Herr Dr. Haberland, mehrfach wurde Faulhaber unter die 100 innovativsten Mittelständler Deutschlands gewählt. Was macht die besondere Innovationskraft aus?
Faulhaber ist zum vierten Mal als TOP100-Innovator ausgezeichnet worden - das letzte Mal im Jahr 2020.
Abgesehen von dieser offiziellen Auszeichnung: Was ich hier im Unternehmen besonders wahrnehme, ist die hohe Kreativität unserer Mitarbeitenden. Sie haben einen hervorragenden technischen Background und können dadurch Innovationen schnell vorantreiben.
Mir ist wichtig, dass wir in dem Zusammenhang nicht immer über die großen, millionenschweren Möglichkeiten sprechen, sondern den Blick auch auf Details lenken: Verbesserungen unserer Mitarbeitenden führen in der Produktentwicklung oft dazu, dass eine Funktionalität besser umgesetzt wird oder eine Kundenlösung einen höheren Mehrwert bietet als beim Mitbewerber. Insbesondere diese vielen, technischen Details machen ganz entscheidend die Innovationskraft eines Unternehmens aus.
Ein zweites Thema ist die enge Kundenbeziehung, um ein bestmögliches Verständnis für die individuellen Bedürfnisse unserer Kunden zu haben und sie entsprechend bedienen zu können.
Der dritte Punkt, der für eine Innovationen aus meiner Sicht sehr wichtig ist: Wir geben die Unterstützung und die Förderung durch das gesamte Management und vor allem den Freiraum, den wir brauchen, um innovativ zu sein. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Innovation Challenge, die wir Anfang des Jahres ausgerufen haben. Hier motivieren wir alle Mitarbeitenden, zu einem bestimmten Themenkomplex innovative Vorschläge abzugeben. Das konkrete Thema und ein Zeitkontingent sind vorgegeben. Das Ergebnis wird bis Ende 2022 stehen.
Welche Erkenntnisse aus Ihrer Zeit als Bereichsleiter Forschung & Entwicklung können Sie nun als General Manager umsetzen?
Das Thema Kundenbeziehungen ist auf allen Ebenen wichtig. Im Idealfall sollten wir nicht nur auf Managementebene unsere Ansprechpartner kennen. Auch Techniker können Problemstellungen - oft sogar schon viel frühzeitiger - lösen, wenn sie mit ihresgleichen offen kommunizieren.
Das Wissen, das wir im intensiven Austausch mit unseren Kunden mitbekommen, hilft uns natürlich auch dabei, Wachstumsmärkte frühzeitig zu identifizieren. Es ist eine Stärke von Faulhaber, in vielen Branchen vernetzt zu sein und dadurch Chancen und Trends rechtzeitig zu erkennen. In Corona-Zeiten sind Märkte wie die Luftfahrtindustrie eingebrochen, da niemand mehr flog. Andere Märkte, wie der Medizinbereich, sind stark gewachsen, weil unter anderem tausende Beatmungsgeräte fehlten.
Ein Unternehmen wie Faulhaber, das sehr breit aufgestellt ist, kann diese Bedarfe gut gegeneinander ausbalancieren.
Hybrid und live hatte Faulhaber zum Innovations- und Trendtag zahlreiche Kunden und Partner zu Gast. Welche Sorgen, aber auch Wünsche haben sie?
Wir haben beim diesjährigen FIT intensiv das Thema Lieferkette beleuchtet. Das Feedback der Kunden ist eindeutig: Es ist ein Thema, das im Moment alle beschäftigt - mal auf der mechanischen Seite, mal auf der elektronischen Seite.
Faulhaber hat eine Reihe von Lösungsmodellen vorgestellt, die auf Augenhöhe mit unseren Kunden entwickelt wurden und trotz der globalen Lieferengpässe insgesamt zu mehr Resilienz führten. Das betraf insbesondere Einkaufsthemen.
Auch in Bezug auf das Thema ‚Risk Management‘ konnte Faulhaber wertvolle Erfahrungen sammeln und eine höhere Agilität erzielen, was wichtig ist: Bedingt durch unsichere politische Randbedingungen im Handel mit China und durch den Krieg in der Ukraine werden die Herausforderungen innerhalb der Branche noch eine Zeit lang anhalten.
Agilität bleibt ein zentrales Thema Ihrer Unternehmenspolitik und sie bedingt, digitale und skalierbare Geschäftsmodelle iterativ umzusetzen. Was steht diesbezüglich an?
