Roboterarme, die in einer Autoproduktionsanlage arbeiten

Nur wenn sie Informationen teilen, können Automobilindustrie und Maschinenbau die Kreislaufwirtschaft aufbauen. (Bild: jeson - stock.adobe.com)

Noch deutlicher hätte sich der Publikumsmagnet der Internationalen Automobilmesse im September 2021 kaum von den Bolliden und SUVs unterscheiden können, vor denen sich auf den Branchenshows in München, Detroit und Shanghai sonst die Besucher drängeln. Statt in glänzendem Lack und üppig mit Chromleisten verziert, kam der „iVision Circular“ von BMW in einer Karosserie aus eloxiertem Stahl daher. Ihr Logo hatten die Münchner Autobauer nicht aufgeklebt, sondern in das aus Recycling gewonnene Metall gelasert. Verkleidungen im Innenraum hatten sie aus Kunststoffrezyklaten hergestellt. Auch die Festkörperbatterie des Kleinwagens bestand fast vollständig aus wiedergewonnenen Rohstoffen.

Mit dem „iVision Circular“ wollte BMW zeigen, dass und wie sich Autos zu 100 Prozent aus Sekundärmaterialien herstellen lassen. Wo Materialien bei dem Modell aufeinander trafen, hatten die Münchner sie daher mit Steckern und Schrauben statt mit Schweißnähten verbunden. So lassen sich die Materialien leicht wieder voneinander trennen und wiederaufbereiten oder anderweitig weiterverwenden. Da dies bei Touchscreens fast unmöglich ist, verzichtete BMW in der Armaturentafel auf Bildschirme. Informationen bekommen Fahrer stattdessen in die Windschutzscheibe eingeblendet.

Mit dem „iVision Circular“ zeigten die Münchner auch, dass die Automobilindustrie ihre Kohlendioxidemissionen allein durch den Umstieg auf Elektrofahrzeuge nicht ausreichend wird senken können. Vielmehr muss die Branche dazu auch einen höheren Anteil der von ihr verarbeiteten Materialien, Rohstoffe und Ressourcen am Lebensende eines Fahrzeugs zurückgewinnen und wiederverwenden. „Die BMW Group will daher die Sekundärmaterialquote sukzessive auf 50 Prozent erhöhen“, erklärt Nadine Philipp, Leiterin der Abteilung „Nachhaltigkeit in der Lieferkette“ bei dem Münchner Autobauer. Bislang bestehen dessen Autos im Schnitt bis zu 30 Prozent aus Sekundärmaterial.  

BMW iVision Circular
Mit dem „iVision Circular“ will BMW zeigen, dass und wie sich Autos zu 100 Prozent aus Sekundärmaterialien herstellen lassen. (Bild: BMW Group)

Kreislaufwirtschaft: Auch Mercedes, VW und Renault handeln

Welchen Beitrag die Kreislaufwirtschaft leisten kann, um CO2-Emissionen zu sparen, haben in der Automobilindustrie auch andere Unternehmen verstanden. Mercedes Benz etwa entwickelt mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung sowie weiteren Partnern eine Fabrik für die Demontage von Fahrzeugen. Da Kreislaufwirtschaft im Kleinen beginnt, sammelt der Autobauer in seinem Hamburger Werk zudem Kunststoff-Schutzelemente für Abgaskrümmer und führt sie deren Hersteller Pöppelmann Kapsto für die Wiederverwertung zu, statt sie zu entsorgen.

Volkswagen zerreibt in einer Pilotanlage in Salzgitter alte Fahrzeugbatterien zu Granulat und gewinnt dadurch Lithium, Kupfer und Aluminium zurück.

Renault wiederum stellt seine Fahrzeuge bereits zu 36 Prozent aus Sekundärmaterial her. Da es dabei nicht bleiben soll, hat der Konzern in Frankreich 330 Abgabestellen eingerichtet, die Autos an deren Lebensende zurücknehmen. Sein ältestes Werk in Flins, 40 Kilometer westlich von Paris, baut Renault zugleich zur „Re-Factory“ um. Mehr als 3.000 Mitarbeitende sollen dort ab 2024 Altfahrzeuge zerlegen und Getriebe, Turbolader, Einspritzpumpen oder Motorteile wiederaufbereiten.

