Wasserstoff gilt schon fast als Allheilmittel, um die Industrieproduktion CO2-neutral gestalten zu können. Im Fokus liegt dabei die Defossilierung der Stahlindustrie, die gemeinhin als Klimakiller Nummer 1 gilt. Natürlich kann grüner Wasserstoff auch hierzulande hergestellt werden, doch die Menge wird nicht ausreichen, die deutsche (Stahl-) Industrie mit H2 zu versorgen, wie es die Salzgitter AG vorhat (wir berichteten). Da fällt der Blick schnell auf Regionen, in denen Wasserstoff in größeren Mengen klimaneutral hergestellt werden kann - beispielsweise in Tunesien.
Damit kommt die Frage auf, welche Technologien es gibt, um den Wasserstoff nach Deutschland - zum Beispiel zum Stahlwerk Salzgitter - zu transportieren. "Dazu haben wir ein Modell aufgebaut, womit wir verschiedene Szenarien techno-ökonomisch gegeneinander bewerten können", sagt Christoph Imdahl, Gruppenleiter Wasserstoffsysteme und -technologien beim Fraunhofer IST.
Vergleich lokale Produktion von H2 vs. Importkette
Der Vergleich starte laut Imdahl immer am Anfang mit dem Standort der Elektrolyse. Das sei im lokalen Fall Salzgitter relativ einfach, da diese in Salzgitter stehe. Bei dem Import-Szenario sei das viel komplexer. "Das heißt, die Elektrolyse steht optimalerweise da, wo man eben gut erneuerbare Energien erzeugen kann oder zu einem möglichst günstigen Preis. Bei der Importkette aus Tunesien arbeiten wir mit einer 1,5 Gigawatt Elektrolyse, um die entsprechenden Mengen aufzubringen, mit einer Versorgung von 30 Euro die Megawattstunde Strom. Dagegen steht das Szenario in Niedersachsen mit einer Versorgung von 55 Euro die Megawattstunde Strom", rechnet Imdahl vor.
Wasserstoff per Schifftransport von Tunesien
Von Tunesien komme der Wasserstoff am besten per Schiff nach Deutschland. Die optimale Weise, um den besten Preis pro Kilogramm zu erreichen, wäre laut Imdahl mit flüssigem Wasserstoff. "Allerdings, wenn wir auf die vorhandene Technologie blicken, dann sehen wir, dass es bei den verfügbaren Schifftransporten nur ein Schiff für flüssigen Wasserstofftransport gibt", schränkt Imdahl ein. Dieses pendele zwischen Australien und Japan und verfüge über eine Tankkapazität von 1.250 Kubikmetern. "Für einen Gigawatt-Import müsste man größenordnungsmäßig 125.000 Kubikmeter transportieren. Demnach liegt da der Faktor 100 dazwischen", gibt Imdahl zu Bedenken.
Wasserstoff im Importland umwandeln
Dieses Szenario widerspreche dem Plan der Salzgitter AG, ihren Bedarf an Wasserstoff bis 2030 decken zu wollen. Dazu erläutert Imdahl: "Wir müssen an der Stelle Wasserstoff im Importland umwandeln. Dafür stehen Methan, Methanol und Ammoniak zur Verfügung, um diese Stoffe mit dem Schiff nach Deutschland zu transportieren." Mit einem LNG-Schiff habe man die entsprechenden Kapazitäten, um 173.000 Kubikmeter Wasserstoff zu transportieren. Die Fracht könne schließlich an der Küste, beispielsweise in Wilhelmshaven, anlanden.
"In diesem Szenario haben wir das so durchdacht, den jeweiligen Stoff an der Küste direkt wieder in Wasserstoff umzuwandeln. Dabei gehen wir von einer Wasserstoffpipeline von Wilhelmshaven nach Salzgitter aus", prognostiziert Imdahl.
Durch Umwandlungsprozess entsteht CO2 oder Kohlenstoff
Allerdings sei die Besonderheit zu beachten, dass insbesondere bei dem Umwandlungsprozess von Methan und Methanol CO2 oder Kohlenstoff entstehe. "Wir suchen aber nach grünen Lösungen und müssen noch ein Zusatzkonzept berücksichtigen, was bedeutet, dass es auf ein Kreislaufkonzept hinausläuft", berichtet Imdahl.
Die lokale Erzeugung von Wasserstoff wird wettbewerbsfähig sein im Vergleich zu den ersten Importen, die man realisieren kann.
Somit müsse laut Imdahl das Methan in Deutschland aufgespalten werden und der anfallende Kohlenstoff müsse ebenfalls per Schiff in das Exportland geschickt werden. Dort könne man den Kohlenstoff nutzen, um Wasserstoff wieder zu synthetischem Methan zu verbinden. "Man fährt das sozusagen im Kreislauf, auch wenn es kein hundertprozentig geschlossener Kreislauf ist. Aber es funktioniert, bis zu 95 Prozent des Kohlenstoffs einzufangen, der pro Rundgang emittiert wird", erläutert Imdahl.
