Der neue Prozess: Mit dem neuen Teleskop-Montagegerät läuft die Profilmontage der Teleskoparme nicht nur schneller ab, sondern der Deckenkran ist für andere Prozesse freigeworden.

Der neue Prozess: Mit dem neuen Teleskop-Montagegerät läuft die Profilmontage der Teleskoparme nicht nur schneller ab, sondern der Deckenkran ist für andere Prozesse freigeworden. (Bild: Dietmar Poll)

Schon bei der Ankunft am Liebherr Standort Ehingen wird mir klar, dass hier etwas Besonderes gefertigt wird. Ein viele Meter hoher Kran 'wacht' über das Firmengelände, auf dem Mobil- und Raupenkrane hergestellt werden - als Aushängeschild sozusagen. Da kommt mir gleich die Frage in den Sinn, mit welchen Werkzeugen und Mitteln solche Monster wohl zusammengesetzt werden. Die Antwort auf diese Frage gibt es in den nächsten knapp zwei Stunden, denn Liebherr nimmt zurzeit einen Paradigmenwechsel in der Produktions- und Hallenlogistik vor. Das Beste daran: Die Liebherr-Mitarbeiter zeigen erst noch einmal den alten Montageweg, um dann den neuen Prozess im direkten Vergleich vorzustellen.

Durch diesen neuen Prozess sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, eine perspektivisch geplante Stückzahlerhöhung um bis zu 50 Prozent mehr Krane zu erreichen. Teil des Umstellungsprozesses ist ein Sondergerät von Genkinger für Montage- und Prüfarbeiten beim Zusammenbau von bis zu sieben einzelnen Teleskop-Profilen.

Bis zu 90 Meter lange Ausleger für Mobilkrane

Zusammengesetzt ergeben die maximal 14 Meter langen Teleskop-Schübe bis zu 90 Meter lange Ausleger für Liebherr-Mobilkrane. In dieser Geräteklasse bietet Liebherr Teleskop-Krane mit Tragfähigkeiten von 30 bis 750 Tonnen an, wobei das neue Teleskop-Montagegerät für Krane mit Traglasten von 70 bis 250 Tonnen eingesetzt wird. Die bisherige Auslegermontage erfolgte über Hallenkrane, die als Sonderanfertigung mit Schrägzug-Zulassung multifunktional eingesetzt wurden.

Die speziellen Hallenkrane zogen unter Auf- und Abwärtsbewegungen die einzelnen, bis zu 14 Tonnen schweren Teleskop-Sätze ineinander. Dies beanspruchte die Kranmotoren sehr stark, insbesondere, wenn für das Feinjustieren die Tippfunktionen genutzt wurden, also das kurze Anfahren und schnelle wieder Stoppen der Deckenkranbewegungen.

Bei dem ehemaligen Prozess fädelte der Kranführer ein neues Teleskop-Profil mithilfe des Deckenkrans in ein weiteres Profil ein. Das brauchte viel Feingefühl und vor allem einfach mehr Zeit.
So sah der ehemalige Prozess aus: Der Kranführer fädelte ein neues Teleskop-Profil mithilfe des Deckenkrans in ein weiteres Profil ein. Das brauchte viel Feingefühl und vor allem einfach mehr Zeit. (Bild: Dietmar Poll)

Deckenkran nicht mehr für Montage notwendig

Ausgehend von der Prämisse, dass ein Deckenkran nicht mehr ausschließlich an der Montage beteiligt sein sollte und dass an mehreren Arbeitsplätzen gleichzeitig werden kann, entwickelten Liebherr und Genkinger gemeinsam ein neues Teleskop-Montagegerät: Es wird zur Prüfung und Montage per Hallenkran mit dem Teleskop-Rollenkopf bestückt, welcher durch Greifer des Montagegerätes am Kopfstück fest eingespannt wird.

