
Wer in der Elektro- oder Elektronik-Branche arbeiten will, hat gute Chancen. Hier gibt es die meisten Stellenangebote. (Bild: Bernd Geller - stock.adobe.com)
Wer wird aktuell am meisten gesucht?
Der DEKRA Arbeitsmarktreport 2024 zeigt ein klares Bild: In der Spitzengruppe der gefragtesten Berufe dominieren derzeit nicht mehr die Akademiker, sondern Berufe mit Fachausbildung. Unter den zehn Berufen mit den meisten Jobangeboten finden sich klassische Engpassberufe wie Elektroniker, Pflegekräfte, Sozialpädagogen – aber auch überraschende Rückkehrer wie Maschinen- und Anlagenführer.
Besonders auffällig: Verkäufer im Einzelhandel rangieren auf Platz drei – ein neuer Höchststand. Offenbar bleibt der stationäre Handel trotz E-Commerce-Boom relevant. Parallel dazu steigen auch die Jobangebote für Einzelhandelskaufleute. Branchenübergreifend hat mehr als jedes vierte Stellenangebot Bezug zu einem der Top-10-Berufe.
Welche Rolle spielen Akademiker noch?
Der vielleicht größte Bruch: Akademische Berufe verlieren dramatisch an Bedeutung im Ranking. Nur drei von 25 gefragtesten Berufen erfordern noch ein Studium – so wenig wie noch nie seit Beginn der DEKRA-Erhebung 2008. Die einzigen Ausnahmen: Sozialpädagogen (Platz 8), Architekten (Platz 18) sowie Softwareentwickler (Platz 23). Zum Vergleich: Im Vorjahr waren noch sechs akademische Berufe vertreten.
Dies signalisiert nicht zwangsläufig einen Bedeutungsverlust des akademischen Wegs, sondern vielmehr eine vorübergehende Marktverschiebung. Die Gründe liegen in der Konjunktur, aber auch in einer zunehmend fragmentierten Nachfrage, in der praktische Fähigkeiten über formale Abschlüsse dominieren.

Was bedeutet das für Industrie und Maschinenbau?
Gerade in produzierenden Unternehmen zeigt sich: Maschinen- und Anlagenführer sind so gefragt wie lange nicht. Platz sieben im DEKRA-Ranking – und das in einem Jahr, in dem die Industrie mit Konjunktursorgen kämpft. Diese Diskrepanz deutet auf eine strukturelle Entwicklung hin: Während ältere Fachkräfte in den Ruhestand gehen, fehlt es vielerorts am Nachwuchs mit ausreichend technischer Erfahrung.
Auch Montage- und Wartungskompetenz stehen hoch im Kurs – was nahelegt, dass Automatisierung allein nicht reicht. Wer Maschinen beherrschen kann, bleibt unverzichtbar.
Ein Blick in die Praxis:
Beispiel Automobilzulieferer in Süddeutschland
Ein mittelständischer Automobilzulieferer aus Baden-Württemberg hatte Anfang 2024 große Schwierigkeiten, Schichtpläne zu füllen. Besonders dringend gesucht wurden Maschinenführer mit Erfahrung in CNC-Technik. Der Personalchef berichtet: „Wir haben überdurchschnittlich viele Anfragen von Quereinsteigern erhalten, aber kaum noch junge Bewerber mit abgeschlossener Fachausbildung.“ Das Unternehmen reagierte mit einem neuen Qualifizierungsprogramm in Kooperation mit der örtlichen IHK – und konnte die Zahl der geeigneten Bewerber binnen eines Quartals verdoppeln.
Warum geraten IT-Berufe unter Druck?
Noch vor wenigen Jahren galten IT-Spezialisten als unangefochtene Spitzenreiter im Fachkräftemarkt. Heute zeigt sich ein anderes Bild: IT-Berufe sind erstmals seit 2013 weniger gefragt als klassische Ingenieurdisziplinen – und insgesamt auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebung.
Auffällig: Softwareentwickler rutschten auf Platz 23, während Systemadministratoren sich davor positionieren (Platz 21). Ein Zeichen dafür, dass aktuell eher operative IT-Funktionen gefragt sind als kreative Entwicklerrollen.
Ein Erklärungsansatz: Viele Digitalisierungsprojekte sind abgeschlossen oder auf Eis gelegt, Investitionen verschieben sich in Richtung Bestandssicherung und IT-Infrastrukturpflege.
Branchenbeispiel: Ein Maschinenbauer aus NRW
Ein Unternehmen aus der Verpackungsmaschinenbranche berichtet von einer Neugewichtung seiner IT-Strategie. Der CIO: „Statt weiter in neue Apps oder Plattformlösungen zu investieren, liegt unser Fokus derzeit auf der Stabilisierung der bestehenden Systemlandschaft.“ Die Folge: Weniger Bedarf an innovativen Entwicklern, dafür mehr Jobs für IT-Systembetreuer.
Welche Auswirkungen hat die Baukrise?
Auch handwerkliche Fachberufe sind nicht immun gegen konjunkturelle Schwankungen. Besonders hart trifft es die Anlagenmechaniker SHK – im Vorjahr noch unter den Top 10, jetzt nur noch auf Platz 20. Der Grund: die schwächelnde Baukonjunktur. Experten sprechen von einem „Zwischentief“, denn langfristig gelten diese Berufe als zentral für die Umsetzung der Energiewende.
Ein Blick nach vorn: Die Nachfrage dürfte mit dem Wiederanziehen von Neubauprojekten und Sanierungsvorhaben wieder ansteigen. Viele Handwerksbetriebe halten trotz der Flaute an ihren Ausbildungsplätzen fest – ein klares Indiz für den erwarteten Turnaround.
Was bedeutet das für die Fachkräftesicherung?
Laut DEKRA-Geschäftsführerin Katrin Haupt steht der Arbeitsmarkt an einem Wendepunkt. Zwar sorgt die konjunkturelle Schwäche aktuell für Verwerfungen, doch darunter schlummern langfristige Herausforderungen: Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung werden den Bedarf an Fachkräften langfristig sogar verstärken.
Die entscheidenden Fragen lauten jetzt: Welche Kompetenzen werden künftig entscheidend sein? Wo muss umgesteuert werden? Und wie können bestehende Mitarbeiter:innen für neue Anforderungen qualifiziert werden?
Keine Entwarnung – sondern eine Neujustierung
Die aktuellen Verschiebungen im Stellenmarkt sind kein Grund zur Panik, aber ein Weckruf. Klassische akademische Karrierepfade verlieren an Strahlkraft – gleichzeitig gewinnen Berufe mit praktischer Ausbildung und technischer Spezialisierung deutlich an Gewicht.
Wichtig für alle Akteure in Industrie, Bildung und Politik:
Es braucht jetzt gezielte Umschulungsangebote, moderne Ausbildungsprogramme und branchenspezifische Weiterbildungen. Der Strukturwandel hat begonnen – wer früh investiert, sichert sich die besten Fachkräfte von morgen.
DEKRA