Indien ist derzeit die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt.

Indien ist derzeit die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt. (Bild: Garmon - adobe.stock.com)

„Mit Wachstumsraten von 6 bis 6,5 Prozent sind wir die derzeit am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt“, freut sich Rajesh Nath, Geschäftsführer des VDMA-Büros in Indien. Er sieht gar das Jahrzehnt Indiens anbrechen.

Sechs bis sieben Prozent seien nicht genug, meint hingegen Boris Alex, Leiter des GTAI-Büros in Indien: „Kritische Stimmen sagen, Indien müsste stärker wachsen, um auf das Niveau von China, Thailand, Vietnam oder Korea zu kommen.“

Alex zieht in seine Betrachtung den Basiseffekt der wirtschaftlichen Entwicklungsphase ein, in der sich Indien derzeit befindet. „Das BIP Indiens beträgt gerade ein Fünftel des chinesischen BIP“, so Alex. Doch auch Alex kann die Einschätzung Naths nachvollziehen und sieht durchaus hohes Potenzial. „Indien hat jetzt die Chance, die Welt wirtschaftlich stärker zu prägen“, so Alex.

Boris Alex, Leiter des GTAI-Büros in Indien.
Boris Alex, Leiter des GTAI-Büros in Indien. (Bild: GTAI)

Nath ist sich sicher, dass Indien diese Chance nutzen wird: „Indien hat ein Wirtschaftsvolumen von 3,4 Billionen Dollar und strebt an, bis 2027 - 2028 fünf Billionen Dollar zu erreichen. Damit werden wir Japan und Deutschland überholen.“ Rajesh Nath hat 2017 in Deutschland das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste um die Förderung des indisch-deutschen Handels erhalten.

Eine der Hürden auf dem Weg an die Weltspitze sieht Alex in dem Heer an jungen Menschen, die erst einmal mit guten Jobs versorgt werden müssen. „Jahr für Jahr drängen 10 bis 13 Millionen Menschen neu auf den Arbeitsmarkt. Um die Wachstumsziele zu erreichen, muss es Indien gelingen, diese Kräfte, die zum Teil gar nicht oder nur schlecht ausgebildet sind, in nachhaltige Tätigkeiten zu vermitteln.“

Indische Regierung fördert Investitionen

Rajesh Nath, Geschäftsführer des VDMA-Büros in Indien.
Rajesh Nath, Geschäftsführer des VDMA-Büros in Indien. (Bild: VDMA)

Um die selbst gesetzten Wachstumsziele zu erreichen, fördert die indische Regierung Investitionen in vielen Sektoren. Nath berichtet von PLI (production linked incentives), einem produktionsgebundene Anreizsystem, das die Regierung während der Pandemie einführte. Die Regierung wählte dafür insgesamt 14 förderungswürdige Produktgruppen aus. „Die Idee war, dass jedes Unternehmen, das neu in Indien investiert oder seine Anlagen erweitert, einen bestimmten Betrag von der Regierung erhält, etwa 4 bis 5 Prozent Incentive auf die zusätzliche Produktion“, berichtet Nath. In einigen Sektoren mit erstaunlichem Ergebnis: So war Indien früher ein Nettoimporteur von Mobiltelefonen und kann heute Mobiltelefone exportieren.

Weitere Aktivitäten indischer Wirtschaftspolitik zielen auf Verbesserungen der Effizienz und Nachhaltigkeit in der verarbeitenden Industrie. „Da besteht Nachholbedarf“, meint Alex. Vorhandene Maschinenparks müssen modernisiert, ganze Industriezweige grüner werden. „Noch sind die Umweltstandards im Vergleich zu Deutschland niedriger, aber die Regierung hat sich verpflichtet, bis 2070 einen Netto-Emissionsausstoß von Null zu erreichen“, berichtet Nath.

Mit ein Grund ist der CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) der EU. Er setzt Stahl-produzierende Unternehmen finanziell unter Druck, grüner zu werden. Bis 2030 sollen bereits 50 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien stammen. „Es gibt große Projekte für grünen Wasserstoff. In diesem Bereich werden hohe Investitionen fließen.“ Gesucht wird auch hier deutsches Know-How und Technologien.

Maschinenbau: Rekord-Exporte aus Indien

Im Segment Maschinenbau sind die Ziele der indischen Regierung besonders ehrgeizig. Maschinen deutscher Hersteller werden in den traditionellen Industrien des Landes eingesetzt. „Der Export deutscher Maschinen nach Indien betrug 2022 fast 3,9 Milliarden Euro. In diesem Jahr sind es voraussichtlich 4,2 Milliarden Euro, wieder ein Rekord“, berichtet Nath.

