Fusionsenergie im Realitätscheck
Wendelstein 7-X: Wie ein Stellarator Geschichte schreibt
Zehn Jahre, unzählige Rekorde – Wendelstein 7-X hat sich vom Forschungsversuch zum Hoffnungsträger für Fusionsenergie entwickelt. Ein Blick hinter die Magnetspulen offenbart ein Jahrhundertprojekt mit globaler Strahlkraft.
Ein Techniker in weißer Reinraumkleidung führt Wartungsarbeiten im hochkomplexen, metallischen Plasmagefäß des Fusionsexperiments Wendelstein 7-X in Greifswald durch. Das Bild zeigt die reflektierenden, kachelbedeckten Innenwände des Stellarators (Aufnahme vom November 2025).
MPI für Plasmaphysik, Ben Peters)
Am Mittag des 10. Dezember 2015 versammelten sich zahlreiche internationale Medienvertreter im Kontrollraum, um den Start von Wendelstein 7-X mitzuerleben. Außerdem waren mehrere internationale Fusionslabors per Livestream zugeschaltet, als das Betriebsteam erstmals ein Milligramm Heliumgas in das ausgepumpte Plasmagefäß einließ und die Mikrowellenheizung einschaltete. Auf eingebauten Kameras erschien das erste Plasma. Die Messgeräte registrierten eine Eingangsleistung von 1,3 Megawatt, eine Temperatur von einer Million Grad Celsius und eine Pulsdauer von nur einem Zehntel einer Sekunde. Der frenetische Applaus, der kurz darauf ausbrach, hielt deutlich länger an.
Hunderte Mitarbeitende des IPP hatten jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet. Die Montage von Wendelstein 7-X begann im April 2005. Ein Ring aus 50 supraleitenden Magnetspulen, jeweils rund 3,5 Meter hoch, bildet den Kern der Anlage. Sie werden auf Temperaturen von etwa minus 270 Grad Celsius gekühlt. Die Berechnung ihrer komplexen Formen war erst durch den Einsatz von Supercomputern möglich.
Wendelstein 7-X soll beweisen, dass Stellaratoren kraftwerkstauglich sind
Technische Meilensteine von Wendelstein 7-X
2016: Zündung des ersten Wasserstoffplasmas – durch niemand Geringeres als Bundeskanzlerin Angela Merkel.
2023: Weltrekord bei Plasmalaufzeit mit über acht Minuten Dauer und einer Energiebilanz von 1,3 Gigajoule.
2025: Neuer Spitzenwert beim sogenannten Triple-Produkt – einem entscheidenden Parameter der Fusionsphysik – über eine Dauer von 43 Sekunden.
Die kontinuierliche Weiterentwicklung zeigt sich nicht nur in der Leistungsfähigkeit, sondern auch im technischen Setup: Verbesserte Plasmaheizsysteme, eine wassergekühlte Gefäßwand, präzisere Diagnostiksysteme. Die Ionentemperaturen liegen heute bei sagenhaften 40 Millionen Grad Celsius.
Das Magnetfeld schließt das heiße Plasma so ein, dass es weitgehend berührungslos im donutförmigen Plasmagefäß schwebt. Dieses Prinzip liegt allen magnetischen Fusionsanlagen zugrunde, die bis 2015 jedoch überwiegend nach dem einfacheren Tokamak-Prinzip gebaut wurden. Wendelstein 7-X hingegen gehört zu den Stellaratoren, die zwar schwieriger zu realisieren, theoretisch jedoch überlegen sind.
Doch eignet sich das Stellaratorprinzip auch in der Praxis für den Bau eines Fusionskraftwerks, das – wie die Sonne – Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoffkernen gewinnt? Genau dies soll Wendelstein 7-X beweisen. Bis heute ist er das leistungsstärkste Stellarator-Experiment, an dem Forschende aus aller Welt arbeiten.
