Die EMO als Schlüssel zur industriellen Zukunft: Für Carl Martin Welcker ist die EMO weit mehr als ein Messetermin – sie ist ein Barometer für den Zustand der Industrie, ein Katalysator für Innovation und ein Forum für politische Weichenstellungen.

Industriepolitik trifft Maschinenkompetenz

Im exklusiven Chefredakteurs-Interview trafen Claus Wilk und Stefan Weinzierl von mi-connect Carl Martin Welcker, geschäftsführender Gesellschafter der Alfred Schütte GmbH & Co. KG und Generalkommissar der EMO, der weltweit führenden Messe für Metallbearbeitung. Das Gespräch mit den beiden Cefredakteuren fand in den traditionsreichen Räumen des Kölner Maschinenbauunternehmens statt – einem Ort, der wie kein zweiter für deutsche Ingenieurskunst und unternehmerische Kontinuität steht.

In einer Zeit, in der industrielle Wertschöpfungsketten global ins Wanken geraten, Digitalisierung neue Maßstäbe setzt und das politische Klima die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zunehmend verändert, wird deutlich: Die Werkzeugmaschine steht im Zentrum dieser Transformation. Carl Martin Welcker spricht im Interview über die Bedeutung der EMO, die Herausforderungen und Chancen der Branche sowie die Rolle Deutschlands als industrielles Rückgrat Europas.

(Bild: VDW)

Save the Date: EMO 2025 in Hannover
Vom 22. bis 27. September 2025 trifft sich die internationale Welt der Produktionstechnik wieder auf der EMO in Hannover. Unter dem Leitthema "Innovate Manufacturing" stehen neueste Entwicklungen aus Maschinenbau, Automatisierung und Digitalisierung im Fokus. Für Entscheiderinnen und Entscheider aus Industrie und Forschung ist die EMO 2025 ein Pflichttermin – als Impulsgeber, Networking-Plattform und Technologietrendbarometer zugleich.

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Deutschland als industrieller Nukleus Europas

„Deutschland ist industrielles Kernland“, sagt Carl Martin Welcker gleich zu Beginn. „Wir haben in den letzten Jahrzehnten, ja fast über ein Jahrhundert hinweg, herausragende Ergebnisse erzielt – insbesondere im Werkzeugmaschinenbau.“ Dass die EMO seit vielen Jahren in Deutschland stattfindet, sei Ausdruck dieser Stellung, aber auch ihrer Grundlagen: „Mit den vielen Herstellern, den Zulieferern, den Universitäten und nicht zuletzt einer sehr dezidierten Fachpresse ist Deutschland prädestiniert für eine solche Leitmesse.“

Für Welcker ist die EMO mehr als nur ein Branchentreffen. Sie sei ein Ausdruck gelebter Industriekultur und ein Beleg für die Stärke der europäischen Produktionslandschaft. „Ohne Werkzeugmaschine“, warnt er, „gibt es keine industrielle Fertigung, keine industriellen Arbeitsplätze.“

Die EMO als Schaufenster, Taktgeber und Begegnungsplattform

Als Generalkommissar der EMO hat Carl Martin Welcker eine zentrale Rolle bei der inhaltlichen und strukturellen Ausrichtung der Messe. Doch für ihn steht nicht der Organisator, sondern der Aussteller im Mittelpunkt: „Ich schmücke mich ja gerne, aber in dem Fall sind es unsere Aussteller, die das schaffen. Wir setzen den Rahmen.“

Die Messe sei ein „technologisches Highlight“ und zugleich eine „Kontaktbörse“, betont er. Besonders schätzt er die internationalen Begegnungen: „Ich freue mich sehr, wenn ich meine Kollegen aus aller Welt treffe – diese Konzentration an Entscheidungsträgern findet man nur auf der EMO.“

Die EMO sei damit auch ein diplomatischer Raum, in dem Politik, Wirtschaft und Industrie miteinander ins Gespräch kommen. „Es ist ein Ort, an dem wir versuchen, im Dialog mit der Politik Impulse zu setzen – das ist essenziell, gerade in diesen Zeiten.“

Herausforderungen: Vom globalen Umbruch zur industriellen Resilienz

Die Werkzeugmaschinenbranche sieht sich derzeit gleich mehreren Herausforderungen gegenüber: wirtschaftlicher Druck, geopolitische Fragmentierung, technologische Umbrüche und Fachkräftemangel. Welcker bringt es auf den Punkt: „Die Welt ist im Umbruch. Wir erleben eine Abschottung, wie wir sie in den letzten 40 Jahren nicht kannten.“

Hinzu kommen industrieinterne Aufgaben: „Digitalisierung, Automatisierung, Energieeffizienz, Bedienbarkeit – das sind keine Schlagworte, sondern konkrete Aufgabenfelder, die wir als Branche meistern müssen.“

Ein großes Anliegen ist ihm die Bedienbarkeit der Maschinen: „Wir müssen es Menschen ermöglichen, hochkomplizierte Maschinen zu bedienen – auch ohne den deutschen Facharbeiterbrief.“ Besonders im Kontext des Fachkräftemangels sei das ein entscheidender Faktor für Wettbewerbsfähigkeit.