Indien hat seit den 50er Jahren einen Schwerpunkt in der Schwerindustrie, Metallverarbeitung und Automobilindustrie für die einheimischen Märkte. Nun strebt das Land nach einer größeren Rolle im Welthandel. „Der indische Maschinenbau trägt etwa 16 bis 17 Prozent zum Weltbruttosozialprodukt bei, die Regierung will diesen Anteil auf 25 Prozent erhöhen. Dafür sollte nach Plänen der Regierung bis 2025 20 Prozent des GDP durch den Maschinenbau erwirtschaftet werden“, berichtet der VDMA-Mann. Die Exporte von Indien nach Deutschland im Bereich Maschinenbau werden in diesem Jahr das erste Mal die Milliardengrenze überschreiten.

Hat sich bisher alles auf die inländischen Märkte konzentriert, so öffnet sich das Land gerade nach außen. „Neu ist, dass Indien an den globalen Lieferketten andocken will“, sagt Alex. So auch in der Landwirtschaft, einem bislang staatlich stark reglementierten Bereich. „Die Landwirtschaft trägt zwar nur 18 Prozent zu unserem BIP bei, aber 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig“, berichtet Nath.

Es sind größtenteils Kleinbauern, die ihre Produkte zu Festpreisen fast ausschließlich an staatliche Einkäufer verkaufen. Da zu wenig in Lager- und Transportinfrastruktur investiert wurde, verdarben immer wieder Lebensmittel. Unter Premierminister Narendra Modi versuchte die indische Regierung 2020 den Agrarsektor zu liberalisieren und für ausländische Investoren zu öffnen. Es gab große Proteste – die Bauern hatten Angst ihr kalkulierbares Einkommen zu verlieren und von großen Unternehmen geschluckt zu werden. „Sie blockierten damals die Zufahrten nach Neu-Dehli, um das Liberalisierungsvorhaben zu stoppen“, erinnert sich Alex.

Krone Agriculture: Indien ist interessanter Vertriebsstandort

Doch der GTAI-Geschäftsführer geht davon aus, dass Modi in seiner nächsten Legislaturperiode einen weiteren Versuch der Liberalisierung unternehmen wird. Schon heute sind erste Ansätze einer Modernisierung zu beobachten: „Die Landwirtschaft professionalisiert sich kontinuierlich und das Thema Nachhaltigkeit rückt mehr und mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit und damit auch des Engagements“, sagt Thorsten Schütte, Vertriebsleiter beim Landmaschinenhersteller Krone Agriculture. Der Mittelständer hat im Sommer 2023 ein Vertriebsbüro in Neu Dehli eröffnet. “Als Vertriebsstandort ist Indien für uns durchaus interessant, vor allem für die einfache Futtererntetechnik wie Schwader und Rundballenpressen“, so Schütte.

Für den emsländischen Maschinenfabrikanten ist der Markt noch klein und vieles ist neu. „Der Markt tickt anders, Milchwirtschaft funktioniert anders als in Europa. Die Kuh spielt religiös und kulturell eine andere Rolle, welche Konsequenzen dies letztendlich hat, wird sich noch zeigen. Wir sind gespannt auf die Zukunft und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden in Indien“, so Schütte.

Ein Leuchtturmprojekt in Punjab ist die Bioraffinerie der Firma Verbio zur Herstellung von Biomethan. „Früher wurden die Feldreste verbrannt, vor allem um Schädlinge und Unkraut zu bekämpfen. Das Sammeln der Ernteabfälle war zudem zeitaufwendig und hätte zusätzliche Arbeitskosten erfordert, die die Bauern scheuten. „Mit unseren Maschinen können Feldreste gepresst und als Futter oder zur Gewinnung von Biogas genutzt werden“, sagt Schütte.

Indien wird stärkere Basis für die Beschaffung

Neben Marktchancen sind es auch geopolitische Überlegungen, die Indien für global produzierende Unternehmen interessant macht. „Indien wird zu einer stärkeren Basis für die Beschaffung“, sagt Nath. Unternehmen suchen nach alternativen Quellen außerhalb von China, bauen neue Lieferanten auf oder schaffen weitere Produktionsbasen. „‚China plus one‘. - Seit rund zwei Jahren beschäftigt sich die verarbeitende Industrie mit dem Decoupling von Lieferketten“, bestätigt Alex, der allerdings bislang keinen größeren Run nach Indien beobachten kann.

Diese Automatisierer und Komponentenhersteller sind in Indien aktiv

Neben vielen anderen Branchen haben sich in den letzten 10, 15 Jahren auch die Automatisierer und Komponentenhersteller nach Bangalore, Pune, Neu Dehli, Nashik oder Coimbatore begeben. Einige sind dabei ihre Standorte auszubauen. „Rittal, Schmelzer, Pepperl+Fuchs, Festo, Lenze, Igus oder Carl Zeiss bauen neue Standorte auf, oder erweitern bestehende. KMUs wie Weiß Automation, Lenze, Wilo oder der Maschinenbauer Grob bauen Fabriken oder haben bereits welche“, so Nath.