Das nächstgrößere Teleskop-Profil wird per Hallenkran auf Montageböcken bereitgestellt, so dass der Teleskop-Rollenkopf eingefahren werden kann. Ist dessen Montage erfolgt, hebt das Montagegerät dieses Teleskop-Paket an, fährt weg und das nächstgrößere Teleskop-Profil kann per Kran auf die Montageböcke gelegt werden.

Dabei werden unterschiedliche Prüf- und Einstellarbeiten vorgenommen, wobei die Liebherr-Werker die präzisen Hebe-, Senk-, Verschiebe- und Drehfunktionen des Montagegerätes feinfühlig funkfernsteuern. Anschließend wird das Gesamtpaket mit dem Deckenkran zur nächsten Produktionsstufe – dem Teleskopzylinder – transportiert, während das Teleskop-Montagegerät wieder mit den nächsten Teleskopteilen beladen wird.

Montagegerät mit vier wesentlichen Funktionskomponenten

Das Montagegerät besteht aus vier wesentlichen Funktionskomponenten: einem Hubmast, einem Vorbau mit Verschiebmöglichkeiten, einschließlich Greifern sowie einem beweglichen V-Auflageprisma. „Mit dieser Maschine können wir sehr genau positionieren, was mit dem Vorgänger nicht möglich war“, sagt Ludwig Förder, Leiter der Teleskopausleger-Montage.

Zur Ermittlung der komplizierten Last- und Kraftverteilung bei den Schiebeprozessen wurden Versuche gefahren, da selbst mit Computerberechnungen keine gesicherten Werte zu erzielen waren. Erst durch die Daten der Versuche konnte eine genaue Dimensionierung des Antriebs vorgenommen werden: Vier Tonnen Schubkraft in der Waagerechten, um die Teleskoprohre stramm einzupassen. Das neue Montagegerät hat für Liebherr vier wesentliche Vorteile:

Vorteil 1: Optimierter Handling-Prozess

Der Deckenkran ist nicht mehr dauernd multifunktional im Einsatz und steht somit für die Belieferung der Teleskop-Ausleger für die benachbarten Arbeitsplätze schneller zur Verfügung. Waren beim Deckenkran zuvor noch 21 Auf- und Abhängevorgänge zu erledigen, hat sich diese Zahl auf nunmehr auf lediglich acht je Teleskopsatz reduziert. Vor allem sind die motorstrapazierenden Justiereinsätze mit der Tippfunktion in der Montage komplett weggefallen.

„Der jetzige Prozess ist definierter, effizienter und damit einheitlicher geworden. Schrägzug ist hingegen nie so genau definierbar", erklärt Ludwig Förder. „Mit der neuen Maschine und ihren präzisen Einstellmöglichkeiten können beispielsweise auch Korrekturen leichter vorgenommen werden als zuvor.“

Vorteil 2: Endlackierte Teleskoprohre

Aufgrund eines geänderten Lackierprozesses kommen die Teleskoprohre nun größtenteils schon endlackiert und mit Schonelementen aus Kunststoff in die Ausleger-Montage. Das passt gut, denn das Genkinger-Montagegerät ermöglicht ein genaueres und damit schonenderes Handling. Schrammen oder Beschädigungen sind deshalb so gut wie ausgeschlossen.

Vorteil 3: Komfortablere Ergonomie

Der gesamte Montage-Prozess ist ruhiger, gleichmäßiger und komfortabler geworden. Die Mitarbeiter arbeiten aufrechter und ergonomisch vorteilhafter. Früher musste der Mitarbeiter sich mehr bücken, heute arbeitet er mehr auf gleicher Ebene. So gibt es auch einen langfristig positiven Effekt durch Schonung von Rücken und Gelenken, wodurch Ausfallrisiken minimiert werden.

Vorteil 4: Übersichtlichere Arbeitssituation

Die Arbeitssituation ist dadurch, dass frühere Aufgaben des Deckenkrans nun vom ebenerdigen Montage-Gerät per Funkfernbedienung gesteuert werden, übersichtlicher und damit auch sicherer geworden. Das Arbeiten unter hängender Last konnte deutlich reduziert werden.

