45 Prozent der Unternehmen mit hohen Stromkosten wollen daher Produktion ins Ausland verlagern oder stilllegen, ergab das DIHK-Energiebarometer.

45 Prozent der Unternehmen mit hohen Stromkosten wollen daher Produktion ins Ausland verlagern oder stilllegen, ergab das DIHK-Energiebarometer. (Bild: DedMityay - stock.adobe.com)

Die Bilder gingen um die Welt: Im Hintergrund Eisberge, davor Angela Merkel von der CDU in einer knallroten Expeditionsjacke. Aufgenommen wurden die Fotos 2007 auf dem Kutter 'Smilla' in Grönlands Diskobucht. Dort präsentierte sich die damalige Bundeskanzlerin als Klimaretterin. Taten folgten der Selbstdarstellung allerdings kaum. Nicht mal, als Merkel nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft beschloss.

Die von der CDU-Kanzlerin geführten Bundesregierungen bauten weder die Überlandnetze aus, noch verstärkten sie die Verteilnetze, so wie es die angekündigte Energiewende erforderte. Acht von zehn Unternehmen können sich daher heute nicht mehr auf eine jederzeit stabile Versorgung über die Netze verlassen, gaben sie im aktuellen Energiebarometer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) an.

Obwohl die Unions-Regierungen den Ausbau der Netze unterließen, verdreifachten sich in ihren Amtsjahren jedoch die Übertragungsnetzentgelte, berichtet die Wirtschaftsvereinigung (WV) Stahl. Als 2021 der Zapfenstreich für Angela Merkel geblasen wurde, machten sie zusammen mit anderen Umlagen 51 Prozent des Strompreises aus.

Einen Ausbau ihrer Infrastruktur forderten die von der Union geführten Regierungen von den Netzbetreibern im Gegenzug aber nicht. Deshalb hinterließen sie der Ampel-Koalition eine gewaltige und extrem teure Baustelle. „Der verspätete Stromnetzausbau ist zu einem zentralen Kostentreiber der Energiewende geworden“, fasst der Verband der chemischen Industrie (VCI) zusammen.

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Eine Geschichte fatalen Selbstbetrugs

Damit nicht genug. Die Unions-Regierungen schrieben auch die Kontingente für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien nicht in dem Umfang aus, den es gebraucht hätte, um Atomstrom eines Tages zu ersetzen. Durch eine misslungene Förderpolitik trieben sie zugleich den Niedergang der deutschen Photovoltaikindustrie (PV) voran. Als sich 2018 der letzte deutsche Hersteller von PV-Zellen, Solarworld, in Insolvenz befand, reagierte der damalige Wirtschaftsminister, Peter Altmaier von der CDU, erst auf die dritte Nachfrage auf ein von Insolvenzverwalter Christoph Niering vorgeschlagenes Konzept zur Rettung des Unternehmens. Altmaier entschuldigte sich damit, dass er für eine frühere Antwort keine Zeit gehabt hätte. Solarworld stellte daraufhin den Betrieb ein.

In Bayern hatte Horst Seehofer (CSU), damals Ministerpräsident des Freistaats und später Bundesinnenminister, vier Jahre zuvor zudem vorgeschrieben, dass Windräder einen Abstand von mindestens dem Zehnfachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden haben müssen. Da sich diese '10H'-Regel kaum irgendwo einhalten ließ, erzeugte der Freistaat jahrelang kaum Windstrom.

Statt auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzten die von Angela Merkel geführten Bundesregierungen im Jahrzehnt nach dem Beschluss des Atom-Ausstiegs lieber auf russisches Erdgas. Die Industrie war von dem billigen Brennstoff Feuer und Flamme. Wer Politikern und Unternehmen damals die Frage stellte, ob es klug sei, sich von einem einzigen Lieferanten abhängig zu machen, bekam mantraartig die immer gleiche Antwort: „Ja. Denn Russland könne es sich gar nicht leisten, gegen die Interessen seines Kunden Deutschland zu handeln.“

Der Selbstbetrug überstand sogar die russische Invasion der Krim 2014. Erst als Vladimir Putin im Spätwinter 2022 die Ukraine überfiel, brach er der deutschen Wirtschaft das Genick. Denn als die Weltgemeinschaft Russlands Angriffskrieg mit Sanktionen beantwortete, rissen die Gaslieferungen jäh ab. Der Preis für Industriestrom verdoppelte sich 2022 auf 43 Cent pro Kilowattstunde (kWh).

