Während Ben Haugk im Jahr 2018 noch 35 Stunden in der Woche arbeitete, sind es nun nur noch 25 – das ermöglichen die flexiblen Arbeitszeiten bei Trumpf. "Unser Kind entwickelt sich so rasant, dass ich mehr von ihm mitbekommen möchte", erzählt Ben Haugk, der als Produktmanager im Bereich Additive Fertigung tätig ist. "Zeit ist ein wertvolles Gut. Deshalb möchte ich selbst entscheiden, womit ich sie verbringe." Wenn sein Sohn dann in den Kindergarten geht, möchte er seine Stundenzahl wieder aufstocken.
Bei Trumpf ist diese flexible Anpassung der Arbeitszeit an die Lebensumstände schon seit 2011 möglich. Seit 2019 gilt ein solches Modell für alle Beschäftigten tarifgebundener Unternehmen aus der und Elektro- und Metallindustrie.
Was wurde im Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie bezüglich der Arbeitszeit festgelegt?
Mit dem Tarifabschluss 2018 von IG Metall und Gesamtmetall wurden die tariflichen Arbeitszeiten wesentlich flexibler – seit Januar 2019 gelten die neuen Regelungen. Darin enthalten sind zum einen Möglichkeiten zur Arbeitszeitausweitung und -reduzierung, darunter der Anspruch auf verkürzte Vollzeit. Zum anderen wurde ein tarifliches Zusatzgeld vereinbart, das unter bestimmten Voraussetzungen in acht zusätzliche freie Tage umgewandelt werden kann. Die Umwandlungsmöglichkeit von Geld in Zeit gilt für Beschäftigte, die Kinder erziehen, Verwandte pflegen oder Schicht arbeiten, insofern ein innerbetrieblicher Ausgleich möglich ist.
Wie nehmen Arbeitnehmer die flexiblere Arbeitszeit an?
Erste Umfragen der IG Metall nach dem Tarifabschluss zeigen, dass die höhere Flexibilität bei den Arbeitnehmern gut ankommt: 190000 Beschäftigte der Elektro- und Metallindustrie wollen lieber mehr freie Zeit als Geld. Dabei sind die folgenden Trends zu erkennen: 40000 Antragssteller wollen die neue Regelung nutzen, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben; 10000 Beschäftigte benötigen die Zeit, um Angehörige zu pflegen. Die meisten Anträge auf Umwandlung von Geld in Zeit wurden von 140000 Schichtarbeitern gestellt.
Bei der Jahrespressekonferenz der IG Metall Ende Januar sprach der Vorsitzende Jörg Hofmann sogar von insgesamt 260000 Arbeitnehmern, die Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder Schicht arbeiten, die lieber acht zusätzliche Urlaubstage in Anspruch nehmen anstatt mehr Gehalt. "Wir erleben ein enormes Interesse an den zusätzlichen freien Tagen", so Jörg Hofman. "Das ist ein klares Bekenntnis zur Zeitsouveränität."
Außerdem wurde in den Tarifverträgen für alle Arbeitnehmer der Anspruch festgeschrieben, die wöchentliche Arbeitszeit befristet auf bis zu 28 Stunden reduzieren zu können – mit der Sicherheit, danach wieder voll einsteigen zu können. Von dieser verkürzten Vollzeit wollen nach den bisherigen IG-Metall-Umfrageergebnissen rund 8000 Arbeitnehmer Gebrauch machen.
93 Prozent der eingegangenen Anträge in Bezug auf den neuen Tarif seien laut Jörg Hofmann von den Arbeitgebern genehmigt worden, nur wenige stellten sich quer. Anträge abzulehnen, könnte für die Firmen sogar zum Problem werden, so der IG-Metall-Vorsitzende: "Wer ein attraktiver Arbeitgeber für Fachkräfte sein will, der muss Arbeitszeiten bieten, die zum Leben passen. Wer heute Anträge der Arbeitnehmer auf mehr freie Zeit ablehnt, darf nicht damit rechnen, dass die Kolleginnen und Kollegen morgen zur Sonderschicht erscheinen und Überstunden machen."
