In einer Sache sind sich heute so gut wie alle Instandhaltungsprofis einig: Ohne Software geht es nicht. Und auch in einer weiteren Sache herrscht bei den Praktikern in den Hallen weitgehend Konsens: Das ohne Stammdaten-Pflege wenig bringt">ERP-Programm (Enterprise Resource Planning) alleine ist hier nicht selig machend. Also führen immer mehr Unternehmen ein auf das ERP aufsetzendes Tool ein, um Aufträge, Ressourcenplanung oder Aufwände besser handeln zu können.
Diesen Plan hatte auch Jochen Klaus (Name von der Redaktion geändert). Der Instandhaltungsleiter bei einem Automobilzulieferer hatte ursprünglich ausschließlich die weit verbreiteten SAP Module für Material Management und PM für Plant Maintenance im Einsatz. Mit damals rund 100 Leuten kümmerte er sich im Zuge der typischen "Feuerwehr-Einsätze" in der Instandhaltung um den Maschinenpark. "Wir haben hier Maschinen mit Baujahren von 1950 bis heute", sagt er. "Also ein durchaus herausforderndes Arbeitsumfeld." Entsprechend wenig Beachtung fand bei der Mannschaft der unbeliebte Papierkram rund um Stundenaufwand, Materialverbrauch und Auftragsabarbeitung.
Am SAP rummurksen bringt nichts
Doch dann sollte die Abteilung ihre Tätigkeit zusätzlich zu den steigenden Anforderungen transparenter und nachvollziehbarer darstellen. "Das hatte viel mit der Präsenz zu tun, mit Anerkennung und vor allem hatte es mit viel Geld zu tun", erinnert sich Klaus. "Wir sind losgestartet und haben das SAP verbogen, wie man es sich schöner nicht vorstellen kann." Doch gab es im Unternehmen keinen SAP-PM-Spezialisten. "Not macht erfinderisch", erzählt Klaus. "Also haben wir uns einfach die ganzen Transaktionen herausgesucht, die sich für uns nett anhörten, haben die vollgeballert mit Informationen, haben uns eine Produktstruktur an Maschinen aufgebaut und wild losgelegt."
Der Erfolg der Hau-Ruck-Aktion hielt sich in engen Grenzen, wie Klaus feststellen musste: "Das Ganze hat ungefähr ein viertel Jahr gedauert. Dann haben wir festgestellt, dass man SAP lieber so benutzen sollte, wie es benutzt werden will. Sonst hauen die Auswertungen nicht hin, sonst funktionieren die Schnittstellen nicht, sonst hat man eigentlich keinen großen Mehrwert daraus."
Also wurde das SAP umgebaut: "Wir haben die ganze Stammdaten-Struktur mit fünf Mann neu aufgesetzt und geschaut, dass wir das SAP-konform hinkriegen", sagt Klaus. Der Umbau half und das System lief. "Jetzt haben wir in der Werkstatt aber Menschen, die mit Hammer und Imbusschlüssel wahrlich Größen sind – aber wenn ich denen sage: Ab kommender Woche meldest Du dich in der SAP-Transaktion IW 42 an, mit diesem Passwort, mit den Zugangsdaten und meldest mir auf Auftrag AB, unter Vorgang XY deine Tätigkeiten rück, die du an der Maschine getan hast, dann muss man feststellen, dass Menschen tatsächlich nicht nur aus Nullen und Einsen bestehen", sagt Klaus, der im Zuge der Aktion durchaus auch mal ein Zitat des Götz von Berlichingen zu hören bekam. "Die Jungs haben Angst gekriegt", erzählt Klaus. "Sie befürchteten, dass die ganze Sache ein Arbeitszeit-Kontrolltool sein sollte und haben entsprechend reagiert."
Außerdem musste Klaus feststellen, dass auch junge Leute nicht sehr computeraffin sein können: "Die können alle E-Mails schreiben, die haben das Smartphone super im Griff – aber, wenn man sie vor SAP setzt, kriegen sie so komische Flecken im Gesicht und Nackenhaare, wo sie vorher noch keine hatten."
Ohne Akzeptanz ist die beste Software sinnlos
Die Akzeptanz für die neue Arbeitsweise war schlicht nicht gegeben. "Wir haben drei Jahre lang das Boot von links nach rechts gezogen und versucht, über eine der vielen Möglichkeiten der Software das System zu vereinfachen", erklärt der Instandhaltungsleiter. Schlussendlich war aber klar, dass SAP für die Anwendung an der Maschine im Unternehmen nicht das Mittel der Wahl sein wird. "Wobei ich selbst die Software sehr schätze", sagt Klaus. "Sie bietet eine Million Möglichkeiten mit transparenten Auswertungen – das ist wunderbar, wenn man sich auskennt." Fest stand aber, dass auch bei der Einführung einer auf das ERP aufgesetzten Lösung die Planer im Büro weiter mit SAP arbeiten. Denn das System war im Unternehmen, das zu einem Konzern gehört, gesetzt.
Der allenthalben entstandene Unmut führte schlussendlich zur Überlegung, eine praktikable, im Frontend einfach zu bedienende und effektive Instandhaltungssoftware einzuführen. Recherchen auf Messen und im Netz führten Klaus zum Münchner Instandhaltungssoftware-Spezialisten Membrain.
