Ist Produktion nicht faszinierend? Deshalb bin ich auch Produktionsingenieur geworden. Es gibt für mich keinen schöneren Beruf und wenn es um die Gestaltung der Produktion der Zukunft geht, bin mit Leidenschaft dabei.
Warum aber sieht man in den Medien bei Symbolbildern, die die Zukunft der Arbeit darstellen sollen, überwiegend Menschen in chilligen Workspaces vor digitalen Endgeräten? Warum sieht man selten Bilder von Industriearbeit? Und wenn, dann in Form von Menschen neben drollig dreinblickenden Robotern – und manchmal auch nur den Roboter alleine.
Ich halte dies für ein bedenkliches Framing. Die Botschaft dieser Bilder lautet: Die Fabriken werden menschenleer und Arbeit ist gleich Büroarbeit. In Büros ist aber noch nie materieller Wohlstand entstanden.
Das wissen viele nicht, reden von digitaler Wertschöpfung - die ohne industriell hergestellte Produkte gar nicht möglich wäre - und halten ein Leben ohne Produktion für eine attraktive Option. Brauchen wir das noch oder kann das weg? Vordenker reden von postindustrieller Gesellschaft und suggerieren damit, es ginge auch ohne Produktion. Da haben die Vordenker aber nicht richtig nachgedacht.
Und das in einem Land, dessen Wohlstand nicht auf Rohstoffen oder Handel basiert, sondern auf Produktion. In einem Land, in dem der überwiegende Teil der Wertschöpfung durch Industrieunternehmen erzeugt oder von ihnen als Dienstleistung in Auftrag gegeben wird. Ohne Industrie hätte der Dienstleistungssektor verdammt wenig zu tun. Wenn Produktion wegfällt, gehen auch in den chilligen Workspaces die Lichter aus.
Woher kommt das eigentlich?
Ich lehre an einem betriebswirtschaftlichen Fachbereich. Produktion ist für meine Studenten eine Pflichtveranstaltung, die sie möglichst schnell hinter sich bringen wollen. Nachdem sie dort aber erstmals etwas über Produktion gehört haben, erklären mir nicht wenige von ihnen, dass sie gar nicht wussten, wie spannend dieses Thema eigentlich ist. Und dass Fabriken keine dunklen Löcher sind, in denen Menschen harte und schmutzige Arbeit verrichten. Es sind gerade Studentinnen, die mir erklären, dass sie mit diesem Wissen ein anderes Studium eingeschlagen hätten – etwa das des Wirtschaftsingenieurwesens. So viel Eigenlob darf an dieser Stelle sein.
Es ist mir aber ernst: Statt für Produktion entscheiden sie sich für Dinge wie Marketing und HR. Weil diese Menschen halt auch gerne in einer chilligen Atmosphäre vor digitalen Endgeräten sitzen möchten. Das sei ihnen ja auch gegönnt. Aber wie weit kommen wir mit Produktvermarktern, die nicht wissen, wie das Produkt entsteht oder HR-Expertinnen, die nicht wissen, wie die Arbeit auf dem Shop Floor eigentlich aussieht?
Dies ist kein Einzelfall, sondern System: schaut man sich die Curricula der BWL-Studiengänge in Deutschland an, stellt man fest, dass Produktion dort nicht ernsthaft stattfindet.
Und so verlassen Jahr für Jahr etwa 50.000 Ökonomen die Hochschulen mit - ich will es einmal diplomatisch formulieren - rudimentärem Wissen über Produktion und Industrie. Zwangsläufig werden einige von ihnen Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Verwaltung oder Politik erlangen, um dort Entscheidungen zu treffen, die ich mir nur mit Unwissenheit über Produktion und Industrie oder Geringschätzung erklären kann.
Übertrieben? Auf gar keinen Fall. Denn, wie kann es sein, dass unsere Industrienation gar nicht mehr in der Lage ist, viele Schlüsselprodukte der Medizin, Pharmazie oder Informationstechnologie selbst herzustellen und sich somit in Abhängigkeit konkurrierender Wirtschaftsräume begibt? Warum scheinen wir nichts Dringenderes vorzuhaben, als Fahrzeugbau, Robotik, Werkzeugmaschinenbau woanders stattfinden zu lassen oder die Kontrolle hierüber abgeben zu wollen? Warum treffen Manager solche Entscheidungen und warum lässt die Politik dies alles zu?
Schlimm, nicht wahr? Aber wir sind ja selbst schuld
Wir Ingenieure berauschen uns an technischen Möglichkeiten, erleben auf Veranstaltungen, wie der jüngsten Hannover Messe spektakuläre Lösungen und haben die besten Fabriken der Welt gebaut. Würden wir aber einmal den technikbegeisterten Kopf heben und uns umschauen, müssten wir feststellen, dass sich außerhalb unserer Technikblase doch kaum jemand dafür interessiert, was wir tun.
Wollen wir weiterhin tatenlos zuschauen, dass in der öffentlichen Wahrnehmung Produktion und Industrie als etwas Verzichtbares angesehen werden? Wir Produktionsingenieure sollten endlich die Deutungshoheit über industrielle Produktion wieder zurückholen.
Raus aus der Blase und rein in die Öffentlichkeit, und das unbedingt emotional. Rein in die Schulen, in die öffentliche Wahrnehmung, in die Medien.
Faszination Produktion? Ja, warum denn nicht?
Ingenieure und Branchen, wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Chemie haben starke Verbände, die hier etwas tun können, ich korrigiere mich: unbedingt müssen.
Produktion ist nicht nur unverzichtbar, sondern ungemein faszinierend. Und alle sollten dies wissen.
Unseren Kolumnisten Prof. Dr. Andreas Syska hat die Faszination für Technologie und ihre Möglichkeiten für ein besseres Miteinander sein gesamtes Berufsleben begleitet. Nach seinem Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Aachener Forschungsinstitut für Rationalisierung tätig. Dort hat er sich mit Fragen des IT-Einsatzes in der Produktion beschäftigt und dabei auch eine Reihe von Industrieprojekten durchgeführt.
Nach seiner Promotion zum Dr.-Ing. ist er in die Industrie gewechselt - und zwar zur Robert Bosch GmbH nach Stuttgart. Dort war er zunächst Assistent in der Werkleitung und wurde Produktionsleiter bei einer Tochtergesellschaft des Konzerns. Danach ist er zurück in seine alte Heimat - das Rheinland - und hat sich dort als Berater für Fabrikorganisation selbständig gemacht.
Kurze Zeit später hat er einen Ruf an die Hochschule Niederrhein nach Mönchengladbach erhalten. Dort vertritt er seitdem das Lehr- und Forschungsgebiet Produktionsmanagement und versucht seinen Studenten sowie seinen Kooperationspartnern in der Industrie ein größtmögliches Stück dieser Faszination weiterzugeben.
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