Verlängerung der Lebensdauer, Steigerung der Produktivität, der Produktqualität oder der Energieeffizienz sowie neue gesetzliche Vorgaben waren schon immer Gründe für eine Modernisierung von Bestandsmaschinen oder -anlagen. Was einen Retrofit von heute allerdings auszeichnet ist die digitale Komponente, realisiert durch das Hinzufügen von Sensorik.
Dank dieser nachträglichen Digitalisierung lassen sich zum Beispiel die Auslastung optimieren und Wartungen besser planen. Selbst die Instandhaltung wird dadurch wesentlich effizienter: Um zu wissen, was passiert ist, muss der Mitarbeiter nicht mehr zuerst an die Anlage. Informiert durch eine Meldung auf seinem Smartphone, hat er die Möglichkeit, gleich mit dem richtigen Ersatzteil zu kommen.
Doch lässt sich wirklich jede Maschine durch einen Sensor-Retrofit im Zuge einer Moderisierung fit für die Instandhaltung 4.0 machen? Prinzipiell ja – sofern er sinnvoll, wirtschaftlich und ein konkreter Use Case gegeben ist. Es gibt nur wenige Fälle, bei denen ein Retrofit an der Datenerhebung scheitert. Zum Beispiel wenn die zu überwachende Anlage neben einer großen Walze steht und der angebrachte Sensor auf Vibration reagieren soll. Läuft die Walze, zittert die ganze Umgebung, sodass der Sensor die Daten überhaupt nicht erfassen kann.
Beim Retrofit den Schwachpunkt im Fokus
Entscheidend für einen Retrofit ist der Use Case: Es wird nicht die komplette Stanzmaschine überwacht, sondern nur eine Komponente davon, bei der sich das digitale Monitoring wirklich lohnt. Wenn man aus Erfahrung weiß, dass etwa das Getriebe alle zwei Jahre defekt ist, lässt sich dies durch exaktes Condition Monitoring verhindern. Eine gute Option ist die Überwachung durch Sensorik auch, wenn es sich bei der Anlage um eine Sonderanfertigung handelt, für die Ersatzteile nicht von der Stange erhältlich sind. Ein Problem, das auch ein deutscher Marktführer auf dem Gebiet der Elektronistallationstechnik mit der Produktion seiner Steckdosen kennt.
In seiner Produktionsanlage betreibt das Unternehmen eine individuell hergestellte Stanzmaschine. Ein für den Apparat essenzielles Zahnrad ist nur bei bestimmten Herstellern in Italien zu beziehen und gleichzeitig zu kostenintensiv, um es auf Lager zu legen. Da die lange Bestell- und Lieferzeit einen Produktionsstillstand von mindestens zwei Wochen verursacht, sollte der Ersatzzeitpunkt des Zahnrads analysiert werden.
Um hier eine Vorhersage treffen zu können, war eine Nachrüstung von Sensoren notwendig, also eine Art digitaler Retrofit, da keine digitalen Schnittstellen vorhanden sind. Die Lösung kam aus dem Hause Compacer: Es wurden mehrere Sensoren installiert, die unter anderem den Körperschall, die Temperatur oder Strom messen. So können beispielsweise Risse im Zahnrad erkannt werden oder eine erhöhte Stromaufnahme, die eventuell ein Zeichen für eine zu hohe Last durch Reibung ist und so den Hinweis auf fehlendes Schmiermittel gibt.
Harmonisierung aus der Kiste
Durch den Einbau des Compacer IIoT Gateways, basierend auf der Plattform Edbic, werden Daten aus der Steuerung gesammelt. Der IIoT Hub bereitet diese Daten so auf, dass verschiedene Auswertungen möglich sind und der Betreiber jederzeit den Überblick hat.