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Weiter höhere Energiepreise

Inzwischen ist er wieder auf 16 Cent pro kWh gesunken. Die Ampel hat zudem die Netzentgelte zwischenzeitlich um 45 Prozent auf nur noch 28 Prozent des Strompreises gesenkt. Eine Fortsetzung der Deckelung verhindert im Bundestag derzeit allerdings die Union.

Auch die Stromsteuer von 1,5 Cent pro kWh hat die Bundesregierung auf nur noch 0,05 Cent gekürzt. Vergangenes Jahr gingen zu dem on- und off-shore Windkraftanlagen mit einer Leistung von knapp 3600 Megawatt neu ans Netz, berichtet das Beratungsunternehmen, Deutsche Windguard. Der Zubau war damit 48 Prozent größer als im Vorjahr und etwa doppelt so groß wie im Jahr des Amtsantritts der Ampelkoalition 2021.

„Diese Bundesregierung hat mehr Versäumnisse korrigiert als die vier vorherigen“, lobt daher der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Professor Marcel Fratzscher. „Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass durch die verschlafene Energiewende und die hohe Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zahlreiche energieintensive Unternehmen in Deutschland nicht überleben können“, fasst Fratzscher die Folgen der Energiepolitik der CDU zusammen.

In Deutschland werden Unternehmen „dauerhaft mit höheren Energiepreisen wirtschaften müssen, als sie das in den 2010er-Jahren gewohnt waren“, ergänzt der Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, Dr. Moritz Kraemer. Gas werde langfristig drei Mal so viel kosten wie in China und fünfmal so teuer sein wie in den USA, bestätigt der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Auch Industriestrom ist hierzulande etwa doppelt so teuer wie in China oder den USA, hat der Think Tank Agora Energiewende berechnet. Sollte es dem designierten neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten gelingen, die Energiekosten in den USA wie angekündigt zu halbieren, wird sich deren Vorsprung nochmals vergrößern.

Stahlindustrie: Ohne Gas bleiben die Öfen kalt

Unternehmen aus energieintensiven Branchen wie Papier-, Glas- oder Zementerzeuger trifft dies selbsterklärend besonders hart. Am schlimmsten ist die Situation in Chemiewerken. Durch ihre Zähler fließt rund ein Viertel des gesamten in der deutschen Industrie verbrauchten Stroms. Stahlerzeuger wiederum verarbeiten in ihrer Produktion jedes Jahr 2,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas.

Das sind acht Prozent der in der Industrie insgesamt benötigten Menge des Energieträgers, so die WV Stahl. Stahlwerke verfeuern dabei 30 Prozent des Gases in der Rohstahlerzeugung, etwa die Hälfte in Walzanlagen. „Kurzfristig ist Erdgas in diesen Prozessen kaum ersetzbar“, warnt die WV Stahl.

Die meist mittelständisch geprägten Elektrostahlwerke haben zudem einen gewaltigen Strombedarf. Sie verarbeiten Stahl nicht in gasgefeuerten Hoch-, sondern in Lichtbogenöfen. Ihre Stromkosten fressen daher 40 Prozent der Bruttowertschöpfung der Betriebe wieder auf.

Auch nach dem jüngsten Rückgang der Strompreise können diese Unternehmen ihre Produkte nicht zu international wettbewerbsfähigen Kosten erwirtschaften.

