Prof. Peter Gutzmer, Deputy CEO and CTO des Automobilzulieferers Schaeffler AG, ist sich sicher: „Die Innovationskultur wird sich verändern. Dabei müssen wir zwei Dinge verfolgen, die durchaus widersprüchlich sind: Wir werden weiterhin strukturelle, kontinuierliche Innovationsthemen wie heute haben, aber wir werden gleichzeitig Durchbruchsinnovationen brauchen.“
Ambidextrie (Beidhändigkeit) sei das Zauberwort für die neue Herausforderung an die Innovationskultur. Für die Automobilindustrie wird diese Entwicklung durch die großen Megatrends Klima, Umweltschutz und Urbanisierung getrieben, meint der CTO. Doch nicht nur das politische und gesellschaftliche Bewusstsein für Klima und Umweltschutz wandle sich gravierend. „Die Technologie verändert sich stark und in Sprüngen durch die Digitalisierung. Das ist für produzierende Unternehmen ein ganz wichtiges Thema“, erklärt Gutzmer. Schaeffler hat sich deshalb das Thema Open Innovation auf die Fahne geschrieben.
Bis 2030 wird Innovation jenseits von F&E-Abteilungen entstehen, prognostiziert die Fraunhofer Gesellschaft in einem Thesenpapier. „Durch Open Source und Open Science soll jeder Bürger befähigt werden, Innovation zu betreiben. Wenn jeder auf Forschung zugreifen kann und Innovationssilos geöffnet werden, entstehen neue Möglichkeiten“, glaubt Prof. Wilhelm Bauer, Vorsitzender des neuen Fraunhofer-Verbunds Innovationsforschung. Zwar liegt Deutschland beim Innovationsindikator von Acatech und BDI für 2017 auf Platz vier, doch beim Digitalisierungsindikator recht abgeschlagen auf Rang 17.
"Wir müssen neuen Push generieren"
„In der heutigen Zeit gilt es, branchenübergreifende Anwendungskontexte zu entwickeln und neue Geschäftsmodelle von der Bedarfsseite her zu denken“, erklärt Fraunhofer-Präsident Prof. Reimund Neugebauer.
„Wir müssen einen neuen Push generieren und dazu beitragen, dass aus Technologie, Patenten und grundlegender Forschung wirklich Produkte, Dienstleistungen und neue Geschäftsmodelle entstehen“, so Bauer. Der mit fünf beteiligten Fraunhofer-Instituten ins Leben gerufene Verbund Innovationsforschung soll diesen Anspruch verfolgen. Es geht den Forschern nicht mehr nur um technische, sondern auch um organisatorische und sozioökonomische Innovation: Man will Innovation als Prozess stärken, in den Unternehmen, Kunden, gesellschaftliche Gruppen sowie weitere Stakeholder intensiv eingebunden sind – und nicht nur Forscher unter sich bleiben.
Konkret soll das so aussehen, dass bereits genutzte Formate wie Makerspaces und Hackatons verstärkt stattfinden, um in den Austausch mit anderen Gruppen zu kommen. Auch Projekte wie die Forschungsfabrik Arena 2036 gelten als exemplarisch für die nötige, neue Innovationskultur, bei der Unternehmen und Forschung eng zusammenarbeiten.
Dass ‚Sharing‘ ernstgemeint ist, zeigen viele Fraunhofer-Projekte zum Beispiel zum Wissenstransfer in Unternehmen oder zu werkzeuggestützten Vorgehensmodellen zur wirtschaftlichen Verwertung neuer Ideen. Wissen soll breit geteilt werden. Davon können besonders die Unternehmen profitieren. „Wir versuchen bis 2020, die Hälfte aller Fraunhofer-Publikationen und, dort wo möglich, auch die Daten offen zugänglich im Netz zu haben“, erklärt Tina Klages, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Fraunhofer IRB, das sich auch mit dem Forschungsfeld Open Science befasst.
Wie können Moonshot-Projekte gestartet werden?
Zugleich will der Forschungsverbund die im Koalitionsvertrag geplante ‚Agentur für disruptive Innovation‘ flankieren. „Unser Ansatz ist die wissenschaftliche Forschung dazu: Wie könnte so etwas aussehen, wie stark müssen Dinge gefördert werden, wie lange müssen Projekte laufen und wie kann man sogenannte Moonshot-Projekte initiieren?“, sagt Wilhelm Bauer.
Tatsächlich bekräftigte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek auf dem Forschungsgipfel 2018 in Berlin: „Ich möchte deshalb etwas einführen, was das deutsche Innovationssystem bisher noch nicht hat: eine Innovationsagentur für Sprunginnovationen, die staatlich finanziert, mit außergewöhnlichen Freiheitsgraden ausgestattet, Möglichkeiten schafft, um Außergewöhnliches zu erreichen.“ Deutschland brauche Innovationen mit dem Potenzial, neue Märkte zu schaffen – das gehe nur mit Mut zum Risiko. Ob den großen Worten Taten folgen, wird sich zeigen.
In Zeiten von Industrie 4.0, Internet der Dinge, Big Data und KI sehen sich Unternehmen zunehmend in rechtlich noch nicht abgesteckten Räumen. Während die einen fordern, nach amerikanischem Vorbild das Ausprobieren neuer Technologien einfach zu erlauben, sorgen sich die anderen vor den Verwerfungen. Der Facebook-Skandal, die Erkenntnis, dass Daten einfach an Dritte weitergegeben wurden, hat eindrücklich gezeigt, wie notwendig eine gesellschaftliche und politische Roadmap für den Umgang mit Technologien ist.
