Roboter arbeitet an der Batteriezellenproduktion

Über eine Rückverlagerung von Produktion nach Deutschland wird laut nachgedacht. Doch nicht für alle Branchen ist es sinnvoll - vor allem ist ein hoher Automatisierungsgrad sowie der Einsatz von Robotern notwendig, da aufgrund des Fachkräftemangels kaum Personal für manuelle Tätigkeiten zur Verfügung stehen dürfte. Im Bild ist die Produktion von Batteriemodulen im BMW Group Werk Leipzig zu sehen. (Bild: BMW Group)

Eine weltweite ABB-Umfrage (ABB Supply Chain Studie, 2022) zeigt einen zunehmenden Trend bei deutschen und europäischen Unternehmen ihr Geschäft in ihr Heimatland oder in die Nähe zu verlagern (sogenanntes Reshoring/Nearshoring). Angesichts globaler Herausforderungen möchten sie ihre Lieferketten so resilienter machen.

Die Umfrage unter deutschen und europäischen Führungskräften ergab, dass 86 Prozent der deutschen und 74 Prozent der europäischen Unternehmen planen, ihr Geschäft zu re- oder nearshoren, um ihre Lieferkette angesichts des Arbeitskräftemangels, des verstärkten Fokus auf Nachhaltigkeit und globaler Unsicherheiten widerstandsfähiger zu machen.

Die Mehrheit dieser Unternehmen sieht in der Automatisierung den Schlüssel für diese Verlagerungen. So planen 84 Prozent der befragten deutschen und 75 Prozent der europäischen Unternehmen in den nächsten drei Jahren Investitionen in Robotik und Automatisierung, um Reshoring oder Nearshoring zu ermöglichen.

Sami Atiya, Mitglied des Konzernvorstands und Präsident des Geschäftsbereichs Robotik und Fertigungsautomation von ABB
Sami Atiya, Präsident von ABBs Robotics & Discrete Automation Business (Bild: ABB)

"Die Welt entwickelt sich unaufhörlich weiter – Unternehmen stehen vor einer Vielzahl an Herausforderungen und Unsicherheiten. Damit sie zukunftsfähig bleiben, verlagern sie ihre bestehenden Strukturen und setzen auf neue Technologien. Automatisierung durch Robotik nimmt hierbei eine Schlüsselrolle ein“, sagt Sami Atiya.

Sami Atiya, Präsident von ABBs Robotics & Discrete Automation Business, sagte, dass der zunehmende Bedarf von Industrieunternehmen an Flexibilität und Widerstandsfähigkeit in der Produktion das Interesse an Reshoring/Nearshoring und damit die Nachfrage nach mehr Automatisierung antreibt. Insbesondere wies er auf die Rolle der Robotik bei der Erleichterung von Reshoring- oder Nearshoring-Bemühungen hin, um Bedenken hinsichtlich der Lieferkette auszuräumen.

VDMA sieht für Maschinenbau andere Gesetzmäßigkeiten

Was sich anhand der Studie relativ eindeutig liest, klingt seitens des VDMA aber dann doch wieder ganz anders. So sei laut VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers die Rückverlagerung von Industriezweigen nach Deutschland beziehungsweise in die EU im Maschinenbau bisher nicht feststellbar.

"Es mag andere Industrien geben, die jetzt Produktion in größerem Stil zum Beispiel aus Asien zurückholen, aber für den Maschinenbau gelten eher andere Überlegungen, nämlich sich in allen drei großen Wirtschaftsblöcken resilienter aufzustellen. Sprich, wer die nötige Unternehmensgröße hat – und das ist schon eine eigene Hürde - baut in der Triade vielleicht noch eine zusätzliche Produktion auf", erläutert Wiechers.

Reshoring findet im Maschinenbau nicht statt

Reshoring nach Europa sei zwar etwas, über das in den Medien viel geredet werde, aber "de facto in unserer Branche nicht spürbar stattfindet", sagt Wiechers. Das sei insofern auch wenig verwunderlich, als solche Investitionsentscheidungen von vielen Faktoren abhingen und langfristig geplant seien. Wiechers: "Denken Sie nur an das benötigte Fachpersonal, das man nicht einfach so aus einem Land in ein anderes transferieren oder dort gewinnen kann."

Auch die vielzitierte Chipindustrie sei kein gutes Beispiel für Reshoring, denn hier werde ja nichts nach Europa zurück verlagert, sondern vielmehr der Versuch gestartet, neue Produkte und zusätzliche Kapazitäten aufzubauen.

