Als der Inflation Reduction Act beschlossen wurde, gab es viel Kritik. Doch die deutsche Industrie könnte von dem neuen US-Gesetz profitieren.

Als der Inflation Reduction Act beschlossen wurde, gab es viel Kritik. Doch die deutsche Industrie könnte von dem neuen US-Gesetz profitieren. (Bild: Andrii - stock.adobe.com)

Update, 3. März: Bundeskanzler Olaf Scholz ist heute für ein Gespräch mit US-Präsident Joe Biden in Washington. Ein Thema mit Konfliktpotenzial zwischen den USA und Deutschland ist der Inflation Reduction Act. Denn in Berlin und Europa kommt Bidens "Made in America"-Ansatz nicht so gut an. Die Sorge vor Wettbewerbsnachteilen ist groß. Scholz forderte in einer Regierungserklärung Anfang Februar ein Entgegenkommen der USA und warnte vor einem Subventionswettlauf. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und sein französischer Kollege Bruno Le Maire warben etwa zeitgleich in Washington für eine europafreundliche Anwendung des Gesetzes, kehrten aber ohne konkrete Zusagen zurück. Welche Kritik es gibt und welche Auswirkungen das Gesetz für die deutsche Industrie haben kann, lesen Sie hier:

Der Shitstorm kam spät, dann aber heftig. Nachdem US-Präsident Joe Biden am 16. August 2022 den „Inflation Reduction Act“ (IRA) unterzeichnete hatte, hörte man in Europa erst mal lange nichts von dem neuen Gesetz, mit dem die Regierung der Vereinigten Staaten Erneuerbare Energien und die Elektromobilität mit umgerechnet fast 370 Milliarden Euro fördern will.

Ende November nahm die Diskussion über den IRA in Brüssel, Berlin und Paris dann aber ordentlich Fahrt auf. Der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, warf den USA Protektionismus vor. Der für den Binnenmarkt der Europäischen Union (EU) zuständige Kommissar, Thiery Breton drohte Washington daher mit einer Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO).

Bretons Landsleute in Paris wurden sogar noch deutlicher. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire erklärte, der IRA führe zu nichts weniger als einem „industriellen Absturz“ Europas. Staatspräsident Emanuel Macron forderte daher im französischen Fernsehen, auf den IRA mit einem „Buy European Act“ zu antworten und in Europa ausschließlich europäische Unternehmen zu subventionieren.

Was ist der "Inflation Reduction Act"?

Der "Inflation Reduction Act" (IRA) ist ein Gesetz, das von US-Präsident Joe Biden im August 2022 unterzeichnet wurde. Es soll Erneuerbare Energien und die Elektromobilität in den USA mit fast 370 Milliarden Euro fördern.


Warum wird der IRA kritisiert?

Der IRA wird von Europa kritisiert, weil er "Buy American"-Regeln enthält, die vorschreiben, dass zahlreiche Güter in den USA hergestellt oder beschafft werden müssen.

Inflation Reduction Act: Das fordert der französische Präsident

Bei einem Besuch in Washington Anfang Dezember verlangte Macron zudem, den IRA so abzuändern, dass er europäische Unternehmen nicht mehr diskriminiert. Denn mit dem Gesetz will die Regierung von Joe Biden zwar auch erreichen, dass die Vereinigten Staaten bis 2050 – in der Stromerzeugung sogar schon 15 Jahre früher - klimaneutral werden.

Außerdem will der Präsident der Demokraten mit dem IRA und dem bereits zuvor verabschiedeten „Chips and Science Act“ aber auch jene Staaten im Mittleren Westen, die besonders unter der Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte gelitten haben, zu einem Zentrum für die Produktion grüner Technologien wie Photovoltaik, Elektrofahrzeugen, Wasserstoff, Batteriespeichern oder Windkraftanlagen machen. „Das Gesetz enthält daher protektionistische „Buy American“ Vorschriften, die vorschreiben, zahlreiche Güter in den USA herzustellen oder zu beschaffen“, stellt der Leiter des Themenclusters „Globale und regionale Märkte“ des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Jürgen Matthes fest.