Technologie mit Zukunft: Digitalisierung, Präzision und Human Interface

Auch wenn Digitalisierung allgegenwärtig erscheint, sieht Welcker hier noch erhebliches Potenzial: „Digitalisierung ist noch längst nicht ausgereizt – das wird gerne vergessen. Sie braucht politische Rahmenbedingungen, etwa für den sicheren Datentransfer.“

Ein weiterer, oft unterschätzter Innovationsmotor sei die Präzision. „Genauigkeit ist kein Selbstzweck. Sie ist Mittel zum Zweck – zur Energieeffizienz, zur Sicherheit, zur Ressourcenschonung.“ Inzwischen befinde man sich im Fertigungsbereich im „Müh-Bereich“ – also im Bereich von tausendstel Millimetern. Im Messbereich sei man gar im Hundertstel-Müh angekommen.

Nicht zuletzt hebt Welcker das sogenannte „Human Interface“ hervor: „Es geht darum, Maschinen so zu gestalten, dass sie intuitiv bedienbar sind – das ist ein riesiges Innovationsfeld.“

50 Jahre EMO – Rückblick und Ausblick

Die EMO blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Für Welcker steht fest: „Die EMO war in vielen Bereichen Vorreiter – bei der NC-Technologie, bei Linearachsen, bei Parallelkinematiken, bei Industrie 4.0.“

Er erinnert sich: „Ich weiß noch, wie wir 1975 unsere ersten NC-Mehrspindler zeigten – es hat bis Mitte der 90er gedauert, bis sie sich durchsetzten.“ Auch bei Schleifmaschinen sei der Übergang zur Lineartechnik langwierig gewesen. „Heute ist das Stand der Technik – aber es dauerte.“

Diese langsame, aber nachhaltige Durchsetzung technologischer Neuerungen sei typisch für die Branche. „Trends wie 3D-Druck kamen mit einem Hype. Aber echte Innovation braucht Zeit, Know-how und kluge Köpfe – erst dann entstehen echte Fortschritte.“

Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: Vom Trend zur Verpflichtung

„Klimathemen werden sich nicht mehr aus dem Alltag wegdenken lassen“, sagt Welcker mit Nachdruck. Die Branche sei sich ihrer Verantwortung bewusst – und die EMO zeige dies deutlich. In Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen werden Foren, Sonderschauen und Technologiefelder zu Sustainability-Themen geschaffen.

„Es geht um weniger Ölverbrauch, geringeren Energieeinsatz, präzisere Erfassung und intelligente Steuerung – all das sehen wir auf der EMO. Und das wird uns die nächsten 20 bis 30 Jahre weiter begleiten.“

Internationale Relevanz und geopolitische Verantwortung

Die EMO ist ein globales Event. „Alle Länder, die im Werkzeugmaschinenbau aktiv sind, sind bei der EMO vertreten“, versichert Welcker. Dabei verweist er auf die geopolitische Dimension: „Wenn unsere Kunden, etwa aus der Automobilindustrie, abwandern, verlieren wir nicht nur Marktanteile – wir verlieren einen Teil unserer industriellen Basis.“

Er warnt: „Verlieren wir die Werkzeugmaschine, verlieren wir die Fähigkeit zur industriellen Fertigung.“ Das Beispiel USA zeige, wie gefährlich das sei: „Bis in die 60er Jahre führend, sind die USA heute in hohem Maße abhängig von europäischen und japanischen Maschinen.“

Der Grund? Fehlende Langfristigkeit, mangelnde Investitionen und eine Abwanderung industrieller Jobs. „Die industrielle Fertigung ist das Rückgrat jeder Volkswirtschaft – und die Werkzeugmaschine ist ihr Nukleus.“

Die EMO als Schlüssel zur industriellen Zukunft

Für Carl Martin Welcker ist die EMO weit mehr als ein Messetermin – sie ist ein Barometer für den Zustand der Industrie, ein Katalysator für Innovation und ein Forum für politische Weichenstellungen. „Ohne Werkzeugmaschinen gibt es keine Wehrhaftigkeit, keine Windräder, keine Solarpaneele – keine industrielle Zukunft.“

Die 50. Ausgabe der EMO ist Anlass zum Feiern – und zur Reflexion. Und eines wird nach dem Gespräch mit Carl Martin Welcker besonders deutlich: Die Herausforderungen sind groß. Doch ebenso groß ist der Wille, ihnen mit technologischem Mut, politischem Bewusstsein und internationalem Schulterschluss zu begegnen.

Kurzvita Carl Martin Welcker

(Bild: Sabine Berkefeld)

Carl Martin Welcker:

  • Generalkommissar der EMO Hannover
  • Geschäftsführender Gesellschafter der Alfred H. Schütte GmbH & Co. KG
  • Mitglied des Vorstands – VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken)

Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Maschinenschlosser und studierte anschließend Wirtschaftsingenieurwesen. Nach seinem erfolgreichen Studium arbeitete er für den Werkzeugmaschinenbauer Klingelnberg Söhne und für einen amerikanischen Messer- und Sägenhersteller. 1992 erfolgte der Eintritt in das familieneigene Unternehmen Alfred H. Schütte KG in Köln, dessen Geschäftsführung er seit 1993 innehat.

Darüber hinaus engagiert sich Carl Martin Welcker in diversen Ehrenämtern. Von 2004 bis 2010 war er Vorsitzender des VDW und von 2016 bis 2020 Präsident des VDMA.

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