Daten statt Ordner: Maschinenbau im Wandel

Der Digitale Produktpass verändert Service und Wettbewerb

Ein Daten-Tsunami rollt auf den Maschinenbau zu: Ab 2027 wird der Digitale Produktpass (DPP) Pflicht – und wer sich nicht vorbereitet, verliert nicht nur Zeit, sondern Märkte. Doch wer klug handelt, verwandelt Regulierungen in Wachstumsmotoren.

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Mit der Einführung des Digitalen Produktpasses gehören das Führen von Excel-Listen sowie das Wälzen von Ordnern der Vergangenheit an. Sämtliche Produktinformationen gibt es dann 'auf Knopfdruck'.
Mit der Einführung des Digitalen Produktpasses gehören das Führen von Excel-Listen sowie das Wälzen von Ordnern der Vergangenheit an. Sämtliche Produktinformationen gibt es dann 'auf Knopfdruck'.

Was ist der Digitale Produktpass wirklich?

Der Digitale Produktpass (DPP) ist kein weiteres Formular, das Maschinenbauer ausfüllen müssen. Er ist die Grundlage einer neuen Infrastruktur: Ab 2027 schreibt die EU vor, dass Investitionsgüter maschinenlesbar Auskunft geben müssen – über Materialien, Herkunft, Reparierbarkeit, Emissionen. Erstmals entsteht damit eine gemeinsame Datenschnittstelle, die über Branchen und Märkte hinweg funktioniert.

Für den Maschinenbau bedeutet das: Ersatzteile, die heute in Katalogen oder Excel-Tabellen schlummern, müssen künftig als eindeutige Attribute hinterlegt sein. Wartungsinformationen, die bisher in Servicehandbüchern verteilt sind, werden künftig in einem digitalen Ökosystem abgebildet. Die Folge: Maschinen werden nicht mehr nur physisch konstruiert, sondern zugleich als digitale Zwillinge – mit allen Daten, die ihren Betrieb über Jahrzehnte sichern. Und wer international liefern will, braucht Formate, die nicht nur in Europa, sondern global interoperabel sind.

Warum gerade der Maschinenbau gefordert ist

Kaum eine Industrie ist komplexer als der Maschinenbau, weshalb der Digitale Produktpass hier auf besondere Herausforderungen trifft. Eine Werkzeugmaschine oder ein Robotersystem bleibt oft zwanzig, dreißig Jahre im Einsatz; in dieser Zeit wechseln Betreiber, Standorte und Service-Partner. Ersatzteile werden angepasst, durch Nachfolgemodelle ersetzt Und Dokumentationen liegen verstreut: ein Teil digital, ein Teil in Ordnern, andere nur im Kopf erfahrener Servicetechniker.

Der DPP zwingt dazu, Informationen so zu strukturieren, dass sie über Jahrzehnte hinweg nutzbar bleiben. Nicht nur für den Hersteller, sondern für Händler, Betreiber, Service und bis hin zum Recycling. Wer Ersatzteilnummern oder Materialdaten weiterhin in Insellösungen verwaltet, riskiert, dass diese Daten in Zukunft nicht anschlussfähig sind.

DPP als Hebel, Prozesse effizienter zu gestalten

Wie groß die Herausforderung ist, zeigt sich bereits in anderen Branchen: Das Familienunternehmen 'SEINE Batteriesysteme' in Dülmen dokumentiert heute schon rund 90 Datenattribute pro Batterie – von der CO₂-Bilanz bis zur Recyclingfähigkeit. Anfangs empfand Geschäftsführer Saredin Seine das Projekt als zusätzliche Belastung, doch inzwischen nutzt er den DPP als Hebel, Prozesse effizienter zu gestalten und Kosten zu senken. Genau dieser Weg liegt vor der Maschinenbauindustrie: von der Regulierungspflicht hin zum Wettbewerbsvorteil.

Heute kann eine Batterie im Service per NFC-Tag oder QR-Code sofort identifiziert werden – inklusive aller relevanten Daten. Ersatz und Recycling lassen sich dadurch ohne Rückfragen anstoßen. Für ein mittelständisches Unternehmen mit begrenzten Ressourcen bedeutet das: weniger Stillstände, niedrigere Kosten und eine spürbare Entlastung der Mitarbeiter. Gleichzeitig schafft der DPP Vertrauen bei Kunden, weil die Herkunft und Nachhaltigkeit der Produkte jederzeit transparent nachvollziehbar sind.

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Wie entsteht aus Pflicht ein Wettbewerbsvorteil?

