Procter & Gamble, Die Fabrik des Jahres/GEO, Sieger, Produktion, A.T. Kearney

Wo es wirtschaftlich sinnvoll ist, nutzt Procter & Gamble Crailsheim kollaborative Roboter wie hier in einem Verpackungsbereich für einen Spezialversand. - (Bild: P & G)

Der Werkleiter von Procter & Gamble in Crailsheim, Christoph Hausser, stand wie viele andere Verantwortliche in der Industrie vor der Frage, wie er mit seiner Produktion im Hochlohnland Deutschland bestehen kann. Im Januar 2016 kam Hausser im Gespräch mit seinem Führungsteam zu dem Schluss, dass sie zwar sehr gute Arbeitsprozesse hätten, dies allein helfe ihnen jedoch nicht, an diesem Standort weitere 35 Jahre mit einer Produktion erfolgreich weiter zu existieren.

Denn eine Linie zur Produktion, die in Deutschland steht, könne durch die Automatisierung der Produktionstechnik auch in der Ukraine, Ungarn oder in einem anderen Land aufgebaut werden. Und durch die niedrigeren Lohnkosten sei es möglich, das Produkt dort kostengünstiger zu fertigen. Die Mehrkosten durch den Transport würden dabei die Einsparungen bei den Lohnkosten nicht wettmachen.

Deshalb erarbeiteten die Führungskräfte des Unternehmens in Crailsheim zusammen mit den Mitarbeitern in einem groß angelegten Change-Prozess ein Konzept, bei dem die Themen Industrie 4.0, Automatisierung und Digitalisierung so verbunden wurden, dass daraus ein Alleinstellungsmerkmal für das Werk entstand.

Die Verantwortlichen setzen dabei insbesondere auf das Thema Synchronisierung. „Synchronisierung heißt, dass die Produkte reibungslos durch das gesamte Liefernetzwerk fließen“, erläutert Hausser bei einem Besuch der Fabrik in Crailsheim. Das seien die drei wesentlichen Strategien, die sie identifizierten. Daraus sollte ein neues Denken entstehen und Lösungen bei Procter & Gamble generiert werden, die auch in anderen Fabriken eingesetzt werden können und die die hohen Personalkosten am Standort Deutschland ausgleichen.

Mitarbeiter bewerteten den Standort

Zunächst wollte die Führung von ihren Beschäftigten per Fragebogen wissen, was die Stärken und Schwächen des Standorts im Vergleich zu anderen Procter-Werken sind. Sie sollten sich dezidiert zur aktuellen Digitalisierungs-, Automatisierungs- und Synchronisierungsstrategie äußern.

Procter & Gamble, Fabrik des Jahres/GEO, Sieger, Produktion, A.T. Kearney
Der Wechsel von einer Rolle Papier zur nächsten funktioniert bei Procter & Gamble Crailsheim automatisch. - (Bild: P&G)

Die Inhalte dieser Fragebogen wurden in Team-Meetings über alle Abteilungen und Führungsebenen hinweg ausgewertet, um zu verstehen, was die Mitarbeiter über den Standort denken. Dabei ergab sich, dass die Befragten besonders stolz waren auf die Team-Arbeit, gute Kollegen, die Positionierung als Vorzeigewerk, Qualität und Sicherheit. Darauf aufbauend überlegte sich das Führungsteam, wie es um diese Themen herum Strategien zur Digitalisierung, Automatisierung und Synchronisierung stricken kann, sodass diese zu der DNA des Standorts passen.

Erstes Ziel: ohne manuell bediente Stapler auskommen

Anschließend wurden erneut Teams über alle Hierarchieebenen hinweg gebildet, die sich damit befassten, was die Ziele sind, die mit den drei Strategien erreicht werden sollen. Eine erstes Ziel war: Man wollte als erstes P & G-Werk ohne manuelle Gabelstapler auskommen. Von diesem Ziel ausgehend entwarfen die Teams technische Lösungen. Dafür wurden leicht verständliche Überschriften formuliert. „Dies ist wichtig, damit jeder versteht, woran wir täglich arbeiten“, erläutert Hausser.

