Sauberkeit ist für eine reibungslose Produktion häufig unumgänglich. Wie Technische Sauberkeit gelingt und was die aktuellen Trends sind, lesen Sie im Artikel.

Sauberkeit ist für eine reibungslose Produktion häufig unumgänglich. Wie Technische Sauberkeit gelingt und was die aktuellen Trends sind, lesen Sie im Artikel. (Bild: adel - stock.adobe.com)

„Generell hat die Technische Sauberkeit entscheidend an Bedeutung gewonnen. Sie stellt ein wesentliches Qualitätsmerkmal für die Funktionalität und Langlebigkeit von Bauteilen und Systemen dar“, sagt Volker Burger, Geschäftsführer CleanControlling GmbH.

Die Minimierung von fertigungsbedingten Partikelkontaminationen von Bauteilen und Systemen, die Funktionsstörungen oder Ausfälle verursachen können, ist ein Bestandteil dieser Maßnahmen. Dies hat bisher vor allem medienführende Systeme wie Schmier- und Hydrauliksysteme, Kühl- und Klimaanlagen, Kraftstoffanlagen, Ansaug- und Abgasanlagen beeinträchtigt.

Immer mehr wird die Bedeutung der Technischen Sauberkeit (TecSa) jedoch auch für Technologien im Zusammenhang mit Sicherheits- und Assistenzsystemen sowie der Elektromobilität größer. Technische Sauberkeit konzentriert sich nicht nur auf optische Systeme, wo Partikelkontaminationen zu Abschattungen optischer Messsysteme und damit zu Fehlfunktionen führen können, sondern auch auf Elektronik- und HV-Elektrikkomponenten. Die Partikelkontamination kann auch Kurzschlüsse oder Überschläge verursachen, die ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen können, vor allem im HV-Bereich und in Batteriesystemen.

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Die Fachtagung in Montage- und Produktionsprozessen findet am 14. und 15. Mai 2025 zum im Congress Centrum Heidenheim statt. Dieser Kongress bietet eine Plattform für Experten und Interessierte, um sich über die neuesten Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich der technischen Sauberkeit auszutauschen. Erleben Sie spannende Vorträge, praxisnahe Workshops und wertvolle Networking-Möglichkeiten.

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Wenige Partikel können Funktion, Sicherheit und Ausbeute beeinträchtigen

Volker Burger ist Geschäftsführer der CleanControlling GmbH.
Volker Burger ist Geschäftsführer der CleanControlling GmbH. (Bild: CleanControlling GmbH)

Aber auch die Sauberkeit der Kühlsysteme ist hier von großer Bedeutung, dazu Burger. „Um diese Funktions- und Sicherheitsrisiken zu vermeiden, werden für Bauteile und Systeme Sauberkeitsspezifikationen definiert, die in der Lieferkette einzuhalten sind.“ Damit diese vorgegebene Sauberkeit sichergestellt werden kann, gehe es bei der TecSa in Montage- und Produktionsprozesse darum, sauberkeitsgerechte Prozesse zu gestalten und zu überwachen. Dies sei auch im wirtschaftlichen Sinne, da hierdurch Ausschuss oder Nacharbeit vermieden werden.

Dr.-Ing. Markus Rochowicz, Forschungsteamleiter Reinheitstechnik, Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, ergänzt: „Schon einzelne oder wenige Partikel können heute für viele technische Produkte kritisch sein und die Funktion, Sicherheit, Ausbeute in der Produktion oder teilweise auch optische Anmutung beeinträchtigen.“ Klemmen von Ventilen, Kurzschlüsse in der Elektronik, Leckagen an Dichtungen oder Falschsignale in optischen Anwendungen seien dabei nur einige Beispiele. All das sei Technische Sauberkeit.

Die Sauberkeit im Produktionsprozess prüfen und beherrschen

Der Begriff der Technischen Sauberkeit selbst entstand in den frühen 2000er Jahren in der Automobilindustrie. Aber in vielen Branchen, in denen Partikelverunreinigungen zu Qualitätsverlusten führen können, wie etwa in der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Batteriezellproduktion oder sogar in der Herstellung von Smartphones, werden sowohl der Begriff selbst als auch die Methoden zur Prüfung und Beherrschung der Sauberkeit im Produktionsprozess heute verwendet.