Rohstoffe Produktion
(Bild: sashagrunge - stock.adobe.com)

Rohstoffe: Preise und Infos zu Kupfer und Schrott

Rohstoffe sind in der heutigen globalisierten Welt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Besonders Kupfer und Schrott haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Das liegt auch an den aktuellen Nachhaltigkeitsbemühungen der Industrie.
Kupfer wird unter anderem für die Herstellung von elektrischen Leitungen und Bauteilen verwendet, während Stahlschrott als wichtiger Rohstoff für die Stahlproduktion dient. Erfahren Sie hier alles Wissenswerte über Kupfer und Stahlschrott - zu welchen Preisen sie gehandelt werden, wo sie herkommen und wozu sie benötigt werden.

Steuergutschriften gibt es nur, wenn der Local Content stimmt

So gewährt das Finanzministerium beispielsweise die Gutschrift von bis zu 7.500 Dollar für den Kauf eines Elektroautos nur, wenn dessen Endmontage in den USA erfolgte. Zudem müssen 40 Prozent der in seiner Batterie enthaltenen kritischen Rohstoffe aus den Vereinigten Staaten, Kanada oder Mexiko oder einem Land kommen, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen geschlossen haben. Der Anteil steigt bis 2027 auf 80 Prozent.

Ab 2025 dürfen Akkus zudem keinerlei Rohstoffe aus China oder Russland mehr enthalten. Auch die Komponenten der Batterie müssen zur Hälfte, ab 2029 komplett, in Nordamerika gefertigt worden sein.

Damit Unternehmen in den USA Fertigungskapazitäten aufbauen, mit denen sich diese Ziele erreichen lassen, bekommen sie laut dem IRA eine Steuergutschrift in Höhe von 35 Dollar für jede Kilowattstunde (kWh) Leistung, die von ihnen hergestellte Akkupacks erbringen, sowie von zehn Dollar pro kWh für in den USA produzierte Batteriezellen und –module.

Inflation Reduction Act verletzt internationales Handelsrecht

Automobilkonzerne und Batteriehersteller erwarten, dass sie beim Bau einer Akkufabrik in den Vereinigten Staaten bis zu zehn Milliarden Dollar staatlicher Förderung kassieren können. Tesla hat daher einen bereits gestellten Antrag auf Fördergelder in Höhe von gut einer Milliarde Euro für den Bau eines Batteriewerkes im brandenburgischen Grünheide wieder zurückgezogen und will - wie das 'TeslaMag' und das 'Wall Street Journal' berichten - für die Akkuproduktion in Deutschland vorgesehene Ressourcen in seine Gigafactory in Texas verlagern. Auch der schwedische Batteriehersteller Northvolt, an dem Volkswagen, BMW und Volvo beteiligt sind, hat Pläne für den Bau eines Werks in Heide zunächst zurückgestellt, so die Nachrichten Agentur Bloomberg.

Solche Nachrichten schürten die durch den IRA ausgelöste Panik Ende vergangenen Jahres erheblich an. Am 1. Januar ist das Gesetz nun in Kraft getreten. Die USA verletzen damit massiv internationales Handelsrecht. Rund 231 Milliarden Dollar der vorgesehenen Subventionen verstoßen gegen die Regeln der WTO, hat die EU-Kommission berechnet. Dennoch wird der IRA nicht annähernd so verheerende Folgen für die deutsche Wirtschaft haben wie Untergangspropheten vor Weihnachten befürchteten.

Exportierte Fahrzeuge sind künftig „Commercial Vehicles“

Zum einen haben sich die EU und die USA wohl darauf geeinigt, dass aus Europa in die Vereinigten Staaten exportierte Fahrzeuge künftig als „Commercial Vehicles“ gelten, wenn sie geleast und nicht gekauft werden. Ihre Halter kommen damit ebenfalls in den Genuss der Steuergutschriften, berichtet das IW in einer soeben veröffentlichten Untersuchung. Immerhin jedes zweite in den USA abgesetzte deutsche Fahrzeug werde dort geleast, so das IW.

