Seit einem Jahr herrscht Krieg in der Ukraine. Am 24. Februar 2022 hat Russland seine Angriffe auf das Land gestartet. Zu den schlimmsten Folgen gehören Zehntausende von Toten, Millionen von Flüchtlingen und die Zerstörung von Städten und Infrastruktur.
Aber natürlich hat der Krieg auch Folgen für die ukrainische Wirtschaft und die Produktion im Land. Ein deutsches Unternehmen, das davon besonders betroffen ist, ist der Autozulieferer Leoni. Das Unternehmen hat zwei Werke im Land: eines in Stryi (circa 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt) und Kolomyia (rund 100 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt).
In den ersten Tagen des Krieges wurde die Produktion eingestellt, doch seitdem läuft der Betrieb in den beiden Werken wieder – natürlich unter strengen Sicherheitsbestimmungen. Leoni könne alle Abrufe der Kunden bedienen, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage von PRODUKTION.
Nach wie vor werde die Fertigung aber regelmäßig von Fliegeralarmen unterbrochen. Die Mitarbeitenden fliehen Leoni zufolge dann sofort in die nahegelegenen, mit Hilfe des Unternehmens wieder hergerichteten alten Sowjet-Bunker. Die Beschäftigten haben deshalb zum Beispiel auch immer ihre Jacken am Platz, erklärt Leoni.
Leoni-Mitarbeitende in der Ukraine: Einsatz ist "herausragend"
Dass die beiden Werke nach Kriegsbeginn wieder schnell die Produktion aufgenommen haben, ist auch auf Wunsch der Belegschaft geschehen, erklärte der damalige Leoni-CEO Aldo Kamper im März 2022. Die Beschäftigten seien sehr motiviert und wollten zeigen, dass die Ukraine weiter ein verlässlicher Partner sei, berichtete er.
„Einsatz und Motivation unserer ukrainischen Beschäftigten sind unverändert herausragend“, berichtet das Unternehmen nun fast ein Jahr später gegenüber PRODUKTION. Das zeige sich zum Beispiel an der sehr niedrigen Fluktuationsquote und daran, dass die durch Fliegeralarme verursachte Produktionseinbußen in den Tagen darauf wieder eingeholt werden.
Podcast: Leoni-COO Ingo Spengler zur Zukunft des Zulieferers
(Hinweis: Der Podcast wurde vor Beginn des Ukrainekrieges aufgenommen.)
Leoni hält an seinen Werken in der Ukraine fest
Der Automobilzulieferer hatte vor Kriegsbeginn rund 7.000 Beschäftigte in seinen beiden Werken in der Westukraine. Momentan liegt die Zahl bei etwas unter 7.000 Mitarbeitenden und somit nur leicht unter dem Niveau bei Kriegsbeginn. „Regelmäßig reisen ukrainische Beschäftigte mit unserer Unterstützung zudem für einige Wochen an Leoni-Standorte in anderen osteuropäischen Ländern und packen dort in der Produktion mit an“, erklärt das Unternehmen.
Trotz des andauernden Krieges bekräftigt Leoni außerdem: „Wir stehen zu unseren Werken in der Ukraine.“ Doch niemand könne vorhersagen, wie sich der Krieg weiterentwickelt. „Die Situation bestmöglich zu beherrschen, das bleibt eine Aufgabe, der wir uns weiterhin nur gemeinsam stellen können: in enger Abstimmung mit unseren Lieferanten und Kunden sowie der Politik“, so das Unternehmen.
Das sind die Industrietrends 2023
Fachkräftemangel, Energiekrise, Ukrainekrieg und natürlich die Inflation: Der Industrie steht ein herausforderndes Jahr bevor.
PRODUKTION hat nachgehakt und Verbände und Unternehmen nach Wachstumsmärkten, Wettbewerbsfähigkeit und den Konjunkturerwartungen gefragt. Einen Einblick geben neben dem VDMA, VDW und ZVEI folgende Unternehmen: Trumpf, Schunk, Franke, Beckhoff und Benteler.
SKF: Fertigung muss Rücksicht auf Energieabschaltungen nehmen
Auch der Wälzlagerlieferant SKF hat ein Werk in der Westukraine. In Lutsk werden weiterhin zahlreiche Komponenten gefertigt. Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn seien die Rahmenbedingungen für die Beschäftigten denkbar schlecht, berichtet einer der Kunden, der Landtechnikkonzern AGCO, in einer Pressemitteilung.
Mehrmals pro Woche gebe es Luftalarm und die Mitarbeitenden müssen Schutz im werkeigenen Bunker suchen. Nach russischen Raketenangriffen sei die Energieversorgung in der Region zudem stark eingeschränkt. Zuhause leben die Menschen in kalten Wohnungen, im SKF-Werk müsse die Fertigungsplanung auf Energieabschaltungen Rücksicht nehmen.
Knapp 100 der rund 1.000 SKF-Beschäftigten wurden bislang zum Dienst an der Waffe eingezogen, einige sind teils schwer verwundet zurückgekehrt.
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Lieferfähig dank internationaler Teamleistung
Unterstützung bekommt das ukrainische Werk von anderen Standorten: Vor allem die SKF-Werke in Schweinfurt und im polnischen Lüchow stimmten ihre Wälzlagerproduktion auf die Komponentenlieferungen aus Lutsk ab und stehen mit dem Kunden AGCO in Deutschland im permanenten Austausch, um dessen Produktionsabläufe nicht zu gefährden.
Das Sicherstellen der Lieferfähigkeit sei „eine internationale Teamleistung“ gewesen, sagt Stephan Sondermann, SKF Global Account Manager für AGCO. Der Landtechnikkonzern würdigte die Leistung seines Zulieferers mit dem „AGCO Quality & Delivery Performance Award 2022“.
Ukraine-Krieg kostet Weltwirtschaft bisher 1,6 Billionen Dollar
Der Ukraine-Krieg hat die Weltwirtschaft nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im vergangenen Jahr deutlich über 1,6 Billionen US-Dollar (1,5 Billionen Euro) gekostet. „Gemäß einer IW-Schätzung dürfte die weltweite Wirtschaftsleistung im Jahr 2022 um deutlich über 1.600 Milliarden US-Dollar niedriger ausgefallen sein, als es ohne die russische Invasion in der Ukraine der Fall gewesen wäre“, heißt es nach einem Bericht der ‚Rheinischen Post‘ in der Studie. 2023 könnten sich die weltweiten Produktionsausfälle demnach auf nochmals rund eine Billion Dollar belaufen.
Als Rechen- und Schätzgrundlage dienten dem Blatt zufolge die Herbstprognosen des Internationalen Währungsfonds. Dazu seien die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts 2022 und die Prognose für 2023 der ursprünglich erwarteten Entwicklung ohne den Ukraine-Krieg vom Jahresende 2021 gegenübergestellt worden. Der Krieg habe weltweit zu Liefer- und Produktionsstörungen geführt, zitiert das Blatt aus der Studie. Zudem seien die Energiepreise in die Höhe geschnellt. Die Inflation sei überall stark gestiegen und habe die Kaufkraft verringert. (DPA)
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