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Produktionskapazitäten: Auswandern, um zu überleben

Immerhin 45 Prozent der Unternehmen mit hohen Stromkosten wollen daher Produktion ins Ausland verlagern oder stilllegen, ergab das DIHK-Energiebarometer. Auch in der chemischen Industrie sind „etwa 40 Milliarden Euro der Chemieproduktion in Deutschland stark oder sehr stark abwanderungsgefährdet, was fast 30 Prozent des gesamten Produktionswertes entspricht“, ergänzt der BDI in einer im September vorgestellten Studie über die „Transformationspfade für das Industrieland Deutschland“.

Teils sind das schon keine Pläne mehr. BASF beispielsweise legt an seinem Stammsitz in Ludwigshafen ein Siebtel seiner Anlagen still. Das Unternehmen will dort künftig jedes Jahr 250 Millionen einsparen. Außerdem baut es tausende Arbeitsplätze ab. Zugleich errichtet der größte Chemiekonzern der Welt derzeit im südchinesischen Zhanjiang für zehn Milliarden Euro einen Verbundstandort.

Es ist die größte Investition eines deutschen Unternehmens, die es in der Volksrepublik je gab. Am Standort Deutschland geht dagegen einer der wichtigsten Grundstofflieferanten und Automobilzulieferer verloren.

Energieintensive Mittelständler machen den Laden dicht

Ähnlich nass wie deutschen Chemiearbeitern und ihren Familien, läuft es bis 2030 wenigstens 5.000 Mitarbeitenden von Thyssenkrupp rein. Ihre Arbeitsplätze streicht der Stahlkonzern. Weitere 6.000 Beschäftigte will das Essener Unternehmen an externe Dienstleister ausgliedern oder durch den Verkauf von Geschäftstätigkeiten loswerden. Gelingt das nicht, werden Werke geschlossen - wie bereits demnächst der Standort in Kreuztal-Eichen. Dort stehen dann 600 Kolleginnen und Kollegen auf der Straße.

Insgesamt will Thyssenkrupp in den kommenden Jahren nur noch 8,7 Millionen Tonnen Stahl produzieren – knapp ein Viertel weniger als heute. Zugleich bereitet der Konzern die Ausgliederung seiner Stahlsparte vor. In einem ersten Schritt soll dazu die Beteiligung des tschechische Milliardärs Daniel Kretinsky von heute 20 auf 50 Prozent steigen. Dennoch nimmt Thyssenkrupp gerne die zwei Milliarden Euro Steuergelder in Anspruch, mit denen der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen die Umstellung der Stahlerzeugung am Standort Duisburg von Kohle auf eine mit Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlage fördern.

Insgesamt 700 Millionen Euro der Gelder hat der Konzern bereits abgerufen. Die Essener reagieren mit den Maßnahmen auf einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro im vergangenen Geschäftsjahr und die schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland.

„Deutschland würde in Summe ärmer“

Die führen auch in vielen Betrieben im energieintensiven Mittelstand schon seit geraumer Zeit zu apokalyptischen Entwicklungen. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC). „In unseren Gesprächen berichten viele Mittelständler, dass sie überlegen aufzuhören“, erklärt Uwe Rittmann Leiter des Bereichs Familienunternehmen bei PwC.

Der Grund: Den Unternehmen fehlen das Kapital und oft die internationale Erfahrung, die sie bräuchten, um ins Ausland abzuwandern.

In der mittelständisch geprägten Gießereiindustrie mussten schon zahlreiche Unternehmen schließen oder befinden sich im Insolvenzverfahren – darunter so traditionsreiche Betriebe wie Sachsen Guss in Chemnitz mit 800 Beschäftigten oder die Metallgießerei Wilhelm Funke in Alfeld. Andere überleben, weil sie übernommen werden. So der Automobilzulieferer Eisenwerk Hasenclever & Sohn aus dem hessischen Battenberg.

