
Programm und Bewegung werden in Echtzeit zueinander abgeglichen, damit selbst komplexe Prozesse – wie das Fügen biegeschlaffer Teile – gelingen. (Bild: Kuka)
Elektrofahrzeugen gehört die Zukunft. Schätzungen zufolge sind schon heute weltweit mehr als 27 Millionen Plug-in-Hybride und Elektroautos unterwegs. Und es werden mehr. Liebherr-Verzahntechnik hat nun gemeinsam mit Kuka und Kostal Kontakt Systeme ein innovatives Verfahren für das Herzstück des E-Autos entwickelt: die Hochvoltbatterie. Die Montage solcher Batteriemodule kann heikel oder sogar gefährlich sein. Deshalb übernehmen in der neuen Anwendung zwei Kuka-Roboter diese Aufgabe.
Von der Zelle zum Modul und Pack: Herausforderungen in der Batterieproduktion
Die Hochvoltbatterie enthält eine enorme Menge Energie und ist entscheidend für die Reichweite und Ladezeit des Fahrzeugs. Sie besteht aus mehreren Modulen, die elektrisch miteinander kontaktiert und zu einem Batteriepack verbunden werden. Nach der elektrischen Kontaktierung erreichen diese Batteriesysteme Ausgangsspannungen zwischen 400 und 800 Volt Gleichspannung. Häufig werden für Batteriesysteme Stromschienen verwendet, sogenannte Busbars. Diese stellen jedoch aufgrund der freiliegenden Kontaktflächen ein hohes Sicherheitsrisiko für Mitarbeitende dar.
Eine Alternative bietet der Einsatz von steckbaren Modulverbindern. Solche Komponenten sind die Basis für die neue Roboter-Applikation, bei der steckbare Modulverbinder mit flexiblen Leitungen automatisiert verbunden werden. Kostal lieferte für die Applikation isolierte Modulverbinder, die den unbeabsichtigten Kontakt mit stromführenden Teilen verhindern. Sie können trotz ihrer hohen Elastizität automatisiert gesteckt werden – in der benötigten Flexibilität und geforderten Taktzeit.
Hohlwellenroboter und spezielle Software

Für den Steckvorgang selbst sind pro Zelle zwei Roboter vom Typ KR Cybertech Nano ARC HW zuständig. Diese Hohlwellenroboter kommen sonst vor allem beim Schutzgasschweißen zum Einsatz. Ihre kompakte Bauweise und große Reichweite sowie die Möglichkeit der Kabelführung durch die Handachse machten sie jedoch auch zum Mittel der Wahl für diese Applikation. Ergänzend wählte das Liebherr-Team das Softwarepaket Kuka.Roboteam aus, mit dem zwei oder mehrere Roboter synchronisiert werden. Dabei werden Programm und Bewegung in Echtzeit zueinander abgeglichen, damit komplexe Prozesse – wie das Fügen biegeschlaffer Teile – gelingen.
Warum braucht die Automobilindustrie neue Modul-Steckverbinder?

Die meisten Prozessschritte der Batterieproduktion laufen heute automatisiert ab, um den Anforderungen an beispielsweise Taktzeiten, Stückzahlen, Qualität und Produktionskosten gerecht zu werden. Auch der Fachkräftemangel spielt eine Rolle: Es finden sich immer weniger Arbeitskräfte für monotone, körperlich belastende und gleichzeitig anspruchsvolle Aufgaben. Die Firma Kostal Kontakt Systeme entwickelte deshalb einen sowohl für das händische Stecken als auch für die Automatisierung geeigneten Steckverbinder.
Martin Wolter, Gruppenleiter Entwicklung bei Kostal, berichtet: „Sicherheit spielt hier eine sehr große Rolle – da es sich um Hochvolt-Kontakte handelt, müssen diese berührgeschützt sein. Das ist vergleichbar mit einer Steckdose, auch hier sind die elektrischen Kontakte vor versehentlicher Berührung mit den Fingern geschützt. Der Unterschied besteht darin, dass die Steckverbindung im Fahrzeug einer Vibrationsbelastung und sowohl hohen als auch niedrigen Temperaturen ausgesetzt ist.“

Anschließend suchte Kostal einen Automatisierungsspezialisten, um das neue Produkt serientauglich zu machen. Die Wahl fiel auf Liebherr-Verzahntechnik. Die Firma aus Kempten versorgt seit 1969 zahlreiche Automobilhersteller und -zulieferer, aber auch Unternehmen aus den Bereichen Anlagenbau, Aerospace und Baumaschinen. Viktor Bayrhof, Produktmanager für Automationssysteme bei Liebherr berichtet: „Es war eine Win-Win-Situation. Wir als relativ neuer Player im Geschäftsfeld Batteriemontage haben einen Unique Selling Point gefunden und die Firma Kostal jemanden, der ihr Produkt automatisiert.“
Liebherr kooperiert seit mehr als zehn Jahren eng mit Kuka. Gemeinsam machten die drei Unternehmen sich ans Werk. Nach eineinhalb Jahren stellten sie die neu entwickelte Roboterzelle auf der Battery Show in Stuttgart aus.
Wie Roboter biegeschlaffe Leitungen stecken
Dort zogen sie viel Aufmerksamkeit auf sich. Denn die steckbaren Modulverbinder mit flexiblen Leitungen lassen sich im Gegensatz zu Schraubverbindungen mit Busbars nicht nur einfacher montieren: Der Stecker und das Gegenstück gleichen im Fahrzeugbetrieb auch Vibrationen aus, sodass es seltener zu einem verschleißbedingten Verlust des elektrischen Kontakts kommt. Ihr Aufbau hat auch bei einem späteren Tausch der Batteriemodule Vorteile, zum Beispiel für Second-Life-Anwendungen oder das Recycling der Module im Batteriepack.
Der einzige Haken: Sie sind biegeschlaff und verformen sich dadurch bereits bei geringen Kraft- und Momentbeanspruchungen. Die Automatisierung des Handlings von biegeschlaffen Teilen ist bis heute eine große Herausforderung in der Automatisierung: So sind beispielsweise elastische Leitungen, die sich in beliebige Richtungen verwinden können, für Roboter schwer zu greifen. Basierend auf dem verwendeten Roboter-Modell hat Liebherr einen Spezialgreifer entwickelt, der die Leitungen aus einem Blister entnimmt. Da die Leitung innerhalb des Blisters nicht ausreichend genau vorpositioniert ist, hilft eine 2D-Kamera dabei, die genauen Greifpositionen an der Leitung zu ermitteln und den Modulverbinder am Ende der Leitung exakt über dem Stecker-Gegenstück zu positionieren.

