Intelligenz und Digitalisierung sind die Schlüssel für die Industrie, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dabei gilt es, Prozesse messbar zu machen und die gewonnenen Daten in Wissen zu transformieren, um letztlich eine smarte, autonome Steuerung von Maschinen und Anlagen zu ermöglichen.

Intelligenz und Digitalisierung sind die Schlüssel für die Industrie, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dabei gilt es, Prozesse messbar zu machen und die gewonnenen Daten in Wissen zu transformieren, um letztlich eine smarte, autonome Steuerung von Maschinen und Anlagen zu ermöglichen. (Bild: momius - stock.adobe.com)

Das große Thema in der Industrie ist die Defossilierung der Produktion. Ein Knackpunkt dabei: Die Industrie muss anders handeln, als die Menschen im privaten Leben. Laut Professor Christoph Herrmann, Leiter Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST, sei beim Wohnen die Lösung über Niedrigenergie- und Passivhäuser mit Wärmepumpen durch Erneuerbare Energien vorhanden. Bei der Mobilität sei es ähnlich, denn 98 Prozent der Emissionen kämen aus der Individualmobilität – da gebe es als Lösung Elektrofahrzeuge. „Es ist jetzt nur die Frage, ob wir das umsetzen oder nicht“, kommentiert er.

„Aber bei der Industrie haben wir diese One Shot Bullet nicht. Das ist eine große Herausforderung. In der Industrie setzen wir die gesamte Palette an Energieträgern ein. Beispielsweise lässt sich durch Gas erzeugte hohe Prozesswärme nicht einfach durch Strom ersetzen“, erläutert Herrmann.

In der Industrie sei der Druck zudem wesentlich herausfordernder als bei den Privathaushalten, wenn es um die Defossilierung gehe. „Aus meiner Erwartungshaltung wird der Druck auf die Industrie durch politische Vorgaben zur Dekarbonisierung eher größer als kleiner werden.“ Aber auch Energie- und Materialeffizienz dürfe nicht außer Acht gelassen werden. Einen großen Hebel gebe es durch die Erneuerbaren Energien.

Christoph Herrmann, Leiter Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST Leiter Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF)
Zitat

Bei der Industrie haben wir den One Shot Bullet nicht. So lässt sich beispielsweise durch Gas erzeugte hohe Prozesswärme nicht einfach durch Strom ersetzen

Christoph Herrmann, Fraunhofer IST
(Bild: Fraunhofer IST)

Die CO2-neutrale Fabrik von morgen

Professor Alexander Sauer, Leiter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, wiederum wirft einen Blick auf die Fabrik der Zukunft. Dabei gelte es sechs wichtige Punkte zu beachten. Das Ziel sei die CO2-Neutralität und es stehe die Frage im Raum, wie diese erreicht werden könne.

„Zum Beispiel durch regionale Vernetzung von Fabriken mit ihrer Umgebung, durch Sektorkopplung sowie durch eine gewisse Intelligenz in dem Umgang mit Energie, wann etwa CO2-neutrale Energie vorhanden ist. Dafür müssen wir flexibel sein und steuerbare Produktionseinheiten haben. Nicht zu vergessen ist das Thema der Effizienz. Zudem benötigen wir lokale oder regionale Energieversorgung beispielsweise durch PV-Anlagen, Wind- oder Wasserkraft“, erklärt Sauer. Eine Wasserstoffleitung wäre je nach Lage der Fabrik auch noch möglich.

Alexander Sauer, Leiter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA Direktor Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP)
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Wenn ich beim Energieverbrauch intelligenter werden will, muss ich die Energieverbräuche erst einmal erfassen

Alexander Sauer, Fraunhofer IPA
(Bild: Sauer)

Intelligentes und transparentes Energiemanagement

Als besonders wichtigen Punkt hebt Sauer das Thema Intelligenz hervor. „Denn wenn ich beim Energieverbrauch intelligenter werden will, muss ich die Energieverbräuche erst einmal erfassen. Die Verbräuche müssen dann integriert werden, um zu einem intelligenten und transparenten Energiemanagement zu kommen“, betont Sauer. Im Anschluss müsse man aus diesen integrierten Informationen auch in der Lage sein, zu agieren. „Lässt sich das dann noch automatisieren, bin ich bei autonomen Energiesystemen angelangt.“