„Technische Sauberkeit ist in Industrien von höchster Bedeutung, die Anwendungen mit elektronischen Systemen bedienen, bei denen menschliche Gesundheit und Leben gefährdet sein könnten, sprich: alle Anwendungen, die dem Produkthaftungsgesetz unterliegen“, so Dr.-Ing. Helmut Schweigart, Leiter Reliability & Surfaces, Zestron Europe.

Logistik und Verpackung spielen eine zentrale Rolle

Helmut Schweigart ist Leiter Reliability & Surfaces bei Zestron Europe.
Helmut Schweigart ist Leiter Reliability & Surfaces bei Zestron Europe. (Bild: Zestron Europe)

Inwiefern davon auch Logistik und Verpackung betroffen sind, bringen Sebastian von Kersten und Jürgen Krappmann aus der Abteilung Purchasing Quality and Technology Europe der Robert Bosch GmbH auf den Punkt: „Die Logistik sowie die Verpackung haben den gleichen Stellenwert wie die Fertigung einzelner Bauteile oder fertige Erzeugnisse.“ Das kann Schweigart nur bestätigen: „Verpackung und Transport sehe ich als paritätisch aufgestellt zu allen anderen Aktivitäten. Die Kette bricht am schwächsten Glied, egal, welches dies ist.“

Die Verpackung hat die Aufgabe, die Sauberkeit von Bauteilen während des Transports und der Lagerung vor Kontamination durch äußere Einflüsse zu schützen. Dabei sind sowohl ein vollständiger Verschluss und die Unversehrtheit der Verpackung von Bedeutung. Ebenso ist die Minimierung der Partikelbildung im Inneren, beispielsweise durch Abrieb zwischen Bauteilen oder zwischen Bauteil und Verpackungsmaterial, ein wesentlicher Aspekt bei der Entwicklung der Verpackung.

„Insbesondere bei Mehrwegpendelverpackungen ist nicht nur die konstruktive Auslegung ein entscheidender Punkt, sondern auch die Reinigung während der gesamten Nutzungsdauer, die sich über viele Jahre erstrecken kann“, so Rochowicz.

Dass Logistik und Verpackung eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Technischen Sauberkeit spielen, weiß Burger: „Sauberkeitsgerechte Verpackungen verhindern die Partikelkontamination während des Transports und der Lagerung. Zudem müssen logistische Prozesse so gestaltet sein, dass sie die Sauberkeit der Bauteile nicht beeinträchtigen.“ Laut Burger gibt es grundsätzlich in Montage- und Produktionsprozessen vier Einflussfaktoren: „Einer davon ist die Logistik. Neben den Montageeinrichtungen, der Umgebungssauberkeit und dem Personal stellt die Logistik ein wesentlicher Einflussfaktor dar.“

Sauberkeitskonzept sollte nicht am Werkszaun enden

Wie aber lassen sich TecSa-Konzepte erfolgreich umsetzen? Sicher ist: Die erfolgreiche Einführung und Umsetzung von Konzepten zur Technischen Sauberkeit erfordert die Berücksichtigung des gesamten Produktentstehungsprozesses. Einzelmaßnahmen in einzelnen Bereichen erzielen selten die gewünschten Ergebnisse.

Ein fundiertes Verständnis und die aktive Unterstützung durch die Unternehmensleitung sind entscheidend für den technischen Erfolg und die Akzeptanz der erforderlichen Maßnahmen im gesamten Unternehmen, Rochowicz ergänzt: „Dabei endet das Sauberkeitskonzept nicht am Werkszaun des eigenen Unternehmens, sondern erstreckt sich über die komplette Lieferkette, sodass auch die Schnittstellen zwischen Unternehmen wie Kundenbetreuung und Lieferantenentwicklung in das TecSa-Konzept eingebunden werden müssen.“

Dazu können nach Meinung von Burger TecSa-Konzepte durch die Implementierung strenger Sauberkeitsrichtlinien und kontinuierlicher Überwachung erfolgreich umgesetzt werden. Dies umfasst die Schulung des Personals, die Verwendung sauberkeitsspezifischer Anlagen und die regelmäßige Durchführung von Sauberkeitsaudits. Für Zestron-Mann Schweigart gilt es aber auch „Motivation durch Verständnis kreieren, also durch Schulen und Trainieren aller betroffenen Ebenen und den aktuellen Erfolg den Betroffenen transparent machen analog zu Yieldanzeigen und anderen Q-Kenngrößen, die in der Elektronikproduktion üblich sind.“

