Deutsche Maschinenbauer sind die wichtigsten Lieferanten der US-Industrie.

Deutsche Maschinenbauer sind die wichtigsten Lieferanten der US-Industrie. (Bild: Rawf8 - adobe.stock.com)

Bartlett, Illinois, am Morgen des 31. Oktober 2023. Sanfter Südwind nimmt die letzten Blätter von den Bäumen auf dem Firmengelände der Wittenstein SE. Vor einer schmucklosen, grauen Hallenwand stehen die Geschäftsführung des Mittelständlers aus Igersheim im Taubertal und Vertreter der Stadt Bartlett. Kraftvoll setzen sie zum ersten Spatenstich für den Bau eines neuen 3.000 Quadratmeter großen Büro- und Fabrikgebäudes an.

Seit 2005 produziert Wittenstein Getriebe mechatronische Antriebskomponenten und -systeme in dem Bundesstaat im mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Die Geschäfte laufen so gut, dass auf eine erste Werkserweiterung 2018 nur fünf Jahre später bereits die zweite nötig wird. „Nordamerika ist für uns einer der wichtigsten Märkte außerhalb Deutschlands”, erklärt der Vorstandsvorsitzende von Wittenstein, Dr. Bertram Hoffmann.

Das könnten so auch zahlreiche andere Maschinenbauer sagen. „Viele Unternehmen haben das Gefühl, dass die Vereinigten Staaten derzeit der einzige große Markt sind, der noch gut läuft“, berichtet Andrew Adair, Referent für Nordamerika in der Außenwirtschaftsabteilung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Deutschland befindet sich in einer Rezession.

Auch in Europa läuft das Geschäft verhalten. Die Exporte nach China sind zuletzt sogar gesunken“, erklärt Adair. Deshalb sei der Umsatz auf dem derzeit stark wachsenden US-Markt für viele Betriebe überlebenswichtig.

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US-Industrie: Deutsche Maschinenbauer sind die wichtigsten Lieferanten

In der ersten Jahreshälfte 2023 exportierten deutsche Maschinenbauer ein Viertel mehr in die Vereinigten Staaten als zwischen Januar und Juni des Vorjahres, berichtet Germany Trade and Invest (GTAI). Bis Jahresende könnte der Wert ihrer Ausfuhren 38 Milliarden US-Dollar erreichen – so viel wie noch in keinem Jahr zuvor. Deutsche Maschinenbauer haben ihre Wettbewerber aus China und Japan damit als wichtigster Lieferant der US-Industrie abgelöst.

Dieser Höhenflug wird so schnell nicht enden. Denn die Umsätze auf dem Markt für Maschinen werden sich in den Vereinigten Staaten bis 2032 auf 1,2 Billionen Dollar fast verdoppeln, erwartet das Marktforschungsunternehmen Global Market Insights. Angetrieben wird dieses Wachstum durch die Konjunkturprogramme der Regierung von Präsident Joe Biden.

Maschinenbau profitiert von US-Konjunkturprogrammen

Durch den 2021 verabschiedeten Infrastructure Investment and Jobs Act sollen bis 2028 rund 1,2 Billionen US-Dollar in die Modernisierung der maroden Infrastruktur der Vereinigten Staaten fließen. Dementsprechend steigt der Bedarf an Baumaschinen. Im Rahmen des U.S. CHIPS Acts sollen Halbleiterproduzenten weitere 39 Milliarden Dollar Zuschüsse bekommen, wenn sie Fertigungskapazitäten in den Vereinigten Staaten auf- oder ausbauen. Davon profitieren deutsche Unternehmen, die Lithografiemaschinen, Laser, optische Geräte, Präzisionsbestückungsmaschinen oder Messtechnik liefern.

Im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) schließlich bekommen Unternehmen Steuergutschriften in unbegrenzter Höhe, wenn sie Fabriken zur Herstellung von Photovoltaik, Windkraftausrüstung, Elektrolyseuren oder Batterien für die Energie- und Mobilitätswende sowie Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien in den USA errichten. Wenn der dabei verarbeitete Stahl aus den Vereinigten Staaten stammt, erhöht sich der gewährte Steuerbonus nochmals um zehn Prozent.

