Durch das Gasleck in der Nord Stream-Pipeline sprudelndes Wasser in der Ostsee

Durch die Gaslecks in den Ostsee-Pipelines kommt die Frage auf, von welchen Infrastrukturen auf dem Meeresboden die deutsche Wirtschaft abhängig ist. Welche sind es, wie kritisch sind sie, werden sie überhaupt geschützt, was passiert, wenn sie ausfallen? (Bild: Schwedische Küstenwache)

Es wird immer wahrscheinlicher, dass die mittlerweile vier Lecks in den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf einen Sabotageakt zurückzuführen sind. Dass es sich dabei um zufällige Unfälle oder Störungen handelt, glaubt eigentlich niemand mehr. Es stellt sich also die berechtigte Frage, wie sicher ist die – im Fall von Nord Stream 1 und 2 in einer durchschnittlichen Meerestiefe von 38 Meter liegende – maritime Energieversorgungs- und auch Kommunikationsinfrastruktur?

Dazu Professor Dr. Dominik Möst, Technische Universität Dresden, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Professur für Energiewirtschaft: „Grundsätzlich kann die auf dem Meeresboden verlegte Infrastruktur als sicher angesehen werden. Das heißt allerdings im Umkehrschluss nicht, dass diese gegen jegliche mutwillige herbeigeführte Zerstörung in jedem Fall gesichert ist.“ Eine Sabotage könne nie ausgeschlossen werden, insbesondere wenn ausreichend Mittel und Kenntnisse zur Verfügung stünden.

Die Infrastruktur in Europa ist angreifbar

Fakt ist: Die Infrastruktur in Europa ist angreifbar. Folgerichtig fordern Sicherheitsexperten nach Bekanntwerden des vierten Lecks im für Deutschland so wichtigen Nord Stream-Netz, maritim verlegte Pipelines und Kabel besser gegen Angriffe und Sabotageakte besser zu schützen. CDU-Politiker Roderich Kiesewetter etwa sagte im ARD-Morgenmagazin: "Wir müssen uns sehr intensiv um den Schutz der Infrastruktur kümmern.“ Dies bedeute auch neue Aufgaben für die Marine, so Kiesewetter weiter. Dabei komme es auf internationale Abkommen an. In diesem Zusammenhang müssten auch die Kommunikationsleitungen nach Nordamerika und Skandinavien in den Fokus genommen werden, fordert der Politiker zudem.

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Belastungstest für die kritische Infrastruktur

Jacopo Pepe, Experte für Energieversorgungssicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik geht noch einen Schritt weiter: Er ruft nach "einem stärkeren militärischen Schutz unserer kritischen Infrastruktur und Energie-Lieferketten“, so Pepe im Tagesspiegel. Vor allem den maritimen Schutz müsse man ausbauen, wird er dort weiter zitiert. Dem Spiegel gegenüber sagte der Experte ganz deutlich, wer dafür zuständig sein sollte: „Hier sehe ich die Bundeswehr innerhalb der Nato gefordert.“

Gegenüber dem gleichen Nachrichtenmagazin bezeichnete EU-Innenkommissarin Ylva Johansson die mutmaßliche Sabotage an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 als Warnruf und Reaktionen hat angekündigt: „Wir werden uns jetzt an alle Mitgliedstaaten wenden und wir werden einen Belastungstest durchführen in Bezug auf die kritische Infrastruktur“, so die Schwedin im heute journal. Angesichts der Lecks in den Pipelines sprach sie dort von einem „Anschlag“, der eine „Eskalation“ und „eine Bedrohung“ sei. „Soweit ich es beurteilen kann, ist es ein sehr intelligenter Anschlag, der nicht verübt worden sein kann von einer normalen Gruppe von Menschen“, so die Kommissarin weiter im ZDF.

„Kein Schutz über die gesamte Länge“

Doch ganz so einfach geht das nicht, wie Abteilungsleiter Maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, Johannes Peters, auf tagesschau.de berichtet: „Man muss sich sicherlich von dem Gedanken verabschieden, dass man kritische Infrastruktur, die auf dem Meeresgrund verbaut ist, über ihre gesamte Länge schützen kann."

Es sei einfach nicht möglich, so erklärt er weiter auf tagesschau.de, Pipelines und Kabel, die über Tausende Kilometer in großer Wassertiefe liegen, "über die gesamte Länge zu schützen." Wer aber soll das überhaupt übernehmen? Neben Nord Stream kommen allein für Deutschland laut ‚Pipeline Open Data Standard Association’ (PODS) nochmal zwölf und bis zu 700 Kilometer lange und für die Gasversorgung wichtige Pipelines dazu – weltweit sind es nach Angaben von PODS über 180.

