Herr, Enck, die USA spielen inzwischen eine immer wichtigere Rolle für den Maschinenbau. Sind sie wichtiger als China?
Thomas Enck: Historisch waren die USA immer der stärkste Partner, was den Maschinenexport angeht. Es hat dann einen temporären Einbruch gegeben: Die Lehman-Krise. Da haben die Amerikaner plötzlich weniger nachgefragt, während die Nachfrage aus China deutlich anstieg. Das hat tatsächlich einige Jahre lang angehalten, sich dann wieder geändert. Insofern sind die USA mit kurzer Unterbrechung immer der wichtigste außereuropäische Partner gewesen.
In China sind die Rahmenbedingungen für deutsche Maschinenbauer komplexer, zumal die Verhältnisse in den USA insgesamt vertrauter sind.
Wie hat sich der deutsche Maschinenbau denn in den vergangenen Jahren auf dem US-Markt entwickelt? Welche Rolle spielen Subventionen wie der Inflation Reduction Act?
Enck: Krisen sind häufig auch von Vorteil für den deutschen Maschinenbau. Nehmen Sie die Coronakrise: Als China sich in Lockdowns abgeschottet hat, mussten rasch Werke woanders auf der Welt mit Maschinen ausgerüstet werden. Und die liefert der deutsche Maschinen- und Anlagenbau.
Auch Abschottungs-Tendenzen, wie sie aktuell die USA betreiben, sind noch eher positiv für die Branche. Die Amerikaner sind zwar bei Hightech-Militärequipment und Hightech-Software weit vorne. Im klassischen Maschinenbau ist aber nach wie vor die deutsche Industrie führend. Wenn es jetzt darum geht, dass Produkte in Amerika vor Ort hergestellt werden sollen, braucht man dazu Maschinen in bestmöglicher Qualität. Hier ist auch und gerade der deutsche Maschinenbau gefragt.
Das ist Thomas Enck
Thomas Enck ist Managing Director bei FTI-Andersch, der der auf Restrukturierung, Business Transformation und Transaktionen spezialisierten Beratungseinheit von FTI Consulting in Deutschland.
Der Ex-Banker ist Experte für den Maschinen- und Anlagenbau mit mehr als 30 Jahren Erfahrung in der Branche.
Wie beeinflussen Strafzölle, wie zum Beispiel auf E-Autos aus China, die US-Strategien? Muss sich der deutsche Maschinenbau auch auf Strafzölle einstellen?
Enck: Kurzfristig kann ich mir das nicht vorstellen. Wenn man die Politik langfristig weiterdenkt, dann könnten die USA irgendwann fordern, dass auch Maschinen im eigenen Land produziert werden müssen.
Aber langfristige Prognosen abzugeben – davon rate ich in der heutigen Zeit ohnehin ab. Niemand kann heute sagen, ob das Pendel nicht auch wieder in Richtung eines stärkeren Freihandels schwingt.
In der Breite kann ich gerade nicht feststellen, dass es eine größere Bewegung gibt, Werke in den USA zu eröffnen. Aber natürlich prüfen deutsche Unternehmen das. Eine von uns kürzlich durchgeführte Befragung von 100 Industrieunternehmen ergab aber, dass die USA an erster Stelle stehen bei geplanten Auslandsinvestitionen.
Wenn man ein Werk in den USA eröffnen möchte: Welche Herausforderungen gibt es dabei zum Beispiel?
Enck: Einer der wichtigen Punkte ist die Qualität der Arbeit. Wenn Sie die Montage angehen, dann müssen Sie häufig das Personal erst einmal ausbilden, um auf deutsche Standards zu kommen. Das ist lösbar, aber eine nicht zu unterschätzende Investition. Auch in zeitlicher Hinsicht.
Dann kommt der nächste Schritt: Sie müssen Lieferketten vor Ort aufbauen. Das ist momentan einer der entscheidenden Gründe, warum deutsche Maschinenbauer nach wie vor zurückhaltend beim Aufbau von Produktionsstätten in den USA sind: Die dortige Zulieferstruktur und -qualität ist aus heutiger Sicht nicht weit genug ausgebildet. Das wird sich so schnell auch nicht ändern.