Wittenstein erweitert seinen US-Standort. Im Bild (von links): John Ritt (CFO North America), Dr. Manfred Wittenstein, (Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats und Miteigentümer der Wittenstein SE), CEO Dr. Bertram Hoffmann, Peter Riehle (President & CEO North America), Patrick Rommel (Senior Project Manager B2F), Hans Kraus (SCM Manager North America).
Wittenstein erweitert seinen US-Standort. Im Bild (von links): John Ritt (CFO North America), Dr. Manfred Wittenstein, (Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats und Miteigentümer der Wittenstein SE), CEO Dr. Bertram Hoffmann, Peter Riehle (President & CEO North America), Patrick Rommel (Senior Project Manager B2F), Hans Kraus (SCM Manager North America). (Bild: Wittenstein SE / Ricardo Sarinas)

Dadurch steigt die Nachfrage bei den Ausrüstern der Hersteller grüner Technologien im deutschen Maschinenbau ebenso wie bei Anbietern von Bergbaumaschinen. „Der IRA treibt auch das Geschäft deutscher Maschinenbauer an, die nur in die USA exportieren und von den dort gewährten Steuergutschriften selbst gar nicht profitieren“, versichert VDMA-Fachmann Adair.

Doch damit nicht genug: Parallel zu dem Nachfragezuwachs, den Joe Biden mit seiner Politik ausgelöst hat, modernisieren in den Vereinigten Staaten derzeit auch Lebensmittelhersteller und die Verpackungsmittelindustrie ihre Maschinenparks. Landwirte steigen zunehmend auf automatisierte Feldmaschinen um.

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Für viele deutsche Maschinenbauer gibt es kaum US-Konkurrenz

Vielfach sind sie dabei auf deutsche Maschinenbauer angewiesen. „Diese füllen in den USA eine Lücke aus, die sich durch eine jahrzehntelange Deindustrialisierung und den damit einhergehenden Verlust von Unternehmen und Kompetenzen im Maschinenbau aufgetan hat“, berichtet Andrew Adair vom VDMA.

Zwar gebe es in den Vereinigten Staaten große Hersteller von Bau- und Landmaschinen wie Caterpillar oder John Deere. „In den meisten Fachverbänden der Branche, etwa bei Kunststoff- und Gummimaschinen, Maschinen für die Produktion von Nahrungs- und Verpackungsmitteln, in der Robotik und Automation, kommen viele der Mitglieder aber viel häufiger aus Europa“, so Adair.

Auch bei Straßenwalzen, Bodenverdichtern und Tiefbohrmaschinen sind Tiefbauunternehmen in den USA auf deutsche Anbieter angewiesen. Dabei kommt mit Caterpillar der größte Baumaschinenhersteller der Welt aus den USA, ergänzt Roland Rohde von der GTAI. Da heimische Hersteller die Nachfrage nach hochwertigen Spezialmaschinen für die Baubranche nicht bedienen konnten, führten die Vereinigten Staaten 2022 Bau- und Bergbaumaschinen im Wert von 19 Milliarden US-Dollar ein – ein Plus von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

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USA: Deutschland ist der zweitwichtigste Auslandsinvestor

Für deutsche Mid Caps und Konzerne aus dem Maschinenbau sind die Vereinigten Staaten jedoch nicht nur als Exportmarkt wichtig. Mit einem Bestand von 721 Milliarden US-Dollar ist Deutschland auch der zweitwichtigste Auslandsinvestor in den USA nach Japan. In ihren Werken stellen deutsche Unternehmen 880.000 Arbeitsplätze. Damit sind deutsche Unternehmen laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) der drittgrößte ausländische Arbeitgeber.

Von den dort heute bereits ansässigen Firmen wollen in den kommenden drei Jahren 93 Prozent weiter in den Vereinigten Staaten investieren, 35 Prozent davon auch in neue Maschinenparks. Das ergab eine Umfrage der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) in den USA im Januar 2023.

Insgesamt plant jedes zehnte deutsche Unternehmen sogar, seine Produktion ganz oder teilweise über den Atlantik zu verlagern, ermittelte die DIHK in einer weiteren Umfrage. Im Maschinenbau haben dies sogar 22 Prozent der Betriebe vor, ergab eine Blitzumfrage des VDMA im Juni 2023. Unter anderem Bosch Rexroth, Ziehl-Abegg, Stihl, Zeiss, die Vereinigten Schmirgel und Maschinen Fabriken, MAX Automation, Kion, Krones, Pfeiffer Vacuum, Flottweg, Siemens und ThyssenKrupp haben bereits 2022 Investitionsprojekte in den USA in Angriff genommen.