Betriebe, die dieses Glück nicht haben, fehlen am Standort Deutschland künftig als Zulieferer und Entwicklungspartner. „Ein Alleinstellungsmerkmal des deutschen Industriestandortes war immer seine tiefe Wertschöpfung entlang gesamter Produktionsketten und die damit verbundene Verflechtung verschiedener Industriesektoren“, verdeutlicht der BDI in seiner Transformations-Studie.

Was er damit auch sagt, ist, dass ein Vielfaches an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in einer Vielzahl von Branchen verloren geht, wenn es die chemische oder die Stahlindustrie in Deutschland nicht mehr im bisherigen Umfang gibt. So schaffen die 745.000 in Grundstoffindustrien Beschäftigten indirekt 956.000 Arbeitsplätze in anderen Sektoren. „Insgesamt sind mittelfristig etwa 22 Prozent der deutschen Industriewertschöpfung betroffen“, so der BDI. „Deutschland würde in Summe ärmer.“

Fabrik des Jahres

Logo Fabrik des Jahres
(Bild: SV Veranstaltungen)

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Standort Deutschland: Dauerhafter Schaden für den Branchenmix

Außerdem gingen vor allem dem deutschen Maschinenbau und der Automobilindustrie wichtige Zulieferer verloren. An sie verkaufen deutsche Stahlwerke bislang 57 Prozent ihrer Produktion. Von der chemischen Industrie beziehen diese Kunden neben Grundstoff- und Spezialchemikalien, Lacke und Beschichtungen. „High-Tech-Chemikalien wiederum sind Enabling-Technologien beispielsweise für Batterietechnik, aber auch für Chips und Halbleiter und für die Energie- und Mobilitätswende“, ergänzt Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns Evonik.

Müssten Industrieunternehmen diese Produkte im Ausland beziehen, entstünden wie schon bei kritischen Rohstoffen, Antibiotika oder Solarzellen auch bei Chemikalien Abhängigkeiten von Lieferanten in anderen Staaten. Außerdem würden die Transportkosten für diese Produkte steigen. In der Summe entsteht so eventuell das Plus an Kosten, das Unternehmen am Standort unabhängig von ihrer Branche endgültig das Genick bricht.

Zugleich würde die Entwicklung von Grundstoffen teurer und komplizierter. „Grundstoffsektoren tragen bislang in teils über Jahrzehnte etablierten Wertschöpfungsnetzwerken zu Qualität und Innovation vieler weiterverarbeitender Branchen bei – teils sogar an gemeinsamen Verbundstandorten“, erklärt der BDI.

Wenn es diese Lieferanten in Deutschland nicht mehr gibt, werden die Wege zwischen ihnen und ihren Kunden länger, die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen damit komplizierter und teurer. Statt Komponenten und Teile gemeinsam zu entwickeln, könnten Standardbauteile an Attraktivität gewinnen. Am Ende eines langen Prozesses könnten darunter wiederum der Funktionsumfang oder die Qualität des Endprodukts leiden. Deutsche Unternehmen verlören Alleinstellungsmerkmale.

Das gilt jedoch nur, wenn sich anderswo überhaupt ausreichend Lieferanten und Produktionskapazitäten für Vorprodukte finden lassen. Bei Methanol beispielsweise ist das nicht der Fall. „Kurz- und mittelfristig stehen nicht ausreichend Kapazitäten zur Verfügung, um die heimische Produktion im großen Umfang durch Importe zu ersetzen“, warnt der BDI.

In den Crackern der chemischen Industrie hergestellte Produkte wie Olefine, Ethylen oder Propylen wiederum lassen sich nur mit sehr großem Aufwand transportieren und lagern. Deshalb ist ihre Herstellung oft in Verbundstandorte eingebunden.

Rohstoffe Produktion
(Bild: sashagrunge - stock.adobe.com)

Rohstoffe: Preise und Infos zu Kupfer und Schrott

Rohstoffe sind in der heutigen globalisierten Welt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Besonders Kupfer und Schrott haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Das liegt auch an den aktuellen Nachhaltigkeitsbemühungen der Industrie.
Kupfer wird unter anderem für die Herstellung von elektrischen Leitungen und Bauteilen verwendet, während Stahlschrott als wichtiger Rohstoff für die Stahlproduktion dient. Erfahren Sie hier alles Wissenswerte über Kupfer und Stahlschrott - zu welchen Preisen sie gehandelt werden, wo sie herkommen und wozu sie benötigt werden.

