Flexible Lösungen und Praxistauglichkeit sollen die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in der EU stärken, anstatt durch Bürokratie ausgebremst zu werden. Dafür gibt es den 'Wettbewerbsfähigkeits-Kompass'.

Flexible Lösungen und Praxistauglichkeit sollen die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in der EU stärken, anstatt durch Bürokratie ausgebremst zu werden. Dafür gibt es den 'Wettbewerbsfähigkeits-Kompass'. (Bild: Robert Kneschke - stock.adobe.com)

Die Europäische Union unternimmt derzeit gezielte politische Schritte, um die Industrie des Kontinents zukunftsfest und wettbewerbsfähig zu machen. Die neue EU-Kommission hat mit dem sogenannten ‚Wettbewerbsfähigkeits-Kompass‘ einen klaren Schwerpunkt auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas gelegt. Diese strategische Neuausrichtung folgt insbesondere den Empfehlungen des Draghi-Reports und soll die Arbeit der Kommission in den kommenden fünf Jahren leiten.

Vor allem aus der Industrie wird bemängelt, dass viele EU-Vorgaben zu detailliert, präskriptiv und zu weit entfernt von der realen Unternehmenspraxis seien, dazu Holger Kunze, Geschäftsführer des Brüsseler Büros des VDMA: „Die massive Überregulierung der letzten Jahre überlastet die europäischen Unternehmen und hemmt deren dringend benötigte Innovationsfähigkeit.“ Die Herausforderung für die Politik: Flexibilität und Praxistauglichkeit in die Regularien zu integrieren, ohne die Wirkungskraft der grünen und digitalen Transformation zu verwässern.

VDMA: Regeltreue frisst mehr Energie als Wertschöpfung

In Unternehmen stößt vor allem die Regelungsdichte und Umsetzungslast auf Unmut. Besonders belastend empfinden Industrievertreter die zahlreichen Regulierungen, hier kommen ein paar Beispiele.

  • EU-Taxonomie: Gut gemeint, aber in der Umsetzung schwer verständlich, wenig praktikabel – vor allem für KMU ohne eigene ESG-Abteilung
  • REACH-Verordnung: Stoff- und Chemikalienregelung mit hohem Dokumentationsaufwand – ein Dauerbrenner in der Prozessindustrie
  • CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive): Berichtspflichten, die bereits heute enorme Ressourcen binden – noch bevor greifbare Effekte entstehen
  • Digitale Identitäts- und Datenschutzvorgaben (eIDAS, NIS2 und DSGVO): Hohe Komplexität, rechtliche Unsicherheit, massive Haftungsrisiken

In Summe entsteht so eine Situation, in der laut VDMA Regeltreue mehr Energie frisst als die eigentliche Wertschöpfung. „Die Folge dieser Politik ist eine Überforderung vor allem für den Mittelstand“, so Holger Kunze.

Deutscher Maschinenbau-Gipfel 2022
(Bild: mi-connect)

Kommen Sie zum Maschinenbau-Gipfel!

Lernen Sie von den Besten der Branche, wie Geschäftsmodelle an neue Rahmenbedingungen angepasst werden können. Seien Sie dabei, wenn die führenden Köpfe des europäischen Maschinenbaus Projekte und Best Practices für den Maschinenbau diskutieren!

 

Die Branche trifft sich am 16. und 17. September 2025 in Berlin.

 

Sichern Sie sich hier Ihr Ticket für die Veranstaltung!

Holger Kunze, Geschäftsführer des Brüsseler Büros des VDMA.
Holger Kunze: „Die massive Überregulierung der letzten Jahre überlastet die europäischen Unternehmen und hemmt deren dringend benötigte Innovationsfähigkeit.“ (Bild: VDMA)

Kernkritikpunkte an der EU-Regulierungsflut

Zu viele, zu weitgehende und zu detaillierte Regelungen: Unternehmen müssen sich durch ein Dickicht aus Vorschriften kämpfen, das nicht nur Ressourcen bindet, sondern auch Innovationsfreude ausbremst. Innovationsfähigkeit der Unternehmen wird beschränkt: Statt Flexibilität zu lassen, wie Ziele erreicht werden, schreibt die EU oft zu kleinteilig was und wie etwas gemacht werden muss – das lähmt Fortschritt. „Das Alles bedeutet Nachteile im globalen Wettbewerb“, so Kunze. „Während andere Regionen (USA, Asien) stärker auf marktorientierte Steuerung setzen, kämpfen europäische Firmen mit hohen Bürokratiekosten und Anpassungsdruck – oft ohne klaren Nutzenvorteil.“

