Der Anstieg der Großinsolvenzen hat nach nur einem halben Jahr ein schnelles Ende gefunden. Zum Jahresbeginn haben sich die Anträge fast halbiert, wie aus dem Insolvenzreport der Unternehmensberatung Falkensteg hervorgeht. Nur noch 24 Insolvenzen registrierten die Amtsgerichte in den ersten drei Monaten 2023, 20 weniger als zum Ende des vergangenen Jahres. Aufwärts ging es dagegen bei den Verfahrensbeendigungen. Für 26 insolvente Unternehmen konnte im ersten Quartal 2023 eine Lösung gefunden werden. Das sind 53 Prozent mehr als im Vorquartal. Als Großinsolvenzen zählt der Insolvenzbericht Verfahren von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro.
„Das Risiko der Forderungsausfälle steigt und auch die Zahlungsmoral verschlechtert sich zusehends. Der Mittelstand zeigt sich mit guten Eigenkapitalquoten aber robust und Verluste werden noch aufgefangen. Das erklärt das derzeitige Insolvenzgeschehen“, so Studienautor und Falkensteg-Partner Jonas Eckhardt.
Mehr Insolvenzanträge – weniger Großinsolvenzen
Damit entwickeln sich die Großinsolvenzen im ersten Quartal 2023 gegenläufig zu den Insolvenzzahlen insgesamt: Denn alles in allem wurden 3.471 Unternehmensinsolvenzen gemeldet; das entspricht ein Plus von 10,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Anstieg sogar 20,1 Prozent. Die meisten davon traten im Baugewerbe auf, vor dem Einzelhandel und dem Ernährungsgewerbe. Bei den Großinsolvenzen hingegen hat das Baugewerbe bislang keinen großen Einfluss.
Betrachtet man nur die Großverfahren, lösen in der Branchenauswertung die Hersteller und Zulieferer des Maschinenbaus mit sechs Verfahren die Kfz-Zulieferer ab. Der Fahrzeugbau verzeichnet fünf Insolvenzen. Es folgen Pflegeheime, Handel und Kunststoffhersteller mit jeweils drei Verfahren.
„Vor allem Unternehmen, die schon vor der Pandemie in der Krise steckten, konnten ihre Verluste durch Überbrückungshilfen ausgleichen. Sie sind jetzt mit dem anstehenden Tilgungsbeginn der staatlichen Gelder gefährdet. Zudem dürften massive Kostensteigerungen bei Energie, Rohstoffen und Personal sowie höhere Refinanzierungskosten den Druck auf alle Unternehmen erhöhen“, so Jonas Eckhardt. Vor allem in der Immobilienwirtschaft, im Gesundheitswesen, der Investitionsgüterindustrie und im Handel seien mehr Insolvenzen zu erwarten.
Wieder mehr Neustarts insolventer Unternehmen
Nach dem Rückgang im Vorquartal (17 Lösungen) hat sich die Zahl der Verfahrensbeendigungen im ersten Quartal 2023 wieder deutlich erhöht. 26 insolventen Unternehmen gelang ein Neustart. Dies entspricht einem Plus von 53 Prozent gegenüber den drei Monaten zuvor. Dennoch sind die Verfahrenseinstellungen im ersten Quartal noch weit von den Spitzenwerten der letzten drei Jahre entfernt. Das bevorzugte Sanierungsmittel zwischen Januar und März 2023 bleibt weiterhin der Asset Deal.
Asset Deal und Share Deal im Insolvenzverfahren
Ein Unternehmen besteht rechtlich gesehen einerseits aus materiellen und immateriellen Gütern sowie Geschäftswerten und andererseits aus einem sogenannten Rechtsträger, dem Rechte, Pflichten und Vermögenswerte zugeordnet sind. Der Rechtsträger ist zum Beispiel eine AG oder GmbH. Daher gibt es beim Unternehmenskauf zwei Möglichkeiten:
- Möglichkeit 1: Der Käufer erwirbt einen Teil oder den kompletten Rechtsträger. Das nennt man Share Deal.
