Vielerorts fehlt Personal und die Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften.

Vielerorts fehlt Personal und die Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften. (Bild: studio v-zwoelf - stock.adobe.com)

Ghana hat was Deutschland braucht – Arbeitskräfte im Überfluss. Deshalb spielten Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze bei ihrer Reise in das westafrikanische Land Ende Februar all ihre Überzeugungskraft aus, um ghanaische Fachkräfte dazu zu bewegen, sich in Hannover, Leipzig oder Wolfsburg um einen Job zu bewerben. Bundeskanzler Olaf Scholz warb wenige Tage später in Neu Delhi und Bangalore ebenfalls um indische IT-Experten. Auf sie warten in Deutschland 137.000 offene Stellen.

„Auch im Maschinenbau gab es 2022 einen Rekord an unbesetzten Stellen“, berichtet Holger Wuchold vom Hauptstadtbüro des VDMA. Für jede zehnte Vakanz fanden die Betriebe mehr als ein halbes Jahr lang keinen geeigneten Mitarbeitenden. Auch auf elf Prozent der Ausbildungsplätze in maschinenbaurelevanten Berufen bewarb sich 2022 kein Jugendlicher, so der VDMA.

Insgesamt können Unternehmen in Deutschland derzeit mehr als zwei Millionen Jobs nicht vergeben, beschreibt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) das Ausmaß des Fachkräftemangels. „Das entspricht einem entgangenen Wertschöpfungspotenzial von fast 100 Milliarden Euro“, so DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks.

Außerdem steigen auf dem leergefegten Arbeitsmarkt die Kosten für die Mitarbeitersuche. „Wir haben früher im Schnitt mit Kosten von 2.000 Euro für die Besetzung einer Stelle gerechnet. Jetzt sind wir oft einmal bei fünfstelligen Beträgen“, erklärt die Personalchefin von DELO Industrie Klebstoffe, Heidrun Hausen.

Sie würde bei dem Mittelständler, der mit über 950 Mitarbeitenden vor allem Kleber für die Automobil-, Halbleiter- und Elektronikindustrie entwickelt und herstellt, gerne mehr als 100 Stellen mit neuen Kolleginnen und Kollegen besetzen. „Wenn wir die nicht finden, müssen wir interne Projekte verschieben oder zumindest schlanker gestalten“, erklärt Hausen die Folgen des Fachkräftemangels für Delo. Glücklicherweise schlägt sich das bei dem Klebstoffspezialisten nicht in sinkenden Ergebnissen nieder. Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete er knapp 205 Millionen Euro Umsatz. Das sind zwölf Prozent mehr als im Vorjahr.

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Fachkräftemangel ist das größte Geschäftsrisiko

Andernorts ist die Lage schlimmer. „Wenn Betriebe Aufträge wegen fehlenden Personals nicht annehmen können, entsteht für sie oft eine prekäre Situation“, berichtet Sarah Pierenkemper, Ökonomin am Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) beim Institut der Deutschen Wirtschaft. Für 56 Prozent der Betriebe ist der Fachkräftemangel daher inzwischen das größte Geschäftsrisiko, ergab eine Umfrage der DIHK. „Unser wirtschaftlicher Wohlstand entscheidet sich daher nicht nur an der Frage wie wir eine nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung sicherstellen, sondern auch daran, wie wir auf den Fachkräftemangel antworten“, erklärt Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Lösen ließe sich das Problem, wenn sie Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten leichter hierzulande beschäftigen könnten, sagen 35 Prozent der von der DIHK für eine Erhebung zum Fachkräftemangel befragten Unternehmen. Von den großen Betrieben, mit mehr als 1.000 Beschäftigten, wünschen sich das sogar 59 Prozent.

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Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat bisher wenig geholfen

Eigentlich sollten Unternehmen Fachkräfte aus Drittstaaten seit drei Jahren ohne Probleme einstellen können. Denn im März 2020 trat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) in Kraft. Geholfen hat es aber wenig. „Laut einer Umfrage im Mai 2022 haben dadurch im Maschinenbau nur acht Prozent unserer Mitglieder bis dato Arbeitskräfte gewonnen“, erklärt Holger Wuchold vom VDMA.  Das sei einerseits mit der durch die Corona-Pandemie weltweit eingeschränkten Mobilität zu erklären. „In der Praxis stellte sich das Gesetz aber auch als zu bürokratisch heraus. Vor allem die Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erwiesen sich als zu komplex“, so Wuchold.

