
Russlands Angriff auf die Ukraine markierte eine Zäsur für Europas Verteidigungslandschaft. Seit 2022 steigen die Budgets, Förderprogramme und Investitionen in die Rüstungsindustrie auf Rekordniveau. Deutschlands Rüstungsriesen wie Rheinmetall, Hensoldt und Renk erleben eine Sonderkonjunktur, ihre Aktienkurse schossen seit Jahresbeginn um über 80 % nach oben. (Bild: Елена Бионышева-Абра - stock.adobe.com)
Die Rüstungsindustrie erlebt eine nie da gewesene Nachfragewelle. Sie freut sich über steigende Gewinne und treibt die Entwicklung neuer Systeme voran. Die Chancen sind enorm, aber auch die Herausforderungen im Kampf um globale Wettbewerbsfähigkeit. Der Schlüssel liegt in Europa.
Rheinmetall, Renk Group, Hensoldt. Seit Jahresbeginn sind alle drei Verteidigungsaktien um über 80 Prozent gestiegen. Sie machen inzwischen über 8 Prozent des Future of Defence UCIT ETF (NATO) aus, eines börsengehandelten ETF. Dieser bildet 66 Unternehmen ab, die einen Großteil ihrer Einnahmen aus der Herstellung und Entwicklung von Militärgerät oder von Cybersicherheit erzielen und mit einem NATO- oder NATO+-Verbündeten unter Vertrag stehen. Er verzeichnete in den letzten sechs Monaten einen Anstieg von 37,18 Prozent und im Februar einen Zuwachs von 5,22 Prozent. Rheinmetall, Renk und Hensoldt sind bisher die einzigen darin vertretenen deutschen Unternehmen. Im Fondsvermögen dominieren Unternehmen aus den USA (59,89 Prozent), Frankreich (10 Prozent), dem Vereinigten Königreich (8,05 Prozent) und Israel (6,65 Prozent).
Es spricht nichts dagegen, dass künftig deutlich mehr europäische einschließlich deutsche Rüstungsunternehmen auf dem Zettel internationaler Investoren stehen. Zu Jahresbeginn hatte die deutsche Bundeswehr zahlreiche Aufträge an heimische Rüstungsunternehmen vergeben, etwa an Rheinmetall für die logistische Unterstützung von Militärfahrzeugen und Hensoldt für die Entwicklung eines optischen Detektionssystems. ThyssenKrupp Marine Systems verzeichnete Neuaufträge sowohl aus Deutschland als auch international, etwa aus Norwegen und Israel, und profitiert unter anderem von der Auftragserweiterung für das deutsch-norwegische U-Boot-Programm.
Wohin das Geld fließen soll
Dies alles geschah noch vor den historischen Beschlüssen von Berlin und Brüssel zur Stärkung der Verteidigungskraft. Nun stehen ungleich höhere Budgets im Raum. Und eine Vorstellung davon, wohin das Geld bevorzugt fließen soll. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat am 18. März angekündigt, dass im Rahmen der Aufrüstungsoffensive bevorzugt europäische Waffen gekauft würden. Das war ein Wink an die US-Regierung, sich gegenüber Europa etwas konzilianter zu zeigen. Zugleich aber ein deutliches Bekenntnis zur kontinentalen Rüstungsindustrie und ihren Potenzialen. Vor allem deutsche Unternehmen haben einen exzellenten Ruf für ihre präzise Ingenieurskunst und hochwertigen Waffensysteme. Beispiele sind Kampf- und Schützenpanzer, Artillerie und Munition, Marine und U-Boote sowie Luftverteidigung und Radarsysteme. Wobei auch Unternehmen dazugehören, die keine klassischen „Rüstungsschmieden“ sind. MTU Aero Engines etwa ist der wichtigste Systempartner für sämtliche Triebwerke der Luftwaffe. Das militärische Geschäft macht aber weniger als 10 Prozent des Umsatzes aus.
Im Aufwind befindet sich die deutsche und europäische Rüstungsindustrie seit Februar 2022, dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Im transatlantischen Vergleich zeigt sich allerdings ein differenzierteres Bild. Denn US-Rüstungsfirmen wachsen viel schneller. Ihnen gegenüber haben europäische Unternehmen eine Rentabilitätslücke von etwa 2 Prozent bis 5 Prozent der EBITDA-Marge. Dies geht aus der von der Unternehmensberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PWC) im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz erstellten Studie „A Vision for Europe`s Defense Industrial Future“ hervor. Die Analyse benennt einen zentralen strategischen Schwachpunkt. „Die europäische Verteidigungsindustrie ist nach wie vor stark fragmentiert. Die Verteidigungsministerien kaufen weiterhin komplexe, maßgeschneiderte und verstaatlichte, vergoldete Lösungen ein, denen es oft an einer koordinierten Beschaffungsstrategie zwischen den europäischen Nationen mangelt“, heißt es in der Analyse. Eines von vielen Beispielen sei die Beschaffung nicht europäischer Systeme, beispielsweise türkischer Drohnen, durch Polen. Es fehle ein „robustes Ökosystem großer Tier-1-Zulieferer, die alle großen Produkte unterstützen können“, so PWC. In den USA hingegen gebe es integrierte Branchenführer wie Northrop Grumman, General Dynamics und Raytheon. Gleiches gelte für Zulieferer auf Tier-2-Niveau und darunter.