Außerdem sollen die USA bereit sein, eine Rohstoffpartnerschaft mit der EU zu schließen und von dort beschaffte kritische Batterierohstoffe genau so zu behandeln, als hätte ein Unternehmen sie in Nordamerika eingekauft.

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Positive Effekte für den Maschinenbau

Grund zur Panik besteht andererseits auch deshalb nicht, weil die Auswirkungen des IRA auf den Maschinenbau begrenzt sind. „Per Saldo erwarten wir sogar positive Effekte für unsere Branche“, erklärte VDMA-Präsident Karl Haeusgen, auf der Jahrespressekonferenz des Verbandes.

IW-Außenwirtschaftsexperte Jürgen Matthes sieht das ähnlich. „Wenn in den USA Erneuerbare Energien und Elektromobilität nun mit mehr Geld gefördert werden, kommen deutsche Zulieferer grüner Technologien vielleicht nicht immer zum Zug“, erklärt Matthes, „aber der Markt wird dadurch insgesamt größer.“ Deutsche Hersteller von Investitionsgütern würden daher am Ende doch vom IRA profitieren - selbst wenn sie ohne die WTO-widrigen Klauseln des Gesetzes vielleicht noch mehr Aufträge bekämen.

Der US-Markt wird immer wichtiger

Als Beleg für seinen Optimismus verweist Matthes auf den von der Biden-Regierung im März 2021 zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie verabschiedeten „American Rescue Plan“ (ARP). Diesen stattete Washington mit 1,7 Billionen Dollar aus. Die Leistung der US-Wirtschaft fiel durch diese Förderung 2021 um fast sieben Prozent größer aus. Dadurch stieg auch die Nachfrage nach Gütern und Vorprodukten aus Deutschland. Dort erhöhte sich die Wirtschaftsleistung allein durch den ARP um immerhin ein Prozent. Insgesamt legten die deutschen Ausfuhren in die USA in Folge aller dortigen Fördermaßnahmen für die Wirtschaftsmaßnahmen 2022 in den ersten drei Quartalen um mehr als 29 Prozent und damit fast doppelt so schnell zu wie die gesamten Exporte.

Fast zehn Prozent aller deutschen Ausfuhren gehen in die Vereinigten Staaten. Als Absatzmarkt waren sie damit das letzte Mal vor 20 Jahren so bedeutend wie derzeit, stellen Jürgen Matthes und der Chef des IW, Professor Michael Hüther, in einer soeben von dem deutsch-US-amerikanischen Forum Atlantik-Brücke veröffentlichten Untersuchung fest. „Das sind erhebliche positive Spillover“, so Jürgen Matthes.

Firmen werden nicht nur wegen des IRA in den USA investieren

Experten wie die beiden IW-Wissenschaftler bezweifeln zudem, dass Unternehmen nur wegen des IRA ihre Produktion in dem befürchteten Umfang in die USA verlagern werden. Matthes und Hüther raten zur Vorsicht, aus Medienberichten über die Pläne einzelner Unternehmen einen allgemeinen Trend abzuleiten. „Investitionsentscheidungen hängen von sehr vielen Faktoren ab“, erklärt auch VDMA-Präsident Karl Haeusgen.

„Wichtige Argumente lassen es dabei fraglich erscheinen, dass der IRA entscheidend für Verlagerungsentscheidungen ist“, stellen Jürgen Matthes und Michael Hüther in ihrer Untersuchung fest. So könne in Washington schon 2024 wieder ein republikanischer Präsident die Geschäfte führen und die Förderung durch den IRA massiv kürzen.

Da die US-Regierung derzeit kurz vor einer Ausgabensperre steht und zahlreiche republikanische Abgeordnete diese Situation im Kongress nutzen wollen, um Joe Bidens Ruf ein Jahr vor dem nächsten Präsidentschaftswahlkampf zu schädigen, ist zudem nicht klar, ob der IRA überhaupt im angekündigten Umfang umgesetzt werden kann.

