Heiko Schwarz ist Global Supply Chain Risk Advisor der Sphera Solutions GmbH. Er nutzt seine langjährige Erfahrung und Leidenschaft SCRM-Programme erfolgreich einzuführen.

Heiko Schwarz ist Global Supply Chain Risk Advisor der Sphera Solutions GmbH. Er nutzt seine langjährige Erfahrung und Leidenschaft SCRM-Programme erfolgreich einzuführen. (Bild: Lücht)

Globale Lieferketten befinden sich aktuell in einem tiefgreifenden Wandel, der stark durch finanzielle Unsicherheiten, geopolitische Spannungen, den Klimawandel sowie steigende Anforderungen an die Nachhaltigkeit und neue gesetzliche Vorgaben vorangetrieben wird. Unternehmen stehen vor der Her-ausforderung, ihre Lieferketten anpassungsfähiger, umwelt-freundlicher und robuster zu gestalten, um in einem sich rasant verändernden globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Um diese Herausforderungen in Chancen zu wandeln, helfen digitale Plattformen mit einem weitreichenden und aktuellen Informations-Pool, automatisierten Analysen sowie perspektivisch auch mit Künstlicher Intelligenz. Darüber sprechen wir mit Heiko Schwarz, Global Supply Chain Risk Advisor bei Sphera, einem Unternehmen, das integrierte Lösungen für Nachhaltigkeit und operatives Risikomanagement anbietet.

Herr Schwarz, globale Lieferketten stehen derzeit unter enormem Druck. Was sind die Hauptgründe?

Heiko Schwarz: Die aktuellen Entwicklungen werden von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst. Zur Realität zählt, dass globale Lieferketten immer vernetzter und anfälliger werden. Dadurch sehen sich Unternehmen zunehmend mit finanziellen, ökologischen, politischen und operativen Risiken konfrontiert. Hierzu kommen finanzielle An-spannung, Lieferunterbrechungen durch Naturkatastrophen oder die Sorge um die Einhaltung von Nachhaltigkeitsvorschriften.

Welche Risiken sind derzeit besonders relevant?

Heiko Schwarz: Es gibt eine Reihe von Risiken, die Unternehmen berücksichtigen müssen, einige stechen jedoch besonders heraus. Dazu gehören finanzielle Instabilität innerhalb der Lieferkette, Lieferverzögerungen, steigende Nachhaltigkeits-anforderungen, Barrieren beim  grenzüberschreitenden Handel und Qualitätsprobleme bei Materialien und Komponenten. Unser Supply Chain Risk Report 2025 zeigt, dass sich diese Herausforderungen weiterentwickeln und Unternehmen auf verschiedenen Ebenen betreffen.

Störungen der Lieferketten, die sich direkt auf das Kerngeschäft auswirken, können gravierende finanzielle und reputative Folgen haben. Ein gut aufgestelltes Risikomanagement verdient deshalb höchste strategische Priorität.
Störungen der Lieferketten, die sich direkt auf das Kerngeschäft auswirken, können gravierende finanzielle und reputative Folgen haben. Ein gut aufgestelltes Risikomanagement verdient deshalb höchste strategische Priorität. (Bild: Unsplash, David Vives)

Können Sie uns ein Beispiel für die finanzielle Instabilität in der Lieferkette nennen?

Heiko Schwarz: Ja, natürlich. Die finanzielle Anfälligkeit von Partnern in der Lieferkette stellt ein erhebliches Risiko für die betriebliche Kontinuität dar. Deutschland ver-zeichnete 2024 die höchste Zahl an Insolvenzen seit fast einem Jahrzehnt – ein Anstieg um 16,8 Prozent laut dem Statistischen Bundesamt. Auch international sehen wir eine Zunahme von finanziellen Schwierigkeiten bei Zulieferern. Frühwarnindikatoren zeigen einen Anstieg um 11 Prozent, während Insolvenzen global um 48 Prozent und Erklärungen über höhere Gewalt um 61 Prozent gestiegen sind. Darauf sollten Unter-nehmen nicht erst reagieren, wenn sie betroffen sind. Vielmehr sollten sie darauf vorbereitet sein und im Ernstfall sofort reagieren zu können, anstatt sich von den Ereignissen treiben zu lassen.

Wie wirken sich derartige Instabilitäten und Risiken auf die Lieferzeiten aus?

Heiko Schwarz: Lieferverzögerungen sind eine der größten Herausforderungen. Zwar ist dieses Risiko insgesamt um 7 Prozent gesunken, aber Unternehmen erleben im Durchschnitt immer noch 14,8 Lieferstörungen pro Jahr. Externe Faktoren wie Naturkatastrophen, Streiks oder Infrastrukturprobleme verschärfen diese Situation. Denken Sie an die Überschwemmungen in Europa im letzten Jahr – sie führten zu vorübergehenden Werksschließungen und wochenlangen Unterbrechungen in der Logistik. Schmerzhafte Verluste beim Umsatz und erhöhte, ungeplante Kosten durch Behebungsmaßnahmen der Störungen belasten unnötigerweise den Gewinn von Unternehmen.