Wiechers stimmt Atiya insofern zu, dass es grundsätzlich Robotik & Automation bedürfe, um einen solchen Prozess überhaupt zu ermöglichen. "Angesichts der fehlenden Fachkräfte und der vergleichsweise hohen Lohnkosten in Europa kann sich zum Beispiel eine Batteriezellfertigung hier nur rechnen, wenn die Fabriken hoch automatisiert sind", erläutert der Chefvolkswirt des VDMA.

VDMA-Chefvolkswirt Dr. Ralph Wiechers
Dr. Ralph Wiechers, Chefvolkswirt VDMA (Bild: VDMA)

"Für den Maschinenbau gelten eher andere Überlegungen, nämlich sich in allen drei großen Wirtschaftsblöcken resilienter aufzustellen", sagt Ralph Wiechers.

Reshoring ist kein Patentrezept

Auch für Patrick Lepperhoff, Experte für Lieferkettenmanagement und Principal bei Inverto sei Reshoring keineswegs ein Patentrezept und schon gar keine Entscheidung, die von heute auf morgen getroffen werden könne. Womöglich habe ein Unternehmen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren in Asien eine sehr hohe Fertigungskompetenz aufgebaut. Gleichwertiges Know-how, Maschinen und Strukturen in Europa neu zu erschaffen, sei teuer.

„In den seltensten Fällen geben allerdings finanzielle Erwägungen den Ausschlag. Stattdessen kann man die höheren Kosten als eine Art Versicherungsprämie betrachten, die man für ein geringeres Risiko der Lieferketten zahlt. Nicht lieferfähig zu sein – das ist langfristig deutlich teurer“, sagt Lepperhoff. Andererseits könne die neue Produktion effizienter und moderner ausgerichtet und der Kostennachteil gegenüber Asien abgefedert werden. Zudem spiele die Automatisierung eine wichtige Rolle. Dies habe sich bereits nach der Finanzkrise gezeigt.

Definition: Was ist Reshoring?


Der Begriff Reshoring steht für die Rückverlagerung von Produktionsstätten aus Schwellenländern zurück in die Industriestaaten. Er bezeichnet das Gegenteil von Offshoring, also der Verlagerung von Fertigungskapazitäten und Prozessen ins günstigere Ausland. Bereits in den Nullerjahren war der Trend zum Reshoring erkennbar. Mit dem Zusammenbrechen von Lieferketten aus Asien wird diese Strategie für einige Unternehmen aber wieder attraktiv - und vor allem rentabel. Bei der Verkürzung der Transportwege profitiert nicht zuletzt auch die Umwelt.

Ausländische Lieferpartner mit Produktion in der EU

Eventuell könne aber manch ein ausländischer Lieferpartner dazu bewogen werden, sich in Europa niederzulassen. Dadurch ließe sich laut Andreas Mellinghoff von Inverto deren Fachwissen sichern und damit die größte Hürde einer Verlagerung überwinden. „Besonders wenn die ausländischen Lieferanten keine Dependancen in Europa oder Deutschland haben, vereinfacht eine solche Partnerschaft auch den administrativen Aufwand, um einen Produktionsstandort in der EU aufzubauen", erklärt Mellinghoff.

Christian Lanng, CEO von Tradeshift
Christian Lanng, CEO von Tradeshift (Bild: Tradeshift)

"Die Diversifizierung von Erst- und Drittlieferketten ist also nur ein Teil des Mix. Die Unternehmen müssen auch andere strategische Faktoren in Betracht ziehen, wie beispielsweise die Automatisierung, um ihr Risiko eines Arbeitskräftemangels zu verringern, unabhängig davon, wo auf der Welt die Produktion stattfindet", sagt Christian Lanng.

Laut Christian Lanng, CEO von Tradeshift, bemühten sich Unternehmen jetzt darum, ihre Lieferketten widerstandsfähiger und redundanter zu machen, um sich gegen plötzliche wirtschaftliche, politische oder konfliktbedingte Schocks abzusichern. "Sie haben erkannt, dass die Gefahr in der Entfernung liegt: Daher der jüngste Trend zu Reshoring, Nearshoring und 'Friend-Shoring' – die Verlagerung von Produktion und Beschaffung in Länder mit den stabilsten und wohlgesonnenen Beziehungen", erläutert Lanng.

Kurze Lieferketten als Gegenmittel

Kürzere, vielfältigere Lieferketten seien auch das einzige realistische Gegenmittel gegen die regelmäßigen 'Bullwhips', bei denen sich schwankende Nachfragesignale über lange Lieferketten hinweg verstärkten und einen Jo-Jo-Effekt auf die Preise auslösten.

"Die Lektion der letzten Jahre ist unsere Anfälligkeit für eine wachsende Zahl regionaler und lokaler Faktoren - einschließlich Arbeitskräftemangel, politischer Unruhen, Lockdown und Krieg -, die nun neben globalen Themen wie Energiepreisen

Sie möchten gerne weiterlesen?