Daraufhin wurde erörtert, wie man diese Strategie in ein Logo, einen Slogan und eine Visualisierung umsetzen kann, die die Mitarbeiter motivieren, weil sie täglich betrachtet werden. Dabei kooperierte Hausser mit einer Agentur, öffnete sich aber auch für Vorschläge von außen, um ein geeignetes Logo zu kreieren, das die Intention widerspiegelt. Dafür wurde die Methode des Crowdsourcing genutzt.

Schließlich veranstaltete der Werkleiter einen Logo-Contest, bei dem die Mitarbeiter aus rund zehn Vorschlägen den passendsten auswählen konnten. Als Nebeneffekt beschäftigten sich die Arbeiter dabei auch mit den neuen Strategien.

Ergebnis des Contests war, dass der Team-Gedanke wichtig ist, dass es sich bei Crailsheim um einen global orientierten Entwicklungs- und Lieferstandort handelt und dass Agilität und Globalisierung eine bedeutende Rolle spielen. Dies spiegelt sich nun in dem Logo wider, bei dem jede Strategie eine Farbe hat. Für jede Strategie gibt es dabei eine Formulierung, die leicht verständlich ist und den Mitarbeitern Ängste nehmen soll.

Wichtig sei ferner der Slogan ‚Home of the future. One step ahead‘, der ausdrücken soll, dass man sich in Crailsheim um „die Gestaltung eines Produktionsstandorts mit Zukunft in einem End-to-End-Liefernetzwerk“ kümmere, wie Werkleiter Hausser erklärt. Schließlich gab es eine Feier, bei der alle, die an dem Konzept mitgearbeitet hatten, auf der Bühne präsent waren. Ein Guest-Speaker sprach dort über das Thema ‚Gewinnen‘ und es wurde ein Film gedreht.

Neu ist die Digitalisierung der Arbeitsprozesse

Vor einem Jahr wurde dann die Vision im Bereich Digitalisierung formuliert, die über einen Zeitraum von fünf Jahren realisiert werden sollte. Sie wird mit dem Namen ‚Digital Mind Factory‘ bezeichnet und soll Lösungen für das gesamte weltwelte Netzwerk erarbeiten. Die IT-Leiterin Corinna Dechow entwickelte dafür eine IT-Strategie für die nächsten drei bis fünf Jahre und erstellte daraus eine Roadmap für umzusetzende Projekte.

Video: Fabrik des Jahres: So entwickelte P&G Crailsheim eine IT Strategie

Zuerst startete Dechow eine Ist-Analyse, um zu verstehen, wo das Werk bezüglich der IT steht, aber auch wie die Situation im Unternehmen global ist. Auch holte die IT-Leiterin eine Gruppe mit Studenten ins Werk, die Ansatzpunkte erarbeitete. Daraufhin analysierte sie mit den Abteilungen von Grund auf, welche Geschäftsanforderungen durch die IT gelöst werden sollen. „Neu ist nun, dass die Arbeitsprozesse digitalisiert werden“, erläutert die Spezialistin. Aus den erarbeiteten Ideen wählte die Führungsmannschaft dann diejenigen aus, die den höchsten Nutzen versprechen. Die IT-Strategie umfasst nun sechs Projekte, die P & G derzeit umsetzt.

„Durch die Analyse entdeckte die Führung ein Einsparpotenzial von fünf Mio Euro“, spezifiziert Hausser die mögliche Einsparung. Diese Einsparung resultiert aus fünf IT-Business-Benefits: Der erste ist die Erhöhung der Produktivität durch die Automatisierung von Arbeitsprozessen – zum Beispiel durch Robotic Process Automation (RPA), bei der eine Software manuelle Prozesse, die sich wiederholen, automatisiert.

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Über interaktive Screens ist jederzeit einsehbar, wie die Kunden auf die P & G-Produkte reagieren. - (Bild: P&G)

So müssen beispielsweise bei der Abfertigung von Lkw am Gate House immer wieder die gleichen administrativen Prozesse abgewickelt werden: Der Lkw muss registriert und einem Dock zugewiesen werden. Das übernimmt jetzt Software, indem sie in unterschiedliche Systeme eingreift und den Vorgang erledigt.