"Ich wollte das Ganze in einfach", sagt Klaus. "Es sollte ein System für Menschen sein, die mit dem PC und SAP nichts zu tun haben, mit einer systematischen Abfrage von oben nach unten, in der sie nichts falsch machen können. Und in der, wenn sie dann doch etwas falsch machen, nichts unmittelbar Schlimmes passiert und die Gießerei nicht ‚zufällig‘ mal ein Mischergetriebe für 80.000 Euro kauft."
Für Klaus ausschlaggebend war schlussendlich nicht die riesengroße Varianz: "Zugpferd für mich ist es, es für den Instandhaltungsmitarbeiter so einfach und schnell wie möglich zu machen." Immer, wenn in der rund dreijährigen Projektphase die Gefahr bestand, sich zu verzetteln, konzentrierte sich das Team auf diese Maxime: "Wir haben uns dann gesagt, wir wollen nicht noch 25 Fenster. Und wir wollen kein 24. Dropdown-Menu. Und wir wollen die SAP-Transaktion am Ende auch nicht."
Stattdessen konzentrierten sich Klaus und seine Kollegen darauf, was die Instandhalter ihrer Meinung nach tatsächlich benötigen. "Die brauchen und wollen schon mal keine Anmeldung", resümiert Klaus. Also musste die Software so gestaltet sein, dass sich der User am besten per Videoerkennung oder Fingerprint an seinem Device anmeldet und innerhalb von einer zehntel Sekunde im Livesystem ist. "Er muss auch nur das sehen, was ihn angeht", erklärt der Instandhaltungsleiter. "Er will sich in der Früh nicht durch 564 Aufträge durchwühlen bis er seine eigenen findet. Nein, er will, dass ihm auf den ersten Blick die Software sagt: Hier, das ist dein persönliches To-do für heute. Mach das."
Minimalismus als Ideal
Klaus nahm seine Jungs immer direkt mit ins Boot: "Vor allem bei den Darstellungen und den Backgrundprozessen haben wir gesagt: Wo sich die Software wann welche Daten wie aus dem SAP zieht, braucht den Endanwender nicht zu interessieren." Also setzte er sich mit Schlossern und Elektrikern zusammen und überlegte, welche Daten für diese überhaupt wichtig waren. "SAP-Key-User haben 24 Spalten auf ihrer ersten Seite – aber der Instandhalter braucht in der Regel zum Beispiel weder Meldedatum noch den Start des Auftrages." Also wurden in Membrain die Daten, Anzeigen und Abfragen soweit reduziert, dass nur die für den Werker relevanten Kerninformationen übrigblieben. "Die Kollegen haben gemerkt, das passt."
Die neue Software sollte für Klaus aber nicht die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern ersetzten. "Das wollten wir mit Absicht nicht. Die sollen weiterhin miteinander reden. Aber sobald sie miteinander gesprochen haben und der Instandhalter auf sein Device schaut, muss er sehen: Das ist meine Arbeit, das ist das, was wir abgesprochen haben", zeichnet Klaus seine Vorstellung des Prozesses. "Dann bestätigt er noch die Arbeitssicherheitsregularien, beginnt zu arbeiten – und legt das Ding zur Seite. Denn dann kann er sich wieder mit dem beschäftigen, was er eigentlich mal gelernt hat. Und wenn er fertig ist damit, dann will er noch einen Knopf drücken und der heißt ich bin fertig. Und mehr will er von dem Ding nicht wissen."
Gut Ding will Weile haben
Das Projekt zog sich trotz der genauen Vorstellungen von Klaus relativ lange hin. "Das ist auch unserer Zugehörigkeit zu einem Konzern geschuldet, denn unsere anderen Niederlassungen hatten teils andere Maßgaben oder Voraussetzungen als wir", erklärt er. Dazu kamen Herausforderungen bei der technischen Ausstattung der Werke.
Mittlerweile ist der Zeitplan aber weitgehend fix: Ab Mitte des Jahres 2021 soll die Lösung im Konzern eingesetzt werden. Das liegt auch daran, dass Klaus seine Leute von der neuen Software überzeugen konnte: "Ich komme selber aus der Instandhaltung und habe bei den Jungs gelernt. Wir haben eine sehr offene Kommunikation und wenn denen was nicht passt, sind sie nicht sehr zimperlich", sagt der Instandhaltungsleiter.
Also stellte er den Kollegen die Lösung vor. "Ich habe ihnen erklärt: Der Vorteil ist, dass es schneller geht. Ihr müsst nicht mehr bis zu einer halben Stunde vor dem Rechner sitzen, um eure Aufträge zu schreiben, sondern ihr schafft das in zwei Minuten und ihr müsst euch mit SAP nicht mehr auseinandersetzen." Aber eines machte er seinen Kollegen klar: "Wenn ihr das nicht wollt, dann machen wir es nicht." Doch sie wollten. Und auch die Geschäftsleitung stimmte zu. "Das Negativargument, dass SAP zwar im Backoffice hervorragend funktioniert, aber für die Nutzung ‚an der Front‘ in unserem nicht geeignet ist, war unser Punkt, das neue System auch bezahlt zu bekommen - es also nicht nur bei den Endusern in die Akzeptanz zu bringen, sondern auch tatsächlich das Geld dazu zu generieren."
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