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Ist es in vielen Fällen dann besser, lieber zu exportieren und dafür ein gutes Zulieferernetz zu haben?
Enck: Aus heutiger Sicht ja. Aber wenn man es für eine realistische Chance hält, dass die Politik irgendwann auf eine Fertigung in den USA drängt, dann ist es auf Dauer gesehen nicht so klug, nur auf Export zu setzen. Zumindest sollte das Szenario eingeplant sein. Zudem hängt dies stark vom jeweiligen Einzelfall ab – welche Kunden werden bedient, wo sitzen relevante Zulieferer?
Wie sollte man also vorgehen?
Enck: Der erste Schritt wäre eine Montage in den USA zu errichten und dort eine Wertschöpfungskette aufzubauen, um mehr lokalen Anteil aufzuzeigen. Eine Möglichkeit ist nicht nur die USA für den Aufbau einer Lieferkette zu betrachten, sondern auch auf Mexiko und Kanada zu setzen.
Und wenn Sie erst einmal vor Ort sind mit einer Montage und dann die ersten Teile anfertigen, wird sich nach und nach auch eine Zulieferindustrie entwickeln. Das ist alles möglich, aber es braucht Zeit. Und damit sind die Investitionskosten trotz möglicher Subventionen nicht zu unterschätzen.
Wie sehr beschäftigt die Maschinenbauer denn die bevorstehende Wahl? Sowohl Joe Biden als auch Donald Trump haben ja eine „America first“-Strategie.
Enck: „America first“ ist letztendlich auch eine Art Konjunkturprogramm für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, wie zuvor beschrieben.
Eine Wiederwahl von Donald Trump könnte große grundsätzliche politische Implikationen haben, die aber aus heutiger Sicht nicht genau zu prognostizieren sind. Sollte die weltweite Sicherheitslage noch instabiler werden, hat das natürlich dann auch gravierende wirtschaftliche Auswirkungen: In einer noch instabileren Welt werden Investoren zurückhaltender. Das würde mutmaßlich auch den Maschinenbau unmittelbar in der Nachfrage betreffen.
Unsicherheiten kann der Maschinenbau also gar nicht gebrauchen.
Enck: Eine bereits eingetretene Krise kann unter Umständen von Vorteil sein, wie bereits skizziert. Unsicherheit bezüglich wichtiger Rahmenbedingungen ist aber für das Investitionsklima immer schlecht, Investoren warten dann eher ab, bis sich Klarheit über eine Entwicklung zeigt. Inwieweit es bei einer Wahl von Trump aber rasche Klarheiten über seine Politik gibt: Das lässt sich schwer beurteilen.
Hat dieses mögliche Szenario denn negative Auswirkungen auf die US-Investitionsstrategien des Maschinenbaus?
Enck: Die Zeit mit der größten Ungewissheit ist nach meiner Einschätzung die Phase von der Wahl bis zur Bildung der neuen Regierung. Im Falle einer Wahl von Donald Trump könnte es schon sein, dass Investitionen sich ins zweite Halbjahr 2025 verlagern, um diesen Prozess abzuwarten. Das sagt sich aber immer leichter, als es faktisch ist.
Unternehmen richten ihre Investitionsentscheidungen grundsätzlich eher nicht nach Wahlen aus. Darum sehe ich dann auch keinen plötzlichen Investitionseinbruch in der Breite. Aber die Unternehmen werden das ganz genau beobachten.
Kann man sich auf die diese Unsicherheit denn vorbereiten?
Enck: Niemand kann sich schlussendlich auf globale Unsicherheit so vorbereiten, dass sie ihn nicht trifft. Aber das wissen die Unternehmen heute auch schon. Denn sie leben bereits in einer Welt, in der jeden Tag Ereignisse zu komplett neuen Rahmenbedingungen führen können.