Systeme rücken zusammen
Dass EU-Staaten auch ihre nationalen Rüstungsschmieden an der milliardenschweren Brüsseler Rüstungsoffensive angemessen beteiligt sehen wollen, ist abzusehen. PWC mahnt: Die umfassende Transformation könne nur gemeistert werden, wenn es gelinge, eine „profitorientierte Ausbeutung“ der Verteidigungsbudgets zu verhindern. Das setze eine gezielte Konsolidierung voraus, wofür es allerdings Beispiele gibt. Kooperationen – und mehr – zwischen deutschen und europäischen Rüstungsunternehmen zielen darauf ab, Synergien in der Rüstungsproduktion zu nutzen. Als ein Vorbild gilt die bereits im Jahr 2000 gegründete Airbus Group.
- Im Jahr 2015 fusionierten das deutsche Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann und das französische Rüstungsunternehmen Nexter zu KNDS mit Sitz in Amsterdam für die gemeinsame Entwicklung des europäischen Kampfpanzerprojekts MGCS (Main Ground Combat System). KNDS befindet sich hälftig im Besitz des französischen Staates und der Wegmann-Gruppe (Umsatz 2023: 3,3 Mrd. EUR).
- Rheinmetall hat sich soeben mit dem italienischen Unternehmen Leonardo zusammengetan, um gemeinsam Panzer zu entwickeln und zu produzieren.
- Die RENK und das britische Verteidigungs- und Sicherheitsunternehmen QinetiQ haben im September 2024 eine strategische Partnerschaft geschlossen. Ziel dieser Kooperation ist die gemeinsame Entwicklung fortschrittlicher Mobilitätskonzepte für militärische Landplattformen (Gefechtsfahrzeuge) der Gewichtsklasse von 5 bis 60 Tonnen.
- Im November 2024 hat die Europäische Union erstmals 300 Millionen Euro zur Finanzierung gemeinsamer Beschaffungsprojekte ihrer Mitgliedstaaten freigegeben. Dieses Vorhaben soll die Effizienz der Streitkräfte steigern und die Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie fördern.
Auch einige „rein zivile“ Unternehmen erwägen eine Umstellung ihrer Produktion auf militärische Güter. Beispielsweise könnten Automobilhersteller ihre freien Kapazitäten nutzen, um militärische Fahrzeuge zu produzieren, was sowohl der Rüstungsindustrie als auch der Gesamtwirtschaft zugutekommen würde. VW-Chef Oliver Blume hat sich offen für die Produktion von Militärfahrzeugen gezeigt. Der Konzern sei bereit, sein Fachwissen im Automobilbau zur Unterstützung der Verteidigungsanstrengungen Europas einzusetzen.
Rüstung als Wachstumshebel
Welche Hebelwirkung höhere Verteidigungsausgaben auf das Wirtschaftswachstum haben, geht aus einem aktuellen Bericht des Instituts für Wirtschaftsforschung (IfW) in Kiel hervor. Demnach könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,9 bis 1,5 Prozent im Jahr steigen, wenn die EU-Staaten in dem entsprechenden Jahr ihre Militärausgaben vom NATO-Ziel von 2 Prozent auf 3,5 Prozent des BIP anheben und von überwiegend US-amerikanischen auf heimische Hightech-Waffen umsteigen würden.
Voraussetzung für eine effektive Rüstungsproduktion sind stabile Lieferketten, die in den letzten Jahren immer wieder Sorge bereiteten. Um dem zu begegnen, hat Hensoldt 30 Mio. Euro in ein neues Logistikzentrum investiert und die Bevorratung an Vorprodukten und Komponenten erhöht. „Außerdem arbeiten wir seit mehreren Jahren daran, unsere Supplyer-Basis resilient zu machen. Wir halten unsere Zulieferer kontinuierlich über die Entwicklung unseres Unternehmens auf dem Laufenden und gehen sich ändernde Anforderungen in der Produktion gemeinsam an“, so Unternehmenssprecher Michael Belz.