Diskutierten über die 'klimaneutrale Industrie' (von links): "Produktion"-Chefredakteur Claus Wilk,

Diskutierten über die 'klimaneutrale Industrie' (von links): "Produktion"-Chefredakteur Claus Wilk, Steffen Krippendorf, SVP Operations Mobility J. M., Voith SE & Co. KG, Dr. Lorenz Pitum, Referent, VDMA Bayern, Rui Duarte Leitung Nachhaltigkeitsbegleitung, Elocompanion GmbH & Co. KG und Michael Salcher, Regionalvorstand Ost, Head of Energy & Natural Resources, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. (Bild: Michaela Rehle)

Schon der Begriff der klimaneutralen Fabrik erweist sich als schwer zu verorten. „Es gibt keine allgemeingültige Definition, aus der sich Maßnahmenpläne ableiten lassen: Im Grunde ist es ein produzierender Betrieb, dessen Treibhausgasbilanz null ist“, stellte Michael Salcher fest, Regionalvorstand Ost und Head of Energy & Natural Resources bei der KPMG AG. „Klimaneutralität ist ein Begriff, mit dem man vorsichtig umgehen sollte. Man muss auch die Grenzen festlegen. Redet man von Scope 1, 2 oder 3?“, erklärte Rui Duarte, Leiter Nachhaltigkeitsbegleitung bei Elocompanion GmbH & Co. KG, einer Elobau-Tochter.

Zuerst auf Scope 1 gucken, um zu vermeiden und zu reduzieren

Hier könne vielleicht die neue ISO-Norm 14065 zu mehr Klarheit beitragen. Zunächst gelte es mit Blick auf Scope 1 alles anzugehen, was im Werk in der eigenen Verantwortung liegt und schnell beeinflusst werden kann, etwa der Austausch veralteter Kompressoren oder Pumpen. Dabei müsse man immer weiter „vermeiden, reduzieren und schlussendlich kompensieren“.

Doch ganz am Anfang ist eine Ist-Stand-Ermittlung wesentlich, da sind sich die Experten einig. „Zu Scope 1 gehört alles, was intern an Schadstoffen, Abgasen oder CO2 erzeugt wird. Scope 2 betrifft die Einkäufe von Strom, Gas, Wasser, Kälte, Wärme. Scope 3 umfasst die vorgelagerte Wertschöpfung der Lieferanten und nachgelagerte Weiterverarbeitung“, erläuterte Salcher. Die Steuerung vor- und nachgelagerter Lieferanten im Scope 3 sei besonders komplex.

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(Bild: mi-connect)

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„Wir sehen, dass unsere Verbands-Unternehmen eine sehr große intrinsische Motivation haben, das zeigen auch Untersuchungen“, so Dr. Lorenz Pitum, Referent beim VDMA Bayern und Politikwissenschaftler. Der Maschinenbau sei der Enabler für die Klimaneutrale Wirtschaft, und werde hier den entscheidenden Beitrag leisten und leisten müssen.

Lastreduzierung am Wochenende und Stromverbrauch analysieren

Steffen Krippendorf berichtete, dass man bereits vor längerer Zeit mit Nachhaltigkeitsmaßnahmen begonnen habe, damals vor allem noch aus Kostengesichtspunkten. Beides zu verbinden sei nach wie vor eine Wechselbeziehung, sagte der Senior Vice President Operations Mobility der Voith SE & Co. KG. Für ihn als Fabrikverantwortlichen gehöre eine Vielzahl von Themen dazu. So sei eine der ersten Maßnahmen gewesen, den Stromverbrauch zu analysieren und etwa bei der Beleuchtung, die zehn Prozent des Verbrauchs ausgemacht hatte, zu reduzieren.

Auch die Lastreduzierung am Wochenende und eine intelligente Verzahnungskonfiguration hätten einen Beitrag zur Einsparung geleistet. Im Einkauf habe man ein sauberes Controlling vorangebracht, um Klarheit über die Teile zu haben, die ins Werk kommen. Auch durch Qualitätsverbesserungen und weniger Ausschuss werde der Energieverbrauch verbessert. „Wir haben das in den Werken immer auf drei Beine gestellt: Thema Umwelt, Kostenoptimierung und die Menschen, die in das Konzept wachsen und es voranbringen“, so Krippendorf.

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Im Werk Garching etwa habe es für die Heizung nur die Zustände 'an' oder 'aus' gegeben. Dann habe man eine Elektronik daraufgelegt, um die Heizung zu steuern und die von den Maschinen eingebrachte Temperatur einzubeziehen. Das habe eine Einsparung von 0,25 Gigawatt gebracht. Weitere 0,54 Gigawatt konnten mit der komplexen Umstellung auf Geothermie-Fernwärme gespart werden. Immer der Logik nach, anstatt sich in Highend-Diskussionen zu verlieren, so lautet Krippendorfs pragmatische Praxisempfehlung.

