
Die Industrie kämpft schon länger mit Lieferkettenproblemen. (Bild: ipopba - stock.adobe.com)
Weil Vorprodukte fehlten, konnte die deutsche Industrie von Anfang 2021 bis Mitte 2022 Güter im Wert von knapp 64 Milliarden Euro nicht herstellen. Das geht aus einer neuen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hervor.
Besonders betroffen ist den Expertinnen und Experten zufolge die Autoindustrie, deren Wertschöpfung um knapp 31 Milliarden Euro geringer ausfiel als in einem Szenario ohne Lieferengpässe. Ebenfalls beachtlich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt hätte Ende 2021 um 1,2 Prozent und Mitte 2022 um 1,5 Prozent höher gelegen, wenn sämtliche Neuaufträge, die die Industrie in Deutschland ab 2021 erhalten hat, hätten abgearbeitet werden können.
Die wirtschaftliche Erholung nach dem Ende der Corona-Restriktionen fiel somit weitaus schwächer aus, als es ohne Lieferengpässe möglich gewesen wäre. „Diese Zahlen untermauern den Bedarf, der Resilienz der Lieferketten künftig zulasten der Kosteneffizienz ein höheres Gewicht beizumessen“, schreiben die Forscher in der neuen Studie.
Momentan kann Knut Alicke, Partner bei McKinsey & Company, zumindest in Bezug auf Corona Entwarnung geben: „Wenn man sich nur die Corona-bedingten Schwierigkeiten anschaut, dann haben wir wahrscheinlich das Gröbste überstanden“, sagt er im Gespräch mit PRODUKTION. Es gebe aber noch ein paar Nachwehen, vor allem hinsichtlich der Verfügbarkeit von Mitarbeitenden. Das zeige sich zum Beispiel in den USA: „Dort sind 1,4 Millionen Menschen nicht in ihren Beruf der Vor-Coronazeit zurückgekehrt – zum Beispiel, weil sie früher in Rente gegangen sind“, so der Experte.
Weiter hohe Auftragsbestände
Die Auftragsbestände in der deutschen Industrie sind nach wie vor sehr hoch. Allerdings wächst mit der zunehmend schwierigen Wirtschaftslage infolge des Ukraine-Kriegs das Risiko, dass zumindest ein Teil der Bestellungen, die noch nicht abgearbeitet wurden, storniert werden, so die IMK-Forscher.
Andere Herausforderungen - wie die schwierige geopolitische Lage - führen zudem weiterhin zu Lieferengpässen. Das sieht auch McKinsey-Partner Alicke so: „Wenn man sich in Europa umschaut, dann zeigt sich, dass viele Unternehmen im Sommer durchaus volle Auftragsbücher hatten. Sie konnten aber nicht produzieren, weil sie weiter mit Schwierigkeiten in den Lieferketten kämpften.“ Die Nachfrage sei nur unwesentlich zurückgegangen. „Zum ersten Mal seit Anfang der 70er Jahre sahen wir uns einem Engpass bei den Komponenten gegenüber, der weiter anhält, sagt Alicke.
Er gibt ein weiteres Beispiel für Herausforderungen in der Lieferkette: „In China sank die Produktionskapazität in bestimmten Regionen um ungefähr 20 Prozent, weil der Strom während der Hitzewelle in diesem Jahr abgestellt worden war. Das hatte ähnlich gravierende Auswirkung wie die Lockdowns.“
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Lieferengpässe: Wie die Firmen gegensteuern
Was haben die Unternehmen also in den vergangenen Monaten unternommen, um die Lieferschwierigkeiten in den Griff zu bekommen? „Der Trend, so belegen unsere Umfragen, ging sehr stark in Richtung Sourcing“, berichtet Alicke. „Viele haben sich bemüht, einen zweiten Zulieferer in einer anderen Region zu finden. Und ganz wichtig: Wenn Zulieferer eins und zwei eines Unternehmens denselben dritten eigenen Zulieferer haben, kommt man keinen Schritt voran.“
Für widerstandsfähige Lieferketten brauche es daher eine mehrstufige Transparenz im Lieferantennetzwerk, so der Experte. In diesem Bereich stehen die Unternehmen Alicke zufolge noch am Anfang.
Ein weiterer wesentlicher Hebel sei das Reshoring „Die Unternehmen schauen sich aktiv an, wo und wie sie ihre Lieferketten regionalisieren können.“
Eine Studie im Auftrag des Software-Unternehmens IFS ergab, dass zwei Drittel der befragten Konzerne dabei sind, ihre Lagerbestände zu erhöhen. 70 Prozent setzen auf mehr Diversifizierung und 72 Prozent beziehen mehr Güter von einheimischen Zulieferern. Befragt wurden fast 1.500 Geschäftsführern von Großunternehmen aus unterschiedlichen Ländern wie Deutschland, den USA, Skandinavien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Viele Unternehmen haben schon gutes Risikomanagement
Die IMK-Experten Thomas Theobald und Peter Hohlfeld warnen die Firmenchefs, den Fokus zu sehr auf kurzfristige Kosteneffizienz zu legen. Bessere Resultate verspreche eine Strategie, die auf eine stärkere Resilienz, mehr Lagerreserven, Diversifikation und Nachhaltigkeit der Lieferketten setze.
Eine solche Neuaufstellung sei umso wichtiger, „da die anhaltende Null-Covid-Strategie in China und neue geopolitische Spannungen im Zusammenhang mit den Konflikten in der Ukraine und mit Taiwan als international bedeutendem Halbleiterstandort neue Lieferengpässe nach sich ziehen können.“
Insgesamt haben sehr viele Unternehmen inzwischen ein gutes Risikomanagement, sagt Alicke. Es gebe Unternehmen die in den vergangenen zweieinhalb Jahren deutliche Fortschritte gemacht haben. „Sie sind so weit vorbereitet, wie man es nur sein kann.“ Andere Firmen wiederum müssen noch nachbessern.
Alicke gibt aber außerdem zu Bedenken: Supply Chain Manager müssen sich immer bewusst sein, dass die nächste Disruption etwas sein wird, womit wir jetzt nicht rechnen. „Wir bereiten uns nicht einfach auf die nächste Pandemie vor“, so der Experte.
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