In drei Schritten zur Technischen Sauberkeit

Um die TecSa in der täglichen Praxis überhaupt zu erreichen, kommen zahlreiche Analyse- und Messverfahren zum Einsatz. Da die funktionskritischen Partikel nur in ganz wenigen Ausnahmenfällen aufgrund der Zugänglichkeit und des fehlenden Kontrasts direkt auf den Bauteilen detektiert und gemessen werden können, hat sich in der Technischen Sauberkeit eine Prüfung in drei Stufen etabliert.

Der IPA-Forschungsteamleiter für Reinheitstechnik Rochowicz erklärt diese: „Im ersten Schritt, der sogenannten Extraktion, werden die Partikel durch einen (meist manuellen) Reinigungsschritt vom Bauteil getrennt. Im zweiten Schritt werden diese Partikel auf einem Analysefilter oder anderem Träger abgeschieden. Im dritten Schritt erfolgt dann die eigentliche Analyse der Partikel auf dem Filter.“

Das sind alternative Extraktionsverfahren

Die Abbildung zeigt die mikroskopische Analyse von Partikeln auf Analysefilter am automatischen Stereo-Auflichtmikroskop. (Bild: CleanControlling GmbH)

Die für die Analyse der Technischen Sauberkeit geeigneten Extraktionsverfahren sind in der VDA 19.1 und ISO 16232 ausführlich beschrieben. Die VDA 19.1 ist aktuell in der Revision und wird im Laufe des Jahres 2025 veröffentlicht.

Hier werden zu den klassischen Extraktionsverfahren mit flüssigen Medien insbesondere die trockenen Verfahren wie die Saugextraktion und das Abblasen als alternative Extraktionsverfahren beschrieben. Auch das Abstempeln wird als alternatives Verfahren berücksichtigt werden. Diese alternativen Verfahren sind vornehmlich interessant für das sich im Umfeld der E-Mobilität veränderte Bauteilspektrum von elektronischen, optischen Bauteilen bis hin zu HV-Elektrik und Batteriesystemen.

Quelle: CleanControlling GmbH

KI hält Einzug in der Technischen Sauberkeit

Inwieweit Analyse- und Messverfahren durch den Einsatz von KI oder anderen Technologien optimiert werden können, darüber gibt Rochowicz Auskunft: „Die Anwendung von künstlicher Intelligenz kann bei der Analyse von Partikeln an zwei Stellen unterstützen.“ Zum einen sei dies bei der Erkennung von kontrastarmen Partikeln möglich, die sonst auf den üblicherweise weißen Analysefiltern nicht, nicht sicher oder nicht vollständig erfasst werden können. Zum anderen helfe die KI auch bei der Typisierung von Partikeln zu erkennen, aus welchen Herstellungsschritt die jeweils detektierten Partikel stammen, um die Quelle einer Verunreinigung aufzufinden und abzustellen.

KI in der Technischen Sauberkeit steht für CleanControlling-Chef Burger zwar noch weit am Anfang, „doch ein bereits verfügbares Beispiel in der Praxis ist die PartikelLens-App von der PartikelArt Solution GmbH, mit der direkt in der Linie Partikel mit speziellen Partikelstempel erfasst, gescannt und vermessen werden. Die App klassifiziert dann die Partikel mittels KI-basierter Bildverarbeitung.“

Da Systeme der Künstlichen Intelligenz zunächst trainiert werden müssen - also mit Bildern und Daten angereichert werden – „eignen sie sich heute hauptsächlich für die innerbetriebliche Sauberkeitsanalytik. Externe Dienstleistungslabore, die für ihre Kunden nur einen beschränkten Umfang von Teilen prüfen und keinen Zugang zur jeweiligen Fertigung und den dort eingesetzten Verfahren haben, haben diese Möglichkeiten des Anlernens und Trainierens in der Regel allerdings nicht“, so Rochowicz

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Elektromobilität bringt besondere Herausforderungen mit sich

Mit oder ohne KI: Die Unternehmen stehen heute vor neuen, anderen Herausforderungen, gerade was der Ruf nach noch höherer Bauteilsauberkeit betrifft – und das ganz besonders in der E-Mobilität. Das betrifft vor allem die Sauberkeit von Batteriekomponenten, HV-Systemen sowie elektronischen Bauteilen. Auch Assistenz- und Fahrsicherheitssysteme sind betroffen.

