
Bertram Kawlath, der neue Präsident des VDMA spricht im zweiten Teil des umfassenden Interviews mit Claus Wilk und Stefan Weinzierl offen über die Notwendigkeit, den Industriestandort Deutschland zu stärken. (Bild: Screenshot - Produktion)
Bertram Kawlath, der neue Präsident des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau), steht vor großen Herausforderungen. In diesem zweiten Teil des umfassenden Interviews mit Claus Wilk und Stefan Weinzierl spricht er offen über die Notwendigkeit, den Industriestandort Deutschland zu stärken. Kawlath fordert die Politik zum Handeln auf, um Deutschlands wirtschaftliche Zukunft zu sichern. Im Fokus stehen Themen wie der Fachkräftemangel, die überbordende Bürokratie, aber auch die internationale Handelspolitik, insbesondere die Beziehungen zu den USA und China.
Claus Wilk: „Diesmal wird es ein bisschen politischer und ich will den Fragestrauß gleich eröffnen. In welche Richtung, Herr Kawlath, muss sich denn Ihrer Meinung nach der Industriestandort Deutschland entwickeln und was ist politisch dafür zu tun?“
Bertram Kawlath: „Der deutsche Industriestandort hat nach wie vor Stärken. Das ist beispielsweise Forschung und Entwicklung, wo wir einen guten Standort haben. Großen Nachholbedarf haben wir vor allem bei der Versorgung mit Fachkräften. Und wir haben ganz großen Nachholbedarf bei der Entkrustung der Umgebung, in der wir mit unseren Unternehmen arbeiten. Ständig neue Regulierungspflichten, elendlange Genehmigungsverfahren, eine nicht zureichend digitalisierte Verwaltung – hier müssen wir ansetzen. Wenn dann noch das Steuersystem in Ordnung gebracht wird, können wir uns wieder nach vorne bewegen.
In einer neuen Studie des Instituts für Mittelstandsforschung wurden Bürokratiekosten festgestellt, die zwischen 40 und 60 Prozent der Kosten, je nach Unternehmensgröße, aus dem Bereich Arbeit und Soziales kommen. Das bedeutet, die Arbeit ist nicht nur teuer, sie ist auch hochgradig reguliert. Das sind alles Themen, die uns bremsen. Man könnte das ausdehnen auf Genehmigungsverfahren für Investitionen. Wir haben einen Investitionsstau, was die Infrastruktur angeht. Brücken brechen zusammen, die Bahn fährt uns nicht mehr pünktlich von A nach B, geschweige denn, dass Anlagen und Maschinen zuverlässig transportiert werden könnten. Hier sind Aufgaben, die leider über viele Jahre versäumt wurden.
Wichtig ist mir: Die Zeit geht aus. Wir können nicht mehr lange warten. Alles, was in den letzten Jahren nicht investiert wurde, fehlt uns heute. Alles, was Unternehmen heute nicht in Deutschland investieren, fehlt uns in den nächsten Jahren. Und der Weg läuft gerade jetzt. Forschung wird verlagert, Arbeit wird verlagert, Investitionen finden woanders statt. Mein großer Appell an die Politik für diesen Standort ist: Wir müssen uns bewegen, und zwar sofort. Nicht mehr abwarten.“
Interview mit VDMA-Präsident Bertram Kawlath im Video (Teil 2)
Hier sehen Sie den ersten Teil des Interviews von Claus Wilk und Stefan Weinzierl mit VDMA-Präsident Bertram Kawlath.