Der Fall zeigt: Wer den DPP nicht als reine Pflicht, sondern als Chance versteht, kann aus einer vermeintlichen Bürde ein Zukunftsprojekt machen. Genau diesen Weg müssen künftig auch Maschinenbauer gehen – vom Pflichtprogramm hin zum strategischen Nutzen.

Besonders relevant ist die Exportdimension: Ein DPP muss nicht nur EU-konform sein, sondern in globalen Lieferketten bestehen – mehrsprachig, interoperabel, standardisiert. Das macht den DPP nicht nur zur Compliance-Aufgabe, sondern zum Schlüssel für den Marktzugang weltweit: Nur wer Daten einmal sauber strukturiert, kann sie später international einsetzen – in Serviceportalen und KI-gestützten Anwendungen wie Predictive Maintenance.

Über den Autor

Thomas L. Rödding ist einer der führenden Experten für digitale Produktpässe und Kreislaufwirtschaft. Als Gründer und CEO von Narravero macht er physische Produkte zu smarten Touchpoints und schafft Transparenz über Lieferketten und Nachhaltigkeit.
Als Co-Chair im europäischen CEN-CENELEC-Komitee prägt er die Standardisierung des Digitalen Produktpasses. Seine Vision: Über Compliance hinausdenken und den Produktwert durch intelligente Daten neu definieren.

DPP: Von der Papierflut zur digitalen Effizienz

Die größten Hürden für Maschinenbauer liegen nicht im Regulatorischen, sondern im Alltag: Lebenszyklen von mehreren Jahrzehnten, ein globales Ersatzteilgeschäft, internationale Lieferketten und verstreute Dokumentationen. Genau hier setzt der DPP an. Er konsolidiert Informationen und stellt sicher, dass sie über die gesamte Lebensdauer einer Maschine hinweg verfügbar bleiben – statt in Excel-Tabellen oder proprietären Tools verloren zu gehen.

Unternehmen haben dadurch messbare Vorteile: Serviceeinsätze werden effizienter, weil Ersatzteile eindeutig identifiziert und schneller bestellt werden können; Stillstände verkürzen sich, Wartungskosten sinken. Gleichzeitig liefert der DPP belastbare Daten zu Materialien, Herkunft und Emissionen – eine Voraussetzung, um in künftigen Ausschreibungen berücksichtigt zu werden.

Zudem schafft er Vertrauen: Kunden kaufen nicht nur ein Produkt, sondern erhalten eine nachvollziehbare Datenbiografie, die Transparenz zum Wettbewerbsfaktor macht. Das verändert den Verkaufswert: Maschinenbauer verkaufen nicht mehr nur Technik, sondern auch die Sicherheit, dass ihre Produkte langfristig servicefähig und regulatorisch abgesichert sind.

Was das Zögern beim DPP kostet

Wer den DPP aufschiebt, geht gleich das doppelte Risiko ein: Zum einen steigen die Kosten, wenn Daten nachträglich aus alten Systemen oder gar Papierarchiven aufbereitet werden müssen. Zum anderen setzen Wettbewerber, die früher starten, bereits Mehrwertdienste auf – von schnellerem Service bis zu verlässlichen ESG-Nachweisen. Spätestens wenn Ausschreibungen den DPP verpflichtend abfragen, wird aus Aufschub ein handfestes Geschäftsrisiko.

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Bürokratieabbau statt Papierflut im Maschinenbau

Der Digitale Produktpass ist kein zusätzlicher Papierstapel, sondern kann Bürokratieabbau im besten Sinn ermöglichen. Bislang werden Ersatzteillisten, Wartungshandbücher oder CO₂-Nachweise in unterschiedlichsten Formaten gepflegt – Ordner über PDFs bis hin zu Excel-Tabellen und proprietären Systemen. Häufig verlangen Kunden und Behörden auch individuelle Varianten. Mit dem DPP entsteht dagegen erstmals eine einheitliche, maschinenlesbare Schnittstelle: einmal gepflegt, vielfach nutzbar. Für den Maschinenbau eröffnet dies die Möglichkeit, jahrzehntelange Dokumentationsarbeit zu verschlanken und Service wie Compliance auf eine gemeinsame Datenbasis zu stellen.

Dass dies keine Theorie ist, zeigt die Praxis: Unternehmen wie SEINE Batteriesysteme haben Ersatzteil- und Nachhaltigkeitsdaten bereits in den DPP überführt. Statt Informationen parallel in unterschiedlichen Dokumenten und Systemen zu verwalten, genügt nun ein zentraler Datenzugriff – egal ob für Kunden, Behörden oder den eigenen Service. So wird deutlich: Der DPP ist nicht nur ein Regulierungsthema, sondern ein Werkzeug, um Komplexität beherrschbarer zu machen und Effizienzgewinne zu realisieren.