Erneuerbare Energien: Am Ausbau führt kein Weg vorbei

Der Zusammenbruch dieser Strukturen lässt sich nur verhindern, wenn die Strompreise dauerhaft weiter sinken. Dazu muss die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien schnell und umfangreich ausgebaut werden. Das fordern so gut wie alle Industrieverbände – nicht zu Unrecht. Denn aktuell kauft nur jedes fünfte Industrieunternehmen grünen Strom. In sechs Jahren wollen das aber mehr als 80 Prozent der Betriebe tun. Allein die chemische Industrie benötigt bis 2045 bis zu 500 Terrawattstunden erneuerbaren Strom, erläutert der VCI.

In der Stahlindustrie wird sich der Strombedarf durch den Umstieg auf Direktreduktionsanlagen und Lichtbogenöfen verfünffachen, ergänzt die WV Stahl. „Das erfordert zum einen eine Beschleunigung der Energiewende mit schnellerem synchronisierten Ausbau von Erneuerbaren, Stromnetzen und Backup-Kapazität“, fordert der BDI. „Genehmigungsverfahren für Wind- und PV-Freiflächenanlagen müssen verkürzt und erleichtert sowie ausreichend Freiflächen – auch gezielt für den Aufbau einer Versorgung von Industrieunternehmen – ausgewiesen werden“, ergänzt die WV Stahl.

Zudem seien viele Standorte zukünftig auf einen Anschluss an ein Wasserstoffnetz angewiesen. Deutsche Stahlwerke planen bis 2030 Hochöfen mit einer Produktionskapazität von jährlich mehr als zehn Millionen Tonnen Primärstahl durch Direktreduktionsanlagen zu ersetzen. Ein Drittel des gesamten in Deutschland verbrauchten Wasserstoffs (H2) könnte dann allein auf das Konto der Stahlerzeugung gehen, so der BDI. Bis 2045 könnte sich zudem der Bedarf der chemischen Industrie an dem Energieträger verachtfachen, erwartet der VCI. Ihm zufolge nutzt die Branche heute schon 12,5 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff.

Aufbau des Wasserstoffnetzes ist beschlossene Sache

Die Bundesregierung hat das verstanden und will die Kapazitäten für die H2-Elektrolyse im Rahmen ihrer Wasserstoffstrategie bis 2030 auf zehn Gigawatt verdoppeln sowie bis 2032 ein 9000 Kilometer langes Wasserstoffnetz errichten. Dessen Bau hat die Bundesnetzagentur am 22. Oktober 2024 genehmigt.

Dennoch kritisieren Fachleute, dass die in dem Netz vorgesehenen Speicher nicht ausreichen werden, um Stahlwerke auch dann mit Wasserstoff zu versorgen, wenn dieser nicht eingespeist wird, weil er aufgrund der Wetterlage in Deutschland nicht mit grünem Strom erzeugt werden kann und Tanker zugleich nichts an H2-Terminals anliefern. Ursprünglich sollten bisher für Erdgas genutzte Speicher die kontinuierliche Versorgung von Unternehmen mit Wasserstoff gewährleisten. Sie werden durch den Krieg gegen die Ukraine aber auch künftig für die Speicherung von Erdgas benötigt.

Kritische Rohstoffe: Der große Überblick

Salzsee Salar de Uyuni -
Salar de Uyuni (Bild: Gerd Mischler)

Sie wollen alles zum Thema kritische Rohstoffe wissen? In unserem großen Überblick erfahren Sie, welche es gibt, warum sie kritisch sind und welche Industriebranchen sie einsetzen - und bei einem Mangel am stärksten betroffen sind. Plus: Rohstoff-Steckbriefe und ein aktueller Rohstoff-Ticker.

