Der Strukturwandel trifft die deutsche Zulieferindustrie ins Mark. Eine neue Studie offenbart: Viele Unternehmen suchen Rettung außerhalb der Autoindustrie.
79 Prozent der deutschen Automobilzulieferer, die vom Strukturwandel in ihrer Industrie betroffen sind, wenden sich neuen Branchen zu – ein deutliches Signal, dass viele ihre Zukunft nicht mehr ausschließlich in der Automobilindustrie sehen. Das ist ein Ergebnis einer aktuellen Untersuchung durch das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Unternehmensberatung FTI-Andersch.vizualni - stock.adobe.com)
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Wohin steuert die Zulieferindustrie?
Der tiefgreifende Wandel in der Automobilindustrie zwingt viele deutsche Zulieferer zum radikalen Umdenken. 79 Prozent der Unternehmen, die sich vom Strukturwandel betroffen sehen, wenden sich neuen Branchen zu – ein klares Signal: Die Zukunft wird außerhalb der eigenen Industrie gesucht.
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Ralf Winzer, Vorstand und Partner bei FTI-AnderschFTI-Andersch)
Besonders stark ist der Zulauf zur Rüstungsindustrie, in der bereits 25 Prozent der betroffenen Zulieferer aktiv sind oder investieren. Es folgen Energie (16 Prozent), Luftfahrt, Medizintechnik und Bahn mit jeweils neun Prozent. Die Wahl fällt gezielt auf Bereiche mit hohen technischen Anforderungen.
„In diesen Feldern können Zulieferer ihre bestehenden Stärken nutzen: Präzision, Qualitätssicherung und regulatorische Erfahrung“, erklärt Ralf Winzer, Vorstand und Partner bei FTI-Andersch. Gleichzeitig sei dies kein leichter Weg: „Neue Zulassungsverfahren, andere Produktzyklen und ungewohnte Kundenerwartungen stellen viele Unternehmen vor operative und kulturelle Hürden.“
Dennoch überwiegt die Notwendigkeit, zu handeln. „Viele Autozulieferer wenden sich neuen Industrien zu, weil sie in der eigenen Branche keine ausreichende Perspektive mehr sehen.“
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Was steht einer Zusammenarbeit mit chinesischen OEMs im Weg?
Chinesische Hersteller drängen mit enormem Tempo auf den europäischen Markt. Ihre Fahrzeuge verdrängen zunehmend lokal produzierte Modelle. Doch deutsche Zulieferer halten sich überwiegend zurück: 83 Prozent halten eine Zusammenarbeit mit chinesischen OEMs für schwierig, 47 Prozent sogar für sehr schwierig.
Nur 25 Prozent der Unternehmen bauen gezielt Vertriebsstrukturen zu chinesischen Herstellern auf oder planen dies. Lediglich 19 Prozent entwickeln oder planen Produkte, die auf deren technische Anforderungen ausgerichtet sind.
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Die große Mehrheit – 57 Prozent – nimmt den Wettbewerb um die chinesischen Hersteller gar nicht erst auf. Damit werden potenzielle Absatzmärkte ausgeblendet.
Ralf Winzer warnt: „Viele Zulieferer sehen den Markteintritt chinesischer OEMs bislang vor allem als Bedrohung, nicht als Chance. Und das ist nachvollziehbar: Die neuen Wettbewerber bringen eingespielte Liefernetzwerke und erhebliche Kostenvorteile mit.“ Doch er mahnt auch: „Wer heute nicht versucht, Anschluss an diesen Markt zu finden, wird ihn in wenigen Jahren vollständig abgehängt sein.“
Einige Unternehmen setzen daher auf neue strategische Ansätze: 47 Prozent wollen sich unabhängiger von nationalen OEMs aufstellen, 34 Prozent vermeiden Exklusivitätsbindungen und 26 Prozent suchen gezielt neue Partnerschaften – meist mit westlichen Technologieunternehmen.
Wie stark trifft der Rückgang des Verbrennermarkts?
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Ein zentraler Treiber des Wandels ist der Schrumpfungsprozess im Verbrennermarkt. 64 Prozent der befragten Zulieferer sind davon direkt betroffen, mehr als ein Drittel (34 Prozent) sogar stark oder sehr stark.
Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus:
27 Prozent planen, sich von Produkten rund um den Verbrenner zu trennen.
54 Prozent haben bereits Produktionskapazitäten verlagert oder bereiten dies vor.
52 Prozent investieren in Zukunftstechnologien.
27 Prozent beteiligen sich an Start-ups oder technologieorientierten Firmen.
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Doch rund die Hälfte der Unternehmen bleibt bisher untätig. Die Gründe sind vielfältig – von Ressourcenmangel bis hin zur strategischen Unsicherheit.
Ralf Winzer beschreibt die Situation als „einen tiefgreifenden Strukturbruch“, der Unternehmen zwinge, ihre Aufstellung grundsätzlich zu überdenken.
Welche Rolle spielt KI in der Transformation?
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Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie der industriellen Transformation – doch ihr Einsatz bleibt begrenzt. Zwar setzen 89 Prozent der Automobilzulieferer bereits KI ein, jedoch vor allem in generativen Anwendungen: etwa zur Text-, Bild- oder Präsentationserstellung.
Nur 51 Prozent nutzen KI in der Qualitätssicherung, lediglich 32 Prozent in der vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance).
„KI könnte dabei ein möglicher Hebel sein, um Effizienz und Produktivität zu steigern“, sagt Ralf Winzer. Doch er stellt klar: „Wir sehen: Eine aktive Minderheit handelt, während die Mehrheit abwartet – oder ihre Ressourcen auf den Eintritt in andere Branchen konzentriert.“
Die strategische Bedeutung wird indes erkannt. 57 Prozent der Befragten erwarten, dass KI die Strukturen und Prozesse der Branche in den kommenden Jahren stark verändern wird.
Neben Marktveränderungen belasten zwei weitere Entwicklungen die Automobilzulieferer erheblich:
1. Erschwerter Kreditzugang:
28 Prozent der befragten Unternehmen berichten von einem zunehmend schwierigen Zugang zu Finanzierungen – der höchste Wert unter allen von Allensbach befragten Industriezweigen.
Die Auswirkungen sind massiv:
92 Prozent verschieben Investitionen.
62 Prozent haben bereits Personal abgebaut.
2. Zunehmendes Insourcing durch OEMs:
Immer mehr Automobilhersteller holen bestimmte Komponenten wieder in die Eigenfertigung zurück. Bereits 17 Prozent der Zulieferer spüren diesen Trend deutlich, weitere 38 Prozent erwarten eine weitere Zunahme.
Beides verschärft die Lage zusätzlich und zwingt Unternehmen zu Anpassungen – sei es durch Restrukturierung, Outsourcing oder strategische Kooperationen.
Was zeigt die Allensbach-Studie insgesamt?
Die Untersuchung verdeutlicht: Die deutsche Automobilzulieferindustrie befindet sich in einer tiefgreifenden Umbruchphase. Der Rückzug aus dem traditionellen Automobilgeschäft ist keine Ausnahme mehr, sondern längst Teil der neuen Normalität.
Ralf Winzer fasst die Situation wie folgt zusammen:
„Die Allensbach-Untersuchung verdeutlicht die Vielschichtigkeit der Probleme, die auf die deutschen Zulieferer derzeit gleichzeitig einwirken. Entscheidend ist jetzt, die eigene Position klar zu bestimmen – und daraus eine strategische Richtung abzuleiten.“
Nicht alle Unternehmen werden den Weg in neue Branchen erfolgreich gehen können. Doch für jene, die ihre Stärken realistisch einschätzen, klare Prioritäten setzen und entschlossen handeln, bietet sich die Chance, den Wandel nicht als Endpunkt, sondern als Neustart zu gestalten.
Mit Material von FTI-Andersch
FAQ – Automobilzulieferer im Wandel
Welche neuen Branchen erschließen Zulieferer derzeit? Rüstungsindustrie, Energie, Luftfahrt, Medizintechnik und Bahn gelten als attraktive Zielmärkte.
Wie reagieren Unternehmen auf chinesische Hersteller? Mehrheitlich mit Zurückhaltung – 57 Prozent nehmen den Wettbewerb gar nicht erst auf.
Welche Folgen hat der Rückgang des Verbrennermarkts? Produktionsverlagerungen, Diversifikation und Investitionen in neue Technologien sind häufige Reaktionen.
Wie wird KI aktuell genutzt? Vorwiegend in generativen Anwendungen, weniger in industriellen Einsatzfeldern wie Qualitätssicherung oder Predictive Maintenance.
Was verschärft die Herausforderungen zusätzlich? Erschwerter Kreditzugang und zunehmendes Insourcing durch OEMs setzen die Branche zusätzlich unter Druck.