Wir brauchen die Digitalisierung in erster Linie, um schneller zu werden. Das fängt bereits bei der Auftragsbearbeitung an. Wie bekommt ein Kunde so zügig wie möglich eine Auftragsbestätigung? Wie klären wir Materialverfügbarkeit zuverlässig? Zu diesen Fragestellungen läuft aktuell ein Digitalisierungsprojekt bei Faulhaber, bei dem alle vorhandenen Produkte in die digitale Welt überführt werden müssen. Das ist für ein Unternehmen, das seit 75 Jahren existiert und bei dem sich einige Produkte seit über 30 Jahren am Markt etabliert haben, einerseits eine echte Herausforderung, andererseits ein Muss. Das Produktwissen sollte in einer digitalen und damit auch wiederverwendbaren Form einfach vorhanden sein.
Und in Systemprojekten arbeiten wir zunehmend mit digitalen Zwillingen, um sicherzustellen, dass die Ansteuerungen kundenkompatibel sind.
Als ein Treiber der Hochtechnologie in Deutschland sind für Faulhaber die Fachkräftegewinnung und lebenslanges Lernen von herausragender Bedeutung. Wie finden und fördern Sie Talente?
Anfang 2022 haben wir ein sogenanntes ‚Innovation Training‘ gestartet. Dort präsentieren Mitarbeitende des Unternehmens aktuelle technische Themen - im Wesentlichen für die Entwickler. Mit unserer Produktpalette an Mikrohochleistungsmotoren sind wir ja sehr speziell. Natürlich könnten wir nur auf Konferenzen gehen, um etwas dazuzulernen. Aber ganz besonders viel lernen wir eben auch von unseren Kolleginnen und Kollegen, die schon seit vielen Jahren bei uns arbeiten. Darüber hinaus fördern wir die Zusammenarbeit der Entwicklungsabteilungen an den unterschiedlichen Faulhaber-Unternehmensstandorten in der Schweiz, Rumänien, Ungarn und Deutschland oder den USA.
Wir nutzen die digitalen Erfahrungen mit Teams auch in der Post-Corona-Phase. Vorträge mit mehr als hundert Teilnehmenden europaweit durchzuführen, ist auf diese Weise logistisch einfach. Die Resonanz auf dieses Angebot ist sehr groß.
Gibt es Kooperationen mit Hochschulen und Start-up-Hubs, um sich auch mit der akademischen Welt fachlich auszutauschen?
Wir haben vor zwei Jahren eine Stelle geschaffen, die nennt sich ‚Technology Outreach‘. Deren Hauptaufgabe ist es, Kontakte in die akademische Welt zu intensivieren und den Blick der Young Professionals auf Unternehmen wie Faulhaber zu lenken.
Darüber hinaus haben wir ein Forschungsprojekt mit einer Universität in Österreich durchgeführt, wo es ganz gezielt um eine genauere Simulation des Produktverhaltens geht. Teilweise werden diese Projekte mit externen Mitteln gefördert, teilweise finanzieren wir sie mit eigenen Mitteln.
Welche Herausforderungen und Chancen sind durch die verstärkten Home-Office-Möglichkeiten entstanden?
Unsere Mitarbeitenden haben die Möglichkeit, zwei Tage pro Woche im Home-Office zu arbeiten. Arbeiten sie mehr von Zuhause als im Unternehmen, werden wir womöglich langfristig vor der Herausforderung der sinkenden Identifikation mit dem Unternehmen stehen. Denn die regelmäßige Interaktion mit Kolleginnen und Kollegen oder dem Arbeitsleben fehlt. Das Management hat natürlich ein Interesse daran, dass sich unsere Mitarbeitenden mit dem Unternehmen identifizieren. Und natürlich wollen wir auch die Faulhaber Werte vermitteln, was nur schwer möglich ist, wenn jemand ausschließlich im Home-Office vor dem Bildschirm sitzt.
Wir mussten alle lernen, zu unterscheiden, welche Themen gut digital oder eben aber nur analog zu kommunizieren sind. Das betrifft insbesondere Abteilungen wie die Entwicklung, wo oft drei, vier oder mehr Personen beim kreativen Brainstorming vor einem Flipchart im gleichen Raum versammelt sind.
Das Unternehmen muss eine Umgebung schaffen, in der sich solche Kleingruppen gerne versammeln.
Wie hat sich das kollaborative, standortübergreifende Arbeiten bei Faulhaber entwickelt?
Nicht jeder Standort benötigt zu allen Fachgebieten Spezialisten, daher haben wir standortübergreifende Kompetenzzentren geschaffen. Darüber hinaus sollte eine noch vorhandene Scheu abgelegt werden, die Kolleginnen und Kollegen anderer Standorte um Rat zu fragen. Während beispielsweise die Schweizer über ein vertieftes Wissen zu Getriebetechnik und Schrittmotoren verfügen, sind am Unternehmenssitz in Schönaich die Spezialisten für Gleichstrommotoren beheimatet. Das schafft eine besondere Form der Standort-Identität im Kontext eines gemeinsamen Faulhaber Gefühls.