Claus Wilk und Thomas Pilz

Thomas Pilz, Geschäftsführender Gesellschafter des Automatisierungs-Herstellers Pilz (rechts) im Gespräch mit Claus Wilk, Chefredakteur Fachzeitung Produktion auf dem 11. Deutschen Maschinenbau-Gipfel. - (Bild: Anna McMaster)

Sein Unternehmen wurde gerade von einer Hackerattacke getroffen, bei der weltweit alle Systeme lahmgelegt worden sind, bis Erpressungsgeld bezahlt wird. "Unser Unternehmen zahlt kein Lösegeld", stellte Thomas Pilz, Geschäftsführender Gesellschafter des Automatisierungs-Herstellers Pilz fest. Weil man nicht zur kritischen Infrastruktur gehört, werde man nicht vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) betreut. "Der Mittelstand ist auf sich selbst gestellt", sagte Pilz, der die Situation mit bewunderungswürdiger Ruhe aufnahm. Man arbeite mit dem Landeskriminalamt zusammen.

Video: Thomas Pilz zu dem Hacker-Angriff auf das Unternehmen

Eigentlich wollte Pilz auf dem Maschinenbau-Gipfel über Agiles Management und Innovationskultur sprechen. Die Überleitung lag für den Familienunternehmer auf der Hand. "Man darf keinen Computer nutzen und ist auf Papier und Bleistift zurückgeworfen. Da liegt die Verbindung zu Agile: Über Scrum konnten wir in 24 Stunden ein voll funktionsfähiges Lagezentrum einrichten, Daily Meetings machen und unsere Arbeit dokumentieren", berichtete Thomas Pilz.

Klar ist, dass agile Methoden bei Pilz auch die Innovationskultur verändert haben. Scrum habe den Vorteil, dass man sehr schnell auf das stößt, "wo die Mehrheit ein Like dran macht", so Pilz. Angefangen hatte man im Bereich Firmware, aber auch für die Mechanik eigne sich die Methode besonders gut, dort lasse sich das Modell anders zeichnen und digitale Simulationen nutzen. "Der Digital Twin ist ein ganz natürliches Element, das aus der Digitalisierung des Maschinenbaus entstanden ist", sagte der Geschäftsführer.

"Die Mitarbeiter, die sagen, Scrum ist 'Murks', sind üblicherweise Führungskräfte und Betriebsrat", sagte Thomas Pilz mit Blick auf eine Saalumfrage, und erntete dafür großen Applaus der Teilnehmer. Gute zwei Drittel der Teilnehmer sagten, sie seien in einigen Bereichen schon recht weit mit Scrum, ein agiles Unternehmen sei man aber definitiv noch nicht. Die Menschen, die alles mitbestimmen müssen, haben mit Scrum das größte Problem, stellte Pilz fest. Auch der Betriebsrat sei nicht von der Idee begeistert, wenn man alles selbst regelt. Aber Druck von oben helfe nicht, es klappe nur mit Überzeugungsarbeit.

Warum Agilität nicht zwangsweise die Digitalisierung braucht

Digitalisierung sei jedoch nicht die Voraussetzung für Agilität. "Die Agilität ist in den Mitarbeitern, im Miteinander und im permanenten Bereitsein, Entscheidungen zu treffen – das ist eigentlich Scrum", erklärte Thomas Pilz. Auch mit Scrum gehe jedoch die Hierarchie, die für das Gehaltsgefüge wichtig sei, nicht weg.

"Aber ich kann befreit von den Zwängen der Hierarchie agieren und das Potential des Werkers, Technikers, Ingenieurs oder der Sekretärin anders einsetzen", so Pilz. Probleme gebe es immer dann, wenn die Personalabteilung moniert, dass jemand außerhalb seiner ERA-Gruppe agiert. Der Arbeitgeberverband sei nun dabei, diese 'unsägliche Verkrustung' zu verändern. "Die größte Gefahr für Scrum ist die Art und Weise, wie wir die Bezahlung der Mitarbeiter geregelt haben", konstatierte Pilz. Einen Ansatz für alle gebe es nicht, dazu seien die Organisationen zu unterschiedlich. Wichtig sei: Man müsse nicht alles in Scrum organisiert haben, um die positiven Elemente zu nutzen

Zu wenig Strategie und Verbindung bei Qualität und Innovation

Professor Dietmar Vahs, Direktor des Instituts für Change Management und Innovation (CMI), berichtete über eine Studie zum Thema Innovation und Qualität. "Agilität ist etwas, das im Kopf abläuft", meinte auch Vahs. Doch noch nutzen die 232 Unternehmen, die für die Studie befragt wurden, die Synergien zwischen Agilität und Qualität mehrheitlich nur unzureichend.

