Michael Lerchster pendelt bei seiner Arbeit zwischen zwei technologischen Zeitaltern. Dazu braucht er allerdings keinen mit Flux-Kompensator gepimpten DeLorean wie Marty McFly in den "Zurück in die Zukunft" Filmen. Beim Technik-Leiter der Austrocel-Zellstofffabrik an der Salzach in Hallein reicht es völlig, wenn er per pedes ein paar Dutzend Meter innerhalb des Werksgeländes zurücklegt.
Denn in dem 1890 als Zellulosefabrik "The Kellner-Partington Paper Pulp Co. Ltd." gegründeten Unternehmen sind einerseits noch genietete Behälter aus den Gründungsjahren im Einsatz und andererseits wird gerade eine hochmoderne Bio-Ethanol-Anlage errichtet. Lerchster und sein aus rund 70 Köpfen bestehendes Team kümmern sich damit um Technik aus ungefähr 130 Jahren, verteilt auf 34 Hektar Werksareal. Dazu gehören 60 Hauptfabrikationsanlagen, 110 Gebäude, 15 Kanalkilometer, 100 Kanalkammern, 22.000 Messpunkte, 28.000 I/O Datenpunkte und 30.000 Equipments. "Wenn die Ethanol-Anlage fertig ist, kommen überall noch mal um die zehn Prozent dazu", erklärt Lerchster.
Instandhaltung hauptsächlich inhouse
Die Hauptaufgaben des Magister-Ingenieurs und seines Teams sind Engineering, Inspektion und Fullfilment-Maintenance, Projectsupport, Bereitschaft und technischer Bericht. Außerdem alles an Hoch- Tief- und Stahlbau sowie sämtliche Anschlüsse. "Wir holen nur wenig Unterstützung von extern – das meiste machen wir im Haus", sagt Lerchster. So hat er zum Beispiel für die baulichen Belange einen Bauingenieur im Team. "Wir als Technik haben viele Aufgaben", sagt Lerchster lakonisch.
Eine naturgemäß herausfordernde Aufgabe für die Instandhalter stellen die alten Kocher dar, die mit ihren Nieten wie ein Industriedenkmal wirken und dennoch nach wie vor im Einsatz sind – auch wenn sie nur noch zu Lagerzwecken verwendet werden. "Die Behälter werden natürlich permanent gewartet oder auch bei Bedarf geflickt beziehungsweise ersetzt. Bei manchen haben wir schon das Oberteil ausgetauscht aber in Teilen sind es immer noch die Behälter von damals", sagt Lerchster.
Aber auch bei den betagteren Teilen des Behälters gilt nach wie vor die Prüfpflicht, erklärt der Technikleiter: "Da muss man jedes Jahr reinschauen, da gibt es entsprechende Röntgenuntersuchungen und Druckproben."
Kritisch bei den Behältern sind laut Lerchster vor allem die Bereiche im System, in denen die genutzten Flüssigkeiten eine Heißphase haben. "Wir nutzen Schwefeldioxid (SO2), das in einem Übergangsbereich dazu tendiert, mit schwefeliger Säure (H2SO3) zu H2O4 zu reagieren – somit ist die Reaktivität höher."
Der Prozess läuft bei acht Bar und 150 Grad Celsius ab – dazu kommt ein aggressives Medium. "Unsere ‚alten Behälter‘ bestehen noch aus 15 Millimeter Schwarzstahl und drei Millimeter Edelstahlplattierung. Wenn die Plattierung einen Schaden hat, ist der Schwarzstahl schnell durchgefressen, weil die Reaktivität so hoch ist", erklärt der Technikleiter. Darum wurden im Zuge der Wartung mittlerweile alle kritischen Behälter im Unternehmen ausgetauscht.
Instandhalter als technische Allrounder
Vom eigentlichen Prozess des "Kochens", also der Herstellung von Zellstoff, ganz abgesehen, ist das Austrocel-Werk auch energietechnisch eine Herausforderung für die Instandhalter: "Wir haben vier Dampfturbinen, eine Absorbtionswärmepumpe, zwei Biogas-Blockheizkraftwerke, sechs Hochdruckdampfkesselanlagen in allen Facetten von 30 bis 135 t/h bei 16 bis 120 bar. Das einzige, was wir am Standort nicht haben, ist eine Gasturbine", erklärt Lerchster.