So spart der französische Konzern eigenen Angaben zufolge 80 Prozent der Energie, 88 Prozent des Wassers und 92 Prozent der Chemikalien, die er für die Herstellung von neuen Teilen benötigen würde.  

Einblicke in die Re-Factory von Renault

Für den Maschinenbau entsteht ein zusätzlicher Markt

Insgesamt kann die Automobilindustrie bis 2050 bis zu 60 Prozent ihrer aktuellen Treibhausgasemissionen allein dadurch einsparen, dass sie Stoffkreisläufe schließt und Materialien sowie Rohstoffe wiederverwertet, rechnet die Unternehmensberatung Ernst & Young vor. Schon bis 2040 ließe sich durch das Recycling von Stahl der aktuelle Kohlendioxidausstoß um bis zu 60 Prozent senken.

Wenn sich die Automobilindustrie diese Potenziale erschließt, ist das auch für deren Zulieferer aus dem Maschinenbau eine gute Nachricht. Denn für sie entsteht ein zusätzlicher Markt. „Um die kreislaufwirtschaftlichen Ziele zu erreichen, schauen wir natürlich auch auf unsere eigene Produktion. Wir brauchen beispielsweise Lösungen, um Produktionsschrotte sortenrein zu trennen und die innerbetriebliche Logistik, um das Material wieder in den Kreislauf zu bringen“, veranschaulicht Nadine Philipp von der BMW Group die Chancen für Maschinen- und Anlagenbauer.

Derartige Anforderungen lassen sich beispielsweise mit Robotiksystemen erfüllen, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz Abfälle trennen und sortieren. Solche Lösungen sind auch bei der Demontage von Fahrzeugen gefragt.

Da Kunststoffe bereits heute größtenteils wiederverwertet werden, steigt derzeit zudem die Nachfrage nach digitalunterstützten Spritzgussmaschinen, die Rezyklate verarbeiten können, weiß Frederike Krebs, Referentin für Umwelt und Nachhaltigkeit im Brüsseler Büro des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Entsprechende Maschinen müssen mit einer smarteren Sensorik und OT ausgestattet sein, um mit den schwankenden Produkteigenschaften und –qualitäten von aus dem Recycling gewonnenem Kunststoffgranulat klarzukommen“, ergänzt Krebs.   

Podcast: Katja Windt über die Transformation in der Stahlbranche

Beide Seite müssen Informationen teilen

Daneben wächst der Markt für das Recycling von Fahrzeugbatterien bis 2040 jährlich um über 30 Prozent auf dann rund 1.500 Kilotonnen pro Jahr ergab eine Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des VDMA. „Um derartige Mengen bewältigen zu können, müssen die Recyclingkapazitäten, die heute in Europa noch im niedrigen zweistelligen Kilotonnen-Bereich pro Jahr liegen, deutlich ausgebaut werden. Dafür wird Anlagentechnik benötigt“, erklärt Dr. Christopher Neef vom Fraunhofer ISI. Insgesamt erwartet er, dass Automobilkonzerne sowie Entsorgungsunternehmen bis 2040 rund 6,6 Milliarden Euro investieren werden, um die benötigten Kapazitäten aufzubauen.

Um die erforderlichen Anlagen entwickeln und anbieten zu können, müssen Maschinenbauer allerdings wissen, wie viel Lithium, Kobalt und Kupfer Akkus enthalten und wie genau die Rohstoffe verarbeitet wurden. „Diese Informationen fehlen allerdings häufig – auch, weil ein Großteil der Batterien in Asien hergestellt wird und dortige Hersteller oft keine Angaben zum Rohstoffgehalt ihrer Produkte machen“, weiß VDMA-Umwelt- und Nachhaltigkeitsreferentin Frederike Krebs.

Sie weist damit auf eine Herausforderung hin, die exemplarisch zeigt, worauf es ankommt, wenn Maschinenbauer und ihre Kunden aus der Automobilindustrie in der Kreislaufwirtschaft künftig effizient zusammenarbeiten sollen: Beide Seiten müssen Informationen teilen, um die größtmöglichen Ressourcen- und Energieeinsparungen zu erzielen.  