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Marode Verkehrswege: Für Grundstoffindustrien fehlt es an allem

Um den schleichenden Verlust energieintensiver Industrien in Deutschland abzuwenden, fehlt dem Standort jedoch mehr als eine leistungsfähige Netzinfrastruktur, ausreichend grüner Strom und Wasserstoff. Die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen in den Grundstoffindustrien leidet auch unter dem Zustand der Verkehrsinfrastruktur. „Die chemisch-pharmazeutische Industrie zählt zu den transportintensiven Wirtschaftszweigen in Deutschland. Alle Verkehrsträger – Straße, Schiene, Binnenschiff, Seeverkehr und Pipelines – sind für die Branche notwendig, um ihre Rohstoffversorgung zu sichern“, stellt etwa der VCI fest.

Die Lieferketten der Branche könnten künftig also auf deutschen Straßen reißen. Denn die Fahrbahnflächen eines Sechstels der Bundesautobahnen und eines Drittels der Bundesstraßen sind nur noch eingeschränkt gebrauchstauglich, meldet der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Das Bundesverkehrsministerium bewertet insgesamt 7.112 Autobahnkilometer als sanierungsbedürftig. Auch ein Viertel der deutschen Eisenbahnbrücken weist umfassende Schäden auf, 1160 von ihnen müssen durch Neubauten ersetzt werden. Mehr als acht von zehn Schleusen im Netz der Bundeswasserstraßen befinden sich teils nur noch in ungenügendem Zustand.

Dieser Verfall ist nicht erst in den vergangenen drei Jahren entstanden. „Die Politik muss nach zwei verschlafenen Jahrzehnten endlich massiv in Infrastruktur investieren“, fordert DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Mindestens 100 Milliarden Euro müsste sie bis 2030 jedes Jahr ausgeben, um die Verkehrswege wieder instand zu setzen, hat das Institut der Deutschen Wirtschaft errechnet. Doch dieses Geld fehlt. Daran könnte der wohl im März zu wählende neue Bundeskanzler selbst dann nichts ändern, wenn er sich auf einer Autobahnbaustelle in warnoranger Arbeitskleidung medienwirksam als Retter der deutschen Industrie ablichten ließe.

Kommentar: Eine Frage der Kosten

Die Klage über den Standort Deutschland nimmt kein Ende. Dabei bleibt die Ehrlichkeit auf der Strecke. Zu der gehört auch: Die Kosten der Unternehmen könnten geringer sein, wenn sie sich nicht jahrelang auf russisches Gas verlassen hätten. Zugleich haben sie die Digitalisierung verschlafen. Deshalb sind sie nicht produktiv genug, um hohe Lohn- und Energiekosten stemmen zu können.

 

Von Gerd Mischler

 

Energie kostet Unternehmen in Deutschland mehr als in den USA oder China. Daran besteht kein Zweifel. Doch Deutschland hat keine staatlichen Stromversorger wie die Volksrepublik und anders als die USA kaum Erdgasvorkommen. Das war auch in den Merkel-Jahren nicht anders, als russisches Erdgas scheinbar unbegrenzt zur Verfügung stand. Denn das sind schlicht die geologischen Gegebenheiten in der Bundesrepublik.

Die haben viele Unternehmen ignoriert. Nur jedes fünfte von ihnen nutzt heute Strom aus erneuerbaren Energien, 80 Prozent haben ihre Energieversorgung nicht diversifiziert und resilient aufgestellt. Dabei könnte beispielsweise so gut wie jeder Betrieb seinen Mitarbeiterparkplatz mit einer Photovoltaikanlage überdachen. Für deren Strom fallen kaum Gestehungskosten an. Bei Eigenversorgung zahlen Unternehmen nicht mal Netzentgelte.