Bürokratie bremst Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit

Im Fokus steht die zentrale Forderung aus Industrie und Mittelstand an die EU nach weniger Detailvorgaben und dafür mehr Zielorientierung. Zu viel Bürokratie bremst die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit – national wie international, so der Tenor im VDMA. Die Unternehmen wünschen sich regulatorische Entlastung durch Ausnahmen, Schwellenwerte und branchenspezifische Flexibilität und verlässliche Übergangsfristen, um Technologien und Prozesse ohne wirtschaftliche Schocks umzurüsten. Gefordert werden auch europäische One-Stop-Lösungen statt nationaler Umsetzungslabyrinthe sowie digitale Meldeverfahren, die Bürokratieabbau wirklich spürbar machen. Denn der Druck wächst nicht nur durch die Regeln – sondern durch den globalen Wettbewerb, in dem Unternehmen mit schnelleren, flexibleren Standorten konkurrieren.

Bertram Kawlath, Präsident des VDMA.
Bertram Kawlath: „Zölle zwischen der EU und den USA sollten nicht aufgebaut, sondern abgeschafft werden. Denn sie schaden Produzenten und Konsumenten in beiden Regionen.“ (Bild: VDMA)

„Wird noch wichtiger, dass Europa zusammenhält“

Dieser globale Wettbewerb hat seit Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ein neues, anderes Gesicht. Trumps protektionistische Störfeuer mit Zöllen, Exportbeschränkungen und Handelskriegen belasten die globale Wirtschaft, dazu Bertram Kawlath, Präsident des VDMA: „Der globale Handel wird nicht zum Erliegen kommen - auch wenn immer mehr Staaten versuchen, Schutzmauern zu errichten oder eigene Industrien subventioniert werden. Aber er könnte weiter an ‚Freiheit‘ verlieren. Umso wichtiger ist es, dass Europa zusammenhält und den Binnenmarkt stärkt, statt ihn immer mehr zu zerreden.“

Nur als gefestigter Wirtschaftsblock könne die EU im internationalen Handel ein starker Akteur bleiben. „Fällt Europa dagegen in die Zeit nationalstaatlicher Egoismen zurück, werden wir mehr und mehr zwischen den Machtambitionen der großen Wirtschaftsmächte sowie den kriegslüsternen Ambitionen diverser Autokraten zerrieben. Europa steht vor einer enormen Herausforderung: allen Protektionisten mit aller Kraft die Stirn zu bieten“, so Kawlath weiter.

Nach Angaben des VDMA haben rund 60 Prozent seiner Mitglieder in einer Umfrage bestätigt, dass sie sehr stark oder stark von den US-Strafzöllen betroffen sind. „Die genauen Auswirkungen auf den Maschinen- und Anlagenbau sind aber derzeit nicht abschätzbar“, sagt der VDMA-Präsident. „Zölle zwischen der EU und den USA sollten nicht aufgebaut, sondern abgeschafft werden. Denn sie schaden Produzenten und Konsumenten in beiden Regionen.“

Thilo Brodtmann, VDMA-Hauptgeschäftsführer.
Thilo Brodtmann: „Wir sind hoch erfreut, dass nach dem Rat auch das EU-Parlament den ‚Stop the Clock‘-Vorschlag zur Aussetzung von mehreren Berichtspflichten so schnell angenommen hat. Dieser Schritt ist zwingend notwendig.“ (Bild: VDMA)

„EU-Kommission scheint es nun ernst zu meinen“

Um Europa als Wirtschaftsblock für die gut vorbereitet aufzustellen, könnte die neue EU-Binnenmarktstrategie beitragen. Dazu sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: „Die EU-Kommission scheint es nun ernst zu meinen und die drängendsten Probleme des europäischen Binnenmarkts anzugehen. Die jetzt vorab bekannt gewordenen Punkte zur EU-Binnenmarktstrategie klingen vielversprechend. Das gilt insbesondere für den ‚Think-small first‘-Ansatz, also der verstärkte Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen, die enorm vom Binnenmarkt profitieren, aber bislang auch mit immensen Hürden zu kämpfen haben.“