Podcast: Alexander Sauer über klimaneutrale Fabriken, Digitalisierung und Energieeffizienz

Digitalisierung befähigt die Nachhaltigkeit

Genau darauf könne die Industrie setzen, denn „Digitalisierung ist das Werkzeug, das uns zur Verfügung steht“, betont Professor Rüdiger Daub, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV. „Zuvor ist das messbar machen notwendig, um das, was wir alles vorhaben, auch umzusetzen“, fährt er fort.

Es sei erkennbar, dass der Digitalisierungsgrad bei größeren Unternehmen höher sei als bei kleineren. Da habe sich in den vergangenen Jahren aber auch kaum etwas verändert. Viele der Daten würden zwar mittlerweile verfügbar gemacht, gesammelt und gespeichert und ein Teil werde noch verarbeitet, aber nur wenige Daten werden ausgewertet.

Es dürfe laut Daub aber auch nicht einfach alles digitalisiert werden, da in der Komplexität vieles verloren gehe. „Es muss hingegen zwingend das Ziel im Vordergrund stehen, sodass man weiß, wo man hinstrebt. Erst dann lässt es sich effizient umsetzen und direkt angehen. Ich muss mich dem Use Case, den ich umsetzen will, annähern“, unterstreicht Daub.

Fachkonferenz: Die CO2-neutrale Fabrik

Fachkonferenz: Die CO2-neutrale Fabrik
(Bild: mi conect)

Experten aus Wissenschaft, Forschung und Industrie tauschen sich jedes Jahr auf der Fachkonferenz CO2-neutrale Fabrik zu den aktuellen Themen rund um klimaneutrale Industrie aus.

 

Prof. Alexander Sauer hat 2023 einen Vortrag zum Thema "Defossilierung der Produktion" gehalten. Im Podcast Industry Insights hat er die wichtigsten Punkte zusammengefast. Hier klicken, um zur Folge zu kommen!

 

Weitere Beiträge, die sich mit den Themen der Konferenz beschäftigen, finden Sie in unserem Fokusthema CO2-neutrale Industrie. Hier geht's entlang!

 

Die nächste Fachkonferenz findet am 15. und 16. Mai 2024 in Würzburg statt. Hier kommen Sie zur Anmeldung: Fachkonferenz CO2-neutrale Fabrik

OPC-UA als Kommunikationsstruktur für mehr Wissen

Die größten Aufwände, die die Unternehmen haben, um gerade im Bereich Nachhaltigkeit zu digitalisieren, sei nach wie vor die Datenstruktur zu erzeugen und die ganzen Systeme zu integrieren. „Wir sind deswegen sehr stark im Bereich OPC-UA als Kommunikationsstruktur aktiv, mit dem Ziel, nicht nur eine Zahl weiterzugeben, sondern diese Zahl mit zusätzlichen Informationen anzureichern, so dass dadurch dann auch Wissen entsteht“, beschreibt Daub.

Aus seiner Sicht müsse das Ziel sein, dass „wir die Produktionssysteme und Anlagenteile so spezifiziert und standardisiert haben, dass ich den Use Case ‚Energieverbrauch‘ auf jeder Anlage erkennen kann. Das funktioniert durch eine größtenteils sich selbst generierende Datenstruktur, auf der ich aufbauen kann, so dass ich schnell mit Daten arbeiten kann, um direkt einen Mehrwert zu erzeugen“, bekräftigt Daub. Momentan werde noch viel Arbeit investiert, diese Grundlage zu schaffen.

Professor Rüdiger Daub ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV in Augsburg
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Die Produktionssysteme und Anlagenteile müssen so spezifiziert und standardisiert sein, dass ich den Use Case ‚Energieverbrauch‘ auf jeder Anlage erkennen kann.

