
Digital Twin of a Port Managing Ship Movements Cargo Handling and Logistical Efficiency Futuristic Concept of Integrated Technology Connectivity (Bild: Bussakon - stock.adobe.com)
Nicht erst, seit die Grünen Einzug in die Bundesregierung gehalten haben, steht das Thema Energieeffizienz auf der Agenda der deutschen Wirtschaft. Einige Unternehmen haben sich bereits viel früher gefragt, welche Möglichkeiten es gibt, Prozesse energiesparender zu gestalten. So auch viele Häfen und Hafenterminals, denn die komplexen Be- und Entladevorgänge der Fracht- und Containerschiffe sollten idealerweise nicht nur digitalisiert, sondern möglichst CO₂-neutral gestaltet werden. Der Entwicklung Digitaler Zwillinge kommt dabei eine besondere Rolle zu. Und das ist erst der Anfang.
Aber der Reihe nach: Erfolgsvoraussetzungen für Häfen und Terminals sind die sichere, effiziente und intelligente Maximierung von Kapazität und Durchsatz. Logistische und digitale Knotenpunkte entlang wichtiger Transportströme sowie der reibungslose Übergang zwischen Schiff, Straße und Schiene sollten minimale Auswirkungen auf die Umwelt haben. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, muss deshalb auf innovative Technologien und nachhaltige Lösungen gesetzt werden. Nachhaltigkeitsprojekte sind mittlerweile keine Seltenheit mehr, die Etablierung eines Digitalen Zwillings zur Energieoptimierung jedoch gehört zur Meisterklasse.
So auch das Projekt eines Hafens im Norden Deutschlands, bei dem zwei Containerbrücken, deren Kapazitäten für den Einsatz in diesem Hafen nicht mehr ausreichten, abgebaut und über die Ostsee nach Estland verschifft wurden. Die Inbetriebnahme vor Ort hat man dann genutzt, um einen Digitalen Zwilling des Energiemanagements dieser Containerbrücken zu erstellen und den Betrieb der Brücken zukünftig energieeffizienter zu gestalten.
Aus alt mach neu
Rückblick: Die beiden Containerbrücken waren gut 15 Jahre lang erfolgreich im Ursprungshafen für das Be- und Entladen von Containerschiffen im Einsatz. Frachter mit bis zu 14.000 Containern konnten sie löschen, wie man die Entladung eines Schiffs im Fachjargon nennt. Da inzwischen in den Großhäfen der Welt aber Frachtriesen mit bis zu 23.000 Containern zuhause sind, war die Nutzung dieser Brücken in der alten Heimat nur noch wenig lukrativ. Es fehlte nicht nur die entsprechende Breite, sondern die Kranarme waren außerdem zu kurz, um die großen Containerschiffe zu entladen.
Es musste Platz geschaffen werden für neue Container-Terminals mit einem größeren Verarbeitungsvolumen. Da die Brücken noch lange nicht reif für den Schrottplatz waren und ein estländischer Partnerhafen kleiner ist, sah man hier einen potenziellen Nutzen. Deshalb entschied man sich für die Verschiffung der 1.400 tonnenschweren Brücken. Ein logistisch anspruchsvolles Unterfangen, da unter anderem die Gezeiten im Tidenkalender beachtet werden mussten, dafür aber eine Meisterleistung mit enormer Nachhaltigkeit.
Aus der Idee, die Containerbrücken einer weiteren Nutzung zuzuführen, entwickelten sich weitere Projekte, die dazu dienen, Prozesse, Kosten und den Energieverbrauch zu optimieren. Dass die Digitalisierung und Automatisierung der verschiedenen Hard- und Software-Komponenten, die für den Betrieb einer Brücke benötigt werden, dabei eine zentrale Rolle spielen, ist klar. Eine Vielzahl von Herstellern verbaut eine noch größere Menge von Einzelteilen, Komponenten und Systemen in einer solchen Containerbrücke. Da die besagten Brücken bereits über eineinhalb Jahrzehnte im Einsatz waren – ihre Bauzeit also etwa 20 Jahre zurückliegt – ist nachvollziehbar, dass der Digitalisierungsgrad dieser komplexen Krangerüste nicht auf dem aktuellen Stand war. Umso wichtiger war es, die Brücken nach ihrer Überführung nicht nur wieder zuverlässig aufzubauen, sondern auch eine Möglichkeit zu finden, die Hardware-Komponenten mit moderner Sensortechnik auszustatten, damit eine zuverlässige und zukunftsorientierte Steuerung durch den Hafenbetreiber möglich ist. Essenziell war dabei, die verschiedenen IT-Ebenen der Digitalisierung, Automatisierung und Integration nicht außer Acht zu lassen und dabei auf eine offene und flexible Architektur zu setzen, die jederzeit auf die Anforderungen in der Zukunft angepasst werden kann.