Dietmar Vahs vom Institut für Change Management und Innovation
Dietmar Vahs vom Institut für Change Management und Innovation beim Maschinenbau-Gipfel 2019. - (Bild: Anna McMaster)

Nur in etwas weniger als der Hälfte der Unternehmen seien die Begrifflichkeiten geklärt und man rede über das gleiche. "Das schafft Missverständnisse", erklärte Vahs. Hinzu komme, dass Führungskräfte Innovation nicht ausreichend vorleben. "Alle Führungskräfte aller Ebenen sollten ein gemeinsames Verständnis haben", so der Experte. Nur 55 Prozent der Unternehmen haben ihre Innovations- und Qualitätsstrategie verabschiedet. "Lediglich 34 Prozent sagen, wir haben sie auch umgesetzt. Das ist nicht viel", merkte Vahs an.

Und nur zwei Prozent der Befragten hat eine integrierte Strategie für Innovation und Qualität. Das biete Potenzial für Desorientierung und Ressourcenverschwendung. In vielen Unternehmen würden Qualitätsexperten erst spät im Entwicklungsprozess hinzugeholt. Bei nur 18 Prozent in der Ideenfindung, und nur 20 Prozent im nächsten Schritt der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Auch beim Thema Fehlerkultur ist der Umfrage zufolge noch viel Luft nach oben: In der Innovation gaben rund 27 Prozent an, dass Fehler noch nicht als Lernchance wahrgenommen werden, in der Qualität 18 Prozent.

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SEW-Eurodrive macht schon immer Scrum

Schon seit 1995 geht Johann Soder, Geschäftsführer Technik von SEW Eurodrive, mit Lean konsequent den Weg der innovativen Unternehmenskultur. "Menschen durften gestalten und gemeinsam neue Arbeitsprozesse nach ihren Vorstellungen entwickeln. Wir haben gemeinsam den Begriff Wertschöpfung in den Mittelpunkt gestellt – also das, wofür der Kunde auch gewillt ist, zu bezahlen", sagte Soder. Ehrgeiziges Ziel sind 95 Prozent Wertschöpfung.

Johann Soder und Ursula Heller
Johann Soder, Technik-Geschäftsführer SEW Eurodrive im Gespräch mit Moderatorin Ursula Heller auf dem 11. Deutschen Maschinenbau-Gipfel. - (Bild: Anna McMaster)

Entscheidend sei, nicht mehr in Produktionsprozessen, sondern in Wertschöpfungsketten zu denken. "In jedem Menschen steckt der 'Lego-Instinkt', mit Cutter und Papier lassen sich in Dreitages-Workshops Dinge entwickeln – und überprüfen, was ist wertschöpfend ist", so Johann Soder. Auf diese Weise habe man beispielsweise die 'Weisheit der Vielen' genutzt, um neue Montagezellen zu entwickeln, mit allen Beteiligten im Boot, ohne Rücksicht auf Hierarchien. „Wir haben uns kreative Zerstörung vorgenommen und damit einen weiteren Quantensprung bei der Produktivität in einer Größenordnung von 30 Prozent erreicht.

Angesichts dieses schon lange genutzten Konzepts des Minimal Viable Products, das heut in aller Munde ist, verwunderte es auch nicht, dass der Experte auf die Frage 'Agile ohne Lean – geht das überhaupt'? antwortete: "Scrum machen wir schon immer". Es gehe nur darum, Arbeit ordentlich in Zeitbausteine aufzuteilen und gut zu kommunizieren.

"Gemeinsam mit der Weisheit der vielen sich immer wieder neu erfinden", so lautet die Strategie des Technik-Geschäftsführers. Es gelte, die perfekt gestalteten Prozesse aus Lean mit den Möglichkeiten der Digitalisierung anzureichern, um den nächsten Quantensprung zu schaffen.

Warum es nicht hilft, das Silicon Valley zu kopieren

"Wenn es um Innovation geht, dann haben immer alle keine Zeit", stellte Steffen Kramer fest, zuständiger Industrie-Manager B2B bei Google Deutschland. Es reiche nicht, Innovation in ausgelagerten Digital Units und Labs voranzutreiben, das gesamte Unternehmen müsse mitgeführt werden. Auch für Kramer ist das Thema Umgang mit Fehlern essentiell bei neuer Innovationskultur. "Psychologische Sicherheit macht Teams erfolgreicher", sagte Kramer. Die Mitarbeiter müssen wissen, dass Ideen und Fehler nicht verurteilt werden.

Die Frage sei, ob man die duale Situation von neuen Entwicklungen und dem Fortbestand des Alten im Unternehmen zulassen könne. "Gebe ich den  Mitarbeitern Zeit für Innovation? Haben alle das Gefühl, sie dürfen auch ausprobieren und Fehler machen", fragte Kramer. In der Aufstellung der Teams habe sich die 'Rule of Seven' bewährt, also maximal sieben Leute in einem Team. Eine Kultur zum Beispiel aus dem Silicon Valley zu kopieren funktioniere nicht, glaubt der Google-Experte. Erfolgreiche Unternehmen hätten immer einen einzigartigen Kulturkern.

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