Längerer ROI bei Nachhaltigkeitsprojekten

Bei Elobau war die Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit durch die Geschäftsleitung getrieben, die bereits 2009 einen Masterplan erarbeitet hatte. Eine solche Transformation benötige Zeit, es sei eine Strategie nötig und man müsse die Organisation mitnehmen, ist sich Rui Duarte sicher. Nicht jede Maßnahme wirke sich sofort aus. „Wir sind auf Margenreduktion gegangen, aber es muss noch wirtschaftlich bleiben“, berichtete Duarte, der ein Team von Nachhaltigkeitsexperten leitet. Auch Krippendorf weiß, dass es einen anderen Blick auf den ROI braucht: „Bei Nachhaltigkeitsinvestitionen sind auch mal vier Jahre okay, wenn man vernünftig argumentiert“.

Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie

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Um die klimaneutrale Industrie auch  real werden zu lassen, benötigt es regenerative Energien. Welche Erneuerbaren Energien es gibt und wie deren Nutzen in der Industrie am höchsten ist, lesen Sie hier.

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Digitalisierung als wichtiger Treiber zur Klimaneutralität

Ganz klar ist die Digitalisierung ein wichtiger Treiber. So sei ein Nebeneffekt aus den gesammelten Maschinenbetriebsdaten für prädiktive Wartung, dass man durch Analysen auch überhöhte Stromverbräuche in Prozessen identifizieren konnte, erzählte Krippendorf. Auch für Duarte stehen die Daten im Vordergrund: „Es geht um Daten, die erhoben und ausgewertet werden müssen, die zudem volatil sind, denn die Emissionsfaktoren ändern sich ständig. Man muss sich dem Thema stellen, auch wenn es am Anfang keine guten Daten sind“.

Ein Werk braucht Nachhaltigkeitsverantwortliche

„Man braucht Nachhaltigkeitsverantwortliche, also Menschen, die das Thema in den einzelnen Werken steuern und die in einem Nachhaltigkeitskreis zusammenkommen“, hob Krippendorf zudem hervor. Traditionell sei immer noch der Output die oberste Priorität. Deshalb müssten die einzelnen Ziele fachlich synchronisiert werden, Nachhaltigkeit sollte ein Teil der Produktionsphilosophie werden.

Dazu gehört für ihn, dass die thematisch Verantwortlichen an den Vorstand berichten, dass sie Projekte tracken und Investitionsvorlagen erarbeiten. „Man muss die Regularien kennen, zugleich ein super Netzwerker sein, um Schnittstellen zu bilden, und die Daten erheben – das ist schwierig neben einem 40-Stunden-Job. Jemanden freizuschaufeln ist besser als nichts, aber es ist ein Irrglaube zu denken, das Thema läuft einfach so mit“, unterstrich auch Duarte.

Aus Sicht von Lorenz Pitum ist das vor allem für KMU besonders herausfordernd, die den deutschen Maschinenbau tragen und deren Ressourcen sind begrenzt seien. Oft sei die Regulierung mit Blick auf große Konzerne entstanden und für Mittelständler kaum zu bewältigen.

Pro und Contra Regulierung

Der Ermessensspielraum dafür, was konkret in die Nachhaltigkeitsbilanz gehört, ist offenbar groß. „Greenwashing geht relativ schnell“, sagte Nachhaltigkeitsexperte Duarte. Regulatorisch sei es so geregelt, dass Aspekte, auf die man als Unternehmen keinen Einfluss hat, aus der Bilanz herausgenommen werden können. So könne etwa ein Ölkonzern argumentieren, dass er die Nutzung seiner Produkte nicht beeinflussen kann – und dann plötzlich 90 Prozent weniger CO2-Ausstoß angeben.

Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Produktion

Bei der Frage, ob die umfangreiche Regulierung überhaupt notwendig sei, gingen die Meinungen auseinander. „Wir würden auch ohne harte Regulation vieles machen. Es geht darum, die Produktion zukunftsfähig zu machen“, meinte Steffen Krippendorf. So werde bei Neuaufträgen auch die CO2-Thematik abgefragt. Wer hier nicht liefert, bekommt den Auftrag im Zweifel nicht. „Viele Unternehmen haben sich wirklich intrinsisch auf den Weg begeben, wir wissen alle, dass die Welt brennt“, argumentierte Rui Duarte.

Dennoch gehe es trotzdem oft um den maximalen Gewinn. „Es gibt unheimlich viele Unternehmen, die überhaupt keine Lust hatten, sich dem Thema zu stellen: Dafür ist die Regulierung gut“, so Duarte. Für die Unternehmen, die bereits engagiert sind, komme allerdings eine weitere Last dazu. Der Experte ist überzeugt: Statt die Transformation durch Angst geschürt zu treiben, sollte sie im Gegenteil innerlich motiviert sein und Spaß machen. Dafür gelte es, die Menschen mitzunehmen und für das Thema zu begeistern.

überarbeitet von: Dietmar Poll

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