Mehr Transparenz – man kann nur steuern, was man weiß
Man war sich bewusst, dass diese Form des Retrofittings nicht gleich für alle Bereiche der Brücke realisiert werden kann. Da der Umweltschutz für den Hafenbetreiber eine wichtige Anforderung war, entschied man sich, mit der Digitalisierung des Energiemanagements zu starten. Zum Hintergrund: Beim Be- und Entladevorgang wird Energie verbraucht, aber auch Energie freigesetzt. Beim Hochheben eines Containers etwa wird viel Energie benötigt, bei der horizontalen Bewegung vom Schiff an Land ist der Energieverbrauch geringer und beim Abladevorgang wird sogar Energie erzeugt. Man wollte eine Möglichkeit finden, den Bedarf an Strom sowie die Stromerzeugung besser in den Hafenbetrieb zu integrieren. Eine Idee war, die in der Regel elektronisch betriebenen fahrerlosen Lastfahrzeuge, die bei der Landverladung zum Einsatz kommen, mit der beim Verladevorgang gewonnenen Energie zu versorgen. Der Vorteil bei dieser Art von Nutzung liegt darin, dass das operative Lademanagement dieser Fahrzeuge bereits einem hohen Digitalisierungsgrad entspricht, so dass leicht nachzuvollziehen ist, wo Strom benötigt wird.
Das größte Problem: Die Sichtbarkeit der Daten. Bei den in Estland wieder in Betrieb genommenen Brücken entschied man sich daher für die Anbringung zusätzlicher Strommesssensoren, sogenannte Power Meter, um auf diese Art und Weise Daten über den Strombedarf sowie die Energieproduktion zu erhalten. Um die so generierten Daten zielführend auswerten und nutzen zu können, wollte man die technischen Möglichkeiten der Digital-Twin-Technologie nutzen. Aber was versteht man überhaupt unter einem Digitalen Zwilling? Hier gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen und Vorstellungen. Laut Wikipedia handelt es sich dabei um die digitale Repräsentanz eines materiellen oder immateriellen Objekts aus der realen Welt in der digitalen Welt. Bekannt sind Digitale Zwillinge im Produktionsumfeld vor allem durch die Automobilindustrie. Hier werden sie in der Regel dazu verwendet, neue Produkte zu entwickeln, Fertigungsabläufe zu verbessern oder bestimmte Situationen zu simulieren. Der Digital Twin kommt also vor allem im Testumfeld vor. Anders gelagert sind die Aufgaben und der Einsatzbereich des Digitalen Zwillings bei dem genannten Hafenprojekt. Dort bezeichnet man das digitale Abbild der Sensordaten als Digitalen Zwilling.
Digitaler Zwilling
Aber wie ist es möglich, die Sensordaten zu sammeln und sichtbar zu machen? Lassen sie sich strukturieren und auswerten? Besteht die Möglichkeit, die Daten des Digitalen Zwillings in das Hafenmanagement zu integrieren und an weitere Partnersysteme, z.B. SAP oder auch das in Häfen meistens verwendete Terminal Operating Systems (TOS) anzubinden? Kann das Port Community System (PCS) und andere auftragsverwaltende Systeme mit einbezogen werden? Diese und andere Fragen wurden gestellt, bevor man sich auf die Suche nach einer digitalen Datendrehscheibe machte, die nicht nur für den Datenaustausch sorgen sollte, sondern auch mit Hilfe der Daten eine Lösung für die Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) mit sich bringen sollte. Von dieser erhoffte man sich neben der Erzeugung eines Digital Twins auch breite Auswertungs- und Anbindungsmöglichkeiten.