In diesem Fall nutzte man hierfür die Fraunhofer vBox. Diese kann Positionsdaten ebenso wie digitale In- und Outputs mit Sensordaten synchronisieren und dem Anwender nach Bedarf visuell darstellen – unabhängig von der verwendeten Steuerungstechnik. Sowohl die Maschinendaten als auch die Sensorsignale zu Kraft, Körperschall oder Beschleunigung werden damit in Echtzeit an Edbic zur Analyse übermittelt. Die Business Integration Suite kombiniert beliebige Endpunkte, Datenquellen, Applikationen, Services, Schnittstellen und Workflows so miteinander, dass daraus ein einziger, durchgehender Prozess entsteht, der orchestriert wird.
Bei dem Maschinenhersteller Burkhardt+Weber beispielsweise werden in Edbic das Frequenzspektrum und weitere Werte aufgezeichnet und in Echtzeit nach Ausreißern untersucht. Wird ein Ausreißer erkannt, wird ein Alarm generiert und an einen Mitarbeiter geleitet. So hat er die Möglichkeit, sich die aufgezeichneten Werte genauer anzusehen, im Bedarfsfall zu agieren und somit einen Produktionsstillstand zu vermeiden.
"Mit einer Digitalisierung in der Produktion lässt sich nur rausholen, was das schwächste Glied der Kette leisten kann", nennt Lumir Boureanu den Grund dafür, warum sich der Leistungsumfang einer neuen Maschine oft nicht vollständig ausschöpfen lässt. "Deshalb machen wir einen Retrofit an allen Maschinen", erklärt der Compacer-Geschäftsführer weiter, "versuchen aber nicht, sie anzugleichen. Wenn also eine Maschine über OPC UA kommuniziert, müssen alle anderen das nicht können."
Mit der Compacer IIoT Solution lässt sich also selbst der Zustand der grünen Maschine aus den Achtzigern in Echtzeit überwachen. Wenn nötig, ist dies auch bei vielen Anlagen zur gleichen Zeit möglich. Damit die Komplexität nicht mit der Anzahl der Maschinen steigt, werden zum einen Cluster nach Protokollen gebildet. Zum anderen lässt sich in Eedbic die Taktung der Datensammlung anpassen, um unnötigen Speicherverbrauch zu vermeiden.
Oft reicht es nämlich aus, die Temperatur alle fünf Sekunden zu erfassen. Werden Anomalien entdeckt, zum Beispiel wenn das Getriebe Risse bekommt, setzt ein Algorithmus die Taktung entsprechend seiner Konfiguration herab. Weil durch den Einbau des Compacer IIoT Gateways Daten aus der Maschinensteuerung gesammelt werden, ist es wichtig, diese von außen abzusichern, um die Cyber Security sicher zu stellen.
Nur was bekannt ist, lässt sich verbessern
Eine andere Herangehensweise der Zustandsüberwachung kommt vom israelischen Start-Up 3d Signals. Auch dieses System arbeitet maschinenunabhängig, verwendet aber keine Daten aus der Maschinensteuerung. Der Grund: die Hauptaufgabe des Systems besteht darin, den tatsächlichen Maschinenstatus zu erfassen, um die Produktivität zu verbessern.
"Über 90 Prozent der Maschinen weltweit sind nicht mit einem Netzwerk verbunden. Betriebsleiter haben dadurch keinen vernünftigen Einblick in die Produktion. Gerade wenn Hunderte von Maschinen über mehrere Produktionsstätten verteilt sind", sagt Danya Golan über die verpasste Chance, mit minimalem Aufwand eine höhere Produktivität zu erzielen. Laut dem Vice President Marketing bei 3d Signals liegt die OEE im Durchschnitt zwischen 50 und 60 Prozent.
Welche Auswirkung eine genaue Auskunft über den Maschinenstatus haben kann, zeigt ein Beispiel eines Kunden: Innerhalb von drei Monaten nach der Installation der Lösung konnte die Maschinenverfügbarkeit um 30 Prozent erhöht werden. Die Folgen des hier erfolgten Retrofit waren zum einen eine signifikante Reduzierung des Stromverbrauchs in der Produktion sowie und vor allem eine erhebliche Verbesserung der Produktivität über alle Schichten.