Digitalisierung soll Entscheidungsprozesse beschleunigen

Ein zweiter Benefit bei der Digitalisierung ist die Beschleunigung von Entscheidungen durch die Bereitstellung von geeigneten Daten. Dazu trägt Data Analytics und Visualization bei. Beispielweise synchronisiert P & G derzeit die Lieferkette und die Methoden tragen dazu bei, festzustellen, wo sich ein Produkt gerade befindet.

Das Vorantreiben von Innovationen hat P & G als dritten Benefit innerhalb der IT-Strategie identifiziert. Dies soll durch die Bereitstellung von geeigneten Daten geschehen. Beispielsweise überlegt die Werksleitung gerade, wie sie von Paletten zur Nutzung von Single Units übergehen kann wie zum Beispiel Rollen beim Rohpackmaterial. Damit würden sich neue Möglichkeiten ergeben, Informationen vom Zulieferer direkt in die Produktion zu bringen.

Vierter Benefit durch die Digitalisierung ist die mobile Nutzung von Daten zum Beispiel über iPads und der fünfte die Sicherstellung, dass die IT möglichst immer funktioniert. „Denn die Anfälligkeit von Software steigt mit jedem Projekt“, wie IT-Leiterin Dechow zugibt.

Eine der größten Herausforderungen bei den Projekten ist, dass die Beschäftigten die passenden Fähigkeiten benötigen. „Wir müssen eigene Mitarbeiter ausbilden, das ist der Hauptweg,“ sagt die Expertin. Dafür wurde eine eigene IT-Ausbildung geschaffen. Zudem wurden im Bereich IT Key-User ausgebildet, die zuvor bereits mit SAP oder im Bereich der Planung gearbeitet haben; das betrifft beispielsweise den Bereich Robotic Process Automation. Dabei helfe Software, die einfach zu programmieren ist, sagt Dechow.

Insbesondere im Bereich RPA hat P & G bereits Erfolge erzielt, wie die IT-Leiterin der Fabrik des Jahres 2017 berichtet. Auch im Bereich der Nutzung mobiler Daten kommt das Unternehmen voran. „Wir haben jetzt 20 iPads an der Linie im Einsatz“, berichtet Dechow.

Automated Guided Vehicles bringen Material an die Linie

Zudem wurde ein automatisches Materialbestellungssystem eingeführt, das läuft. So bringen jetzt Automated Guided Vehicles (AGV) das Rohmaterial an die Linie. Bei der Automatisierung des Roh- und Packmaterial-Lieferungsprozesses wurde auch der Materialprozess neu designt.

Dieser wurde digitalisiert, indem die Mitarbeiter ein mobiles Tool erhielten, das ähnlich wie bei Amazon funktioniert. Wenn ein Mitarbeiter ein Produkt bestellt, wird automatisch ein Fahrauftrag für ein AGV ausgelöst, das dieses Produkt an die Linie bringt. Im nächsten Schritt soll dieser Auftrag dann automatisch ausgelöst werden, wenn der Bedarf an der Linie vorhanden ist.

Produktioner-Elite trifft sich beim Kongress Die Fabrik des Jahres/GEO in Ulm

Günther Schuh, Die Fabrik des Jahres/GEO, Kongress, Ulm, Produktioner-Elite

Der führende europäische Benchmark-Wettbewerb Die Fabrik des Jahres/Global Excellence in Operation von A.T. Kearney und der Fachzeitung ‚Produktion‘ findet seinen Höhepunkt bei dem gleichnamigen Kongress: Die Produktioner-Elite trifft sich vom 6. bis 7. März 2018 im Maritim Hotel in Ulm. Dort erläutern die Werkleiter der Sieger, allen voran Christoph Hausser, Procter & Gamble Crailsheim, und Martin Mühlbacher, General Electric Jenbach, was sie getan haben, um die Prozesse in ihren Fabriken nachhaltig zu verbessern und Richtung Industrie 4.0 zu marschieren. Moderiert wird der erste Tag von RWHT-Professor Günther Schuh (Bild). Ergänzt wird das zweitägige Produktioner-Treffen durch einen halbtägigen Workshop am 5. März zur Fabrik der Zukunft. Die einzelnen Themenblöcke beschäftigen sich damit, wie man ein Partner-Ecosystem aufbauen kann und wie man mit IT-Legacy-Systemen umgehen kann.
www.produktion.de/fdj

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