Kritische Rohstoffe: Der große Überblick

Salzsee Salar de Uyuni -
Salar de Uyuni (Bild: Gerd Mischler)

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Das ist bislang nicht ausreichend der Fall. Wie eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte ergab, bezieht in der Automobilindustrie nur jeder zweite Konzern und Tier-1-Zulieferer seine Lieferanten in Initiativen zur Steigerung der Nachhaltigkeit seiner Prozesse mit ein. „Im Maschinenbau steht die Vielzahl der kleinen und kleinen mittelständischen Betriebe daher vor der Frage, wie sie an die Informationen kommen sollen, die sie brauchen, um sagen zu können, wie genau sie mit Innovationen und Verbesserungen ihrer Produkte einen möglichst großen Beitrag zum Aufbau der Kreislaufwirtschaft leisten können“, bemängelt auch VDMA-Nachhaltigkeitsfachfrau Frederike Krebs.

„Ein Maschinenbauer muss beispielsweise mit dem Materiallieferanten seines Kunden sprechen, damit er weiß, welche Anforderungen seine Maschine erfüllen muss“, veranschaulicht VDMA –Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann das Problem.

Manche Autobauer haben das verstanden. „Wenn wir Fahrzeuge künftig mehr und mehr aus Sekundärmaterial herstellen wollen, müssen sich nicht nur unsere Entwicklungsingenieure überlegen, wie sich Autos wieder zerlegen lassen und wie Materialien beschaffen sein müssen, damit sie eines Tages recycelt werden können“, erklärt Nadine Philipp von der BMW Group. „Wir müssen auch genau überlegen, welche Anforderungen wir an unsere Lieferanten stellen und lösungsorientierte Gespräche mit ihnen führen, um gewährleisten zu können, dass das, was wir brauchen auch am Markt verfügbar ist.“

Digitaler Produktpass: Das steckt dahinter

Ein anderer Weg, um Maschinenbauern und ihren Kunden mehr Transparenz zu verschaffen, könnte ein digitaler Produktpass (DPP) sein. Diesen will die EU-Kommission einführen. Auch die Bundesregierung hat ihn in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Er dokumentiert, wie sich ein Produkt reparieren und demontieren lässt ebenso, wie die Materialien und Rohstoffe, die es enthält und wo diese herkommen. „Wenn es gelingt, den DPP so zu gestalten, dass er kein weiteres Bürokratiemonster wird, das Aufwand und Kosten bereitet, sondern ein für mittelständische Betriebe handhabbares Instrument mit geringem Datenmanagement, kann er nicht nur die Kreislaufwirtschaft voranbringen, sondern für Maschinenbauer einen echten Mehrwert schaffen, indem er mithilft, neue digitale Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu entwickeln“, erwartet VDMA-Chef Thilo Brodtmann.

„Vor allem ein DPP, der über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes fortgeführt und laufend aktualisiert wird, böte gewaltige Chancen“, ergänzt die Nachhaltigkeits- und Umweltreferentin des Verbands, Frederike Krebs. Denn er schüfe Transparenz über den Verbleib von Maschinen und mache deren Wartungs- und Instandhaltungshistorie nachvollziehbar. Die Rückverfolgbarkeit ihrer Maschinen sei für viele Betriebe wichtig, da sie gerne ein Refurbishment anbieten oder selbst 20 oder 30 Jahre alte Geräte zurücknehmen würden. „Diese enthalten immer Rohstoffe und oft auch wertvolle, noch funktionierende Komponenten“, erklärt Krebs. Diese im Kreislauf zu halten, ist für Maschinenbauer ebenso interessant wie für Autobauer wie BMW oder Renault.

(Bearbeitet von Anja Ringel.)

Deutscher Maschinenbau-Gipfel 2022
(Bild: mi-connect)

Deutscher Maschinenbau-Gipfel

Der Maschinenbau-Gipfel 2023 ist vorbei - hier können Sie die Highlights Revue passieren lassen:

 

Die Veranstalter des Maschinenbau-Gipfels, VDMA und PRODUKTION freuen sich, wenn Sie auch 2025 in Berlin dabei sind!

 

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