Digitalisierung trifft Arbeitssicherheit

Freischaltprozess in der Energiewirtschaft meistern

Ohne kontrollierte Freischaltung steht die Instandhaltung im Hochrisiko. Doch wie gelingt der Spagat zwischen Arbeitssicherheit, Effizienz und Digitalisierung in der Energiewirtschaft? Der Blick hinter die Kulissen zeigt, wie aus Pflicht Prozesskunst wird.

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Wird nicht systematisch und nachvollziehbar freigeschaltet, kann es fatale Folgen geben – sowohl für Mensch als auch Maschine.

Ohne Freischaltung kein Zugriff: Der kontrollierte Freischaltprozess ist die zentrale Sicherheitsmaßnahme bei der Instandhaltung technischer Anlagen – besonders in der Energiebranche. Denn hier treffen hohe Spannungen auf komplexe Infrastruktur.  Es geht längst nicht mehr nur um das manuelle Ziehen von Sicherungen oder das Verriegeln von Schiebern. Im Zeitalter der Digitalisierung wandelt sich der Freischaltprozess vom analogen Protokoll zur digitalen Prozesskette mit revisionssicherer Nachverfolgbarkeit.

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind relevant?

In Deutschland greift bei Arbeitssicherheit ein engmaschiges Netz aus Gesetzen und Vorschriften. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet Unternehmen, alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu treffen. Ergänzend definieren die DGUV-Vorschriften klare Regeln im Umgang mit Gefährdungen – auch für den Freischaltprozess. Doch gesetzliche Standards allein reichen nicht. Viele Unternehmen der Energiewirtschaft setzen zusätzlich auf interne Sicherheitsrichtlinien und Auditverfahren. Der Einsatz moderner Instandhaltungssoftware schafft die Brücke zwischen Norm und Praxis – digital, individualisierbar und nachvollziehbar.

Warum sind digitale Systeme der Gamechanger?

Digitale Lösungen wie die IBM Maximo Application Suite verwandeln den Freischaltprozess in ein digitales Regelwerk. Vom ersten Arbeitsauftrag bis zur Wiederinbetriebnahme wird jeder Schritt zentral geplant, dokumentiert und überprüfbar gemacht.

Einmal implementiert, sorgt die Software für:

  • automatisierte Prüfprozesse,
  • Konflikterkennung in Echtzeit,
  • zentrale Datenhaltung für Audits,
  • standardisierte Arbeitsfreigaben,
  • mobile Verfügbarkeit auf Tablets oder Smartphones.

Der große Vorteil: Fehlerquellen durch Mehrdeutigkeiten, Abstimmungsprobleme oder Medienbrüche werden drastisch reduziert. Die gesamte Prozesskette wird sicherer, schneller und transparenter.

Wie sieht der digitale Freischaltprozess im Detail aus?

Ein Blick auf den digitalen Workflow zeigt, wie viele sicherheitsrelevante Stellschrauben hier ineinandergreifen:

  1. Arbeitsauftrag erstellen → Definition aller Aufgaben, Risiken, Schutzmaßnahmen.

  2. Freischaltschritte planen → komponentengenaues Abschalten, Abnehmen oder Sperren.

  3. Konfliktprüfung im System → frühzeitige Erkennung von Überschneidungen mit anderen Arbeiten.

  4. Anweisungen bereitstellen → digital abrufbar, mobil nutzbar.

  5. Instandhaltungsarbeiten durchführen → dokumentiert und revisionssicher.

  6. Rücksicherung und Wiederinbetriebnahme → vollständig digital dokumentiert. Dabei entsteht ein geschlossener Sicherheitskreislauf – mit klar definierten Verantwortlichkeiten und einer revisionssicheren Protokollierung.

Praxisbeispiel Spie: Wie digitale Kompetenz auf Betriebserfahrung trifft

Als Multitechnik-Dienstleister kennt Spie die komplexen Anforderungen der Energiewirtschaft aus erster Hand – und bringt das notwendige IT-Know-how gleich mit. Das zeigt sich exemplarisch an der Einführung der IBM Maximo Application Suite durch Spie Rodias, einer Tochtergesellschaft von Spie Germany & Switzerland Austria. Zielsetzung ist ein vollständig digitaler, rechtssicherer und effizienter Freischaltprozess – von der Planung bis zur Rücksicherung durch

  • Einrichtung zentraler digitaler Arbeitsaufträge,

  • Integration aller sicherheitsrelevanten Schritte,

  • mobile Einbindung des Field Service,

  • revisionssichere Dokumentation jeder Schalthandlung.

Das Ergebnis ist ein standardisierter, durchgängiger Prozess mit messbaren Effizienz- und Sicherheitsgewinnen – und eine klar nachvollziehbare Verantwortungsverteilung in jedem einzelnen Schritt.

Warum bleibt der Mensch dennoch unverzichtbar?

Trotz Automatisierung gilt: Der Mensch bleibt das Sicherheitsnetz im System. Denn viele Komponenten müssen vor Ort physisch kontrolliert, geprüft und gesperrt werden. Digitale Tools unterstützen, ersetzen aber nicht. Sichtprüfungen, das Anbringen von Sperren oder das Einhalten des Vier-Augen-Prinzips sind Aufgaben, die erfahrene Fachkräfte übernehmen. Genau deshalb müssen IT-Systeme flexibel genug sein, um den menschlichen Faktor nicht auszublenden, sondern gezielt einzubinden.

