorweisen müssen, zusätzlich zum aktuellen Zertifikatpreis 100 Euro Strafe.

Importeure werden auf CO2-Zertifikaten sitzen bleiben

Diese Vorgehensweise belastet alle Unternehmen – vor allem aber jene, die heute bereits möglichst viele klimaneutral produzierte Güter beschaffen. „Denn ob sie die geforderte 80-Prozent-Quote erfüllen, wird mit von der EU-Kommission ermittelten pauschalen Werten zu den in einzelnen Waren enthaltenen Emissionen berechnet“, erklärt KPMG-Zollfachmann Stephan Freismuth.

Zudem verfolgt die Kommission bei ihren Berechnungen einen Worst-Case-Ansatz. Sie behandelt daher beispielsweise außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Grenze und damit außerhalb der EU von Offshore Windparks erzeugten Strom genau so, als käme er aus chinesischen Kohlekraftwerken, die bei seiner Produktion entsprechend viele Emissionen verursacht haben.

Könnten Unternehmen zu viel beschaffte Zertifikate am Ende des Berichtszeitraums wieder zurückveräußern, wären solche Konstruktionsfehler des CBAM vielleicht nicht so schlimm. „Die Unternehmen dürfen gesetzlich aber nur maximal ein Drittel der von ihnen erworbenen Zertifikate wieder verkaufen“, kritisiert Freismuth.

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Das stellt Importeure vor Herausforderungen

Auch der Aufwand, den Unternehmen treiben müssen, um die Daten zu erheben, die sie für ihre CBAM-Berichte brauchen, wird für sie zu einer massiven Belastung. Nach der Verordnung der EU müssen sie in importierten Produkten enthaltene Emissionen mit echten Werten berechnen. Fehlen diese, dürfen sie, Standardwerte verwenden, die die Kommission zur Verfügung stellt.

„Allerdings will diese Defaultwerte in der Testphase bewusst nicht veröffentlichen, um Unternehmen zu zwingen, Ist-Werte bei ihren Lieferanten zu erheben. Auf deren Grundlage will die Kommission dann ihre Standardwerte ermitteln“, berichtet Stephan Freismuth von KPMG. Sobald es diese Werte gibt, werden sie zudem wohl einen Malus enthalten, damit Unternehmen es sich nicht einfach machen und ihre Berichte nur mit den Daten der Kommission erstellen.

Der Fokus auf echte Daten stellt Importeure jedoch vor gewaltige Herausforderungen, ergänzt Anna Feldman vom VDMA. „Denn diese sind kaum zu beschaffen. Falls doch, stellt sich die Frage wie belastbar Werte sind, die sie von Lieferanten aus Nicht-EU-Staaten bekommen, und wie Unternehmen die Aussagekraft der Daten verifizieren sollen“, so Feldman.

CBAM: Massive Mehrkosten für Unternehmen

Wie auch immer Unternehmen die Werte in ihren CBAM-Berichten künftig berechnen, bei einem Zertifikatpreis von 100 Euro pro Tonne Kohlendioxid entstehen ihnen künftig jedes Jahr zusätzliche Kosten in Höhe von insgesamt wenigstens zwei Milliarden Euro, erwartet die Unternehmensberatung Boston Consulting in einer Studie. Aus Indien eingeführter Stahl werde sich durch die Abgabe bis 2032 um ein Drittel verteuern. Kommt er aus China werde er 17 Prozent teurer. Ist das Ursprungsland Südkorea koste Stahl in neun Jahren 17 Prozent mehr.

„Da der Preis der Zertifikate aber künftig tendenziell auf etwa 250 Euro pro Tonne Kohlendioxid steigt, wenn die EU das Angebot an Emissionsrechten verkleinert, wird CBAM für Unternehmen wohl noch teurer werden“, erwartet Stephan Freismuth von KPMG.

Dem sind Maschinenbauer allerdings nicht so hilflos ausgeliefert wie das Opfer in einem schlechten Psycho-Thriller. „Denn wenn Unternehmen Waren in die EU einführen, sie dort weiterverarbeiten und die Endprodukte wieder ausführen, müssen sie auf diese keine Zölle entrichten. Auch der CBAM ist im sogenannten aktiven Veredelungsverkehr nicht anwendbar“, erklärt Zollexperte Stephan Freismuth.

Auch für Ersatzteile, die von außerhalb der EU ein- und dann wieder ausgeführt würden, gebe es Ausnahmen im Rahmen des Zolllagerverfahrens. „Allerdings nahmen viele Unternehmen diese Verfahren bislang als zu komplex wahr. Die geringen Ersparnisse beim Zoll rechtfertigten den Aufwand bei der Umsetzung aus ihrer Sicht oft nicht“, berichtet Freismuth. Durch CBAM könnte sich das ändern.

Klage gegen CBAM?

Dass die EU ihre Verordnung 2023/956 selbst noch groß ändert, ist dagegen trotz der Übergangsphase bis 2025 unwahrscheinlich. Hoffnung gäbe es lediglich, wenn Länder wie China, Indien, Südkorea oder das Vereinigte Königreich, deren Unternehmen der CBAM massive Kostennachteile beim Export in die EU beschert, gegen diesen vor der WTO Klage erheben und damit Erfolg haben.

Allerdings besteht auch die Gefahr, „dass Europas Handelspartner den neuen Grenzausgleichsmechanismus als protektionistisches Instrument einstufen. Dies könnte Vergeltungsmaßnahmen hervorrufen und im schlechtesten Fall zu einem Handelskrieg führen“, befürchtet Robin Sogalla vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Japan, Kanada und Großbritannien überlegen bereits, mit dem CBAM vergleichbare Abgaben zu erheben. Argentinien, Chile, Kolumbien, Mexiko und Südafrika haben bereits eine CO2-Grenzsteuer eingeführt. Das globale Protektionismus-Karussell ist also bereits zu einer neuen Runde gestartet. Ein Plot, der großartige Unterhaltung verspricht, ist das nicht.

(Bearbeitet von Anja Ringel und Sabine Königl.)

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