Früher wurde im Werk noch ein Hochdruckdampfkessel mit 70 t/h bei 70 bar mit Gas/Heizöl schwer betrieben. "Der läuft aber seit 2009 nicht mehr. Um ihn wieder in Betrieb setzen zu können, müsste man ihn generalüberholen lassen. Für mich ist das eine Frage der Zeit, wann man das Modell abbaut und in Pension schickt", sagt der Instandhaltungs-Chef.
In Pension geschickt wurde mittlerweile auch eine der zwei Papiermaschinen. Die verbliebene PM 3 wurde zur ZEM 3 – zur Zellstoffentwässerungsmaschine 3. "Das war 2012/2013 im Zuge der Umstellung von der Papierzellstoffherstellung- zur Textilzellstoffherstellung", erinnert sich Lerchster.
Was sich so leicht dahinsagt, war nicht nur mit einer Investition von rund 60 Millionen Euro verbunden, sondern mit der kompletten Umstellung der Prozesse im Unternehmen. "Dann haben wir noch eine riesige Photovoltaikanlage über alle Hallen installiert, eine der größten Österreichs, ein Blockheizkraftwerk gebaut und den Laugenkessel von 100 auf 135 Tonnen aufgebohrt – von unserer neuen Bio-Ethanol-Anlage noch gar nicht zu reden."
Wartung als technische Herausforderung
All diese Assets, Equipments und infrastrukturellen Anlagen müssen natürlich instandgehalten, geprüft und repariert werden. Keine leichte Aufgabe angesichts der sich laufend ändernden Technologien und Umstellungen. "Langweilig wird es hier in der Technik nie", sagt Lerchster. "Aber es gibt eine Vision und das ist gut. Das hat mich selber aus dem Chemie- und Pharmabereich hergelockt. Dort wird eher zurückgebaut. Ich finde das nicht sexy, ich will lieber etwas aufbauen als abbauen."
Bei Austrocel Hallein sind die Zuständigkeiten der Instandhaltung am Standort entsprechend den Aufgaben strukturiert. Neben den Divisionen ‘HSSE’ (Health, Safety, Security, Environment) und ‘PO’ (Project Management Office) gibt es die Division ‘Pulp Mill, Technology, Energy & Utilities und Technical Services’ unter der Lerchsters Department Technik aufgehängt ist.
"Hier sind 62 FTEs (‚Full Time Equivalents‘ – Vollzeitäquivalente) beschäftigt", erklärt Lerchster. "Dazu kommen aktuell 13 Auszubildende." Aufgeteilt sind seine Teams nach den Bereichen Infrastruktur, mechanische und elektrische Instandhaltung und Prozesskontrolle mit Steuerungs- und Regelungstechnik.
Anforderungen ändern sich
Ob die Stärke der Teams in den Bereichen so bleibt, macht Lerchster auch von den sich ändernden Aufgaben der Instandhaltung, beispielsweise im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung abhängig: "Mechanik wird sich mehr spezialisieren, die Messtechnik wird in Richtung MSR wandern und man wird sich mehr auf die E-Technik fokussieren, die hier eine sehr wichtige Rolle spielt", erklärt der Technikleiter.
"Wir haben hier Hoch-, Mittel- und Niederspannungsanlagen. Die Stufen sind 30 KV, 20 KV, 5 KV, dann haben wir eine 690 Volt-Schiene, an der wir viele Motoren betreiben bis runter zu normalen 24 Volt für die Sensorik." Entsprechend braucht Lerchster Hochspannungsschaltberechtigte, denn nach zum Beispiel einem Blackout muss das Werk mit seinen vielen nicht unkritischen chemischen Prozessen von Null her anfahren, also einen Schwarzstart durchführen.
"Wir sind ein Durchfahrbetrieb, das heißt sieben Tage 24 Stunden 365 Tage im Jahr", erklärt der Magister-Ingenieur. "Minus einen Hauptstillstand von etwa ein bis zwei Wochen einmal im Jahr und Tages-Stillständen für Reinigung, Inspektion oder Wartung zwei bis dreimal im Jahr."
Jetzt will Lerchster testen, ob er ohne diese 14 Tage am Stück auskommt: "Wir wollen nur Reinigungsstillstände, sprich Tagesstillstände machen und 18 Monate Reisezeit fahren." Vom Prüfprogramm (Druckgeräte, Kesselschutz, …) her sollte das kein Problem sein, sagt der Instandhaltungs-Experte: "Wir haben beim letzten Stillstand sehr viele Prüfungen vorgezogen, damit wir von unseren normalen Druckgeräteüberprüfungen und sonstigen Überprüfungsprogrammen nicht gehandicapt werden. Ob die Anlagen da mitspielen, werden sie uns dann zeigen. Aber rechtlich gesehen können wir durchfahren."
