Dass sich in lediglich sieben Jahren ein neuer Top-Player auf einem heiß umkämpften Markt wie dem Industrieservice etabliert, ist nicht gerade alltäglich. Die Robur-Gruppe aus München hat es allerdings geschafft. 2015 gegründet, zählt das Unternehmen heute zu den bekanntesten Adressen in Sachen Industrieservice, Dienstleistungen oder industrielle Instandhaltung. 2020 erwirtschaftete das Unternehmen in Deutschland einen Umsatz von 175 Millionen Euro. Insgesamt lag der Umsatz bei 198 Millionen. In Lohn und Brot standen dort 2.300 Menschen.
Einer, der die Entwicklung der Gruppe maßgeblich mitgeprägt hat, ist CEO Jan Jörg Müller-Seiler. Wir haben mit ihm über aktuelle Herausforderungen, zukünftige Pläne und Lehren aus der Vergangenheit gesprochen.
Jan-Jörg Müller-Seiler hat an der RWTH Aachen Metallurgie studiert und anschließend einen MBA in Mainz absolviert. Er war bei mehreren Großanlagenbauern weltweit beschäftigt. Darunter zehn Jahre in England bei Lurgi UK als Geschäftsführer, einem führenden Anlagenbauer. In Deutschland hat er für den TÜV Süd gearbeitet und acht Jahre für Intertek. Dort leitete er bis zu 80 Büros als Executive Vice President, Global Resources. 2017 holte ihn Daniel Behringer als Managing Partner zu Robur. Seit ist 2020 ist er dort CEO.
Sie sind CEO von Robur, einem sehr schnell wachsendem Industrieservice-Anbieter…
Jan-Jörg Müller-Seiler: "Ja, wir sind seit 2015 von ganz unten auf Platz 7 des Lünedonk-Rankings aufgerückt und wollen weiter nach oben."
Eine Frage vorweg: wie wirkt sich denn der Ukraine-Krieg auf Ihr Geschäft aus?
Müller-Seiler: "Der Krieg in der Ukraine, die steigenden Gas- und Energiepreise sind Themen, die uns als Industriedienstleister stark betreffen. Unsere Kunden suchen nach Wegen, die Auswirkungen eines möglichen Gasembargos abzuwenden. Für einige Industrie-Kunden in der Glasindustrie entwickeln wir bereits Notstandspläne, um Glasöfen kontrolliert herunterzufahren, ohne dass diese Schaden nehmen. Für Kunden dieser Branchen stehen wir mit unserem Partner Excelsius parat, sollte tatsächlich der Gashahn zugedreht werden. Denn wir haben Verfahren und Geräte entwickelt, mit denen wir Glas sehr schnell aus den Öfen entfernen und diese runterkühlen können. Da sind wir Weltmarktführer.
Andere Industrie-Unternehmen unterstützen wir bei der Umstellung auf erneuerbare Energien. Will ein Kunde zum Beispiel seine Flotte auf Elektrofahrzeuge umstellen, bieten wir ihm über unser Partnerunternehmen elmobis die Planung, Installation, Wartung einer Ladeinfrastruktur für seine neue Flotte an. Wir beginnen gerade mit der Integration von Windkraftanlagen in interne Ladeinfrastrukturen."
Sie sprechen Ihre Partner Excelsius und Elmobis an, zwei von mittlerweile 30 Partner-Unternehmen, was steckt hinter Ihrer Akquise-Strategie?
Müller-Seiler: "Robur wurde 2015 von Daniel Behringer, Florian Kopp und Jens Cremer gegründet. Ihre Idee war Expansion durch die Bündelung der Expertise kleiner und mittlerer Unternehmen, wie sie in unserer Branche der Industrieservicedienstleister sehr häufig anzutreffen sind – kleine und vor allem hoch spezialisierte Unternehmen. Im Mittelpunkt unserer Akquise-Strategie stehen darüber hinaus immer Unternehmen, die auch eine digitale oder ökologische Expertise haben."