Fazit: 2027 ist nur der Startpunkt

Der Digitale Produktpass ist Pflicht – aber vor allem ist er ein Ordnungsprinzip, das dem Maschinenbau Effizienz, Nachhaltigkeit und Transparenz sichert. Wer jetzt beginnt, schafft nicht nur die Grundlage für regulatorische Sicherheit, sondern gewinnt einen strategischen Vorsprung: in Ausschreibungen, im Service, im Vertrauen der Kunden. Denn 2027 ist kein Enddatum, sondern der Beginn des neuen Wettbewerbs: Maschinen ohne DPP werden bald den Anschluss verlieren, während 'DPP-ready' zum neuen Standard der Branche wird.

überarbeitet von: Dietmar Poll

FAQ: Der digitale Produktpass (DPP)

1) Was ist der Digitale Produktpass (DPP)?
Der DPP ist keine weitere Formularpflicht, sondern die Grundlage einer neuen, maschinenlesbaren Daten-Infrastruktur. Ab 2027 sollen Investitionsgüter standardisiert Auskunft über Materialien, Herkunft, Reparierbarkeit und Emissionen geben – branchen- und marktübergreifend.

2) Ab wann gilt die Pflicht – und für welche Güter?
Ab 2027 schreibt die EU den DPP für Investitionsgüter vor. Informationen müssen maschinenlesbar bereitgestellt werden.

3) Welche Daten müssen Maschinenbauer künftig bereitstellen?
Ersatzteile sind als eindeutige Attribute zu hinterlegen; Wartungsinformationen wandern aus Handbüchern in ein digitales Ökosystem. Insgesamt entsteht eine gemeinsame Datenschnittstelle, die über Jahrzehnte nutzbar bleibt.

4) Warum ist gerade der Maschinenbau besonders gefordert?
Maschinen und Anlagen laufen 20 bis 30 Jahre, Betreiber, Standorte und Servicepartner wechseln, Ersatzteile werden angepasst, Dokumentation ist verstreut. Der DPP zwingt zur langfristig tragfähigen Strukturierung – für Hersteller, Handel, Betreiber, Service bis zum Recycling.

5) Was passiert, wenn Unternehmen bei 'Insellösungen' bleiben oder den DPP aufschieben?
Daten drohen künftig nicht anschlussfähig zu sein; Nacharbeiten aus Alt-Systemen verteuern die Einführung. Zudem können Wettbewerber frühzeitig Mehrwertdienste aufsetzen, und Ausschreibungen den DPP verpflichtend verlangen – ein reales Geschäftsrisiko.

6) Welche praktischen Vorteile bringt der DPP im Alltag?
Eindeutige Identifikation von Teilen, schnellere Bestellungen, kürzere Stillstände, niedrigere Wartungskosten. Zudem liefert der DPP belastbare Material-, Herkunfts- und Emissionsdaten – wichtig für künftige Ausschreibungen.

7) Was bedeutet der DPP für 'digitale Zwillinge'?
Maschinen werden künftig nicht nur physisch konstruiert, sondern parallel als digitale Zwillinge mit sämtlichen Betriebs- und Servicedaten über den gesamten Lebenszyklus abgebildet.

8) Was zeigt das Praxisbeispiel SEINE Batteriesysteme?
Das Unternehmen dokumentiert circa 90 Datenattribute pro Batterie (u. a. CO₂-Bilanz, Recyclingfähigkeit). Per NFC-Tag oder QR-Code ist eine sofortige Identifikation möglich; Ersatz und Recycling lassen sich ohne Rückfragen anstoßen – mit weniger Stillständen, geringeren Kosten und spürbarer Entlastung für Mitarbeitende.

9) Wie zahlt der DPP auf Vertrauen und Vertrieb ein?
Kunden erhalten eine transparente 'Datenbiografie' des Produkts. Das erhöht Nachvollziehbarkeit, macht Servicefähigkeit und regulatorische Absicherung zum Verkaufsargument und stärkt die Kundenbindung.

10) Welche Rolle spielt die Exportdimension?
Ein DPP muss EU-konform und zugleich global interoperabel, standardisiert und mehrsprachig sein. Wer Daten einmal sauber strukturiert, kann sie international wiederverwenden – etwa in Serviceportalen oder KI-Anwendungen wie Predictive Maintenance.