Informationen müssen erhalten bleiben
Durch die Umstrukturierung im Unternehmen ergab sich eine weitere Herausforderung: "Zuvor lief das Thema Infrastruktur in der Mechanik, E-Technik oder Automatisierung mit", sagt Lerchster. "Aber auch eine Notbeleuchtungsanlage oder eine Brandmeldeanlage und Brandschutzklappen haben wir zu prüfen." Entsprechend hoch sind die zeitlichen Aufwände.
Digitale Instandhaltung - auch in Eigenregie
Auch in Hallein ist eine moderne Instandhaltung ohne digitale Helferlein nicht mehr denkbar. "Wir sind in der Lage, sehr viel im Unternehmen selbst zu machen. Auch bei der Software – dann sitzt ein Kollege des jeweiligen Anlagenherstellers neben meinem Teammitglied. Das reduziert die Kosten für Support und Dienstleistung bei der Wartung."
Aber Lerchster sieht sich klar als Instandhalter – nicht als Prozessoptimierer. "Das wäre dann im Bereich Betrieb. Das muss ein Prozessingenieur oder Betriebsingenieur machen. Für uns ist eher interessant, warum sind Ausfälle passiert." Dann könne man retrospektiv überlegen, ob man den Vorfall anhand von gemessenen oder gesehenen Trends und Informationen hätte erahnen können und in die Zukunft extrapolieren. "Es geht ein bisschen in Richtung Predictive Maintenance. Aber da sind wir am Anfang, weil die Prozesse in der Instandhaltung immer wieder angepasst werden."
Bewahrtes Wissen gleich erfolgreiche Wartung
Doch eine der größten Herausforderungen für Lerchster und sein Instandhaltungs-Team ist der Erhalt des Wissens über die neuen und die alten Teile der Anlage angesichts des demografischen Wandels. "Das Wissensmanagement war in der Vergangenheit überhaupt kein Thema. Das bekommen wir in der Technik auch zu spüren."
Die Babyboomer verabschiedeten sich in die Pension und junge Nachwuchskräfte ticken komplett anders. "Mitglieder der Generation Z haben ganz andere Vorstellungen", erzählt Lerchster. "Das ist auch ein Spannungsfeld, in dem Generationen aufeinander treffen", sagt Lerchster. "Du musst aber von der erfahrenen Generation das Wissen anzapfen und zu den Jungen bringen. Dafür gibt es kein Rezept."
Der eheste Ansatz, das Thema ein bisschen zu greifen, sind laut dem Technikchef Kompetenz-Matrizes, in denen klar gezeigt wird, wer welche Tätigkeit beherrscht und welcher Instandhalter mit welchem Auszubildenden losgeschickt werden kann, damit der Nachwuchs etwas lernt. "Denn in der Ausbildung ist das Wissen der Älteren unersetzlich!"
"Langweilig wird es hier in der Technik nie." - Michael Lerchster
Auch die vielgepriesene 'mobile Instandhaltung' und die Digitalisierung sind für Lerchster in Sachen Wissensmanagement nicht das alleine seligmachende Mittel der Wahl. "Das einzige, bei dem ich sage, mobil hilft, das ist für mich im Support. Also dann, wenn ich einen Jungen in die Bereitschaft einführe und ich habe im Hintergrund im Pool einen Senior mit mobilen Devices, der den Nachwuchs im Hintergrund über eine Datenbrille oder ein head-mounted tablet unterstützen könnte."
Doch bis zur wirklichen digitalen Instandhaltung sei es noch ein weiter Weg: "Derzeit haben die Betriebsschlosser teilweise nicht einmal ein Smartphone. Die Betriebselektriker sind schon weiter. Aber wenn, dann muss ich ein solches digitales Instandhaltungssystem mit Mobilanbindung für die gesamte Technik ausrollen." Und es darf keine Sonderlösung sein: "Ich will eine Lösung von der Stange! Denn wenn ich das nicht bekomme, ist es hochgradig angepasst und dann hast du die Krücke, du hast keinen Support und alles, was du dann ändern willst kostet ein Vermögen und dauert entsprechend."
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