Wie finanzieren Sie die Übernahmen?
Müller-Seiler: "Private Investoren und Familienfonds finanzieren den Erwerb der Partner, keine Private Equity Unternehmen."
Wie schaffen Sie es, dass alle Übernahme-Kandidaten erfolgreich an einem Strang ziehen?
Müller-Seiler: "Nicht jeder Zukauf ist sofort ein Volltreffer, aber wir betrachten alle als Partner auf Augenhöhe. Wir sind kein Konzern, der von oben herab hierarchisch regiert. Wir sind ein partnerschaftlich orientierter Verbund. Unsere Definition von Partnerschaft geht weiter, als der Begriff üblicherweise verstanden wird: alle Handlungen innerhalb unserer Gruppe dienen dem Wohl der Gemeinschaft. Robur ist Latein und bedeutet u.a. Stärke, wir ziehen aus der gegenseitigen Unterstützung unsere Stärke."
Können Sie ein Beispiel für so eine Unterstützung nennen?
Müller-Seiler: "Wir teilen für bestimmte Aufgaben Kolleginnen und Kollegen miteinander – eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Es ist nicht effizient, wenn alle Abteilungen mehrfach vorhanden sind. Daher haben wir unsere 3.000 Kolleginnen und Kollegen zum Teil virtuellen Teams zugeordnet. Diese Teams sind eigenverantwortlich für die unternehmensübergreifenden Themen verantwortlich. Es gibt zum Beispiel ein virtuelles Personalteam, das für das Recruiting zuständig ist, ohne eine Zentrale in München, die oben drüber sitzt. Gleichzeitig führt jedes Partner-Unternehmen ein Eigenleben. Es ist uns wichtig, dass die Partner vollständige Handlungsfreiheit - innerhalb gewisser Leitplanken – haben. Nach dem gleichen Prinzip organisieren wir die Marketing- und HSEQ-Aktivitäten in der Gruppe."
…das funktioniert?
Müller-Seiler: "Es spricht für uns, dass keiner der 30 Partner von sich aus gegangen ist. Natürlich ist es eine Herausforderung für die Geschäftsführer. Und je größer das Unternehmen, desto herausfordernder wird gemeinschaftliches Handeln. Dafür haben wir in ein Robur-Manifest ausgearbeitet. Darin legen wir verbindlich unsere Werte, Führungsprinzipien und Serviceleitlinien fest. Auch unsere Priorität, immer zum Wohle des Gesamten zu agieren. In den Partnerunternehmen selbst werden alle täglichen Themen innerhalb der Leitplanken unseres Manifests unabhängig entschieden und umgesetzt. Unsere Struktur ist unique."
"Überall knirscht es mal. Und es ist vollkommen in Ordnung Fehler zu machen, das muss man jedem zugestehen, aber bitte jeden Fehler nur einmal." - Jan-Jörg Müller-Seidel, CEO Robur Gruppe
Wie organisieren Sie das konkret?
Müller-Seiler: "Die oberste Ebene besteht aus sieben Seniorpartnern, dies ist der Vorstand, und hier werden 90 Prozent der strategischen Entscheidungen getroffen. Die zweite Ebene ist die Partner-Runde, darin sind die Geschäftsführer der Partnerunternehmens vertreten, hier findet vor allem der Austausch über operative Herausforderungen und die Umsetzung von strategischen Entscheidungen statt. Der Kommunikationsaufwand ist unserer Struktur geschuldet hoch. Einmal im Monat treffen sich die Seniorpartner persönlich oder virtuell und einmal im Monat gibt es auch einen Call mit allen Geschäftsführern. Und wir haben ein großes, persönliches Partnertreffen vier Mal im Jahr. Im Juni treffen wir uns zum Beispiel für zwei Tage am Mondsee."
Sie haben in sehr großen Organisationen gearbeitet, was haben Sie dort gelernt?