Brodtmann weiter: „Im Bereich der Arbeitnehmerentsendung, die unseren Unternehmen bei grenzüberschreitenden Arbeitseinsätzen viel Kopfzerbrechen bereitet, packt die EU-Kommission endlich die bürokratischen Probleme an. EU-weit harmonisierte und einheitliche Regeln müssen Standard sein.“

EU-Binnenmarkt als wichtige Handelsplattform

Wie wichtig der innereuropäische Handel im Maschinen- und Anlagenbau für die Stärke des Kontinents ist, zeigen die jüngsten Statistiken. In den ersten elf Monaten des Jahres 2024 erreichten die EU-Maschinenexporte insgesamt einen Wert von 543 Milliarden Euro, wovon rund die Hälfte (272 Milliarden Euro) in jeweils andere EU-Länder ging. „Dies verdeutlicht die Bedeutung des EU-Binnenmarkts als wichtige Handelsplattform für unsere Industrie“, sagte Kawlath. Der Branchenumsatz des europäischen Maschinen- und Anlagenbaus wird für 2024 auf 860 Milliarden Euro (minus sechs Prozent zum Vorjahr) geschätzt – das sind etwa 27 Prozent des weltweiten Maschinenmarkts. Die Branche erwartet 2025 ein weiteres schwieriges Jahr. Aufgrund der vielen globalen Handelshemmnisse und großer Verunsicherung der Kunden müssen die Firmen mit einem noch andauernden schwachen Investitionsniveau rechnen.

EU-Industriepolitik: Neues Narrativ, neue politische Richtung, neue Prioritäten

EU-Experte Holger Kunze vom VDMA sieht die EU-Industriepolitik vor einem Paradigmenwechsel: „Die EU erkennt an, dass sie im globalen Wettbewerb – insbesondere mit den USA und China – wirtschaftlich ins Hintertreffen gerät. Die Antwort: ein aktiver Kurswechsel.“ Dazu zählen eine starke Wirtschaft, die gleichsam für die geopolitische Handlungsfähigkeit steht, dazu Kunze: „Nur wer wirtschaftlich leistungsfähig ist, kann auch souverän außenpolitisch agieren, Lieferketten sichern, Verteidigung aufbauen und Standards setzen.“ Ein rascher Umschwung ist also angesagt, denn die bisherige Trägheit der EU ist in der aktuellen geopolitischen Gemengelage extrem gefährlich: „Jetzt müssen schnelle, pragmatische Entscheidungen folgen“, so Holger Kunze.

Zu den neuen EU-Prioritäten zählt an oberster Stelle die Wettbewerbsfähigkeit. Hier fordern Experten eine Orientierung am Draghi-Bericht (2024), der tiefgreifende Strukturreformen vorschlägt. Nicht weniger wichtig ist ein sofortiger Bürokratieabbau als Schlüsselforderung der Industrie. Zudem wird der Green Deal als Clean Industrial Deal mit stärkerem Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit neu aufgestellt. Neue Handelsabkommen könnten zum Wachstumsmotor werden, doch da muss noch viel passieren, wie Bertram Kawlath erläutert: „Zum einen sind alle Versuche, multilaterale Abkommen zu schließen, mehr oder weniger begraben worden. Selbst das längst beschlossene Mercosur-Abkommen hängt noch immer in der Schwebe. Viele Regierungen suchen ihr Heil in bilateralen Abkommen, bei denen möglichst viel für die eigene Seite herausspringen soll.“

Zu den neuen obersten Prioritäten zählen auch Resilienz und Souveränität mit ausgefeiltem Lieferkettenstrategien, um sich aus strategischen Abhängigkeiten (China, Energie, Halbleiter) zu befreien – mit dem Ziel, mehr Autonomie bei kritischen Technologien und Rohstoffen zu bekommen. Aber auch die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik steht ganz oben auf der neuen EU-Agenda. Hier steht der Aufbau einer europäischen Verteidigungsindustrie als Reaktion auf geopolitische Spannungen sowie Sicherung industrieller Kapazitäten für Waffen, Ausrüstung und Cybersicherheit im Fokus.