„Wir beginnen mit einem Plasma aus dem Edelgas Helium“, sagte IPP-Direktor Thomas Klinger vor zehn Jahren. „Denn der Plasmazustand lässt sich mit Helium leichter erreichen. Außerdem können wir mit Heliumplasmen die Oberfläche des Plasmagefäßes reinigen.“ Das erste Wasserstoffplasma wurde drei Monate später von prominenter Hand gezündet: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel reiste am 3. Februar 2016 eigens nach Greifswald, um den wissenschaftlichen Betrieb offiziell zu eröffnen.
Heute werden Temperaturen von 40 Millionen Grad Celsius erreicht
Seitdem wurde Wendelstein 7-X in mehreren Umbauphasen erweitert. Die Gefäßwand ist nun vollständig wassergekühlt, und das Plasmaheizsystem wurde erheblich verstärkt. Inzwischen erreicht Wendelstein 7-X Ionentemperaturen von 40 Millionen Grad Celsius.
Im Februar 2023 konnte erstmals ein Plasma länger als acht Minuten aufrechterhalten werden – mit einer Energiebilanz von 1,3 Gigajoule (zu- und abgeführte Energie). Bis heute ist dies der Weltrekord für Stellaratoren. In den kommenden Messkampagnen will das Team diese Werte deutlich steigern. Das Ziel ist ein 30-minütiger Puls mit hoher Energiekopplung – ein Beweis für die Dauerbetriebsfähigkeit von Stellaratoren.
Im Mai 2025 stellte Wendelstein 7-X zudem einen neuen Weltrekord für das sogenannte Triple-Produkt bei langen Plasmaentladungen auf: Am letzten Tag der Messkampagne wurde ein neuer Spitzenwert für diesen zentralen Parameter der Fusionsphysik erzielt – über eine Plasmadauer von 43 Sekunden. Damit erreicht das Triple-Produkt den Bereich der besten Tokamak-Experimente.
Start-ups orientieren sich an W7-X
Die Erfolge von Wendelstein 7-X haben in den vergangenen Jahren mehrere neu gegründete Unternehmen weltweit dazu inspiriert, Stellarator-Kraftwerke auf Basis des W7-X-Konzepts zu entwickeln. In Deutschland sind dies die Firmen Proxima Fusion und Gauss Fusion. Das IPP arbeitet im Rahmen von Kooperationsvereinbarungen mit beiden zusammen.
Derzeit befindet sich Wendelstein 7-X in einer einjährigen Wartungsphase. Im September 2026 wird der weltweit leistungsstärkste Stellarator den experimentellen Betrieb wieder aufnehmen – mit dem erklärten Ziel, neue Rekorde zu brechen.
Max Planck Institut für Plasmaphysik
FAQ zu Wendelstein 7-X
Wann wurde das erste Plasma erzeugt? – Am 10. Dezember 2015 erzeugte Wendelstein 7-X das erste Plasma mit Heliumgas.
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Welche Temperatur erreichte das Plasma beim Erststart? – Die Temperatur lag bei einer Million Grad Celsius.
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Wer eröffnete den wissenschaftlichen Betrieb? – Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zündete am 3. Februar 2016 das erste Wasserstoffplasma.
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Wie lange konnte ein Plasma 2023 aufrechterhalten werden? – Mehr als acht Minuten bei einer Energiebilanz von 1,3 Gigajoule.
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Was ist das Triple-Produkt? – Es beschreibt die Kombination aus Plasmatemperatur, Teilchendichte und Einschlusszeit und ist zentral für die Bewertung von Fusionsplasmen.
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Wann wird der Betrieb wieder aufgenommen? – Im September 2026 nach einer einjährigen Wartungsphase.
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Welche Firmen bauen auf W7-X auf? – Die Start-ups Proxima Fusion und Gauss Fusion entwickeln eigene Stellarator-Konzepte auf Basis der Technologie.
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Wird Wendelstein 7-X industriell genutzt? – Nein, es handelt sich um ein Forschungsprojekt. Anwendungen durch Start-ups befinden sich noch in der Entwicklungsphase.