Neben finanziellen Instabilitäten sprechen Sie von Naturkatastrophen und der damit zusammenhängenden und nötigen Nachhaltigkeit. Welche Auswirkungen sehen Sie diesbezüglich auf Unternehmen?

Heiko Schwarz: Nachhaltigkeitsanforderungen haben sich 2024 erheblich verschärft, insbesondere in Europa. Unternehmen stehen unter wachsendem Druck, ihre Liefer-ketten transparenter und umweltfreundlicher zu gestalten. Beispielsweise hat die neue EU-Abholzungsverordnung (EUDR) zusätzliche Anforderungen eingeführt, die eine verstärkte Zertifizierung von Lieferanten erfordern. Diese Vorgaben haben nicht nur finanzielle Auswirkungen, sondern können auch Geschäftsabläufe erheblich beeinflussen. Wenn nur ein Glied in der Lieferkette die Anforderungen nicht erfüllen kann, können ganze Industriezweige maßgeblich davon betroffen sein.
Denken Sie an die holzverarbeitende Industrie sowie deren Abnehmer im Baugewerbe oder der Möbelindustrie. Wenn bei der Abholzung oder Nachforstung von Wäldern oder bei der Herstellung von den Klebstoffen etwas nicht passt, kann es einen Engpass an Pressspanholz geben. Folglich gibt es ganz schnell einen Engpass an Regalen, Betten oder Baumaterialien für den Haus- und Wohnungsbau. Wenn ein Unternehmen in der Lieferkette allerding strategische Vorbereitungen für solche Fälle getroffen hat, wird es von solchen Zwischenfällen weit weniger in Mitleidenschaft gezogen und kann im besten Fall sogar einen wirtschaftlichen Vorsprung daraus ableiten: d.h. im besten Fall den Umsatz und Marktanteil zu erhöhen während andere „zusperren“ und nicht lieferfähig sind.

Lassen Sie uns über Qualitätsrisiken sprechen. Wie wirken sich diese auf die Lieferkette aus?

Heiko Schwarz: Sie haben enorme Auswirkungen und sie sind höchst aktuell. Qualitätsprobleme in Lieferketten haben 2024 um 22 Prozent zugenommen. Hauptgründe sind Standortwechsel von Zulieferern z. B. durch Near- oder Friendshoring oder strengere Gefahrgutvorschriften. Ein besonders besorgniserregender Trend ist zudem der Anstieg fehlerhafter Komponentenlieferungen um 14 Prozent. Dies führt zu Produktionsverzögerungen, steigenden Kosten und im schlimmsten Fall zu extrem teuren und imageschädigenden Produktrückrufen. Zudem stieg die Zahl gefährlicher Stoffe in Lieferungen um 54 Prozent, was zu verstärkten behördlichen Kontrollen, Strafzahlungen und potenziellen Reputationsverlusten führt.

Friendshoring bezeichnet einen neuen Weg in den Beziehungen zwischen Staaten. Der internationale Handel wird auf Länder mit gemeinsamen Werten beschränkt.
Friendshoring bezeichnet einen neuen Weg in den Beziehungen zwischen Staaten. Der internationale Handel wird auf Länder mit gemeinsamen Werten beschränkt. (Bild: Unsplash Chattersnap)

Welche Lehren können Unternehmen aus diesen Entwicklungen ziehen?

Heiko Schwarz: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass Unternehmen ihre Lieferketten proaktiv managen müssen und nichts dem Zufall überlassen sollten. Eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten, transparente Kommunikation, ergänzt durch datenbasierte Risikoanalyse sind entscheidende Aspekte, um diese Risiken zu senken. Wer Silo-Denken abbaut und eine integrierte Risikobetrachtung anwendet, kann nicht nur Risiken minimieren, sondern auch neue Geschäfts- und Innovationspotenziale erschließen.

Abschließend: Wie schätzen Sie die künftigen Risiken und Chancen in globalen Lieferketten ein?

Heiko Schwarz: Generell wird die Komplexität zweifelsohne weiter zunehmen. Zudem stehen Unternehmen vor wachsenden geopolitischen Unsicherheiten, klimatischen Herausforderungen und steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen. Dieses Spannungsfeld wird nicht kleiner und Unternehmen, die frühzeitig auf Veränderungen reagieren, flexible Strategien entwickeln und Risiken aktiv steuern, werden die Chancen nutzen und langfristig ihren Wettbewerbsvorsprung ausbauen, anstatt Supply Chain Probleme aufwendig, zeitintensiv und kostspielig auszubügeln.

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