Rüdiger Daub, Fraunhofer IGCV
(Bild: Fraunhofer IGCV)

Anlagen smart und autonom steuern mittels KI

Ist diese Datenstruktur vorhanden, ließe sich ein Energieüberwachungssystem implementieren, mit dem sich darstellen lasse, wie hoch der Energieverbrauch pro Tag sei und welchen Netzbezug das Unternehmen hab. „Hat ein Unternehmen diese Transparenz erreicht, lassen sich viele einzelne Hebel ziehen und auch den ersten Schritt machen“, sagt Daub. „Damit ist man aber noch nicht am Ziel.“

Zusammenfassend lasse sich demnach sagen, dass „die erste Stufe ist, regelbasierte Betriebsstrategien zu etablieren und mit einfachen Schritten Effizienzen zu heben“, so Daub. Liegen die Daten vor, ließen sich auch weitere Use Cases heben – durch Anomaliedetektion. Denn wenn die Energieverbräuche der Anlage bekannt seien, ließen sich auch Verschleiße an der Anlage ableiten – wobei es sich dann schon um Predictive Maintenance handele.

„Die letzte Stufe ist dann die smarte, autonome Steuerung – da lässt sich schon viel mit KI machen. So konnte sich beispielsweise durch intelligente Steuerung die Amortisationszeit eines Energiespeichers um neun Prozent verkürzen“, betont Daub.

Carbon-Footprint des Produkts

Letztlich sei aber von Interesse, wie der Carbon-Footprint eines jeden Produkts sei. Somit wäre der nächste Schritt, die IT-Systeme so zu gestalten, dass man auch aus den Zulieferketten, aus der Produktion und aus dem Verschnitt von Material die CO2-Informationen mit in das System integriere. "Dann können wir aus dem Energieverbrauch, aus der Zulieferkette, aus dem Ausschuss in der Produktion den CO2-Fußabdruck als eigentliche Regelgröße berechnen. Das will der Kunde ja wissen, wenn er etwas kauft“, rechnet Daub vor.

Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie

Sie wollen alles wissen zum Thema CO2-neutrale Industrie? Dann sind Sie hier richtig. Alles über den aktuellen Stand bei der klimaneutralen Industrie, welche technischen Innovationen es gibt, wie der Maschinenbau reagiert und wie die Rechtslage ist erfahren Sie in dem Beitrag "Der große Überblick zur CO2-neutralen Industrie".

Um die klimaneutrale Industrie auch  real werden zu lassen, benötigt es regenerative Energien. Welche Erneuerbaren Energien es gibt und wie deren Nutzen in der Industrie am höchsten ist, lesen Sie hier.

Oder interessieren Sie sich mehr für das Thema Wasserstoff? Viele Infos dazu gibt es hier.

Defossilierung der Produktion

Um letztlich die Defossilierung der Produktion zu erreichen, zählt Daub nachfolgende Punkte auf: "Die Ist-Situation, dass die Strompreise volatiler sind, bietet aber auch Chancen, sich gegenüber dem Wettbewerber zu differenzieren. Zudem ist die Digitalisierung das Werkzeug, dass wir nutzen müssen, um in diesem Umfeld bestehen zu können und die ganzen Maßnahmen sinnhaft umzusetzen. Weiterhin ist die Elektrifizierung der erste Weg, CO2-neutral zu werden, da wir Erneuerbare Energien zur Verfügung haben. Das geht nicht überall und wir brauchen für die anderen Dinge neue Technologien. Wasserstoff ist der gesetzte Weg in der Strategie der Bundesregierung für die Wärmeerzeugung, wo wir hohe Temperaturen brauchen, an dem wir nicht vorbeikommen", schließt Daub.

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Dietmar Poll, Redakteur mi connect
(Bild: mi connect)

Der Autor Dietmar Poll ist Redakteur bei mi-connect und fokussiert sich auf Themen rund um die klimaneutrale Industrie. Nach einem Geographiestudium (ja, er wollte die Welt retten) und mehrjähriger Arbeit als wissenschaftlicher Angestellter wechselte er in den Fachjournalismus, arbeitete in verschiedenen Verlagen und betreute dort unterschiedlichste Ressorts. Spannend findet er, bei der Recherche die Geschichte hinter der Geschichte zu entdecken. Privat erwischt man in häufig auf seinem Mountainbike durch die Berge rumpeln.

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