Zukünftige Technologien sind in einem grünen Computercode in Form einer Glühbirne dargestellt

Der Anteil an Software steigt in der Industrie immer weiter - und damit auch deren Stromverbrauch. Doch Green Coding ist ein wichtiger Baustein, um den CO2-Verbrauch durch Software zu reduzieren. (Bild: adobestock.com/jijomathai)

Digitalisierung hilft, CO2 einzusparen – darin sind sich viele Experten einig. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, denn die Erstellung der Software und ihre Nutzung tragen selbst erheblich zu den Treibhausgas-Emissionen bei. Das Konzept des Green Coding zeigt, worauf Entwickler und Betreiber achten müssen. Auch im zunehmend digitalisierten Maschinenbau liegt viel Einsparpotenzial.

"Es ist nicht nur die Nachhaltigkeitspflicht, die man vielleicht in sich spürt, sondern es gibt auch viele Regularien und Gesetze, die sich dem Klimaschutz widmen. Ich erinnere da an die Verurteilung von Shell in den Niederlanden, 45 Prozent ihres CO2-Austoßes bis 2030 reduzieren zu müssen", beschreibt Tim Schade, IT-Architekt und Green Coding-Experte bei GFT die aktuelle Brisanz der Thematik.

So fordere das überarbeitete deutsche Klimaschutzgesetz eine Reduktion des CO2-Ausstoßes bis 2030 um 65 Prozent. "In weniger als zehn Jahren müssen wir in Deutschland noch circa 300 Millionen Tonnen CO2 einsparen", rechnet Schade vor.

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Frau hält ein Tablet in der Hand und wählt auf dem Display Beiträge aus, die außerhalb des Tablets virtuell angezeigt werden
(Bild: mi connect)

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Diese Möglichkeiten bietet die IT zur CO2-Reduktion

Welche Chance nun dazu die IT beziehungsweise die Digitalisierung zur CO2-Einsparung bietet, weiß Schade: "Eine Bitkom-Studie besagt dazu, dass bis zu 120 Millionen Tonnen von den 300 Millionen Tonnen alleine durch die Digitalisierung eingespart werden können." Maßnahmen wie automatisierte Produktion, intelligente Verkehrssteuerung, smarte Logistik oder auch Online-Banking könnten dazu beitragen.

"Nun ist es aber nicht nur wichtig, die Digitalisierung voranzutreiben, sondern sie muss auch nachhaltig sein. Denn durch das Wachstum der IT bis 2030 steigt ihr Stromverbrauch verglichen von heute bis 2030 von drei Prozent auf sechs Prozent am Gesamtstromverbrauch", verdeutlicht Schade.

Green Coding: Gebrauch von Edge und fog computing

Schaubild, wie Green Coding den CO2-Ausstoß von Maschinen auf dem Shop floor reduziert
Bei Maschinen im Shop floor bietet Green Coding ebenfalls Möglichkeiten, durch den gezielten Einsatz von Software den CO2-Footprint zu reduzieren. (Bild: GFT)

Green Coding im Maschinenbau

Ein Beispiel aus der Industrie zeigt, dass Green Coding auch im Maschinenbau hilfreich ist, wie Schade darstellt: "Eine Maschine im Shop floor sendet viele Betriebsdaten. Häufig werden diese in die Cloud geschickt und können mit Dash Boarding, Predictive Maintenance und dergleichen aufbereitet werden." Auch hier gehe es darum, die Daten vor zu verarbeiten, da ansonsten zu viele Daten in die Cloud geschickt würden.

"Wenn ich aber über Edge Computing nachdenke, also das Ausführen direkt am anderen Ende der Kette, kann ich die Daten dort schon aufbereiten, vorab analysieren, komprimieren, zwischenaggregieren und dann viel kleinere Mengen an Daten in die Cloud senden", betont Schade.

Dort kann laut Schade der jeweilige Business Case ausgeführt werden, was im Verhältnis viel Energie spart. "Ein Zwischenschritt zwischen Edge Computing und Cloud Computing wäre noch Fog Computing. Da nutze ich einen kleineren Server in der Fabrik und mache dort die Zwischenaggregierung. Dann habe ich zwar innerhalb der Fabrik sehr viel Netzwerkverkehr, muss dafür aber viel weniger Daten in die Cloud schicken", argumentiert Schade.

