Luft- und Raumfahrttechnik

01. Jul. 2025 | 10:19 Uhr | von Redaktion Produktion

Intelligente Fertigung

Quantentechnologie für Europas Trägerrakete Ariane 6

Die ESA bringt neue Dynamik in die Qualitätskontrolle: Kritische Fehler in Raketenteilen sollen bereits während der Produktion mithilfe quanteninspirierter Methoden erkannt werden und beauftragt für das Projekt Planqc, Nebumind und MT Aerospace.

Mit einer starken europäischen Kollaboration von Start-ups, Mittelstand und Industrie bringt die Europäische Weltraumorganisation ESA neue Dynamik in die Qualitätskontrolle.

Mit einer starken europäischen Kollaboration von Start-ups, Mittelstand und Industrie bringt die Europäische Weltraumorganisation ESA neue Dynamik in die Qualitätskontrolle. (Bild: Planqc)

Wie lässt sich die Qualitätskontrolle in der Raumfahrt effizienter, schneller und kostenschonender gestalten – ohne Abstriche bei der Sicherheit? Die Antwort könnte aus der Quantenphysik kommen: Die ESA beauftragt den Quantencomputer-Hersteller Planqc , das Softwareunternehmen Nebumind sowie den Luft- und Raumfahrtspezialisten MT Aerospace, um mit quanteninspirierter Technologie kritische Fehler in Raketenteilen schon während der Produktion zu erkennen – und damit neue Maßstäbe für die Industrie 4.0 zu setzen. Das Projekt wird unterstützt von InfraTec, Amiquam und dem Ingenieurbüro Springs als Partner und Zulieferer.

Was macht das Shot Peen Forming so herausfordernd?

Im Zentrum des Projekts steht die Analyse von Bild- und Sensordaten aus einem besonders sicherheitskritischen Fertigungsschritt: dem sogenannten Shot Peen Forming. Dabei werden die Domesegmente der Raketentanks durch den Beschuss mit kleinen Kugeln gezielt umgeformt. Bei diesem Prozess müssen Fehler frühzeitig erkannt werden. Dabei wäre es von Vorteil, wenn die Qualitätssicherung künftig direkt in den Produktionsprozess integriert werden könnte – automatisiert, präzise und in Echtzeit.

Doch hier stoßen bestehende Systeme an ihre Grenzen. Trotz massiver Investitionen in die Digitalisierung bleibt die automatisierte Qualitätssicherung, insbesondere bei hochkomplexen Bauteilen wie in der Raumfahrt, häufig ein Engpass: Die enormen Datenmengen, die bei modernen Fertigungsprozessen anfallen – etwa aus optischen Systemen, Sensorik oder Maschinendaten – können oft nicht in Echtzeit verarbeitet oder analysiert werden. Das Risiko: relevante Anomalien werden zu spät erkannt. Die Folge: Fehlerhafte Bereiche verursachen hohe Kosten, da sie nicht mehr repariert werden können.  

Quanteninspirierte Algorithmen bringen entscheidenden Mehrwert

Hier setzt das neue ESA-Projekt an. Während Nebumind mit seiner Softwareplattform hochfrequente Fertigungsdaten erfasst, synchronisiert, fusioniert und strukturiert bereitstellt, entwickelt Planqc darauf aufbauend eine neue Generation quanten-inspirierter Algorithmen zur Bildauswertung. Diese sogenannten Tensornetzwerke stammen ursprünglich aus der Quantenphysik und sind besonders gut darin, komplexe Muster in großen Datenmengen zu erkennen – bei gleichzeitig drastisch reduziertem Rechenaufwand.
Unterstützt wird das Projekt zudem von innovativen Partnern und Zulieferern: InfraTec, Amiquam und dem Ingenieursbüro Springs. Der Prozess selbst und dessen Optimierung laufen bei MT Aerospace.