Nach knapp einem Jahr mit dem Montage-Gerät zieht Ludwig Förder folgendes Fazit: „Die Qualität ist ausgezeichnet. Wir konnten die Maschine gleich im Januar 2021 voll einsetzen, und nach kleineren Anpassungen läuft sie seither zuverlässig“. Die Mitarbeiter seien von Anfang an sehr zufrieden mit der Neuentwicklung. „Sie ist robust, wartungsarm und einfach zu bedienen.“ Die Inbetriebnahme von drei weiteren Genkinger-Montaggeräten sei nach der erfolgreichen Bewährungsprobe des ersten Gerätes im Praxiseinsatz für das Frühjahr 2023 geplant.

Räderwechsel XXL jetzt ebenfalls vereinfacht

Mann mit einem Flurförderfahrzeug transportiert ein schweres Rad für die Montage an ein Kranfahrzeug
Mit einem sogenannten Rädermanipulator können Räder mit einem Gewicht von 1.000 Kg problemlos montiert werden. (Bild: Dietmar Poll)

Schon das Montieren neuer Räder für den eigenen Pkw kann mühsam sein. Sind die Räder gar 1.000 kg schwer, haben einen Durchmesser von bis zu 1,85 m könnte dies umso mehr gelten. Doch die dortige Rädermontage für bis zu neunachsige Kranfahrzeuge läuft mit einem Rädermanipulator von Genkinger entspannt und sicher ab.

Palettenstapel mit den Rädern für ein Kranfahrzeug werden mit einem Standardstapler vom Lager geholt. Das Genkinger-Fahrzeug klammert die waagerecht liegenden Räder einzeln, schwenkt sie senkrecht in die Montageposition und transportiert sie zum Kran. Für die eigentliche Montage hat der Mitarbeiter die Möglichkeit, die Maschine mittels Funkfernbedienung zu kontrollieren. Der Bediener setzt das Rad genau auf die Radbolzen des Krans.

Dies geschieht feinfühlig mittels Drehgerät, Seitenschub- und Neigungsfunktion. Diese Vorgehensweise hat zwei gravierende Vorzüge: So findet der Bediener den perfekten Sichtwinkel leichter und setzt das Rad mit Hilfe der Funkfernsteuerung aus sicherer Entfernung auf. Gegenüber dem vorherigen Prozess wird Zeit eingespart, Sicherheit hinzugewonnen, Beschädigungen am Kran und Radbolzen werden vermieden und dies für ganz verschiedene Rädergrößen und -gewichte.

 

Rädermanipulator für komfortable Montage

Theoretisch hätte auch ein Deichselgerät von Genkinger die Aufgaben bewältigen können, wie es am Liebherr-Standort in Kirchdorf im Einsatz ist. Doch sind in Ehingen die zurückzulegenden Wege länger, was dann die komfortablere und Zeit sparende Lösung mit der Fahrerkabine nahe legte.

Die Betriebsmittelkonstruktion von Liebherr wirkte bei der Geräte-Entwicklung mit und definierte die Anforderungen: Das Genkinger-Gerät war mit niedriger Bauweise herzustellen, damit es unter der Sternabstützung der Großkrane hindurchfahren konnte. „Das Sondergerät ist exakt an die Umgebungsbedingungen angepasst und kann alle gewünschten Funktionen voll erfüllen“, erklärt Elmar Mößlang, Kundenberater bei Genkinger.

Die Liebherr-Mitarbeiter, die von Genkinger eine Einweisung in den Rädermanipulator erhielten, gewöhnten sich schnell an die komfortable Montage-Methode. Dafür, dass die Umsetzung wirtschaftlich im gesteckten Rahmen blieb, sorgte das modulare System von Genkinger. Es erlaubt, vorhandene Komponenten aus einem Baukasten mit sondergefertigten Teilen, in diesem Fall den Vorbau für die Räderaufnahme, zu kombinieren.

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