„Die EU mach ernst mit dem Bürokratieabbau“

Bei dem wichtigen Punkt Bürokratieabbau, scheint in Brüssel Bewegung reinzukommen. Zu den Plänen der EU-Kommission, die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das EU-Lieferkettengesetz und die EU-Taxonomie in einer Omnibus-Verordnung – ein bündelgesetzliches Vorhaben der EU, bei dem mehrere Gesetzesänderungen oder -initiativen in einem einzigen Legislativpaket zusammengefasst werden - zu vereinfachen, sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: „Der Omnibus-Vorschlag zur Vereinfachung von drei besonders belastenden Regelwerken muss ein deutliches Signal an die Wirtschaft senden: Die EU meint es ernst mit dem Bürokratieabbau. Ein fauler Kompromiss, der am Ende keine konkreten Verbesserungen im Unternehmensalltag bringt, würde das Vertrauen der mittelständischen Industrie nachhaltig erschüttern.“

Am 3. April 2025 machte das Europäische Parlament mit der Zustimmung zur Verschiebung der EU-Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten um zwei Jahre einen großen Schritt in die richtige Richtung.

Ruf nach Entlastung wird lauter – und gehört

Der Ruf nach Vereinfachung wird also deutlich lauter – denn die aktuellen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung überfordern viele Unternehmen, vor allem im industriellen Mittelstand. Eine praxisgerechte Neuausrichtung erfordert mehrere Schritte. „Zum einen muss es zu einer Reduzierung der Datenpunkte kommen“, so Thilo Brodtmann.  Nicht jedes Detail muss erfasst werden. Der Fokus sollte auf wirkungsrelevanten Kennzahlen liegen, die operativ gesteuert und glaubwürdig berichtet werden können – ohne Excel-Exzesse oder Beratungsarmee.

Weitere wichtige Ansatzpunkte sind für den VDMA-Hauptgeschäftsführer die Vereinfachung der Anforderungen und die Begrenzung des Trickle-Down-Effekts in der Lieferkette. „Nur so können die Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele fokussiert verfolgen, ohne von bürokratischen Prozessen überwältigt zu werden.“ Wenn der regulatorische Rahmen dann wirklich auf Fokus, Machbarkeit und Wirkung ausgerichtet ist, kann Nachhaltigkeit wirklich in der Breite verankert werden – und nicht nur in Konzernzentralen mit ESG-Abteilungen. Der EU-Gesetzgeber steht scheinbar vor einer Weichenstellung: Prozesse entschlacken oder Akzeptanz verlieren.

VDMA: Bürokratische Nachhaltigkeitspflichten praktikabel halten

Die Wirtschaftspolitik der EU steht also vor einem historischen Umbruch. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rückt Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum – auf den ersten Blick zu Lasten bisheriger Nachhaltigkeitsziele. Zur Annahme des ‚Stop the Clock‘-Vorschlags, mit dem Berichtspflichten für Unternehmen ausgesetzt werden, sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: „Wir sind hoch erfreut, dass nach dem Rat auch das EU-Parlament den ‚Stop the Clock‘-Vorschlag zur Aussetzung von mehreren Berichtspflichten so schnell angenommen hat. Dieser Schritt ist zwingend notwendig und besonders wichtig für Unternehmen, die in diesem Jahr erstmalig mit dem hohem Datenaufwand konfrontiert gewesen wären.“

Die Unternehmen könnten die bürokratischen Belastungen der Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichte (CSRD) sowie der künftigen europäischen Lieferkettenrichtlinie (CS3D) nun zurückstellen und sich erst einmal auf die eigentlichen Herausforderungen der Transformation konzentrieren. „Jetzt gilt es, die noch offenen inhaltlichen Änderungen zur CSRD und CS3D schnell zu verhandeln und die Vorschläge der EU-Kommission nicht zu torpedieren. Nur so können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien zukunftssicher und effizient gestalten.“ Der VDMA werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass bürokratische Nachhaltigkeitspflichten praktikabel gehalten blieben.

Sie möchten gerne weiterlesen?