Stefan Weinzierl: „Das ist natürlich ein großer Punkt, der auch die Finanzpolitik in diesem Land betrifft. Gerade in Bezug auf die Investitionen – Sie haben es erwähnt. Wenn man es auf einen Punkt bringen sollte: Fuß auf die Bremse oder aufs Gas?“
Kawlath: „Die Infrastrukturprobleme müssen gelöst werden, und zwar schnell. Der Weg zu sagen: ‚Dann schaffen wir doch diese Schuldenbremse ab,‘ ist zu kurz gegriffen. Wenn wir eine Investition in unserem Unternehmen planen, stellen wir erst fest, was wir brauchen und in welcher Reihenfolge. Dann sprechen wir darüber, wie wir das finanzieren. Ein Wegnehmen der Schuldenbremse birgt die Gefahr, dass die frei gewordenen Mittel in konsumtiven Ausgaben verschwinden. Wir verschulden uns weiter, ohne die Investitionsprobleme zu lösen. Mir wäre es lieber, erst mal festzustellen, wie das Investitionsprogramm aussehen soll. Und zwar nicht erst für 2035, sondern für den nächsten und übernächsten Monat sowie die kommenden Monate. Wir haben keine Zeit. Danach kann man über die Finanzierung nachdenken. Das kann auch in einem Sonderfonds wie bei der Wehrtechnik geschehen, aber die Schuldenbremse schützt uns vor Überschuldung. Die Infrastrukturprojekte müssen an Investitionen gebunden sein.“
Wilk: „Jetzt sind wir natürlich hier in Deutschland nicht ganz allein auf der Welt, sondern abhängig von vielen, vielen Faktoren. Einer dieser Faktoren wird sich im November dieses Jahres entscheiden: Das ist die US-Wahl. Was erhoffen Sie sich? Welchen Ausgang?“
Kawlath: „Ich erhoffe mir nach der US-Wahl mehr Ruhe im gemeinsamen Geschäft. Ich erhoffe mir einen funktionierenden Handel zwischen uns und unserem größten Industriepartner. Mir ist eines wichtig: Wir sollten nicht in einen gegenseitigen Subventionswettlauf geraten. Zölle sind schädlich für unser Geschäft, und zwar in beide Richtungen. Subventionen sind nicht dauerhaft. Die USA bleibt unser größter Außenhandelspartner, und ich hoffe sehr, dass nach der Wahl mehr Ruhe in diese Thematik einkehrt.“
Weinzierl: „Gerade der Außenhandel mit den USA ist ein Riesenthema. Sie haben es angesprochen, dass ein Freihandelsabkommen à la TTIP, das lange in aller Munde war, außer Reichweite scheint. Aber welche politische Unterstützung erwarten Sie für den so wichtigen US-Markt?“
Kawlath): „Manchmal denkt man, es wäre schön gewesen, wenn wir TTIP gehabt hätten. Ich habe damals sehr dafür gekämpft, aber es wird heute viel schwieriger. Vielleicht sollten wir versuchen, die Dinge anzugehen, die wir früher als ‚Low Hanging Fruits‘ bezeichnet haben, also die leicht zu greifenden Früchte. Das kann man erreichen, indem man nicht überfrachtet. Wir sind gemeinsam mit dem BDI und der Transatlantischen Business-Initiative unterwegs, um die Kontakte wieder enger zu knüpfen. Aber wir müssen kleiner anfangen als bei TTIP und das Ziel des Freihandels nicht aus den Augen verlieren. Weiter daran arbeiten, auch wenn manchmal das Brett dicker ist.“
Wilk: „Ein ganz gefährliches Terrain voller Fettnäpfchen ist natürlich der Umgang mit China. Können und wollen Sie als VDMA-Präsident eine Einschätzung geben, in welche Richtung es in Bezug auf diesen wichtigen Markt gehen sollte?“
Kawlath: „Ein VDMA-Präsident kann gar nicht anders, als sich mit China zu beschäftigen. Es ist unser zweitgrößter Auslandsmarkt. Viele unserer Mitgliedsunternehmen sind dort engagiert und werden es auch in Zukunft bleiben. Wichtig ist, dass man mit einem großen Handelspartner offen über fairen Handel spricht. Staatlich subventionierte Überkapazitäten oder Subventionen, die versuchen, andere Marktteilnehmer zu verdrängen, müssen wir im Zweifelsfall ansprechen. Der VDMA kann hier auf europäischer Ebene gemeinsam mit der EU für faire Wettbewerbsverhältnisse sorgen. Es sollte und wird nur gemeinsam mit China in einem fair gestalteten Handel funktionieren.“
Weinzierl: „Manchmal ist das nicht so einfach. Eine vielleicht schwierige Frage: Wenn ein Handelskonflikt auftritt und die politische Einschätzung dahin geht, man bricht die Handelsbeziehungen ab, während es wirtschaftliche Gründe gibt, die dagegen sprechen – welche Position wird der VDMA einnehmen?“
Kawlath: „Der VDMA erkennt das Primat der Politik an. Wir haben das bei den Russland-Sanktionen gezeigt, die unsere Mitglieder mitgetragen haben, auch unter großen Verlusten. Das heißt, wir arbeiten gemeinsam mit der Politik an Lösungen, die ökonomisch und politisch funktionieren. Unsere Aufgabe als VDMA ist es, die Interessen unserer Mitgliedsunternehmen klar zu formulieren und unsere Lösungsvorschläge sowie Bedenken und Sorgen in die Politik zu tragen, damit der Gegensatz zwischen politischer und ökonomischer Lage möglichst klein bleibt. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht und werden es auch weiterhin tun.“
Lesen Sie hier den ersten Teil des Chefredakteursinterviews mit dem neuen VDMA-Präsidenten Bertram Kawlath:
Neuer VDMA-Präsident Bertram Kawlath: Themen und Prioritäten