Bevor ein Bürger eines Nicht-EU-Staates hierzulande eine Stelle antreten kann und die dafür benötigte Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung bekommt, muss die Bundesagentur für Arbeit zwar nicht mehr prüfen, ob der Arbeitsplatz auch mit einem deutschen Bewerber besetzt werden kann. Fachkräfte aus Drittstaaten können inzwischen hierzulande auch in jedem Beruf arbeiten.

Bis 2020 ging das nur in festgelegten Mangelberufen. Auch dürfen sie schon zur Arbeitssuche für sechs Monate nach Deutschland einreisen. Voraussetzung ist jedoch immer, dass sie so gut Deutsch beherrschen, wie es das Niveau B1 des europäischen Referenzrahmens vorgibt, und eine abgeschlossene Ausbildung haben, die als mit einer deutschen Berufsbildung gleichwertig anerkannt wird.

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Mit der deutschen dualen Ausbildung vergleichbare Berufsbildungssysteme gibt es weltweit jedoch fast nirgends. „Deshalb sollte es für eine Arbeitsgenehmigung reichen, wenn ein Arbeitgeber befindet, dass eine Fachkraft aus einem Drittstaat so gut qualifiziert ist, dass er sie einsetzen kann und ihr einen Arbeitsvertrag anbietet“, findet Delo-Personalleiterin Heidrun Hausen.

Das könne ein Unternehmen am besten beurteilen. Schließlich zahle es ja das Gehalt. Hausen fordert daher: „Jeder, der zur Wertschöpfung beiträgt, sollte kommen dürfen. Was wir als Arbeitgeber brauchen, sind tatsächlich vorhandene Fähigkeiten, keine Ausbildungszertifikate und –urkunden.“

Bislang verhindert dies das FEG. Im ersten ganzen Jahr nach seinem Inkrafttreten bekamen 2021 nur 40.000 Personen erstmalig ein Aufenthaltsrecht, um hier arbeiten zu dürfen, berichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Migrationsbericht für das Jahr 2021. Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, reicht das nicht.

Gesetz soll überarbeitet werden

Die Ampel-Koalition will das FEG daher nun überarbeiten. „Wir räumen damit auf mit einer von CDU und CSU geprägten Migrationspolitik, die unserem Wirtschaftsstandort geschadet hat“, begründen Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil die Novelle in einem Gastbeitrag im 'Handelsblatt'. Beim VDMA rennen sie damit offene Türen ein. „Es muss auch daran erinnert werden, dass politische Fehlentscheidungen der Vergangenheit dazu beigetragen haben, den Fachkräftemangel zu verschärfen“, betont VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.

Die Latte für die Koalition hängt damit hoch – zumal es bei der Novelle gilt, auch eigene Versäumnisse gut zu machen. Die aktuelle Fassung des FEG hat Hubertus Heil als Arbeitsminister der letzten Großen Koalition selbst zu verantworten. Nun hat er ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz erarbeitet.

Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Das ist neu

Konkret werden unter anderem folgende Punkte reformiert:

  • Es wird eine sogenannte Chancenkarte eingeführt, die mit einem Punktesystem läuft. Zu den Auswahlkriterien für arbeitswillige Einwanderer gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Das Punktesystem ist für Menschen gedacht, die noch keinen Arbeitsvertrag haben, die aber gute Chancen haben, einen zu bekommen. Kanada hat schon seit vielen Jahren ein ähnliches System.
  • Fachkräfte dürfen künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben. Sie bleiben also nicht auf ihren eigentlichen Beruf beschränkt. Voraussetzung für die Einwanderung ist aber wie bisher ein Berufsabschluss oder ein Hochschulabschluss und ein Arbeitsvertrag.
  • Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, soll ebenfalls nach Deutschland einwandern dürfen. Der Berufsabschluss muss also künftig nicht mehr in Deutschland anerkannt sein.
  • IT-Fachkräfte dürfen auch ohne Hochschulabschluss in Deutschland arbeiten, wenn sie bestimmte Qualifikationen nachweisen können.
  • Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und eine Qualifikation sowie ein Jobangebot haben, sollen - wenn sie ihren Asylantrag zurücknehmen - eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können. Bislang musste man dafür erst ausreisen und sich dann vom Ausland aus um ein Arbeitsvisum bemühen.
  • Hochqualifizierte Fachkräfte, die aus einem Nicht-EU-Ausland kommen, sollen laut Gesetzentwurf künftig nicht nur den Ehepartnern und die Kinder mitbringen dürfen, sondern auch ihre Eltern und Schwiegereltern. Aber: Der Lebensunterhalt für die Angehörigen muss gesichert sein. Es können für die Eltern keine Sozialleistungen beantragt werden.