Green Coding-Grundprinzipien: Tipps für Software-Entwickler

Man kann die Maßnahmen in vier Bereiche einteilen: Architektur, Logik, Methodik und Plattformen. Zu jedem dieser Bereiche gibt es viele Tipps, Richtlinien und Guidelines. Im Folgenden nur einige:

 

Grüne Architektur

  • Bei Nichtgebrauch abschalten: Wenn niemand im Raum ist, schaltet man das Licht aus – das sollte auch bei Software so sein. Die sollte nach modularen Prinzipien entworfen werden, so dass Module und Microservices bei geringerer Nachfrage heruntergefahren werden.
  • Spontanen Verbrauch vermeiden: Meistens arbeitet Software in Echtzeit: Aufträge werden sofort abgearbeitet. Das ist aber nicht immer nötig. Bestimmte Aufgaben wie Housekeeping, Video-Transkodierung oder Datenbackups können unter Umständen zeitlich verschoben werden. So lassen sich Aufgaben zusammenfassen und dann ausführen, wenn genügend grüne Energie zur Verfügung steht. Außerdem wird die Hardware besser ausgelastet.

 

Grüne Logik

  • Code-Verschwendung vermeiden: 90 Prozent der Software enthält heute Open-Source-Code, der von Dritten entwickelt wurde. Manchmal passt er perfekt zum Problem, oft aber enthält er redundante Abschnitte, die dafür sorgen, dass sich Artefakte vergrößern und damit das Erstellen, das Verteilen und den Start von Anwendungen verlangsamen. So genannte 'Tree-Shaking'-Engines finden und entfernen „toten“ Code.
  • Sparsame Ressourcen verwenden: Manche Dateiformate verbrauchen weniger Ressourcen als andere. CSV braucht weniger als Excel, YAML weniger als XML. Untersuchungen von GFT zeigen, dass auch die Wahl der API einen direkten Einfluss auf die Treibhausgasemissionen haben kann. Ein großes Einsparpotenzial bieten auch Bilder. Sie sollten stets komprimiert werden, um weniger Daten über das Netzwerk zu übertragen.

 

Grüne Methodik

  • Agile Entwicklung nutzen: Agile und Lean-Methoden erleichtern die Anpassung von Software für mehr Effizienz. Die Entwicklung in kleinen Schritten hilft, Rückkopplungsschleifen zu reduzieren. Die Entwickler kompilieren und testen dann nur die modifizierten Codeabschnitte, nicht ganze Projekte.
  • Lange Ladezeiten vermeiden: Die Lade- und Startzeit einer Software ist einfach zu messen und korreliert direkt mit dem Energieverbrauch. Für Entwickler ist das eine gute Möglichkeit, um die Auswirkungen von Code-Änderungen zu bewerten.

 

Grüne Plattform

  • Hardware optimal auslasten: Server, die nicht voll ausgelastet sind, verbrauchen mehr Energie als sie müssten. Das kommt vor, wenn Systeme zu groß geplant werden. Cloud-Computing kann große Energieeinsparungen bieten, da Public-Cloud-Systeme hochgradig modular sind und eine präzise Steuerung der Auslastung ermöglichen. AWS, Google Cloud und Microsoft Azure laufen beispielsweise mit einer Auslastung von circa 65 Prozent, während Rechenzentren vor Ort nur 12 bis 18 Prozent erreichen.

Unterschied zwischen Green IT und Green Coding

Den Unterschied zwischen Green IT und Green Coding erklärt Schade wie folgt: "Bei Green IT geht es primär um die Hardware und die Optimierung von Rechenzentren, heute häufig in der Cloud. Bei dem Green Coding geht es vielmehr darum, die Software selber effizienter zu gestalten, wodurch ich viel weniger Strom benötige. Es spielt natürlich alles zusammen, ist aber eine andere Blickrichtung."

Dazu nennt Schade zwei vergleichende Beispiele: "Nutze ich ein Laptop acht Stunden pro Tag, produziere ich bei 200 Arbeitstagen 88 Kg CO2 pro Jahr. Das ist das Thema Green IT – ich kann also effizientere Hardware produzieren, um die Reduktion zu erreichen."

Im Software-Bereich bezieht sich Schade auf ein Streaming-Beispiel: "Netflix spricht von 100 Gramm CO2-Produktion pro Stunde, das wären 73 Kilogramm CO2 pro Jahr bei tagtäglichem Streaming von zwei Stunden. Das gilt pro Person, es gibt aber Millionen von Menschen mit diesem Verhalten, so dass ich einen unfassbaren Skalierungsfaktor habe", beschreibt Schade. Diesen Faktor könne Green Coding bestens ausnutzen.