Darum ist bereits heute einer der wichtigsten Fähigkeiten: Flexibilität. Nur dann lässt sich pragmatisch auf Ereignisse reagieren. Ich kenne kaum ein Unternehmen, das nicht daran arbeitet, sein Geschäftsmodell, seine Organisation und seine Abläufe flexibler aufzustellen und damit anpassungsfähiger zu machen. Und das ganz generell, nicht auf einzelne Ereignisse wie eine Wahl bezogen.
Ein stückweit ausgebremst werden gerade die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer von dem wohl wichtigsten Trend der heutigen Zeit: dem Arbeitskräftemangel. In den nächsten Jahren gehen Millionen Babyboomer in Rente, die Unternehmen müssen mit weniger Arbeitskräften auskommen. Darauf sehe ich die Unternehmen aber noch nicht ausreichend vorbereitet.
Outsourcing, Automatisierung und Künstliche Intelligenz sind Möglichkeiten, mit dem Problem umzugehen. Aber das wird ein langwieriger Prozess der Neuausrichtung. Damit müssen die Unternehmen jetzt beginnen, wenn sie es noch nicht getan haben. Sonst werden sie an den Weltmärkten deutlich an Bedeutung verlieren.
Deutliche Abschwächung des Exportwachstums in die USA
Die Nachfrage aus den USA, dem größten Einzelmarkt der deutschen Maschinenexporteure, schwächte sich bereits zum Ende des vergangenen Jahres ab. Für das Gesamtjahr 2023 stand aber noch ein zweistelliges Plus von nominal 12,6 Prozent in den Büchern. Im ersten Quartal 2024 erreichte das Wachstum nur noch einen kleinen Zuwachs von nominal 2,1 Prozent.
"Die US-Wirtschaft hatte ihren Wachstumstrend aus der Zeit vor der Pandemie übertroffen, doch hat sich die Konjunktur in den USA zuletzt verlangsamt", sagt Benedict Jeske, VDMA-Konjunkturexperte. "Zwar bleibt die Inflation nach ersten Erfolgen der Zinspolitik hartnäckig, doch dürfte sich der Preisauftrieb in der zweiten Jahreshälfte so stark verlangsamen, dass der Weg für zumindest eine Senkung des US-Leitzinses im späteren Jahresverlauf frei wird und sich die Aussichten auf ein 'soft landing' der US-Wirtschaft erhöhen."
Quelle: VDMA
Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, was passieren könnte, wenn Trump gewinnt. Was ist denn, wenn Biden gewinnt? Heißt es dann “Business as usual” für die deutschen Maschinenbauer?
Enck: Kontinuität erhöht die Planbarkeit massiv, und hohe Planbarkeit stellt einen wesentlichen Stabilitätsfaktor dar.
Kann man eine Prognose geben? Welche Chancen bietet der US-Markt für den Maschinenbau noch?
Enck: Der US-Markt wird noch für viele Jahre der bedeutendste außereuropäische Markt für unsere deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sein. Aufgrund der bisher meist fehlenden Vor-Ort-Präsenz sehe ich durchaus noch Potenziale für unsere Maschinenbauer durch Verstärkung der Aktivitäten in den USA – bei allen Herausforderungen, die das mit sich bringt.
Die Autorin: Anja Ringel
Dass sie Redakteurin werden will, wusste Anja Ringel schon zu Schulzeiten. Als Chefredakteurin ihrer Schülerzeitung hat sie Lehrkräfte und Schüler interviewt, das Mensaessen getestet und ist Fragen wie "Wieso hat Wasser ein Mindesthaltbarkeitsdatum" nachgegangen.
Nach Stationen bei diversen Tagezeitungen schaut sie bei "Produktion" nun den Unternehmen auf die Finger oder besser gesagt auf die Bilanzen. Als Wirtschaftsredakteurin kümmert sie sich aber auch um Themen wie Fachkräftemangel, Diversity, Digitalisierung oder Unternehmenskultur. Daneben ist sie einer der Podcast-Hosts von Industry Insights.
Privat liebt sie das Reisen und nutzt ihre Urlaube, um die Welt zu entdecken.