Dass sich dadurch Daten für die Instandhaltung gewinnen lassen, ist eine positive Begleiterscheinung der Modernisierung. Alles, was ein Anwender dafür zur Verfügung stellen muss, sind ein Internetzugang und ein Stromanschluss, der mit dem Hauptschalter der Maschine verbunden ist. Nach nur etwa 45 Minuten sind die Sensoreinheit an der Maschine angebracht, das Datenerfassungssystem dEdge im Schaltschrank montiert und die Kommunikation der beiden aufgebaut.
Durch das Plug&Play-Prinzip ist diese Retrofit-Lösung einfach skalierbar. Die von den nicht-invasiven Strom-, Schall- oder Vibrationssensoren erfassten Daten gelangen über einen Edge Computer in die Cloud, wo sie von künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning Algorithmen analysiert werden.
Anschließend stellt die Cloud-basierte Software dView verschiedene Live- und historische Ansichten, kundenspezifische Berichte und Warnmeldungen dar. Aktuell gibt das System Auskunft über den Maschinenstatus, also ob die Maschine produziert, im Leerlauf oder ausgeschaltet ist. In naher Zukunft soll es auch Informationen über die Leistung liefern, wie die Anzahl der pro Stunde produzierten Teile, und später auch über die Qualität.
Nach dem Retrofit den Betriebszustand immer im Blick
Die Erfassung der tatsächlich wertschöpfenden Zeit war der Grund für HKS Dreh-Antriebe, die Produktivität der Maschinen zu messen. Und warum gerade mit dem System von 3d Signals? Weil sich durch einen Retrofit mittels Kombination der verschiedenen Sensoren die wirklichen Betriebszustände der modernen CNC-Maschinen ebenso anzeigen lassen wie die der 25 Jahre alten, zyklengesteuerten Drehmaschine.
Etwa vier Monate nach der Installation im Werk Wächtersbach konnte der wertschöpfende Anteil von 45 auf über 50 Prozent verbessert werden. "Und das nur, weil dadurch Kleinigkeiten transparent wurden, die man bislang nicht gesehen hat. Auch war oft nicht zu erkennen, ob die Maschine im Leerlauf lief oder stillstand", zeigt sich Geschäftsführer Markus Löhr begeistert.
Und weil man bei HKS so überzeugt von dem System ist, wurde ein entsprechender Retrofit kürzlich auch am Standort Neukirch an 19 Maschinen durchgeführt. Über die Maschinenverfügbarkeit im jeweils anderen Werk genauestens Bescheid zu wissen, und noch dazu ohne Sicherheitsrisiko, weil die Maschinen selbst nicht im Netz sind, verbessert die Produktionsplanung natürlich enorm.
Noch ist KI so clever wie der Mensch
Aus den genauen Zustände lassen sich über die Zeit auch Veränderungen an der Maschine erkennen. Derzeit ist das System von 3d Signals bei 150 Maschinen von mehr als 30 verschiedenen Herstellern im Einsatz. Die ersten KI-Algorithmen sind bereits in der Lage, eine Abweichung vom normalen Signal in einer Maschine zu identifizieren und den Anwender entsprechend darüber zu informieren, dass etwas an der Maschine nicht in Ordnung ist.
Und hier wird deutlich, was Instandhaltung 4.0 heute wirklich ist: eine automatisierte Datenerfassung, deren Interpretation und die Klassifikation von Anomalien noch Handarbeit ist. "Das, was wir heute Predictive nennen, ist selten eine Erkenntnis aus den Daten, sondern das Wissen aus menschlicher Erfahrung", klärt Lumir Boureanu auf. Um in Zukunft eine rein auf Daten basierende, vorausschauende Instandhaltung betreiben zu können, braucht es zum einen wesentlich mehr Daten als die, die ein Getriebeausfall alle zwei Jahre liefert. Zum anderen braucht es die Bereitschaft von Herstellern und Anwendern, ihre Daten untereinander auszutauschen – unabhängig davon, mit welchem System sie erfasst wurden.
Video: 3d Signals bei HKS
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