Dr. Martin Kiffner, Leiter Algorithmen
Zitat

„Mit Tensornetzwerken bringen wir Methoden aus der Quantenphysik in die Industrie – und zwar schon jetzt und ohne Quantenhardware. Was wir mit Nebumind und MT Aerospace im Auftrag der ESA entwickeln, soll nicht nur die Produktion von Raketen schneller, präziser und ressourcenschonender machen. Die Technologie lässt sich auch auf andere Industrien mit hohen Qualitätsanforderungen übertragen – darunter Luftfahrt, Automobilbau oder Medizintechnik. Das Projekt zeigt, dass Quantentechnologie schon heute echten industriellen Mehrwert liefert.“

Dr. Martin Kiffner, Head of Algorithms bei Planqc
(Bild: Planqc)

Erprobung direkt im Produktionsumfeld bei MT Aerospace

Die neuen Analyseverfahren werden bei MT Aerospace direkt unter realen Produktions-bedingungen für Ariane 6 Bauteile getestet und schrittweise in Nebuminds Anomalie-Dashboard integriert. Ziel ist eine automatisierte Auswertung von optischen Bilddaten und Daten aus Wirbelstromsensoren, die in Echtzeit Rückmeldung über potenzielle Fehler liefert – lange bevor ein Bauteil die Fertigung verlässt. „So können wir die Fertigungsprozesse zukunftsorientiert aufstellen und unsere Digitalisierung vorantreiben, um unsere globale Marktposition zu stärken” sagt Johannes Hegels, Teamleiter Fertigungsprozesse bei MT Aerospace.  

„Industrien wie die Raumfahrt und der Maschinenbau stehen unter wachsendem Druck: Prozesse werden komplexer, Qualitätsanforderungen steigen – aber gleichzeitig fehlen Systeme, die mit den riesigen Datenmengen in der Fertigung Schritt halten können“, sagt Franz Engel, CEO und Mitgründer von Nebumind. „Genau hier setzen wir an: Wir bringen Daten aus unterschiedlichsten Maschinen und Sensoren zusammen, machen sie auswertbar – und schaffen gemeinsam mit Planqc und MT Aerospace eine Analyseplattform, die mit der Dynamik der Fertigung Schritt hält. Zusammen bringen wir die Industrie so auf das nächste Level.“

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Digitaler Thementalk
(Bild: Pavel-stock.adobe.com)

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In-situ-Qualitätssicherung

Amiquam bringt in das Projekt seine langjährige Expertise in konformer zerstörungs-freier Prüfung (NDI) ein, um die Zulassung von In-situ-Verfahren zu beschleunigen und gleichzeitig die Kontinuität zu bestehenden Inspektionspraktiken sicherzustellen. Die Sensoren des Unternehmens kommen gezielt an den Stellen zum Einsatz, die zuvor durch optische Verfahren als potenziell fehleranfällig identifiziert wurden. Dort führen sie regelkonforme Wirbelstromprüfungen durch, reduzieren Fehlalarme, erfassen Geometrien von Defekten präzise und ermöglichen einen schlanken, durchgängig automatisierten Prüfprozess. Die gewonnenen Daten werden nahtlos in das Tensor Netzwerk integriert – eine robuste Architektur, die die Effizienz der In-situ-Qualitätssicherung signifikant steigert.

Amiquam wurde als Vorreiter in der In-situ-Inspektion mit ins Boot geholt.
Amiquam wurde als Vorreiter in der In-situ-Inspektion mit ins Boot geholt. (Bild: ESA)

Das ESA-Projekt ist nicht nur technologisch wegweisend – es ist auch ein Modell für erfolgreiche europäische Innovationszusammenarbeit: Wenn Start-ups, Mittelstand und etablierte Industriekonzerne gemeinsam Zukunftstechnologien zur Serienreife bringen, entsteht echter Innovationsvorsprung. Dass dies gerade in der hochregulierten Raumfahrt gelingt, zeigt: Quantentechnologie ist kein Zukunftsversprechen – sie liefert bereits heute echten industriellen Nutzen.

Quelle: Planqc

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