Arbeiter in der Metallindustrie beim Schweißen

Der Fachkräftemangel in der metallverarbeitenden Industrie wird immer eklatanter. Wo sehen Arbeitgeber und Gewerkschaften die Gründe und wie wollen sie die Probleme lösen? (Bild: THINK b - stock.adobe.com)

Wenn heute ein Verantwortlicher in der Industrie gefragt wird, welches aus seiner Sicht die aktuell größten Herausforderungen (Probleme gibt es ja nicht) für seine Branche sind, dann ist eine Antwort eigentlich immer gesetzt: der Fachkräftemangel. Viele Unternehmen und Sparten bluten praktisch aus - und die Lage wird trotz voller Auftragsbücher immer dramatischer. Fachleute fehlen an allen Ecken und Enden.

Doch woher kommt diese Misere? Und vor allem: Wie kann man sie lösen?

Wir haben zwei Organisationen gefragt, die sich mit der Gesamtsituation qua Aufgabe auskennen: Die IG Metall und Gesamtmetall. Denn schließlich eint beide das Interesse an einer positiven Entwicklung der Industrie.

Für Gesamtmetall wurden unsere Fragen von Sven Uwe Räß, Abteilungsleiter Bildung, beantwortet. Für die IG Metall antwortete Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied und in dieser Funktion unter anderem zuständig für den Maschinenbau.

Wie konnte der massive Fachkräftemangel entstehen? Wer oder was trägt die Verantwortung für den Mangel?

Wolfgang Lemb, IG Metall: "Der gestiegene Fachkräftebedarf, der in manchen Bereichen zu einem regelrechten Fachkräftemangel angewachsen ist, ist auf verschiedene, teils langfristig wirkende gesellschaftliche Trends und Entwicklungen zurückzuführen. Einen maßgeblichen Anteil daran müssen sich aber die Unternehmen selbst zuschreiben. Viele haben zu spät verstanden, dass qualifizierte Fachkräfte und Schulabgänger nicht mehr wie früher in großer Zahl einfach darauf warten, von ihnen eingestellt zu werden. Stattdessen müssen sich Arbeitgeber heute aktiv und strategisch um Fachkräfte bemühen. Manche haben das bis heute nicht begriffen. Jedenfalls haben sie nicht die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen."

In welchen Bereichen der Industrie ist der Fachkräftemangel er am eklatantesten?

Wolfgang Lemb, IG Metall: "Der Fachkräftemangel zieht sich durch sämtliche Branchen hindurch. Die akute Betroffenheit ist aber je nach Unternehmen, Branche und Region unterschiedlich. Stark betroffen ist vor allem das Handwerk. Unsere jährliche Trendmelder-Umfrage unter Betriebsrät*Innen im Maschinen- und Anlagenbau bestätigt zum wiederholten Male: Die Branche braucht deutlich mehr Auszubildende, da Fachkräfte nicht vom Himmel fallen. Unsere Umfrageergebnisse zeigen, dass in vielen Betrieben eine qualifizierte Personalentwicklung und -planung nicht existiert. Dazu kommt: Auf die Corona-Krise reagierten viele Arbeitgeber mit Personalabbau und reduzierten Ausbildungsplätzen. Diese kurzsichtige Politik fällt vielen Betrieben jetzt zusätzlich auf die Füße."

Sven Uwe Räß, Gesamtmetall: "Während der Fachkräftemangel bislang vor allem Branchen wie Gastronomie oder Pflege betraf, reden wir heute über eine Entwicklung in der gesamten Wirtschaft. Laut einer Erhebung des Ifo-Institutes für Wirtschaftsforschung gab jedes zweite Unternehmen im Juli an, dass seine Geschäfte durch den Fachkräftemangel beeinträchtigt seien. Immer mehr Unternehmen schränken Ihre Geschäfte ein, weil sie nicht genügend Personal finden. Das ist erst der Anfang. In den kommenden Jahren scheiden in Deutschland pro Jahr 400.000 mehr Menschen altersbedingt aus dem Erwerbsleben aus als neue aus den Schulen dazu kommen. Bis 2030 könnte sich das auf fünf Millionen Menschen summieren. 'Fachkräftekrise' ist also inzwischen angesagt! Für viele Branchen ist der Fachkräfte- beziehungsweise Arbeitskräftemangel allerdings erst seit der Pandemie akut geworden. Die M+E-Industrie kannte das Problem jedoch seit vielen Jahren. Bereits in den 1990er Jahren gab es Diskussionen vor allem im Bereich des MINT-Nachwuchses. In den vergangenen Jahren ist der Bedarf an MINT-Fachkräften noch einmal gestiegen. Die MINT-Arbeitskräftelücke erreicht im April 2022 mit insgesamt 320.600 fehlenden Arbeitskräften in diesem Bereich einen neuen Rekordhöchstwert."

 

Wären höhere Löhne ein Weg aus dem Fachkräftemangel?

Lemb, IG Metall: "In Zeiten, in denen sich der Arbeitsmarkt zumindest in Teilen in einen Arbeitnehmermarkt wandelt, ist ein konkurrenzfähiges Gehaltsniveau unerlässlich. Wer im Rennen um Fachkräfte die Nase vorn haben will, muss ordentliche Löhne und gute Arbeitsbedingungen bieten – abgesichert und besiegelt durch einen Tarifvertrag. Gerade der Maschinen- und Anlagenbau muss sich durch eine höhere Tarifbindung hier noch deutlich attraktiver aufstellen."