Investitionen Inflation Reduction Act ist nicht der Hauptgrund

Anders als in vielen Medien dargestellt, ist der Inflation Reduction Act dafür allerdings nicht der ausschlaggebende Grund. Die von der US-Regierung gewährten Steueranreize und Fördermittel spielen nur für jedes zehnte Unternehmen bei aktuellen und künftigen Investitionen in den USA eine entscheidende Rolle.

Dagegen begründen 93 Prozent der Teilnehmer der AHK-Umfrage ihre Entscheidung mit der Größe des US-Marktes und der steigenden Nachfrage dort.

Das spielt auch für die Erweiterung des Werks von Wittenstein in Illinois die entscheidende Rolle. „Im Zentrum des Mittleren Westens der USA erfüllt Bartlett die für unsere Entscheidung wichtigen Voraussetzungen wie Kundenähe, Fachkräfte und solide Lieferanten“, erklärt der CEO von Wittenstein, Bertram Hoffmann.

Standortqualität: Deutschland hinkt hinterher

Insgesamt sind sechs von zehn Maschinen- und Anlagenbauern davon überzeugt, dass sich derartige Standortfaktoren in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren verbessert oder sogar stark verbessert haben. Das erklärten sie in der VDMA-Umfrage aus dem Juni. Dagegen sagten 77 Prozent der Teilnehmenden, dass sich die Standortqualität in Deutschland verschlechtert hat. Jeder vierte Befragte ist sogar der Ansicht, dass sie stark nachgelassen hat.

In einer weiteren Umfrage des Verbands nannten sie im Oktober die Gründe für ihre Kritik: Danach muss sich bei der Bürokratie in Deutschland aus Sicht von 97 Prozent der Teilnehmenden dringend etwas ändern, 91 Prozent sagten das über die hohen Energiepreise, ebenso viele über die Arbeitskosten, immerhin 82 Prozent über die Produktivität hierzulande.

Das ist vor allem im Vergleich mit den Vereinigten Staaten schmerzhaft. Denn dort konkurrieren Kommunen und Bundesstaaten darum, wer Investoren beim Bau einer neuen Fabrik die schnellsten Genehmigungsverfahren bieten kann, berichtet Paul Linnarz von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Lohnstückkosten liegen in den USA 26 Prozent unter dem deutschen Niveau. Die Produktivität ist 37 Prozent höher. Zudem kostet die Megawattstunde Strom laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in den USA zwischen 44 und 49 Euro. In Deutschland ist sie mehr als doppelt so teuer.

Fachkräfte sind in den USA genauso schwer zu finden

Keinen Unterschied gibt es dagegen bei der Verfügbarkeit von Fachkräften. Die sind in den Vereinigten Staaten genauso schlecht zu finden wie hierzulande. Neun von zehn der von der AHK befragten deutschen Unternehmen benannten den Fachkräftemangel daher als größten Standortnachteil der Vereinigten Staaten.

Auch bei der politischen Stabilität machen deutsche Maschinenbauer keinen Unterschied zwischen ihrem Heimatmarkt und den USA. Zwar stehen dort im November 2024 Präsidentschaftswahlen an. Donald Trump hat Chancen, diese zu gewinnen. In seiner ersten Amtszeit ignorierte der demokratiefeindliche Rechtspopulist nicht nur den Willen der US-amerikanischen Wähler.

Er zettelte auch einen Handelsstreit mit der EU an und verhängte Strafzölle auf Produkte, die nicht in den USA gefertigten Stahl enthielten. Beobachter sind sich einig, dass seine national-protektionistische Politik in einer zweiten Amtszeit noch schädlicher für die Weltwirtschaft wird.

Das erschreckt deutsche Maschinenbauer aber offensichtlich nicht. Immerhin halten 62 Prozent von ihnen die Qualität der Regierungsarbeit in Berlin inzwischen für so schlecht, dass sie dringenden beziehungsweise sehr dringenden Verbesserungsbedarf sehen, so das Ergebnis der VDMA-Umfrage vom Oktober 2023.

Hierzulande stehen indes keine Wahlen an. Wie sie in den USA ausgehen, lässt sich heute noch nicht absehen. Es bleibt abzuwarten, ob dort für deutsche Maschinenbauer auch künftig ein günstiger Wind weht.

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