Fachkräftemangel und politische Unsicherheit prägen die USA

Auch sonst herrschen für viele Unternehmen in den Vereinigten Staaten keine elysischen Zustände. Sicher ist Energie dort billiger als in Europa. „Anhaltende Infrastrukturdefizite, Fachkräfteengpässe und schlechter Ausbildungsstand dürften für weniger energieintensive Unternehmen aber in der Regel wichtiger sein  als Energiepreisvorteile“, fassen Jürgen Matthes und Michael Hüther in ihrem Aufsatz zusammen. Auch seien aufgrund des leergefegten Arbeitsmarktes die Lohnstückkosten in den Vereinigten Staaten zuletzt deutlich gestiegen und dürften dies weiter tun.

Das sieht auch der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Professor Holger Görg so. Er verweist darauf, dass ausländische Unternehmen in den USA 2021 mit vier Milliarden Dollar nicht einmal mehr ein Viertel so viel in neue Fabriken investierten wie noch sieben Jahre zu vor. „Daran hat auch die massive Reduzierung der Unternehmenssteuer von 35 auf 21 Prozent im Jahr 2017 nichts geändert“, so Görg. Das deute auf strukturelle Probleme hin, die durch finanzielle Anreize, wie sie der IRA vorsieht, nicht gelöst würden.

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Die EU muss ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern

Unter Strukturdefiziten leidet auch die EU und dort insbesondere Deutschland. Daher war die vorweihnachtliche IRA-Panik nicht ganz unbegründet. In Ihr drückte sich aber im Grunde nicht Unmut über die Förderpolitik der USA aus, sondern ein Unwohlsein darüber, dass die EU gegenüber anderen Industriestandorten an Wettbewerbsfähigkeit verliert. „Ein Teil der industriellen Basis in Europa wird durch die Energiekrise in Kombination mit der Art, wie der Inflation Reduction Act funktioniert, bedroht“, erklärte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.

„Auch das regulatorische Umfeld in den USA wird von vielen Unternehmen sehr viel besser eingeschätzt als in Europa“, ergänzt VDMA-Präsident Karl Haeusgen. Deshalb wäre es sinnvoller eine Offensive für größere Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu starten als, reflexartig nach einem Buy-European-Programm zu rufen.

Die Aufgabe sei, dass wir schneller und entschiedener werden müssen bei der Planung für Ausgaben, dem Wettbewerbsrecht und dem Ausbau Erneuerbarer Energien innerhalb Europas, bestätigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, in seiner Rede im Bundestag während der Haushaltsdebatte im Oktober 2022. Das, was bei der Energie- und Wirtschaftspolitik derzeit am hinderlichsten sei, sei der „permanente Rückfall hinter Jahre, in denen wir eigentlich schon mal weiter waren“, erklärte Habeck an die Opposition gerichtet.

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Berlin und Brüssel fördern Erneuerbare Energien so umfangreich wie Washington

Am Geld fehle es jedenfalls nicht. „Wir haben, grob über den Daumen geschätzt, allein in Deutschland 200 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds“, so Habeck. Das sei durchaus mit dem Fördervolumen des IRA vergleichbar. Zusätzlich gibt es auf Ebene der EU den üppig ausgestatteten europäischen Aufbau- und Resilienzfonds (ARF).

„Italien erhält hier rund 190 Milliarden Euro über fünf Jahre, bei einer Wirtschaftsleistung von gut 1,7 Billionen Euro. Relativ zur Wirtschaftsleistung ist das pro Jahr mehr als zehnmal so viel wie in den USA auf etwa zehn Jahre mit dem IRA-Volumen von rund 370 Milliarden US-Dollar, bei einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als 23 Billionen US-Dollar“, fassen die IW-Ökonomen Michael Hüther und Jürgen Matthes in ihrem Aufsatz zusammen. Ein Grund dafür, Washington mit einem Shitstorm zu überziehen, sieht anders aus.

(Bearbeitet von Anja Ringel.)

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