- Möglichkeit 2: Der Käufer erwirbt einen Teil oder alle Vermögenswerte des Unternehmens, beispielsweise die Produktionsanlagen, bestimmte Geschäftsbereiche, Immobilien oder Technologien. Das nennt man Asset Deal.
Beim Insolvenzverfahren ist der Asset Deal ein wichtiges Instrument, denn ob der Käufer zusammen mit den erworbenen Wirtschaftsgütern auch die Schulden oder andere Verpflichtungen des Unternehmens übernimmt, wird gesondert geregelt. Somit ermöglicht es der Asset Deal den Gläubigern, einen Teil ihrer Forderungen zurückzuerhalten, ohne dass der Käufer das Risiko eingeht, für die Schulden des insolventen Unternehmens haften zu müssen.
Wie groß ist das Risiko für Insolvenzen in der Automobilbranche?
Im Bericht zum Insolvenzreport bewertet Professor Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM), die Zukunftsfähigkeit der Automobilbranche. Er kritisiert: „Die traditionell starke deutsche Automobilindustrie befindet sich seit Jahren im Umbruch. Sie kommt bei der Umsetzung aber nur langsam voran. Weiterer Druck kommt von neuen Wettbewerbern.“ Bei E-Mobilität und Konnektivität hätten die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer noch Nachholbedarf, stellt Bratzel fest. Der Abschied vom Verbrennungsmotor, die richtige Standortwahl für die Produktion und geopolitische Veränderungen werden die nächsten Jahre prägen. Viele Zulieferer müssen sich deshalb neu aufstellen oder gar aufgeben.
Software und Daten seien die Kompetenzen der Zukunft, um sich bei Fahrerassistenz-, Bedien- und Anzeigesystemen sowie autonomes Fahren zu positionieren, glaubt der Branchenexperte. Bei Standortüberlegungen müsse sich ein Zulieferer zudem den geopolitischen Veränderungen stellen. Solle er beispielsweise, um die US-Förderung zu erhalten, mit den Herstellern in die USA gehen und dort mehr Wertschöpfung generieren? Und wenn der China-Taiwan-Konflikt eskaliert, könne der Zulieferer dann noch im Reich der Mitte und den USA tätig sein? „Unser Petitum ist, China nicht zu vergessen, denn es geht nicht ohne diesen Markt, aber der USA-Anteil muss unbedingt erhöht werden“, erklärt er.
Der größte Umbruch kommt auf die Zulieferer zu, die noch in der Verbrennungstechnik tätig sind. Da kaum ein Hersteller alte Modelle weiterentwickeln oder gar neue Generationen dieser Motoren auf den Markt bringen wird, könnte bereits 2030 das letzte Verbrennerauto in Deutschland vom Band laufen. Die Zulieferer müssen sich daher auf den kleinen Markt konzentrieren, in dem die Elektromobilität nicht zu 100 Prozent umsetzbar ist, oder in andere Branchen wie die Luftfahrt oder die Schifffahrt ausweichen.
„Bereits heute ist absehbar, dass diese verbleibenden Nischen nicht Platz genug für alle Zulieferer bieten werde. Damit sollte der vorausschauende Unternehmer bereits heute auch sein Ausproduktionsszenario für die nächsten sieben bis zehn Jahre planen“, so Restrukturierungsexperte Jonas Eckhardt.
Über den Insolvenzreport
Für den Insolvenzreport recherchiert die Restrukturierungsberatung Falkensteg alle drei Monate das Insolvenzgeschehen. Dazu wertet das Unternehmen Informationen des Insolvenzportals, der Creditreform, des Statistischen Bundesamtes sowie von Insolvenzverwaltern aus und ergänzt sie durch eigene Analysen. Während viele Statistiken die Zahl der eröffneten Insolvenzen auswerten, konzentriert sich der Insolvenzreport auf den früheren Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung. Zwischen Anmeldung und Eröffnung liegen im Durchschnitt zwei bis drei Monate. Der Insolvenzbericht soll auf diese Weise als Frühindikator für Großinsolvenzen dienen.
Quelle: Falkensteg