"Denn angenommen, ein Netflix-Entwickler reduziert die 100 Gramm auf 98 Gramm, gibt es multipliziert mit der Anzahl der Nutzer einen enormen Skalierungseffekt. So viel kann der Einzelne gar nicht einsparen, wieviel Einfluss ein Programmierer durch die Software-Entwicklung auf das Klima hat", sagt Schade.

Alles Wissenswerte zum Thema CO2-neutrale Industrie

Sie wollen alles wissen zum Thema CO2-neutrale Industrie? Dann sind Sie hier richtig. Alles über den aktuellen Stand bei der klimaneutralen Industrie, welche technischen Innovationen es gibt, wie der Maschinenbau reagiert und wie die Rechtslage ist erfahren Sie in dem Beitrag "Der große Überblick zur CO2-neutralen Industrie".

Um die klimaneutrale Industrie auch  real werden zu lassen, benötigt es regenerative Energien. Welche Erneuerbaren Energien es gibt und wie deren Nutzen in der Industrie am höchsten ist, lesen Sie hier.

Oder interessieren Sie sich mehr für das Thema Wasserstoff? Viele Infos dazu gibt es hier.

Suchanfragen im Web belasten Klima stark

Noch beeindruckender wird das laut Schade bei Suchanfragen im Internet: "Schätzungsweise sind das 0,2 Gramm pro Suche, was 408.800 Tonnen pro Jahr entspricht, einem Äquivalent von 41 Millionen Bäumen. Selbst im minimalen Prozentbereich habe ich als Entwickler eine unglaubliche Wirkung." Noch extremer sei das Bitcoin Mining aus 2019, was 22 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr entspreche, einem Äquivalent von 2,2 Milliarden Bäumen. "Um das einzuordnen: Der Schwarzwald hat etwa vier Millionen Bäume", skizziert Schade auf.

So können Sie CO2-Emissionen reduzieren

Es gibt zahlreiche, unscheinbare Stromfresser. Deren Verbrauch kann durch Green Coding teilweise erheblich gesenkt werden.

  • Komprimiert man die Inhalte einer HTML-Webseite von 200 kB auf 20 kB, schrumpft der Umfang für die Übermittlung auf etwa ein Zehntel. Wird diese Seite von einer Million Nutzern pro Jahr besucht, spart das zehn Kilogramm CO2 – für die man zur Kompensation einen Baum pflanzen müsste.
  • 132 Kilogramm CO2 pro Jahr spart eine App, die eine Million Mal am Tag aufgerufen wird und deren Start um eine Sekunde beschleunigt wird.
  • Eine Anwendung, die in Zukunft häufiger vorkommen dürfte, ist das Training von neuronalen Netzen der künstlichen Intelligenz. Das KI-Netzwerk GPT-3, das für Furore sorgte, weil es Texte verfassen kann, die erstaunlich 'menschlich' klingen, erzeugte beim Training 85 Tonnen CO2 – so viel wie ein Auto, das die Strecke von der Erde zum Mond und wieder zurückfahren würde. Wissenschaftler der Universität Berkeley haben mit Experten von Google Verfahren entwickelt, die beim Training solcher Netzwerke 99,9 Prozent der Energie einsparen.
  • Der 'Dark Mode' kann bei OLED- oder MicroLED-Displays enorme 550.000 Tonnen CO2 sparen, wenn man weltweit von etwa einer Milliarde Smartphones mit solchen Displays ausgeht, die konsequent Dark Mode nutzen.

Hürden für das Green Coding

Laut GFT ist eine Hürde für das Green Coding, dass es noch keine Defacto-Standards gibt, mit denen man geeignete Maßnahmen identifizieren kann. Wer nachhaltige Software erstellen (Green Coding) oder im Nachhinein bestehende Software nachhaltiger machen möchte (Green Refactoring), sollte dort ansetzen, wo die größten Optimierungspotenziale liegen. Wünschenswert wäre eine Lösung zum exakten Messen des Stromverbrauchs respektive der CO2-Emissionen einzelner Maßnahmen, Entscheidungen oder gar Codezeilen.

Derzeit arbeitet GFT laut eigener Aussagen an einem qualitativen Assessment. Das kann man sich wie eine Checkliste vorstellen, die einzelne Maßnahmen nach ihrem Effekt gewichtet und den Nutzern Feedback gibt, wo es noch ungenutzte Potenziale gibt oder ob sie Green Coding schon weitgehend umsetzen. Zukünftig sollen die Assessments mit Messungen des tatsächlichen Verbrauchs und Einsparungen von Maßnahmen verknüpft werden. Denn der tatsächliche Verbrauch hängt auch von den eingesetzten Endgeräten, den Nutzungsgewohnheiten der Anwender und der Hardware der Betreiber ab.

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