Industrielle Lebensmittelverarbeitung und -Verpackung ist aufgrund der Bevölkerungsgröße ebenfalls ein Wachstumssegment. Zu diesem gehört die Multivac Gruppe, die im Dezember rund 120 Kilometer von Dehli entfernt ein neues Werk für Verpackungsmaschinen eröffnet. Dass jetzt der richtige Zeitpunkt zu investieren sei, glaubt auch der Geschäftsführende Direktor Dr. Tobias Richter: „Jetzt ist die richtige Zeit und Indien der richtige Ort, um am Wachstum des Marktes zu partizipieren. Der Aufbruch ist sehr, sehr deutlich spürbar, ich kenne kaum einen Kunden, der nicht gerade dabei ist zu erweitern, oder neu zu bauen“, sagt Dr. Richter.

Podcast: Markus Horn über Bürokratiehürden

Multivac baut eigene Produktionshalle in Indien

Dr. Tobias Richter, Geschäftsführender Direktor der Multivac Gruppe.
Dr. Tobias Richter, Geschäftsführender Direktor der Multivac Gruppe. (Bild: Multivac)

Auf rund 10.000 Quadratmeter Grund entstehen - in deutscher Qualität, wie Richter betont – eine Produktionshalle, das Innovation Center und Büroräume. Seit 2009 ist das Unternehmen, das 7.000 Mitarbeitende beschäftigt, in Indien aktiv. „Wir hatten einen Vertriebspartner und starteten mit ihm ein Joint Venture“, sagt Dr. Richter.

Zuerst waren es Vertrieb und Service, die die indische Tochter übernahm. „Wir wollten nah bei unseren Kunden sein, mit eigenen Leuten vor Ort, kürzere Lieferketten“, berichtet Dr. Richter. Ein Partner vor Ort, der die kulturellen und lokalen Gegebenheiten kennt, sei zu empfehlen. Von Indien aus bedient Multivac auch Kunden in Bangladesh und Sri Lanka.

Warum nun eine eigene Produktion? „Wir folgen den Markterfordernissen und hören auf unsere Kunden. Mit dem Schritt ein eigenes Produktionswerk zu eröffnen, geht es um Schnelligkeit. Mit dem Schiff dauert der Transport einer Maschine mehrere Wochen. Der Markt ist sehr dynamisch, wir wollen schneller sein“, so Dr. Richter.

Im nächsten Schritt werden dann auch die Werkzeuge für die Verpackungsmaschinen vor Ort hergestellt. „Das Interesse seitens der indischen Regierung ist sehr hoch. Wir merken das an der Verbesserung der gesamten Rahmenbedingungen wie Infrastruktur und Logistik, Bürokratie." Das ist auch ein Verdienst vieler Digitalisierungs-Projekte.

Weniger anfällig für Korruption

Indien ist laut Alex darin zum Teil weiter als Deutschland. „Mit positiven Folgen für die Unternehmen. Durch die zunehmende Digitalisierung der Zoll- und Steuerverwaltung sind diese Bereiche weniger anfällig für Korruption“, sagt Alex. Als Beispiel nennt er die vereinheitlichte Mehrwertsteuer und die verbesserte Verkehrsinfrastruktur. „Viele Formulare und Abgaben zwischen den Bundesstaaten sind weggefallen. Der Warenverkehr und die Intralogistik sind mit der Einführung des indienweit einheitlichen Mehrwertsteuersatzes einfacher und schneller geworden.“

Die große Steuerreform aus dem Jahr 2016 ist dem Premierminister Narendra Modi zu verdanken. Er sorgt für eine Stabilität, die ausländische Investoren schätzen. „Wir haben eine gut etablierte Mehrheitsregierung, keine Koalitionen wie in Deutschland.“ Und das schon seit zehn Jahren. „Zehn Jahre Modi – Indien ist stabiler geworden. Modi hat viele Reformen angestoßen, fährt eine klare Linie in der Wirtschaftspolitik. Er setzt auf Privatisierung und betreibt ein gutes Standort-Marketing“, sagt Alex. Nath ergänzt: „Alles in allem würde ich sagen, dass wir in einer guten Position sind.

Auf dem letzten Treffen der G20 wurde ein wirtschaftliches Großprojekt angestoßen. Ein neuer Wirtschaftskorridor soll zwischen Indien, dem Nahen Osten und Europa entstehen. „Das ist eine sehr gute Initiative. Sie wird Indien, den Mittleren Osten und Europa näher zusammenbringen. In gewissem Maße wird der Wirtschaftskorridor auch ein Gegengewicht zur chinesischen neuen Seidenstraße sein.

Für Europa hat der Wirtschaftskorridor eine besondere Bedeutung, da die Märkte innerhalb Europas schrumpfen und neue Märkte außerhalb Europas etabliert werden müssen“, glaubt Nath. Inzwischen hat sich die politische Lage zwischen dem Westen und der arabischen Welt verschlechtert. „In der jetzigen Situation ist ein Projekt wie der Wirtschaftskorridor schwer vorstellbar“, so Alex.  

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(Bild: mi-connect)

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