Die Neuerungen in VDA 19.1 umfassen ergänzte wie auch optimierte Prüfparameter. Es gibt außerdem weitere Prüfmethoden. Sie sollen dem veränderten Bauteilspektrum und den neuen Sauberkeitsanforderungen entsprechen. „Neu - aber auch als kritisch bewertet - in der Revision der VDA 19.1 ist das Niederdruck-Spritzen, also mit geringerem Volumenstrom, wie es bisher schon in offenen Extraktionseinrichtungen praktiziert wurde, da hier der normative Volumenstrom von 1,5 l/min problematisch ist“, berichtet Burger. „Das Ablöseverhalten der Partikel beim Niederdruck-Spritzen ist aber nicht vergleichbar zum bisherigen Standard.“

Für Rochowicz ergeben sich in der Elektromobilität drei besondere Herausforderungen im Bereich der Technischen Sauberkeit bei den betroffenen Unternehmen. Demnach fehlt im Vergleich zu den über viele Jahrzehnte etablierten hydraulischen und fluidischen Systemen im Automobil in der Elektromobilität heute noch die Erfahrung, was die Systeme an Verunreinigungen vertragen und welche Partikel (Art und Menge) wirklich funktionskritisch sind. „Dies führt häufig zu Sauberkeitsspezifikationen, deren Umsetzung technisch und wirtschaftlich nicht möglich ist, wie etwa die aktuelle Diskussion um die Kritikalität allgegenwärtiger Textilfasern zeigt“, sagt Rochowicz.

Des Weiteren tragen viele Fertigungsprozesse zur Entstehung problematischer Partikel bei. Konventionelle Fluidsysteme nutzen oft Bauteile, die zerspant, entgratet sowie aufwendig gereinigt wurden. Aber in der Elektromobilität kommen häufig gestanzte Bauteile zum Einsatz. Diese Bauteile werden weder entgratet noch gewaschen. „Ihre Gratkanten bergen ein hohes Risiko für große, leitfähige und damit kritische Partikel - ein echtes Problem“, so Rochowicz.

Die dritte Herausforderung im Bereich der E-Mobilität sind „die in der Produktion von elektronischen Systemen flächendeckend eingesetzten (ableitfähigen) ESD-Verpackungen, um die empfindlichen Halbleiterbauelemente vor Überspannungen und Schäden zu schützen“, erklärt Rochowicz. Solche ESD-Verpackungen zeigten in aller Regel wesentlich mehr Abrieb als konventionelle Verpackungen und dieser Abrieb sei zu allem Überfluss dann noch leitfähig.

Das bedeute, man erzeuge aus vermeintlichem Produktschutz genau die Partikel, die funktionskritisch seien. „Zudem sind ESD-Verpackungen noch deutlich teurer als konventionelle Packmittel. Hier könnten intelligente Logistikkonzepte einen sehr großen Mehrwert bringen, es traut sich aber niemand heran an diese Thematik“, so Rochowicz abschließend.

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Mit KI Verunreinigungen vermeiden und sauberkeitsrelevante Prozesse steuern

Die digitale Transformation sowie der Einsatz neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz werden auch die Zukunft der Technischen Sauberkeit begleiten. Diese Werkzeuge erlauben heute schon genauere sowie effizientere Reinheitskontrollen. Sie tragen dazu bei, die Sauberkeitsanforderungen in zunehmend komplexen Produktionsabläufen zu meistern.

Auch die Daten werden sich künftig besser nutzen lassen. Sie können dann helfen, Verunreinigungen zu vermeiden oder sauberkeitsrelevante Prozesse zu steuern. Doch für Rochowicz kommt noch ein anderer Punkt dazu: „All dieser Fortschritt wird aber nicht ohne ein gutes Verständnis der komplexen Thematik bei den Mitarbeitenden eines Unternehmens Früchte tragen können, womit wir wieder beim Punkt eines guten und durchgängigen TecSa-Konzepts sind.“

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