 

Sicher die Genehmigung und Inbetriebnahme einer PV-Anlage dauert im bürokratischen Deutschland. Doch wer, nicht mal versucht, seine Energieversorgung umzustellen, kann sich auf dieses Argument nicht berufen. Stattdessen zahlt er hohe Energiekosten, die er teilweise vermeiden könnte.

Leisten können sich viele Betriebe das nicht. Denn sie haben auch ihre Digitalisierung verschlafen. Deutsche Mittelständler gaben 2022 nur 29,4 Milliarden Euro für ihre Digitalisierung aus, aber 240 Milliarden Euro für neue Maschinen, Gebäude oder Fahrzeuge. Insgesamt flossen in Deutschland nur 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Digitalisierung. In Schweden dagegen waren es 5,3 Prozent des BIP, in Frankreich 4,6 Prozent. Selbst Italien gab 2,4 Prozent seines BIP und damit 70 Prozent mehr seiner nationalen Wertschöpfung für Digitalisierung aus als die Bundesrepublik.

Bei der Anwendung produktivitätssteigernder digitaler Technologien wie Data Analytics, Cloud Computing, ERP-Systemen oder E-Invoicing liegen deutsche Unternehmen daher im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld. Das zeigt das DESI 2024 Dashboard for the Digital Decade der Europäischen Union. Im Ergebnis ist die Produktivität deutscher Betriebe daher schlechter, als sie sein könnte.

 

Obwohl sie ihre Digitalisierung und die Energiewende verschlafen haben, zahlen deutsche Industrieunternehmen ihren Mitarbeitern aber Gehälter, die wie die Hans-Böckler-Stiftung berichtet, 44 Prozent über dem Durchschnitt in der EU liegen. Zu dieser gehören Länder, die wie Schweden, Dänemark, Spanien oder Frankreich viel innovativer und wettbewerbsfähiger sind als Deutschland.

Wenn VW-Vorstandschef Oliver Blume 2,6 Millionen Euro im Jahr bekommt und ein Pförtner bei dem Autobauer mit Zulagen so viel verdient wie ein Studienrat, leben also sowohl sein Chef wie er weit über ihren Verhältnissen. Das aber erkennen weder Unternehmen noch Gewerkschaften an. Statt sich der Tatsache zu stellen, dass sie nicht so leistungsfähig sind, wie sie es sein müssten, um ihre hausgemachten Kosten tragen zu können, schieben viele Arbeitgeber die Schuld für ihre nachlassende Wettbewerbsfähigkeit auf die Politik – in einem demokratischen Gemeinwesen also letztlich auf alle, die in ihm leben.

Das ist unlauter. Erfolgreiche, resiliente Organisationen lamentieren nicht, dass der Standort Deutschland bürokratischer und teurer ist als andere Länder. Das war er schon immer. Sie passen sich an diese Verhältnisse an. Denn die Bundesrepublik bietet auch mehr Rechtssicherheit und sozialen Frieden als andere Staaten und ist der größte Markt in der EU.

 

Sicher, an der Misere am Standort Deutschland hat auch die Politik eine Mitschuld. Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich konsequent geweigert, die Unternehmenssteuern zu senken und dringend erforderliche Investitionen in Verkehrs- und Netzinfrastruktur zu finanzieren. Dieses verantwortungslose Verhalten wollte Bundeskanzler Olaf Scholz den Bundesbürgern „nicht mehr zumuten“. Er hat den FDP-Politiker entlassen. Das verdient Anerkennung.

Keine Anerkennung verdient, wenn sich Unternehmen weigern, die Ursachen für die Misere der deutschen Industrie auch bei sich zu suchen. Er halte nichts davon, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, erklärte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, in der ZDF-Sendung Berlin direkt. Solch eine Verweigerungshaltung wird der verantwortungsvollen Betriebsführung eines ehrbaren Kaufmanns nicht gerecht. Der fragt in Krisen auch, was er falsch gemacht hat und was sein Anteil am gegenwärtigen Problem ist. Denn nur wer eigene Fehler eingesteht, bringt sich und seinen Betrieb voran.

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