Über den Gesetzentwurf wurde inzwischen in erster Lesung debattiert. Mit der Reform werde "das modernste Einwanderungsrecht, das Deutschland je hatte" geschaffen, sagte Faeser.

Deutscher Maschinenbau-Gipfel 2022
(Bild: mi-connect)

Deutscher Maschinenbau-Gipfel

Der Maschinenbau-Gipfel 2023 ist vorbei - hier können Sie die Highlights Revue passieren lassen:

 

Die Veranstalter des Maschinenbau-Gipfels, VDMA und PRODUKTION freuen sich, wenn Sie auch 2025 in Berlin dabei sind!

 

Hier geht es zur Website des Maschinenbau-Gipfels.

Abläufe sollen beschleunigt werden

„Das alles kann aber nur dann Wirkung zeigen, wenn parallel dazu die Abläufe der beteiligten Behörden schneller und reibungsloser funktionieren“, so DIHK-Präsident Peter Adrian. „Es kann nicht sein, dass Menschen bis zur Erteilung eines Visums bis zu ein Jahr warten müssen“, findet auch IW-KOFA-Fachfrau Sarah Pierenkemper. Das lasse sich weder dem Arbeitgeber noch Fachkräften vermitteln, die sich weltweit um eine Stelle bemühen können.

Um Abläufe zu beschleunigen will die Bundesregierung zwar „den heute noch üblichen Papierversand der Antragsunterlagen von den Visastellen im Ausland über das Bundesverwaltungsamt an die Ausländerbehörden im Inland in dieser Legislaturperiode  beenden und durch eine digitale Übermittlung der Unterlagen ersetzen.“ Auch sollen Antragsteller diese in Englisch einreichen können, verspricht die Koalition in ihrem Eckpunkte-Papier.

„Damit Prozesse schneller ablaufen, muss aber auch das Zusammenspiel der beteiligten Ämter im Inland verbessert werden“, fordert KOFA-Expertin Pierenkemper. Im Idealfall gäbe es für Fachkräfte, die einwandern wollen, in allen Bundesländern zentrale Anlaufstellen. „Die haben aber bislang nur einige Bundesländer darunter Nordrhein-Westfalen, Bayern und andere Länder dagegen nicht“, so Pierenkemper.

„Helfen würde auch, wenn nicht die Behörde am Wohnsitz von Arbeitnehmern aus einem Drittstaat zuständig wäre, sondern die am Sitz von deren Arbeitgeber“, ergänzt DELO-Personalchefin Heidrun Hausen. „Denn vor Ort kennen die Beamten das entsprechende Unternehmen, wissen, ob es ein zuverlässiger Arbeitgeber ist und pflegen oft einen kurzen Draht zu den dortigen Personalverantwortlichen.“

Hier sind die Möglichkeiten der Bundesregierung begrenzt

Bei der Gestaltung der Verwaltungsstrukturen allerdings sind die Möglichkeiten der Bundesregierung begrenzt. „Wir appellieren an Länder und Kammern, ausreichend Personal für die Anerkennungsstellen zur Verfügung zu stellen“, erklärt sie daher in ihrem Eckpunkte-Papier. Der Appell ist begründet. Ob er verfangen wird, ist fraglich.

In einer Umfrage des Südwestrundfunks unter mehr als 200 Ausländerbehörden beklagten neun von zehn Ämtern, dass ihr Arbeitsanfall in den vergangenen fünf Jahren massiv zugenommen hat. Da es dadurch länger als zulässig dauert, bis ein Bescheid ergeht, verklagen Antragsteller inzwischen fast jede zweite Behörde wegen Untätigkeit. „Selbst wenn die Ämter Budget hätten, um mehr Stellen zu schaffen, stoßen sie auf das gleiche Problem wie die Unternehmen, denen sie helfen sollen – den Fachkräftemangel“, berichtet Sarah Pierenkemper vom IW-KOFA. Sachbearbeiter mit den benötigten Kompetenzen und Kenntnissen finden sich in Ghana allerdings nicht.

(Bearbeitet von Anja Ringel.)

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