Müller-Seiler: "Ich habe immer Gruppen in weltweiten Strukturen aufgebaut und deren Zusammenarbeit organisiert. Einer der wichtigsten Lerneffekt ist, ganz klar, mein Bestreben, der Gruppe so wenig Anweisungen wie möglich zu erteilen. Führen bedeutet Vertrauen. Eine unserer Leitplanken ist daher die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Und ist doch einmal eine Genehmigung durch einen Seniorpartner nötig, erteilen wir diese innerhalb von einem Tag. Das gilt auch für mich. Ich bin kein Bremser. Schnelle Entscheidungen sind mir wichtig."
…und wenn ein Partner einmal falsch entscheidet?
Müller-Seiler: "Überall knirscht es mal. Und es ist vollkommen in Ordnung Fehler zu machen, das muss man jedem zugestehen, aber bitte jeden Fehler nur einmal! Partnerschaftliche Strukturen aufzubauen, bedeutet, einen Kulturwandel einzuleiten. Das ist eine große Herausforderung und fordert ein tägliches hartes mentales Arbeiten."
Was reizt Sie als CEO am meisten?
Müller-Seiler: "Mit Kollegen gemeinsam Strategien zu überlegen, in Gruppen zu kommunizieren, das Unternehmen zu gestalten, das gefällt mir. Es kann auch eine Restrukturierung sein. Die mag hart sein, aber wenn sie erfolgreich verläuft und die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze nicht verlieren, ist auch so etwas zufriedenstellend."
Wie wichtig ist es Ihnen, Märkte zu erobern?
Müller-Seiler: "Wenn unsere Strategien gut sind und die Gruppe stark, dann ebnet sich der Markt von allein und wir gewinnen. Eines bedingt das andere, die Leidenschaft am Gestalten und klar, auch der Erfolg am Markt. Natürlich geht es immer auch um KPIs die wir erreichen wollen. Die Investoren, auch wenn sie nicht fixiert auf Zahlen sind, wollen einen Return ihres Invests sehen."
Was wollen Sie in den nächsten fünf Jahren erreichen?
Müller-Seiler: "Unser Ziel ist es in fünf Jahren die eine Milliarde-Umsatz-Marke zu knacken. Wir agieren bereits heute weltweit und wollen in weitere Länder expandieren – die Märkte in Europa und den beiden Amerikas sind besonders vielversprechend. Nicht Bestandteil unserer Expansionsstrategie sind hingegen Russland und Far East. Die haben wir bewusst außen vor gelassen."
Welches sind Ihre Zielbranchen?
Müller-Seiler: "Wir haben drei Divisionen: Energie, Prozesse und Digital. Im Bereich Energie sind wir mit 90 Millionen Euro Umsatz bereits führend. Wir decken dort alle Aufgaben ab von der Konzeption, Inbetriebnahme, Reparatur oder Installation bis zum Rückbau von Anlagen oder Ladeinfrastrukturen. Wir sind der erste Industrieservicedienstleister, der der „The-Climate-Pledge-Initiative“ beigetreten ist und wollen bis spätestens 2040 CO₂-neutral werden und helfen auch unseren Kunden, dieses Ziel zu erreichen. Über unsere Fortschritte berichten wir regelmäßig in unseren Nachhaltigkeitsberichten. Unser zweites Standbein Prozesse entwickelt sich ebenso dynamisch. Auch dort unterstützen wir den ökologischen Wandel.
Im Bereich Digitalisierung sind wir der erste Instandhaltungsdienstleister, der ein digitales Assetmanagement, also Betriebsführungsmanagement, anbieten kann. Wir helfen produzierenden Betrieben ihre Prozesse durch Digitalisierung zu verbessern: in der Produktion gibt es viele Daten, die nur minimal genutzt werden. Wir analysieren Daten, die sonst nicht in Betracht gezogen werden. Indem wir eine Systematik, bestimmte Muster erkennen, kommen wir zu erstaunlichen Ergebnissen."
Und wenn Sie einmal nicht den passenden Partner zur Hand haben?
Müller-Seiler: "Dann holen wir uns Experten von außen."