Innovation: Am Anfang steht der Input der Mitarbeiter
Speziell die Industrie ist von diesem Dilemma betroffen: Wie weit darf man gehen, wo besteht die Gefahr, wegen Zögerns von amerikanischen oder chinesischen Playern überholt zu werden?
An erster Stelle einer neuen Innovationskultur steht der Input der Mitarbeiter. Viele Unternehmen setzen bereits darauf, das kreative Potenzial aller einzubeziehen. Was mit der Einführung von Collaboration-Werkzeugen vor einigen Jahren seinen Anfang nahm, ist den Experten zufolge allerdings nicht das Ende der Fahnenstange. Jetzt müssen weitere Akteure hinzu geholt werden. Zugleich vereinfachen agile Methoden die Innovation vor allem rund um die digitale Weiterentwicklung.
Das Beispiel von Schaeffler zeigt exemplarisch, wie sich die beiden Innovationsbereiche ambidextrisch parallelisieren lassen. So wurden erfolgreiche Produkte kontinuierlich verbessert, zugleich jedoch auch zum Beispiel bei der Elektromobilität neue Dinge begonnen und ein Kompetenzfeld für elektrische Antriebe und die dafür notwendigen Schnittstellen aufgebaut. Dabei wird sichtbar: Die Rolle der großen Autozulieferer ändert sich stark. Sie haben nicht mehr nur ihren Teilbereich im Blick, sondern auch das große Ganze.
»Wir werden weiterhin strukturelle, kontinuierliche Innovationsthemen wie heute haben. Gleichzeitig werden wir aber Durchbruchsinnovationen brauchen.«
Prof. Peter Gutzmer,
Deputy CEO und CTO
Schaeffler AG
Open Inspiration
Bereits vor sechs Jahren begann man mit einem internen ‚Forum of Inspiration‘. An den Hauptstandorten werden regelmäßig Marktplätze organisiert, auf denen Mitarbeiter der Gruppe ihre neuen Ideen vorstellen. Die Besucher bewerten anschließend die spannendsten Ideen. Die Gewinner werden jeweils in die Innovations- und Vorentwicklungsstruktur aufgenommen, sie erhalten ein eigenes Budget. Doch das Unternehmen ging noch einen Schritt weiter.
„Wir haben das Thema Innovation in Richtung Open Inspiration erweitert, indem wir Hochschulen, Start-ups und Forschungsinstitute einladen, ihre Ideen zu Antriebstechnologien, Robotik oder Digitalisierung vorzustellen – Märkte, in denen sich Schaeffler künftig bewegen wird“, so Gutzmer. Die Open-Inspiration-Marktplätze können von allen Schaeffler-Mitarbeitern besucht werden, auch Einkauf, Produktionsplanung und Service sind vertreten.
Die offene Innovation organisatorisch zu managen, ist jedoch nicht einfach. „Wie die meisten Unternehmen waren auch wir traditionell darauf fokussiert, dass Innovation im Unternehmen bleibt, das war ein wichtiger Wert. Wenn wir an die Zukunft denken, müssen wie uns allerdings öffnen und Dinge ganz anders als bisher machen“, stellt Gutzmer fest. Beim Bereich der Patente setzt man nun verstärkt auf gemeinsame Patentanmeldungen mit den Partnern. Doch hier sind perspektivisch noch viele Fragen offen. „Ich bin überzeugt, angesichts des Anspruchs an die Geschwindigkeit von Innovation müssen wir das Thema Patentrecht und Anmeldung noch anpassen“, meint der Technikchef.
Enge Verbindung zu Hochschulen unabdingbar
Darüber hinaus soll eine enge Verbindung zu Hochschulen nicht nur sicherstellen, dass qualifizierte Fachleute ihren Weg ins Unternehmen finden, sondern auch die Schnittstelle zur angewandten Forschung bilden. Beim Schaeffler Hub for advanced Research (Share) arbeiten Mitarbeiter zum Beispiel am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) direkt mit Doktoranden und Studenten zusammen. Share Hubs gibt es auch in Singapur zum Thema Mikromobilität, in China zur Zukunft der Bahntechnologie und im amerikanischen Ohio zur urbanen Mobilität. Grundthema aller Innovations-Hubs: Wie lassen sich Forschungsthemen in mögliche Produkte umwandeln?
Die Erfolge der neuen Innovationskultur sind greifbar. So startet das Unternehmen mit drei komplett neuen Geschäftsfeldern durch, darunter die Vermarktung des elektrisch angetriebenen Tretrollers iBoard. Das Elektro-Bike Bio-Hybrid, das Schutz vor dem Wetter und die Mitnahme von Lasten und Personen bietet, soll jetzt in einem eigenen Start-up vermarktet werden. „Die Gründung eines solchen Start-ups ist ein ganz großer Schritt für einen klassischen Autozulieferer wie Schaeffler“, konstatiert Gutzmer.
Häufig stelle sich die Frage, was die neuen Themen, die eher zum B2C-Bereich gehören, mit dem Unternehmen zu tun haben. Die Antwort: Man will ganz bewusst etwas Neues machen. Das nächste Projekt ist das Robotaxi Schaeffler Mover. Dafür dachten die Entwickler die Idee von Fahrzeugen noch einmal komplett neu und schufen einen Prototyp, der als autonomes Personen- oder Lastenfahrzeug auch querfahren und vollflexibel in Bewegungsrichtung auf der Stelle wenden kann. Der Ansatz zeigt, dass Innovation dort besonders erfolgreich ist, wo Ingenieurskunst, Spielerisches und Erfindungskraft verschmelzen.
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