Viele blicken derzeit mit Sorge auf die täglichen Nachrichten über die Rohstofflage. Sind die Rohstoffe wieder teuer geworden? Welche sind überhaupt in ausreichenden Mengen verfügbar? Die Lage - so viel sie schon einmal verraten - verbessert sich nicht. Eher im Gegenteil. Die Rohstoffverfügbarkeit bleibe dauerhaft angespannt, sagte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) auf einer Pressekonferenz. Die VBW hat in einer neuen Studie in Zusammenarbeit mit IW Consult die Rohstoffsituation der bayerischen Wirtschaft untersucht.
Das Ergebnis: 27 von 45 untersuchten Rohstoffen gehören zur Hochrisikogruppe - ihre Verfügbarkeit liegt im kritischen Bereich. Im vergangenen Jahr waren es "nur" 22, 2015 16 Rohstoffe. "Viele Rohstoffe sind weltweit immer stärker umkämpft", erklärte Brossardt. Er betonte: Der industriell geprägte Standort Bayern sei auf die sichere Einfuhr von Rohstoffen zu bezahlbaren Preisen angewiesen. Derzeit seien die Rohstoffpreise zu hoch.
Zwar werden viele Rohstoffe nur in kleinen Mengen benötigt. Engpässe können aber trotzdem dazu führen, dass ganze Produktionsketten lahmgelegt werden, so der Hauptgeschäftsführer weiter.
Bei diesen Rohstoffen ist die Verfügbarkeit kritisch:
Kritische Rohstoffe: Diese 27 Rohstoffe sind in der roten Gruppe
Die Liste ist besonders kritisch, weil 24 der 27 Rohstoffe für Zukunftstechnologien (hier geht es zu unserer Rubrik) gebraucht werden. Dazu zählen zum Beispiel Titan (Rang 20), Nickel (Rang 23), Aluminium (Rang 24), und Kupfer (Rang 27), die sowohl für die Metall- und Elektroindustrie als auch den Fahrzeugbau wichtig sind.
Die auffälligste Änderung im Ranking: In den vergangenen Jahren war Kobalt der Rohstoff mit dem höchsten Versorgungsrisiko. Nun ist Zinn auf Platz 1. Der Rohstoff wird unter anderem im Elektronik- und Optikbereich eingesetzt.
Neu im Ranking ist unter anderem Kupfer. Der Rohstoff spielt vor allem für das Energiesystem eine wichtige Rolle, sagte Karl Lichtblau von IW Consult bei der Vorstellung der Studie. Die Nachfrage nach Kupfer werde bis 2030 um 40 bis 75 Prozent steigen. Bis 2040 sogar um bis zu 165 Prozent.
- Alle wichtigen Informationen zu Zinn gibt es hier: "Rohstoff-Einkauf Zinn - Das sollten Sie wissen"
- Mehr zu Kupfer lesen Sie hier: "Rohstoff Kupfer im Einkauf: Energiewende frisst Reserven".
- Welches Unternehmen das meiste Kupfer produziert, erfahren Sie in diesem Ranking: "Die 10 größten Kupferproduzenten der Welt"
Rohstoffe: Darum ist die Versorgungssicherheit gefährdet
Viele Rohstoffe sind laut Brossardt als kritisch eingestuft, weil sie in nur wenigen Ländern und von einzelnen Förderunternehmen angebaut werden. Zwei Beispiele:
- In China liegen 91 Prozent der Magnesium-, 82 Prozent der Wolfram- und 67 Prozent der Fluoritförderung.
- 86 Prozent der Niob- und 76 Prozent der Tantalförderung sind in Brasilien.
Dazu kommt seit diesem Jahr noch der Krieg in der Ukraine. Bei 18 der 45 im Rohstoff-Risiko-Index ausgewerteten Rohstoffe gehört Russland zu den fünf größten Produzenten der Welt, erklärte Brossardt. Nach Deutschland werden vor allem Selen, Nickel und Palladium aus Russland importiert.