Und es funktioniert. Mit dem modernen Business Integration Cluster, edbic von compacer, das als Datendrehscheibe fungiert, werden nicht nur die bisher verborgenen Daten verfügbar und sichtbar gemacht, sondern auch die Daten der neuen Sensoren abgebildet. Sie sammelt sämtliche Daten, konsolidiert diese und stellt sie in einer einheitlichen Struktur, dem sogenannten Metaformat bereit, das sich ohne Probleme in die vorhandene Softwarelandschaft integrieren lässt, zur Verfügung. Das Ergebnis: Das Sammelsurium aus „alten Daten“ und den neuen Energiesensoren bietet ein konkretes Abbild des Energiebedarfs sowie der erzeugten Energie der beiden Containerbrücken. Die Daten sind sehr detailliert und aussagekräftig, so dass der Hafenbetreiber in der Lage ist, ein effizientes Energiemanagement zu betreiben.
Wurde in der Vergangenheit die beim Abladen erzeugte Energie noch unbedarft als Wärme in die Luft abgegeben, so besteht heute die Möglichkeit diese zu speichern und für andere Zwecke zu nutzen. Eine Software, die durch Methoden der künstlichen Intelligenz unterstützt wird, liefert eine Vorhersage des Verbrauchs in der Zukunft. In der Kombination mit Daten aus anderen Gewerken, Anwendungen und Clouddiensten, ist diese Prognosesoftware in der Lage den Stromverlauf derzeit eine Woche im Voraus mit einer Genauigkeit zwischen 96 – 98 Prozent vorherzusagen. Langfristig erhofft man sich die Etablierung eines optimal gestalteten Energiekreislaufes, der den punktuellen Bedarf an Strom vorausschauend erkennt und die produzierte Energie in einen kontinuierlichen Prozess softwaregestützt wieder nutzt.
Copy & Paste: So lassen sich erfolgreiche Konzepte multiplizieren
Doch damit nicht genug. Weitere zur Hafengruppe gehörende europäische Häfen, wollen diesen Ansatz skalieren und für sich nutzen. Mit den Learnings aus Estland möchte man im nächsten Schritt auch in anderen Containerterminals das Energiemanagement im Hafen verbessern und CO₂ sparen. Hinzu kommen Überlegungen, das Prinzip des Digitalen Zwillings auf andere Bereiche auszuweiten – etwa auf die Seillängenüberwachung. Das wäre ein Einstieg in Predictive Maintenance Aktivitäten, denn durch die Überwachung der Seillängen und damit verbunden der Seilqualität, könnten auf lange Sicht Stillstandzeiten und Ausfälle von Containerbrücken im Vorfeld erkannt und deshalb vermieden werden.
Fakt ist – auf dem Weg zu einem energiesparenden und ressourcenschonenden Hafenmanagement ist die Verbindung horizontaler und vertikaler Prozesse der Schlüssel zum Erfolg. Nur wenn es gelingt, den im Betrieb befindlichen Hafenkomponenten ein Maximum an Daten zu entlocken und diese sichtbar zu machen, damit sie weiterverarbeitet werden können, können moderne Häfen energiesparend arbeiten und „grüner“ werden.
Wissens-Facts zum Digitalen Zwilling
Grundsätzlich kann ein Digitaler Zwilling als eine virtuelle Abbildung eines realen Objekts definiert werden und damit aus vielen Daten, Algorithmen und Sensoren bestehen. Daten werden in Echtzeit mit der realen Welt verglichen. Um eine virtuelle Abbildung zu erzeugen, werden drei Elemente benötigt: Ein Objekt, welches abgebildet werden soll, ein Digitaler Zwilling im virtuellen Raum und Sensoren, die die Verbindung zwischen dem realen Objekt und dem Digitalen Zwilling bilden. Ein Digitaler Zwilling ist also:
- ein virtuelles Abbild
- die Vernetzung verschiedener Informationsquellen
- die Erweiterung hin zu einem IoT-System
Das Wichtigste bei der Erstellung eines Digital Twins ist die Motivation oder vielmehr das „Warum?“. Wurde das im Vorfeld geklärt, ist es die Basis, wonach sich der Zwilling ausrichtet. Aus technischer Sicht sollten folgende Punkte beachtet werden:
- Hohe Verfügbarkeit: egal, ob on-premise oder in der Cloud
- Offene Standards: verhelfen zu mehr Flexibilität und vermeiden Abhängigkeit
- Durchgängige Konnektivität: erst eine einheitliche Vernetzung ermöglicht fehlerfreie Absprachen
- Individuelle Integration: gibt Entscheidungsfreiheit darüber, welche Informationen enthalten sein sollen und sie können sukzessive ergänzt werden