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Betreiber sind für technische Betriebssicherheit verantwortlich

Sicherheitsexperte Peters bei tagesschau.de nochmals zu der Forderung nach mehr Schutz: "Es ist kein hoheitlicher Auftrag, das zu machen, also beispielsweise die Marine oder Seestreitkräfte haben nicht den Auftrag, solche Infrastruktur zu schützen. Das liegt erstmal bei den Betreibern selber, die sind für die technische Betriebssicherheit verantwortlich." Das gilt auch für die im Meer verlegten Strom- und Datenkabel.

„Für Strom gibt es vor allem Seeanbindungen für Offshore-Windparks sowie Seekabel in der Ostsee von Schweden nach Deutschland, Dänemark nach Deutschland sowie – in der Nordsee geplant - von Norwegen nach Brunsbüttel und Norwegen nach Eemshaven an der deutsch-niederländischen Grenze“, erläutert Professor Dominik Möst. Dies seien jeweils Gleichstromübertragungskabel, die für den Stromaustausch zwischen den Ländern genutzt würden.

Datenkabel mit einer Länge von 37.000 Kilometern

Allein zwischen 2012 und 2014 stieg deren Anzahl von 150 auf weltweit 285 Kabel - heute sind es allein 400 weltweit im Einsatz befindlichen Seekabel mit Längen bis zu 37.000 km, die das 2Africa-Kabel haben wird, wenn 2023 die Kanaren und 2024 Europa, der Mittlere Orient und Afrika über Anschlussstellen in 16 Küstenländern rund um den afrikanischen Kontinent miteinander verbunden sind - und damit zum längsten unterseeischen Internetkabel der Welt wird.

Nach Expertenangaben laufen heute 95 Prozent des internationalen Datenverkehrs über Seekabel. Das verdeutlicht, dass ein besserer Schutz des maritimen kompletten Versorgungsnetzes dringend notwendig wird – und auch wieder ein Blick auf die seit langem in die Schlagzeilen geratenen Nord Stream-Pipelines.

„Nord Stream mit deutlich höchster Kapazität“

Die beiden Stränge dieser Pipeline verlaufen parallel über eine Strecke von 1.224 Kilometern durch die Ostsee von der Bucht von Portowaja (nahe Wyborg, Russland) nach Lubmin in Deutschland und bilden die kürzeste Verbindung zwischen den umfangreichen Erdgasreserven in Russland und den Energiemärkten in der EU. Im Jahr 2021 wurden 59,2 Milliarden m³ russisches Erdgas zu den Verbrauchern in Europa durch die Nord Stream-Pipeline transportiert.

Deutschland hat laut Statista im Jahr 2020 55,2 Prozent seines Gasbedarfs von Russland bezogen. Das alleine zeigt, wie wichtig der Schutz dieses Unterwasser-Versorgungsnetz für die Industrie ist, dazu nochmal Energieexperte Möst: „Grundsätzlich ist, war Deutschland stark von Gaslieferungen aus Russland abhängig, allerdings hat Russland die Lieferungen in den letzten Monaten nahezu auf null reduziert, so dass alternative Angebotsquellen erschlossen werden müssen und sich die Nachfrageseite bei den extrem hohen Gaspreisen extrem reduzierte.“

Die Nord Stream-Pipelines seien dabei zwar nicht die alleinige Infrastruktur für Lieferungen aus Russland, aber jene mit der deutlich höchsten Kapazität, jeweils beide Stränge mit ca. 59 Milliarden Kubikmeter Transportkapazität, so Möst weiter.

Ausfall der Infrastruktur im Einzelfall betrachten

Was die Vorfälle an der Nord Stream anbelangt, so hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bei spiegel.de gesagt, dass sich die Marine an der Aufklärung der Vorfälle beteiligen werde. Der Vorfall führe vor Augen, dass Deutschland auf kritische Infrastruktur angewiesen sei, auch unter Wasser, so Lambrecht bei spiegel.de weiter. Für Dominik Möst stellt sich in des die Frage, wie eng oder weit gefasst der Begriff abhängig ist: „Es gibt sowohl Infrastruktur für Gas und Strom in Nord- und Ostsee. Ein Ausfall der Infrastruktur und dessen Folgen ist jeweils im Einzelfall zu betrachten und dabei das Gesamtsystem einzubeziehen.“

Da im Falle der Gaslieferungen aus Russland bereits seit mehr als einen halben Jahr Maßnahmen zum Ersatz ergriffen würden und die Pipeline in den letzten Wochen für keinen Transport genutzt würde, sie man auf eine solche Situation zumindest zu Teilen bereits eingestellt. „Falls die Gaslage allerdings sehr angespannt werden sollte, steht eine optionale Nutzung der Transportkapazität nun definitiv nicht mehr zur Verfügung, was die Lage im Gasmarkt insbesondere perspektivisch verschlechtert. Und Russland kann diese Option auch nicht mehr nutzen“, so Möst.

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