Mit Federpaketen zum exakt richtigen Krafteinsatz
Da der Stecker behutsam behandelt werden muss, wurde der Steckprozess für einen reibungslosen Ablauf entkoppelt. Ein Federpaket kontrolliert die Kraft, die auf den Stecker und die Verriegelungssicherung des Steckers (auch Connector Position Assurance oder CPA genannt) übertragen wird. Im Anschluss drückt ein pneumatischer Zylinder den Stecker in das Stecker-Gegenstück. Dieses Federpaket federt ein, bis das Kraftmoment von 70 Newtonmeter erreicht ist und der Endlagensensor ausgelöst wird. Parallel dazu drückt der federnd gelagerte Verriegelungsstift die CPA nach unten. Damit ist die CPA verriegelt, der Stecker prozesssicher gesteckt und der Greifer kann sich wieder nach oben bewegen.
Im Gegensatz zu anderen Automatisierungsexperten löst Liebherr den Steckprozess der biegeschlaffen Leitungen bewusst nicht über Trial-and-Error-Prozesse. Jeder Griff muss sitzen. Der Grund dafür: Die Technologie soll serientauglich sein und muss dafür streng geforderte Taktzeiten einhalten. Für Liebherr hat das hervorragend funktioniert: Anstelle der vorgeschriebenen 17 Sekunden erreichte das System eine Taktzeit von elf Sekunden.

So arbeiten die beiden Kuka-Roboter
Der Robotertyp, den Liebherr für den Automatisierungsprozess nutzt, ist darauf spezialisiert, auf engem Raum mit kleinen Bauteilen zu arbeiten und erreicht auch schwer zugängliche Steckpositionen. Durch den Schutz vor unkontrollierter elektrostatischer Auf- oder Entladung (ESD) eignet er sich für die Handhabung empfindlicher Elektronikbauteile.
Die Roboteam-Software ermöglicht es, die beiden Greifer kooperierend im Master-Slave-Betrieb arbeiten zu lassen, wodurch menschliche Arme imitiert werden. So können die Roboter unterschiedliche Leitungslängen und Steckpositionen handhaben sowie Positionstoleranzen ausgleichen. Die integrierte Bilderkennung hilft dabei, die realen Positionen der Steckplätze zu ermitteln.
Die Lösung lässt sich nicht nur für das elektrische Kontaktieren, sondern auch bei anderen elastischen Bestandteilen in der Batterieproduktion anwenden – beispielsweise bei der Automatisierung des Steckprozesses von Datenkabeln zwischen Battery Management System (BMS) und Cell Management Controller (CMC).
Gewappnet für die Automobilproduktion der Zukunft
Laut Martin Klaus, Global-Business-Development-Manager Electronics bei Kuka, werden viele Unternehmen der Automobilindustrie künftig nur mithilfe der Automatisierung wettbewerbsfähig bleiben. „Durch den Trend der batteriebetriebenen Elektroautos und des zunehmenden technischen Fortschritts in Fahrzeugen wird die Menge und Vielfalt von komplexen Elektronikkomponenten im Auto deutlich erhöht“, betont Klaus, der für den Bereich Automotive-Electronics zuständig ist. Diese Komponenten, unter anderem Inverter, Elektromotor, Displays, Kameras und Steuergeräte, könnten laut Klaus „nur mit einem hohen Automatisierungsgrad in der geforderten Qualität und Menge hergestellt werden. Mit Robotik lässt sich eine Vielzahl der Prozesse realisieren, die in der Elektronikfertigung benötigt werden.“ In diesem Bereich werden ESD-geschützte sowie für Reinraum und Trockenraum zertifizierte Roboter eingesetzt.
Viktor Bayrhof von Liebherr ist ähnlicher Ansicht: „Hochvoltbatteriesysteme sind die teuerste Komponente eines Elektrofahrzeugs“, erklärt Bayrhof. „Um diese Batterien in großen Stückzahlen wirtschaftlich zu produzieren, spielt die Automatisierung eine Schlüsselrolle.“ Die Lösung, die Liebherr, Kostal und Kuka entwickelt haben, soll die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auch in bewegten Zeiten sichern. Die Hersteller haben damit ihre Produktion im Griff – inklusive der biegeschlaffen Teile.
Quelle: Jonas Micheler, Kuka
Bearbeitung: Dagmar Merger (20.8.23)
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