Eine weitere Gefahr: Immer mehr rohstoffproduzierende Staaten verarbeiten ihre Rohstoffe nur noch im eigenen Land weiter. "Diese strategische Industriepolitik schafft einen klaren Wettbewerbsvorteil und soll den Aufbau heimischer Industriezweige gezielt fördern", sagte Brossardt.
Es bestehe die Gefahr, dass aufgrund geopolitischer Konflikte Engpässe entstehen, ganze Produktionsketten reißen können oder Rohstoffe als Druckmittel in Handelskonflikten eingesetzt werden.
Rohstoffknappheit: Das fordert die Wirtschaft von der Politik
Die VBW forderte bei der Vorstellung der Studie, den verlässlichen und bezahlbaren Bezug von Rohstoffen politisch und in der unternehmerischen Planung zu priorisieren. Dafür müssen aus Sicht des Verbandes fünf Dinge beachtet werden:
- Offene Märkte: "Der Zugang zu internationalen Rohstoffmärkten muss erhalten und dringend weiter geöffnet werden", so Brossardt. Exportbeschränkungen müssen verhindert werden.
- Unterstützung bei internationalen Investitionen: Der Bund soll die Unternehmen bei Rohstoff-Partnerschaften unterstützen, forderte der Hauptgeschäftsführer.
- Klare Wettbewerbsregeln: Dadurch sollen die künstliche Verknappung von Rohstoffen und ungerechtfertigte Preiserhöhungen verhindert werden.
- Mehr Recycling und Substitutionsforschung: Durch zukunftsfähige Recyclingkonzepte soll die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verkleinert werden. Für Brossardt ist dabei auch eine intensivere Substitutionsforschung notwendig. Eine besonders wichtige Rolle spiele hier die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft.
- Europäische Rohstoffvorkommen nutzen: "Auch in Deutschland und der EU haben wir Rohstoffquellen, die es unter anderem vom Bund zu erschließen gilt", meinte Brossardt. Oft finden sich natürliche Ressourcen in geschützten Gebieten. Hier brauche es eine weitsichtige Landesplanung und Raumordnung, die Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichrangig berücksichtige.
Die Wirtschaft sei auf eine verlässliche und bezahlbare Einfuhr von Rohstoffen angewiesen, weshalb die Rohstoffpolitik künftig größte Priorität haben müsse, so der VBW. "Rohstoffpolitik ist Wirtschaftspolitik, ist Diplomatie und ist auch Außenpolitik", ergänzte Lichtblau.
Download: Dossier Kritische Rohstoffe
Welche Rohstoffe werden als kritisch eingestuft? Und warum? In unserem Dossier Kritische Rohstoffe erklären wir die aktuelle Versorgungslage, warum sie eng mit der geopolitischen Situation verwoben ist, und stellen mögliche Strategien vor, wie Unternehmen reagieren können.
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Das erwartet Sie:
- Warum die Klima- und Verkehrswende neue Abhängigkeiten schafft
- Welche Schlüsselrolle China bei der Rohstoffversorgung spielt
- Welche Maßnahmen die Politik für die Rohstoffsicherheit plant
- Welche Alternativen es zum Einkauf von Primärrohstoffen gibt
- Gesamtüberblick: Welche kritischen Rohstoffe es gibt, wo sie in welchen Mengen gefördert und wie sie verwendet werden
Versorgungsmangel: Diese 27 Rohstoffe sind in der roten Gruppe
Die 27 Rohstoffe mit dem höchsten Versorgungsrisiko sind: Zinn, Gallium, Tantal, Lithium, Yttrium, Rhodium, Wolfram, Kobalt, Germanium, Neodym, Palladium, Magnesium, Indium, Niob, Platin, Mangan, Scandium, Graphit, Fluorit, Titan, Molybdän, Selen, Nickel, Aluminium, Phosphate, Silber und Kupfer.