Können die Mitarbeiter die Arbeitszeiten jedoch an ihre momentane Situation anpassen, dann kann das sogar auch dazu führen, dass manche die tägliche Arbeitszeit erhöhen. So war es beispielweise bei Trumpf, als das Unternehmen die Wahlarbeitszeit einführte. "Ein Großteil der Mitarbeiter arbeitete nicht weniger, sondern erhöhte die Arbeitszeit", berichtet Trumpf-Personalchef Oliver Maassen. "Das mag auf den ersten Eindruck verwundern, aber wer genug Zeit für die Arbeit hat, findet es eben oft auch attraktiv, mehr zu verdienen." Insgesamt sieht der Personalchef die Flexibilität der Arbeitszeiten als ein Geben und Nehmen: "Zum einen ermöglichen wir unseren Mitarbeitern Arbeitszeiten, die zu ihrem jeweiligen Lebensabschnitt passen. Wir wollen unsere Mitarbeiter halten, wenn sie Kinder erziehen, Verwandte pflegen oder aus anderen Gründen in einer Lebensphase weniger Zeit im Job verbringen können. Das macht uns als Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels attraktiv und stärkt die Mitarbeiterbindung. Zum anderen ermöglichen uns die Arbeitszeitkonten eine größere Flexibilität in Belastungsspitzen."
Wie gehen Arbeitgeber mit dem neuen Arbeitszeit-Modell um?
Viele Arbeitgeber haben diesen Trend beim Thema Arbeitszeit bereits vor dem Tarifabschluss erkannt. "In der Regel haben wir auch bisher schon Lösungen gefunden, wenn Mitarbeiter mit dem Wunsch nach Verkürzung der Arbeitszeit auf uns zukamen", berichtet Mathias Christen, Senior Manager Corporate Communications bei dem Maschinen- und Anlagenbauer Dürr. "Verkürzte Vollzeit ist bei uns also nichts wirklich Neues." Das sei auch der Grund, warum nur 24 von 8200 Mitarbeitern in Deutschland die tariflich vereinbarte verkürzte Vollzeit nutzen.
Video: Die neuen Tarifverträge zur Arbeitszeit erklärt
Beim Hersteller von Schneid-, Einstech- und Entgratwerkzeugen Vargus Deutschland wird die Möglichkeit der zeitlichen Anpassung sogar überhaupt nicht genutzt. „Dies liegt sicher unter anderem an einer guten Sozial- und Informationspolitik, die wir intern betreiben, und an der sehr guten Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern und dem Betriebsrat“, sagt Deutschland-Geschäftsführer Werner Kieninger. Dennoch hat sich der CEO Gedanken gemacht, welche Auswirkungen eine Arbeitszeitverkürzung auf die Produktion haben würde: „In der Produktion hätte eine Verkürzung nur eine minimale Auswirkung, da wir schon seit Jahren eine optimale Produktionsplanungssteuerung (PPS) haben. Darüber hinaus haben wir aufgrund der PPS nicht nur Mehrmaschinenbedienung, sondern können die Produktion auch mannlos laufen lassen.“ Kritischer sähe es im Bereich Logistik und Customer Service aus. Hier stelle die vom Markt geforderte, immer weiter ansteigende Verfügbarkeit eine Herausforderung dar.
Welche Herausforderungen bringt die Flexibilität der Arbeitszeit mit sich?
Auch insgesamt bringen die anpassbaren Arbeitszeiten für die Arbeitgeber einige Herausforderungen mit sich. "Der neue Tarifvertrag erfordert eine bedarfsgerechte und maßgeschneiderte Organisation der Arbeit", sagt Ufuk Altun aus dem Fachbereich Arbeitszeit und Vergütung des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaften (ifaa). "Es entsteht ein erhöhter Aufwand für Führungskräfte, die Organisationsaufgaben, bedingt durch individualisierte Dienstplanung sowie Schichtpläne, erfüllen müssen." Der Aufwand wird besonders dadurch höher, dass Arbeitszeiten und Schichtpläne auf die Beschäftigten mit verkürzter Arbeitszeit zugeschnitten sein müssen. Außerdem müssen Übergaberegelungen geschaffen werden, wenn ein Arbeitnehmer früher als die anderen in den Feierabend geht. Diesen Mehraufwand müssen sich die Unternehmen allerdings auch leisten können. "Für das ein oder andere kleinere tarifgebundene Betriebe dürfte die seit Januar geltende Wahlarbeitszeit zur Belastung werden", meint Oliver Maassen von Trumpf.
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