Lokal produzierter Wasserstoff ist wettbewerbsfähig
Imdahl rekapituliert, dass "die lokale Erzeugung wettbewerbsfähig sein wird im Vergleich zu den ersten Importen, die man realisieren kann. Das ist ein gutes Zeichen für den eigenen Markthochlauf. Demnach müssen die deutschen Industrieunternehmen nicht die Sorge haben, dass sie schnell vom Markt verschwinden, wenn sie gewisse Kapazitäten aufgebaut haben und später die Importe realisiert werden."
Sondern es werde erst in einer späteren Phase, wenn nämlich der Transport des Liquid H2 realisiert sei, zu dem Punkt kommen, wo diese Importe deutlich günstiger würden.
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Importe von Wasserstoff bleiben notwendig
"Die andere Erkenntnis ist aber auch, dass große Projekte wie beispielsweise das Salcos-Projekt der Salzgitter AG, alleine mit lokaler Erzeugung von Wasserstoff nicht zu schaffen sind. Zumindest nicht, um flächendeckend in Deutschland solche Projekte abzudecken. Deshalb sind die Importe von H2 wichtig", ist sich Imdahl sicher.
Diese seien laut Imdahl teurer als die lokale Erzeugung, weil verschiedene Kostenbestandteile noch dazukämen. "Denn neben der reinen Erzeugung, also der Elektrolyse, gibt es noch extreme Kostentreiber, nämlich die Umwandlung. Also einmal in Methan umwandeln und dann wieder an der Küste zurück umwandeln in Wasserstoff", so Imdahl.
Hinzu kämen noch die Kostenbestandteile, um die Anlagen für die erste Umwandlung aufzubauen. Zusätzlich auch noch die Kosten für das CO2-Kreislauf-Konstrukt sowie für den Schifftransport und für die Anlagen der Rückumwandlung wieder am Hafen.
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Ammoniak als vermeintlich günstigste Lösung
Auf den ersten Blick sei Ammoniak laut Imdahl dafür die günstigste Lösung. "Doch ganz so einfach ist es nicht, denn es spielt auch eine Rolle, wie weit fortgeschritten beziehungsweise wie skalierbar die unterschiedlichen Technologien sind. Denn wenn wir jetzt Methan und Ammoniak vergleichen, dann sieht man, dass Methan heute schon auf einem sehr hohen skalierten Pfad ist", betont Imdahl.
Das bedeute, das man diese Kette schon vollständig umsetzen könne und nur der CO2-Rücklaufpfad sei sehr kritisch für eine CO2-neutrale Lösung oder zumindest für eine grüne Lösung, weil er noch nicht gut erforscht sei. "Und bei Ammoniak sind es insbesondere diese Umwandlungsprozesse und Rückumwandlungsprozesse, die aktuell noch nicht in der Skaliertheit vorliegen. Demnach gibt es da auch noch Unsicherheiten beziehungsweise muss dies auch erstmal technologisch so gelöst werden, um diese Importe überhaupt realisieren zu können", sagt Imdahl.
Aktuelle Situation
Die Salzgitter AG ist mit dem Salcos-Projekt bereits auf dem Weg, die Stahlproduktion weitestgehend zu dekarbonisieren. "Um das zu schaffen, kann man heute auch schon anfangen mit regionalen Wasserstoffversorgungen, wird aber die benötigten Mengen nicht herstellen können. Dafür ist der Stahlhersteller im Vorteil, dass eben auch Salzgitter mit einer Pipeline an die Küsten angebunden werden kann", resümiert Imdahl.
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Infos zum Thema Wasserstoff-Transport:
- Wasserstoff kann auf verschiedene Weise transportiert werden:
- In verflüssigter Form
- Als gasförmiger Druckspeicher
- Als gasförmiger Flüssigspeicher
- In festen Speichermedien
- Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden für den Transport von Wasserstoff sind:
- Verflüssigter Wasserstoff:
- Vorteil: Hohe Energiedichte
- Nachteil: Hohe Kosten, hohe Transporttemperaturen, hohe Transportdrücke
- Gasförmiger Druckspeicher:
- Vorteil: Relativ niedrige Kosten, relativ niedrige Transporttemperaturen, relativ niedrige Transportdrücke
- Nachteil: Niedrige Energiedichte
- Gasförmiger Flüssigspeicher:
- Vorteil: Mittlere Energiedichte, relativ niedrige Kosten, relativ niedrige Transporttemperaturen, relativ niedrige Transportdrücke
- Nachteil: Keine Standardtechnologie
- Feste Speichermedien (zum Beispiel als Ammoniak):
- Vorteil: Hohe Energiedichte, hohe Sicherheit, relativ niedrige Transportkosten
- Nachteil: Keine Standardtechnologie, relativ hohe Transporttemperaturen
- Verflüssigter Wasserstoff:
Der Autor Dietmar Poll ist Redakteur bei mi-connect und fokussiert sich auf Themen rund um die klimaneutrale Industrie. Nach einem Geographiestudium (ja, er wollte die Welt retten) und mehrjähriger Arbeit als wissenschaftlicher Angestellter wechselte er in den Fachjournalismus, arbeitete in verschiedenen Verlagen und betreute dort unterschiedlichste Ressorts. Spannend findet er, bei der Recherche die Geschichte hinter der Geschichte zu entdecken. Privat erwischt man in häufig auf seinem Mountainbike durch die Berge rumpeln.