Räß, Gesamtmetall: "Die M+E-Industrie zahlt ihren Beschäftigten Durchschnittseinkommen von 60.000 Euro pro Jahr. Junge Facharbeiter/innen verdienen in tarifgebundenen Unternehmen rund 3.000 Euro ab dem ersten Tag. Noch höhere Löhne würden in unserer Branche das Problem nicht lösen. Sie wären aber möglicherweise für andere Branchen wie Handwerk oder Pflege ein Weg. Für die steigenden Kosten müssten am Ende Kunden, Verbraucher oder Beitragszahler aufkommen."

LinkedIn-Umfrage
Das Ergebnis unserer Umfrage zum Fachkräftemangel auf LinkedIn (Bild: Produktion)

Welche anderen Maßnahmen könnten den Mangel beheben?

Lemb, IG Metall: "Der Maschinen- und Anlagenbau muss wieder mehr ausbilden und die Auszubildenden in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernehmen. Dies muss mit einer vorausschauenden Personalplanung und betrieblichen (Weiter)-Bildungsoffensiven verbunden werden.  Bei der Suche nach Auszubildenden dürfen Unternehmen nicht auf die idealen Bewerber warten, sondern müssen auch denen eine Chance geben, die weniger gute Schulabschlüsse mitbringen. Sinkende Ausbildungszahlen und steigende Nachfrage nach Fachkräften passen nicht zusammen. Dazu kommt: Diejenigen Unternehmen sind im Vorteil, die den Beschäftigen attraktive Arbeitszeiten und -bedingungen bieten."

Räß, Gesamtmetall: "Zum einen müssen wir wieder viel mehr junge Menschen in Ausbildung bringen. Der sich über Jahre vollziehende Rückgang der Bewerberzahlen muss gestoppt werden. Es fehlt in der Gesellschaft an Wertschätzung für das duale Ausbildungssystem. Junge Menschen verknüpfen eine Ausbildung nicht mehr mit dem Bild der modernen und digitalen Wissensgesellschaft. Häufig fehlt schon das Grundwissen über die Berufe. Hier müssen wir vor allem die Eltern erreichen, denn diese beeinflussen ihre Kinder sehr stark und halten noch häufig Abitur und Studium für den Königsweg einer Karriere.
Als M+E-Industrie haben wir unsere Maßnahmen zur Nachwuchssicherung sehr früh forciert. Unsere zehn M+E-InfoTrucks sind ständig unterwegs, um für unsere Berufe und die damit verbundenen exzellenten Karrierechancen in der M+E-industrie zu werben. Auch die Social-Media-Kanäle und Streaming-Angebote nutzen wir schon seit vielen Jahren.
So absolvieren gerade 200.000 junge Menschen eine Ausbildung in unserer Industrie. Darauf sind wir stolz. Es könnten viel aber noch viel mehr Auszubildende sein, denn allein 30.000 Plätze konnten wir in den vergangenen drei Jahren nicht besetzen.
Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland werden wir das Fachkräfteproblem trotz aller dieser Anstrengungen mittelfristig sicherlich nur durch eine gezielte Fachkräftezuwanderung lösen können."

Was sind die Folgen, wenn dem Mangel nicht entgegengewirkt wird?

Lemb, IG Metall: "Wenn dem drohenden Fachkräftemangel nicht effektiv etwas entgegengesetzt wird, ist mittelfristig der Industriestandort Deutschland gefährdet. Denn ohne gut ausgebildete, motivierte Fachkräfte werden wir die anstehenden Herausforderungen nicht bewältigen können."

Räß, Gesamtmetall: "Arbeitskräftemangel schwächt die langfristigen Wachstumsperspektiven und führt zu Verlust von Wohlstand. Der Strukturwandel und die Transformation hin zur Klimaneutralität kommen langsamer voran. Allen 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte werden ab 2025 für die Klimaschutz- und Baupläne der Bundesregierung benötigt. Schon jetzt fehlen in Deutschland 250.000 Handwerker. Seit vielen Jahren warnen Wirtschaft und Verbände vor einem verschärfenden Fachkräftemangel, welcher sich inzwischen zu einer Fachkräftekrise entwickelt hat.
Der Politik ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, ganzheitliche und somit wirksame Handlungskonzepte zu entwickeln. Hier muss die Politik endlich zum großen Sprung ansetzen. Die Erwerbsquote bei Frauen muss erhöht werden, Geflüchtete und Langzeitarbeitslose müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Gleichzeitig müssen die Wertschöpfungsketten weiter automatisiert und digitalisiert werden. Aber gerade bei der Digitalisierung der Verwaltung geht es nur in kleinen Schritten vorwärts. Letzten Endes fehlen dort wieder die IT-Fachkräfte. Ein Teufelskreis."

Deutscher Maschinenbau-Gipfel 2022
(Bild: mi-connect)

Deutscher Maschinenbau-Gipfel

Der Maschinenbau-Gipfel 2023 ist vorbei - hier können Sie die Highlights Revue passieren lassen:

 

Die Veranstalter des Maschinenbau-Gipfels, VDMA und PRODUKTION freuen sich, wenn Sie auch 2025 in Berlin dabei sind!

 

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