Welche Anforderungen stellen Unternehmen an Freischaltsysteme?

In der Praxis zeigt sich: Kein Kraftwerk gleicht dem anderen – und kein Freischaltprozess verläuft identisch. Deshalb müssen Softwarelösungen individuell anpassbar sein. Das betrifft:

  • Checklisten,

  • Genehmigungsprozesse,

  • zusätzliche Sicherheitsprüfungen,

  • Formulare und Dokumente,

  • unternehmensspezifische Schaltvorgaben.

Gerade bei hochsicherheitskritischen Anlagen sind modular erweiterbare Systeme gefragt, die auch Sonderanforderungen präzise abbilden – etwa durch Schalthandlungsvorschläge oder eine differenzierte Planungstiefe.

Welche Trends zeichnen sich ab?

Die Zukunft des Freischaltprozesses bleibt konservativ – aus gutem Grund. Sicherheit duldet keine Experimente. Und doch deuten sich spannende Entwicklungen an:

  • mobile Applikationen im Field Service,

  • Echtzeitdaten zur Liveüberwachung,

  • Künstliche Intelligenz für die vorausschauende Planung,

  • digitale Zwillinge zur Simulation von Abschalt- und Freigabeszenarien,

  • Augmented Reality zur Visualisierung bei der Umsetzung.

Gerade die Visualisierung durch digitale Zwillinge könnte mittelfristig eine neue Qualität der Planungssicherheit ermöglichen. Erste Pilotprojekte laufen bereits – die Ergebnisse dürften richtungsweisend sein.

Lückenlose Dokumentation als Schlüsselfaktor

Ein technischer Fehler ist schnell passiert – doch was folgt, kann teuer werden. Wer bei der Freischaltung nicht lückenlos dokumentiert, verliert im Schadensfall schnell den Boden unter den Füßen. Revisionssichere digitale Systeme sind daher keine Option, sondern Pflicht. Nur so lässt sich im Ernstfall nachweisen, dass alle Arbeitsschritte korrekt ausgeführt wurden – und zwar nachvollziehbar und rechtssicher. Der Freischaltprozess ist keine bloße Vorschrift – er ist ein komplexes Zusammenspiel aus Technik, Organisation und IT. Wer ihn digitalisiert, gewinnt nicht nur an Effizienz, sondern erhöht aktiv die Sicherheit. Unternehmen wie Spie zeigen, wie dieser Wandel praxisnah gelingt: mit durchgängiger Systemintegration, mobilen Lösungen und einem klaren Verständnis der Risiken vor Ort.

Quelle: Spie Rodias

FAQs zum Freischaltprozess in der Energiewirtschaft

1. Was versteht man unter einem Freischaltprozess? 

Der Freischaltprozess ist eine strukturierte Sicherheitsmaßnahme, bei der technische Anlagen vor Beginn von Instandhaltungsarbeiten spannungsfrei geschaltet und gegen Wiedereinschalten gesichert werden. Ziel ist es, Personen- und Anlagenschäden zu vermeiden.

2. Warum ist der Freischaltprozess in der Energiewirtschaft besonders kritisch? 

In der Energiewirtschaft herrschen hohe Spannungen und komplexe Infrastrukturen. Fehlerhafte Freischaltungen können hier lebensgefährliche Folgen haben. Daher sind die Anforderungen an Sicherheit, Dokumentation und Nachvollziehbarkeit besonders hoch.

3. Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Freischaltprozess? 

Digitale Systeme ermöglichen die standardisierte, nachvollziehbare und revisionssichere Abwicklung des Freischaltprozesses. Sie reduzieren Fehlerquellen, unterstützen bei der Planung und verbessern die Effizienz – insbesondere durch mobile Anwendungen und zentrale Datenhaltung.

4. Welche gesetzlichen Vorgaben gelten für Freischaltprozesse? 

Der Freischaltprozess unterliegt dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sowie den Vorschriften der DGUV. Diese definieren, wie Gefährdungen zu vermeiden sind. Zusätzlich greifen unternehmensspezifische Richtlinien, die durch digitale Tools abgebildet werden können.

5. Können Freischaltprozesse vollständig automatisiert werden? 

Nein, der menschliche Faktor bleibt entscheidend. Zwar lassen sich viele Schritte digital steuern, jedoch sind Sichtprüfungen und physische Sperren weiterhin manuell auszuführen. Digitale Systeme sollen den Menschen unterstützen, nicht ersetzen.

6. Wie sieht ein typischer digitaler Freischaltprozess aus? 

Der Prozess beginnt mit einem Arbeitsauftrag im System, gefolgt von der Planung der Freischaltmaßnahmen, einer Konfliktprüfung und der Bereitstellung digitaler Anweisungen. Nach der Instandhaltung wird die Rücksicherung dokumentiert und der Prozess abgeschlossen.

7. Welche Technologien prägen die Zukunft des Freischaltprozesses? 

Zukünftige Entwicklungen beinhalten mobile Applikationen, Echtzeitdaten, KI-gestützte Planung, digitale Zwillinge und Augmented Reality. Trotz technischer Innovationen bleibt das Prinzip der Sicherheitspriorisierung zentral.