Praxis trifft auf Theorie: Nachdem in der Technologiefabrik Scharnhausen von Festo zunächst Digitalisierungs- und Lean-Ansätze im Praxiseinsatz angeschaut wurden, kam der Salon des Maschinenbau-Gipfels zur Panel-Diskussion zusammen. Einig waren sich alle Experten, dass erst einmal die Prozesse aufgeräumt werden müssen, damit aus einem analogen „Saustall“ kein digitaler wird.
Doch soll dabei erst einmal analog angefangen werden oder ist es besser, gleich in die digitale Umsetzung zu gehen? Hier gehen die Ansichten auseinander. Gerhard Borho, Vorstand Information Technology and Digitalisation bei Festo, warb dafür, zunächst analog vorzugehen, um die Menschen besser mitzunehmen: „Meine Empfehlung ist, fangen Sie erst mal analog an, dann sind Sie schneller“, sagte er. Es sei dann klarer, welche Daten wirklich gebraucht werden, zudem würden die Menschen die Informationen auch verstehen.
Aus Sicht von Dr. Jan-Marc Lischka, Geschäftsführer der 5thIndustry GmbH, sollten Unternehmen jedoch vermeiden, zu viel im Vorfeld erledigen zu wollen. Das führe zu Stillstand bei der Digitalisierung. „Es ist fein, dort anzufangen wo der Schmerz am größten ist: Wenn Transparenz fehlt, dann also zunächst die Datentransparenz vorantreiben“, meint Lischka. So lasse sich schrittweise erkennen, was in der Produktion los ist, um dann mit Lean anzusetzen und in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu kommen.
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Digitalisierung: Zu viel Planung ist kontraproduktiv
Die deutsche Gründlichkeit passt nicht unbedingt zu agilem Vorgehen. „Es muss nicht alles perfekt sein. Wenn es 80 Prozent sind, die ich schnell ins Feld bekomme und an denen ich wieder weiter optimieren kann, dann ist das wertvoller als die 100-Prozent-Lösung, die wir immer so gerne hätten“, bestätigt auch Jonas van Thiel, Partner bei ROI-EFESO Management Consulting.
Van Thiel kennt beide Varianten: „Manche sagen, wir gehen direkt digital dran, um gleich die Verlustanalysen von den Maschinen zu haben“. Die Maschinenverfügbarkeit digital umzusetzen, lasse sich in wenigen Tagen erreichen. Anstatt mit Strichlisten bei der Datenerfassung Zeit zu verbringen, könnten sich die Mitarbeitenden so auf wertschöpfende Tätigkeiten und die Verbesserungen in der gemeinsamen Lean-Journey konzentrieren. Doch für diese Herangehensweise sei es entscheidend, dass die Mitarbeitenden dahinter stehen.
Eine Strategie ist zwar wichtig bei der Digitalisierung, doch zu viel Planung kontraproduktiv: Das lässt sich also als Fazit ziehen. „Ohne Digitalisierungsstrategie scheint es nicht zu gehen. Dennoch ist viel Iteration wichtig“, meint Felix Prumbohm, Referent für Produktion, Lean Management, Entwicklung und Konstruktion beim VDMA. Vor allem müsse die Flexibilität vorhanden sein, auch unterwegs entdeckte Themen anzupacken.
Menschen mitnehmen bei der Digitalisierung
Wenn die Digitalisierung den Menschen, den Prozessen und den Zielen diene, dann bekomme man die Belegschaft auch an Bord, ist sich Borho sicher. „Wir sollten die Mitarbeiter in Fertigung und Produktion nicht unterschätzten, sie haben alle ein Handy, mit dem sie super zurechtkommen“, so der IT-Vorstand. Auch im Produktionskontext müssten Apps und Lösungen jedoch so gut gemacht sein, dass sie intuitiv und einfach ohne Schulung bedienbar sind.
Auf die Frage, ob der Werker der Zukunft ein IT-Crack sein muss, gibt es eine klare Antwort: „Die IT bewegt sich Richtung Low-Code/No-Code-Funktionen. Wir brauchen vor allem die Experimentierfreudigkeit, auch mal Dinge selber anzupassen“, sagt van Thiel.
Ein anderer zentraler Punkt ist die Sinnhaftigkeit von Digitalisierung. „Wir versuchen, die Unternehmensstrategie so herunter zu kaskadieren, dass die Mitarbeitenden wissen, wo wir hinwollen. Das inspiriert und das ‚why' ist wichtig für die Menschen“, berichtet Borho. „Das ‚Warum‘, also die Sinnstiftung, ist ein Kernthema bei Lean: Zu verstehen, was wir machen und dass ich Teil davon bin, ist ein wichtiger Antrieb“, zeigt Prumbohm eine Parallele auf.
Bei Digitalisierungsprozessen sei es ebenso wichtig, den Menschen im Betrieb klarzumachen, dass sie gebraucht werden und dass die Entwicklung sich nicht gegen sie richtet.
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Smart Maintenance spielt wichtige Rolle
Doch können ohnehin schon schlanke Prozesse durch Datentransparenz wirklich noch schlanker werden? „Datenverfügbarkeit macht uns schneller“, bestätigt Gerhard Borho. So sei ein selbst entwickeltes Smart Maintenance Tool ein echter Mehrwert für die Kollegen in der Instandhaltung, um Wartungsarbeiten effizienter zu planen und durchzuführen. Das Tool werde jetzt auch extern angeboten. Borho sieht Smart Maintenance in Deutschland als wichtigen Faktor, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch auch im Shopfloor-Management bekommen bei Festo Meister, Werker und Produktionsteams alle Infos, die sie brauchen, etwa um schnell in Drill-Downs Fehlerursachen zu finden.
Für Lischka liegt vor allem in der Werker-zu-Werker-Interaktion über Schichtgrenzen hinweg noch viel Optimierungspotenzial, beispielsweise wenn eine Anlage in Betrieb genommen wird: „Da sehe ich in vielen Unternehmen noch Schichtbücher, Zettel und Telefon. Das sind Use Cases, die einen sehr großen Hebel für die Produktivität haben“.
Zwar waren die Unternehmen auch vorher nicht im Blindflug unterwegs. Doch heute lassen sich praktisch alle Prozesse, bei denen es um Kalibrierung geht, durch Daten verbessern, erklärt Jonas van Thiel. Das gelte etwa im CNC-Bereich oder bei Lackierprozessen in der Autoindustrie. Wenn aus den Daten gelernt wird, lasse sich die Qualität bei Prozessbeginn zu rund 90 Prozent genau vorhersagen.
(Bearbeitet von Anja Ringel.)
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